Rotterdam

[488] Rotterdam. Bei dem stattlichen Haag, bei dem lieblichen Delft vorüber, gelangt man auf der von rüstigen Pferden längs den malerischen Gestaden der Maas fortgezogenen Trekschuyte nach der an dem Einflusse der Rotte in die Merwe herrlich gelegenen zweiten Hauptstadt des Königreichs Holland. Von der südöstlichen Wasserseite her gewährt R. den prachtvollsten Anblick. Von breiten Canälen durchschnitten, auf welchen die Flaggen aller Nationen wehen, von ungeheuern Speichern umgeben, in welchen die Schätze aller Welttheile ruhen, geschmückt mit schattigen Promenaden, reinlichen Quais, den reichsten Kaufmannsgewölben, geschmackvollen Privatgebäuden, großartigen Fabriken, Kunstanlagen und Monumenten einer rühmlichen Vergangenheit und einer thatkräftigen Gegenwart, ist diese Stadt mit ihren 74,000 Ew. die jugendlich schöne Erbin der Goldgruben des altniederländischen Handels. Schon um's Jahr 1272 mit Stadtrechten belehnt, seitdem immerfort vergrößert, wenn auch 1480 vom wilden Franz von Brederode eingenommen, 1563 größtentheils abgebrannt, 1572 von den Spaniern geplündert, gedieh R. allmälig durch Schifffahrt und bürgerliche Betriebsamkeit zu jener Wichtigkeit, die es heut zu Tage noch so muthig behauptet; denn selbst unter Napoleon's Eisenscepter und Englands zermalmenden Drachenzähnen trat es stets neu verjüngt und gestärkt wieder in die Rennbahn europäischen Weltverkehrs. Ueberall erblickt hier der Freunde reges Leben, [488] und nimmer geräth das complicirte Uhrwerk in Stocken; muß doch Alles, was aus dem Rhein, dem Leck und der Maas nach der See geschafft werden soll, zuvor den Hebebalken R's passiren; haben doch die beiden Indien hier ihre Hauptdepots und Nord wie West hier ihre Comptoire. Welch' wirres Drängen, welch' buntes Farbenspiel auf den breiten, wohlgepflasterten Gassen, besonders aber auf der hohen Straße, welche die Buiten- (Außen-) mit der Binnenstadt (Innern-) verbindet! Wie unnachahmlich schön ist nicht die Börse, wie reich die Bank, wie gelehrt die Akademie der Wissenschaften, wie thätig die naturhistorische Gesellschaft, wie imposant die Admiralität sammt den Werften und Magazinen, wie einladend das »gemeine Landhuys,« wie national gigantesk die alte St. Laurenzkirche mit den Gräbern der gefallenen Seehelden de Witt, van Brakel, de Lief, van Nes und Lambrecht's! Aber ein Monument, ein einziges von Zeit und Menschenwahn unbesiegbares Triumphdenkmal, birgt das holl. Rotterdam noch als den köstlichsten Edelstein am goldenen Reise seiner redlich erworbenen Bürgerkrone, nämlich das metallene Standbild des unvergeßlichen ritterlichen Mitkämpfers unserer deutschen Reformatoren, Desiderius Erasmus Roterdamus, der vom hohen eisenumgitterten Piedestal unverwandt hinab blickt auf das heilige Buch, das seine linke Hand hält, während die rechte noch zögert ein Blatt darin umzuschlagen, – als fürchte sich der Heros in die Zukunft zu schauen.

P.

Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 8. [o.O.] 1837, S. 488-489.
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