Livia Drusilla

[386] Livia Drusilla, die Gemahlin des Cäsar Augustus, ersten römischen Kaisers, war die Tochter des Patriciers Livius Drusus Claudius. Vermählt mit Tiberius Claudius Nero, gebar sie diesem zwei Söhne, den Drusus und Tiberius. Ihre körperlichen Reize, der Zauber ihrer Unterhaltung, ihre geistige Anmuth machten[386] einen solchen Eindruck auf den jungen Kaiser Augustus, daß er seine erste Gemahlin Scribonia verstieß und Livia, mit Bewilligung ihres Gemahls, zu seiner Gattin erhob. Die neue Kaiserin wußte sich so gut in ihre Rolle zu schicken, daß sie nicht nur der Liebling ihres Gemahles blieb, sondern auch in Staatsangelegenheiten eine Ausschlag gebende Stimme sich erwarb. Die Schriftsteller jener Zeit nennen sie ein politisches Genie. Man gibt ihr Schuld, diejenigen, welche ihre Pläne gefährden konnten, frühzeitig durch Gift aus dem Wege geschafft zu haben. Sie brachte es durch die unwiderstehliche Macht ihrer Reize dahin, daß Augustus seine einzige Tochter und seinen treuesten Freund Agrippa verbannte. Auch den Tod des jungen Marcellus und den des Lucius Cäsar legte man ihr zur Last. Ihr Streben ging darnach, ihrem Lieblingssohne Tiberius (aus erster Ehe), der ihr später mit dem härtesten Undank lohnte, die Nachfolge der Herrschaft zu sichern, und man beschuldigt sie sogar, den Tod ihres Gemahles, der sie nach Nola an sein Sterbelager berief, beschleunigt zu haben, in der Befürchtung, er konnte in seinem Entschlusse wankend werden und Agrippa zu seinem Nachfolger wählen. – Augustus starb – sein Testament ernannte sie zu seiner Universalerbin und den Tiberius zum Imperator. – Aber von diesem Augenblicke an war auch ihre politische Rolle ausgespielt. Tiberius vergalt ihr durch Geringschätzung und zahllose Kränkungen. – Obgleich man diese Frau so vieler Morde bezüchtigt, genoß sie doch bis an ihr Lebensende die ungeheuchelte Verehrung des Volkes, ein Umstand, der jene Beschuldigung fast als ein Werk der Parteischriftsteller erscheinen läßt. Sie starb 29 nach Chr. im 86. Lebensjahre. Man beabsichtigte, sie nach damaliger Sitte unter die Götter zu versetzen, diesem aber widersetzte sich ihr eigener Sohn, der ihr auch schon bei Lebzeiten die göttlichen Ehrenbezeigungen entzog.

4.

Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 6. [o.O.] 1836, S. 386-387.
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