Gemeinempfindung

[369] Gemeinempfindung oder Gemeingefühl (coenaesthesis) nennt man das unbestimmte, aus der Mannigfaltigkeit von Organempfindungen resultierende Bewußtsein. Die »Gemeinempfindungen« bezeichnet man jetzt auch als Organempfindungen, weil sie ihre Quelle in Zustandsveränderungen von Organen haben.

FRIES versteht unter Gemeinempfindung die Summe der betonten Empfindungen (Anthrop. § 27). HEGEL spricht vom »Selbstgefühl« (s. d.). Dieses ist nach K. ROSENKRANZ »die Reduction aller leiblichen Functionen zur Einheit der organischen Vitalität, sowie die in sich ungehemmte Flüssigkeit aller Acte der Intelligenz« (Psychol.3, S. 213 ff.). BURDACH bestimmt die Gemeinempfindung als das »sich selbst offenbar werdende leibliche Leben« (Blicke ins Leb. I, 85, 143). Nach SUABEDISSEN ist das Gemeingefühl »das allgemeine Selbstgefühl des leiblichen Lebens« (Grdz. d. Lehre von d. Mensch. S. 75). Nach HANUSCH ist es »die Empfindung des Lebensprocesses« (Handb. d. Erfahrungs-Seelenl. S. 46). E. H. WEBER versteht unter Gemeingefühl »das Vermögen, unsere eigenen Empfindungszustände, z.B. Schmerz, wahrzunehmen« (Tastsinn u. Gemeingef. S. 109). HERBART spricht von »Gesamtempfindung« (Lehrb. zur Psychol.3, S. 53). Ähnlich wie WAITZ (Lehrb. d. Psychol. § 9), LOTZE (Med.[369] Psychol. § 23) u. n. lehrt VOLKMANN: »Unter der Gemeinempfindung... verstehen wir den Gesamteindruck aller gleichzeitigen Empfindungen: das somatische Bewußtsein oder, wie man sie auch genannt hat: das vitale Gewissen, das physiologische Klima« (Lehrb. d. Psychol. I4, 314). LIPPS bestimmt die Gemeinempfindungen als »Empfindungen, in denen sich der Ablauf unseres eigenen körperlichen Lebens in engerem oder weiterem Umfange verrät«. Gemeingefühle sind »die allgemeineren, auf keinen bestimmt umgrenzten objectiven Inhalt bezogenen Empfindungen der Lust und Unlust« (Grundtat(s. d.) Seelenleb. S. 298). WUNDT stellt den Tastempfindungen die Gemeinempfindungen (Wärme-, Kälte- und Schmerz-, nebst inneren Druckempfindungen) gegenüber (Gr. d. Psychol.5, S. 57). Das Gemeingefühl ist der »unmittelbare Ausdruck unseres sinnlichen Wohl- oder Übelbefindens«. Es ist ein »Totalgefühl« (l.c. S. 192). KÜLPE spricht nicht von Gemein-, sondern von Organempfindungen (Gr. d. Psychol. S. 145 ff.). Vgl. LOTZE, Medicin. Psychol. S. 278 ff. Vgl. Gemeinsinn.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Band 1. Berlin 1904, S. 369-370.
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