Räthsel

[626] Räthsel und räthselhaft heißt im Allgemeinen etwas, dessen Bedeutung und Zusammenhang dunkel und daher nur zu errathen oder auszuklügeln ist; im engern Sinne aber werden unter Räthseln Aufgaben zur Übung und Beschäftigung des Nachdenkens und Scharfsinns verstanden, welche einen Gegenstand in seinen Eigenschaften, die er mit andern theilt, auf eine so ungewöhnliche Weise bezeichnen, daß die Aufmerksamkeit irregeleitet wird, wobei aber dennoch der Gegenstand so bestimmt als möglich charakterisirt werden muß. Das gewöhnliche Räthsel betrachtet immer seinen Gegenstand im Ganzen, wie z.B.:


[626] Wer Flügel hab' ich vorn am Kopf,

Nach hinten einen langen Zopf,

Dazu ein Bein, um drauf zu stehn,

Denn meine Flügel sind zum Gehn,

Der Zopf, um mich herum zu drehn.


Man nennt es Buchstabenräthsel oder Logogriph, wenn es einem Worte durch Versetzung, Wegnahme oder Vertauschung einzelner Buchstaben verschiedene Bedeutungen und dadurch Gelegenheit gibt, das Wort zu errathen, wie:


Es soll mit L des Erdballs Drittel sein,

Und doch, mit H, nennst du es zweimal dein.


Andere Abarten der Räthsel sind das Sylbenräthsel oder die Charade, in welchen die Sylben des Ganzen einzeln, jede gleichsam als ein Räthsel für sich, aufgefaßt werden, woran sich die Andeutung des Ganzen schließt, und das Palindrom, welches ein vor- und rückwärts mit verschiedener Bedeutung lesbares Wort zu rathen aufgibt. Gewöhnlich gibt man den Räthseln eine poetische Form und diese ist um so vollendeter, wenn sie die einzelnen Merkmale im Ideengange zu einem schönen Ganzen verbindet, wie das in den berühmten Räthseln von Schiller der Fall ist.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1839., S. 626-627.
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