4. Die Sklaverei

[141] Dasjenige goldene Alter, in welchem es laut den spätern Komikern noch durchaus keine Sklaven gab195, müßte in eine sehr frühe Zeit verlegt werden, denn so weit die Überlieferung, auch die poetische reicht, haben immer Sklaven existiert in den Ländern dieses Archipels, wo Menschenraub und Menschenhandel so leicht und Phönizier als Lehrer und Vorgänger tätig waren. In zwei unvergänglichen Gestalten hat Homer das Sklaventum mit einer ganz eigenen Größe bekleidet: Eumäos, das persönlich gewordene Eigentum, das sich gegen die Räuber und Frevler wehrt und die herrliche Eurykleia. Allein Homer beweist nur für Königshöfe und große Anführer, und in Hesiods »Werken und Tagen« bleibt es zweifelhaft, wie weit die Bauernknechte wirklich als Sklaven zu denken sind196, unzweifelhaft aber, daß der Dichter die ehrliche Landarbeit noch nicht als Banausie, sondern als das einzige Heil betrachtet. Abgesehen von den soeben betrachteten unterdrückten Bevölkerungen könnte im IX. Jahrhundert noch fast der ganze Landbau von Freien betrieben worden sein.

Aber der freie Bauernknecht (ϑής) muß sich dochA26 schon damals für unglücklich gehalten haben. Der Schatten Achills197, welcher dem Königtum über die Toten selbst die traurigste Lage auf Erden vorziehen würde, nennt als solche das ϑητεύειν, das Dienen um Lohn auf dem Lande198. Man braucht dabei nicht einmal an Tagelohn zu denken, das Verhältnis könnte ein festeres und günstigeres gewesen sein und wäre doch nur mit wachsendem Unwillen ertragen worden. Denn am andern Pol, bei den vornehmen Besitzenden, wuchs ebenso die Verachtung der Arbeit und der Arbeiter, jene antibanausische Gesinnung, welche als allein würdigen Zweck des Lebens die edeln Wettkämpfe anerkannte. Es ist dieselbe Aristokratie, welche zugleich den besten, (ja wohl hie und da den ganzen) Grundbesitz in der Feldmark der Polis irgendwie für sich gewonnen hatte[141] und denselben seither durch diese besitzlosen Freien anbauen ließ; in diesen aber mochte noch eine Erinnerung lebendig sein, daß es einst ihre Väter besser gehabt hätten, als man noch »dorfweise« lebte, vor der Gründung der erbarmungslosen Polis. Als vollends die große Bewegung nach den Kolonien hin in Fluß kam, werden Viele mitgezogen sein, um nicht mehr Bauernknechte (ϑῆτες) bleiben zu müssen, die Lücken aber wird man um so leichter mit Gekauften ausgefüllt haben, als gerade die Kolonien bereitwillig die nötige Menschenware schafften; lagen sie doch zum nicht geringen Teil an Küsten, wo Menschen aus dem Binnenland verhandelt wurden199. Kriegsgefangene kamen neben den Angekauften kaum in Betracht. Ein Fang wie der des Gelon nach dem Siege über die Karthager am Himera, da es schien, als wäre »ganz Libyen kriegsgefangen«, war eine nicht bloß seltene, sondern einzige Ausnahme200, und dies waren Barbaren. Ohnehin hatte man im Krieg nicht immer Zeit und Gelegenheit, gefangene Barbaren oder Halbbarbaren als nutzbare Sklaven nach Hause zu senden; als die Athener auf dem sizilischen Zuge das sizanische Hykkara überrumpelten und die ganze Einwohnerschaft raubten, zogen sie es vor, dieselbe (wahrscheinlich in Katana) um 120 Talente käuflich loszuschlagen201; andere Male rechnete man auf Loskauf durch Verwandte, wie z.B. Kimon bei seinem Fang von Lydern und Phrygern im Kriege von Sestos202; wer so wohlhabende Verwandte besaß, hätte vermutlich doch nur einen schlechten Sklaven abgegeben. – Im Kriege von Hellenen gegen Hellenen aber töteten die Sieger die erwachsenen Männer und verkauften die Weiber und Kinder, und zwar, wie es scheint, ins Ausland. Wo man die Männer am Leben ließ, geschah es nicht, um sie daheim zu Haussklaven zu machen, sondern um sie in die Bergwerke zu stellen203, oder ebenfalls um hohes Lösegeld von ihnen zu gewinnen. Seit manche Gegenden völlig auf Sklavenarbeit eingerichtet waren, hätte der Krieg überhaupt eine viel zu ungleiche und unsichere Quelle für den Erwerb von Sklaven dargeboten; nur der Handel verbürgte die Regelmäßigkeit. Den erwachsenen kriegsgefangenen Griechen als Sklaven im Hause zu haben war und blieb gewiß schwer und gefährlich, auch erfährt man bei allen Anlässen, wenigstens der Haus- und Ackersklave sei selbstverständlich barbarischer Abkunft.

[142] In einzelnen Landschaften, wo man noch vorherrschend »dorfweise« lebte, hielt sich die freie Arbeit noch lange; bei Lokrern und Phokiern dienten die Jüngern dem Ältern oder Erstgebornen204; erst kurz vor dem heiligen Krieg des IV. Jahrhunderts wurden Sklaven angenommen, und noch die Gattin des phokischen Häuptlings Philomelos hatte nur zwei Sklavinnen205. Als Mnason, ein Freund des Aristoteles, tausend Sklaven einstellte, nahmen dies die Phokier sehr übel, weil er ebenso vielen »Bürgern« damit die Nahrung entziehe. Wo dagegen die Polis alle ihre Konsequenzen hatte entwickeln können, herrschte überall die Sklavenarbeit. Wer hier als Freier um Lohn arbeiten mußte, beim Landbau oder in der Stadt, hätte die so hoch gesteigerte Idee des Bürgertums doch nicht mehr verwirklichen können; Sklaven und Metöken füllten das Bedürfnis aus. Der arme Freie seinerseits war hinwiederum als Diener nicht mehr zu brauchen; ein solcher zog einen zufälligen, täglich wechselnden Verdienst jeder gesicherten Verpflichtung vor, denn diese war schon Knechtschaft (δουλεία) und man fühlte sich dabei als einen Abhängigen (ὑπαίτιος)206.

Eines der frühesten Geschäfte, womit die Sklaverei im Volke Umfang gewann, möchte aller Wahrscheinlichkeit nach die Handmühle gewesen sein. Bisher mahlten die Bauernweiber selbst Morgens früh das Korn, so daß das ganze Dorf von Handmühlen tönte207, während an den Fürstenhöfen die Mühlensklavinnen schon längst im Gebrauch waren208. Auch eine bestimmte Gegend, die Insel Chios, wird als diejenige genannt, wo zuerst um Geld gekaufte barbarische Sklaven durchgehend gebraucht worden209, und Chios spielt auch später in der Geschichte des Sklaventums eine auffallende Rolle210. Allein es gibt keine Antwort auf die entscheidenden Fragen: wann und in welchen Staaten hat zuerst der gewöhnliche Bauer für seine Landarbeit, der Stadtbürger für die Bedienung im Hause, der Handwerker für sein Gewerbe regelmäßig Sklaven eingestellt? Wann und wo sind die Ruderer zuerst aus Sklaven genommen worden? Großer Unternehmungen mit Sklavenmassen, wie z.B. der Bergwerke, nicht zu gedenken, wo vermutlich immer nur mit Sklaven war begonnen worden.

[143] Die Herkunft war eine bunte; Skythen, Geten, Lyder, Phryger, Paphlagonier, Karer, Syrer211 füllten Haus oder Landgut der Griechen an und vorsichtige Käufer mischten ihre Sklavenschaft gerne aus lauter verschiedenen Nationen, was bei einer Zahl von dreien oder vieren leicht zu erreichen war. Ob die Barbaren, von welchen man kaufte, mehr ihre eigenen Leute oder mehr Kriegsgefangene oder die Beute von Menschenjagden auf die Märkte212 brachten, ist ungewiß. Aber auch der hochgebildete Grieche der Blütezeit konnte Sklave eines andern Griechen werden: es genügte, mächtigen Feinden oder Seeräubern in die Gewalt zu fallen – war man dann einmal in zweiter Hand, so half keine freie Geburt und kein Bürgerrecht. Phädon213 und Platon, welche beide dies Schicksal hatten, jener in seiner Jugend, dieser als bereits ruhmvoller Philosoph, wurden losgekauft, und auf den Loskauf mochte hie und da der zweite Besitzer spekulieren; Diogenes aber blieb bei seinem Käufer Xeniades zu Korinth, später offenbar freiwillig.

Der Durchschnittspreis des gewöhnlichen Sklaven, im V. Jahrhundert zwei Minen214 (die Mine gleich 100 Drachmen), im IV. Jahrhundert dritthalb Minen, muß als ein wohlfeiler und die Zufuhr als reichlich und sicher gegolten haben, indem sonst die Züchtung neben den Ankauf getreten wäre. Auf diese aber wird gar kein ökonomischer Wert gelegt215; die Ehe des Sklaven – kaum mehr als ein vom Herrn geduldetes Konkubinat –[144]

kam höchstens insofern in Betracht, als man die bessern unter ihnen durch ihre Kinder enger an das Haus und dessen Wohlergehen geknüpft glaubte216. Die schlimmern freilich, sagt Xenophon, werden, wenn sie eine Genossin bekommen, nur fähiger zum Frevel. Von Sklavenkindern aber hielt man nicht viel Gutes217. – Der jährliche Abgang wird auf zehn Prozent berechnet, und den Sklaven, den man hatte, wünschte man zu erhalten wie ein nützliches Tier. »Freunde läßt man kaltblütig Not leiden und untergehen, dem kranken Sklaven aber führt man den Arzt zu, pflegt ihn sorgsam; stirbt er, so klagt man und hält es für einen Schaden218«. – Es ist erlaubt zu fragen, was geschah, wenn eine Gegend so weit verarmt war, daß man keine Sklaven mehr kaufen konnte, und wenn etwa auch die Freien abnahmen und arbeitsscheuer waren als je? Vielleicht trat dann rasche Verödung ein.

Beim gewöhnlichen Haus- und Ackersklaven verstand sich der Gebrauch von selbst219; im Brotbacken galten später Kappadokier, Phryger und Lyder als besonders geübt220. Bei etwas größerer Landwirtschaft ergab sich dann das Verhältnis eines Obersklaven zu den gewöhnlichen, unter den Sklavinnen aber trat hervor die Schaffnerin, welche sorgfältig unterwiesen, auch diskret und gemütlich behandelt werden sollte221. Auch männliche Sklaven, welchen man höhere Stufen der Arbeit (τὰ ἐλεύϑερα τῶν ἔργων) übertrug, sollten, meint Aristoteles, freier behandelt und geehrt werden, während die zur gewöhnlichen Arbeit bestimmten mit reichlicher Nahrung hinlänglich gut gehalten seien. Größere Ökonomien bedürften auch eines Türhüters zur Aufsicht über alles, was hinaus und hereingetragen wird, wozu etwa ein Sklave dienen möge, der zu anderer Arbeit nicht mehr brauchbar wäre222.

Über die Handwerkssklaven verbreitet ein Gespräch in Xenophons Memorabilien helles Licht223; es werden genannt die Besitzer einer Müllerei, einer Bäckerei und verschiedener Werkstätten, wo bestimmte Kleidungsstücke (Chlamyden, Chlaniden und Exomiden) fabriziert werden: »sie kaufen Barbaren und zwingen sie zur richtigen Arbeit«. Es wäre interessant zu wissen, wie manches edle Werk der athenischen Kunstindustrie[145] auch nur von solchen dressierten Barbaren verfertigt worden? Der Eigentümer allerdings mußte das betreffende Fach verstehen, und dies ist schwer denkbar, wenn er nicht einige Zeit aus der Höhe des allgemeinenA27 antibanausischen Hochmuts herniedersgestiegen war und selber Hand angelegt hatte, doch wird dies bei Vätern berühmter Männer nach Kräften beschwiegen. Der Vater des Sophokles »hatte nur Sklaven, welche Erzarbeiter und Bauleute waren«, der des Isokrates nur solche, »welche waren Flötenmacher224«. Manche solche Werkstätten konnten je nach Zeit und Geschäften wohl Hunderte von Sklaven halten, vollends aber standen in den Bergwerken die Sklaven offenbar zu vielen Tausenden, sei es als Eigentum des betreffenden Staates, sei es der Unternehmer. Das todesunglückliche Dasein dieser Massen gab den Bürgern hauptsächlich dann zu denken, wenn dieselben gefährlich zu werden drohten. In einer Schrift, von welcher nur zu wünschen wäre, daß sie dem greisen Xenophon abgesprochen werden dürfte225, wird jedoch den Athenern in verlockender Weise ausgemalt, mit welchem Nutzen sie die Zahl der Sklaven in den Silberbergwerken noch steigern könnten; schon bei 10000 derselben würde der Ertrag auf 100 Talente steigen, und bei weiterer Vermehrung könnte wohl das ganze freie Athen schon davon leben. Als wäre es noch nicht genug an der bereits so großen Quote von Haus- und Ackersklaven in Attika, meint Xenophon, der Staat müßte mindestens so viele Bergwerkssklaven anschaffen, daß auf jeden Bürger deren drei kämen, also damals reichlich 60000; dann würde Athen »noch geordneter und kriegstüchtiger« sich entwickeln können als sonst. Diese Vorschläge sind genau ebenso töricht wie die vorhergehenden zu höchster Begünstigung der fremden Einsassen oder Metöken, deren erst recht viele noch herbeigelockt werden sollten; den bisher geleisteten Kriegsdienst müsse man ihnen erlassen und sich nur aus der Metökensteuer ebenfalls eine möglichst ergiebige Einnahme schaffen. Wie teuer konnte es Athen zu stehen kommen, wenn es auf diese Art hätte aus den Renten leben wollen! Eine einzige unglückliche Schlacht, in welcher viele Bürger gefallen wären, hätte genügt, um die schon ohnehin reich gewordenen Metöken zu Herrn des (im buchstäblichen Sinn unterwühlten) Staates zu machen. Die letztern aber waren der Abkunft nach, wie kurz vorher gesagt wird, zum nicht geringen TeilA28 Lyder, Phryger, Syrer wie so viele Sklaven, ja vielleicht zum Teil Abkömmlinge von freigelassenen Sklaven dieser Herkunft. Dazu dann noch die vermutliche Befreiung der Bergwerkssklaven[146] und Haussklaven! Schließlich ist der Verfasser226 der Meinung, man möge in betreff der vorgeschlagenen Maßregeln noch in Dodona und Delphi anfragen, ob dieselben erfolgen sollten? und unter dem Schutze welcher Götter?227

Es fällt uns einigermaßen schwer, ein Griechenland zu denken, das neben vier bis fünf Millionen Freier zwölf Millionen Sklaven, fast lauter ungriechischer Herkunft beherbergt hätte (Hellwald), ein Attika mit viermal so viel Sklaven als Freien (Curtius), einzelner Industriestädte wie Korinth nicht zu gedenken, wo die Freien etwa nur ein Zehntel betrugen, denn das Gebiet von Korinth soll ja 460000 Sklaven gehabt haben228 und Aegina vollends 470000. Hier dürfte vielleicht, obschon die Aussage bei Athenäus aus den Politien des Aristoteles stammt, doch eine unmaßgebliche Emendation zu wagen sein: ist etwa diese enorme Zahl von Sklaven (die einander auf der kleinen Insel hätten auf den Köpfen gehen müssen, die Freien ungerechnet) entstanden aus der Multiplikation einer vermeintlich einst gleichzeitig, in der Tat aber nur successiv vorhandenen Zahl von Trieren und Pentekonteren mit den betreffenden Zahlen der Ruderer? Sogar für Korinth ließe sich ein Bedenken ableiten aus dem Wort Herodots (II, 167), wonach die freie Handarbeit dort noch am wenigsten gescholten wurde.

Über die großen Gefahren, welche das Sklaventum mit sich brachte, ist man niemals verblendet gewesen. Allerdings waren diejenigen Scharen, welche sich tatsächlich zeitweise zu Herrn von ganzen Städten machten, nicht, wie man auf den Wortlaut (δοῦλοι) hin annahm, Sklaven, sondern unterdrückte alte Landbevölkerungen; so die oben erwähnten syrakusischen Kallikyrier229 – die Periöken von Argos, welche die Frauen der bürgerarm gewordenen Stadt sich zugesellten230, – und ebenso die vermeintlichen Sklaven des etruskischen Vulsinii231; die großen sizilischen Sklavenkriege aber fallen erst unter die römische Herrschaft, als das Latifundienwesen eine nochmalige Steigerung der Sklavenzahl bis ins Ungeheure verurscht hatte. Gleichzeitig mit dem zweiten dieser sizilischen[147] Aufstände (um 100 v. Chr.) erfolgte auch in Attika ein Aufruhr der bis zu »vielen Myriaden« gediehenen Bergwerkssklaven, welche ihre Wächter ermordeten, die Akropolis von Sunion besetzten und lange Zeit das Land verwüsteten232. Die Zahl, welche einst Xenophon gewünscht hatte, mochte jetzt unter den Römern erreicht, ja überboten worden sein und ihre Früchte getragen haben. Aber schon in der Zeit des freien Griechenlands genügte irgend eine Erschütterung des allgemeinen Zustandes, um die Sklaven in die größte Unruhe zu versetzen233. Je größer in einem Staate die Sklavenquote war, desto schärfer die ZüchtigungenA29 und desto dringender der Wunsch des Entrinnens und der Rache234. Bei jedem Kriege war daher das Ausreißen großer Sklavenmassen zu befürchten, und die plötzliche Gelindigkeit der Behandlung, welche man den Sklaven in solchen Zeiten angedeihen ließ235, wird wohl keinen sonderlichen Eindruck gemacht haben. Den bedrängten Athenern wenigstens, als ihr Heer in Sizilien unterlag und König Agis mit den Spartanern in Dekeleia stand (413 v. Chr.) entliefen über 20000 Sklaven und zwar meist handwerksgeübte (χειροτέχναι), also die wertvollern236. Es ist möglich, daß diese mit Geduld und Aufwand dressierten Skythen und Kleinasiaten von ihrer sichern Kost ins volle Elend oder ins Räuberleben kamen, allein sie wollten unter allen Umständen von ihren Herrn fort, auch wenn sie die Heimat kaum mehr zu erreichen hoffen durften. Ganz Hellas und jede Stadt in ihrem Innern hätte einig und ruhig sein müssen, um die Sklaven mit völliger Sicherheit auszubeuten; statt dessen ist esA30 eine gewöhnliche Klage beim Anfang von Händeln, daß eine Stadt die ausgewichenen Sklaven einer andern bei sich aufnehme237, wobei man nicht immer überlegt haben wird, wie dies auf die eigenen Sklaven wirken mußte. Im offenen Kriege war es dann ein Kampfmittel, die Sklaven des Feindes zum Abfall aufzurufen, daher, wer es irgend vermochte, bei drohenden Feindesüberfällen außer der übrigen Familie auch die Sklaven über die Grenze in Sicherheit brachte238. Auf überwältigten Flotten machte der Sieger etwa die Sklaven (d.h. die Ruderer) frei und fesselte dafür die Freien239. Vollends in den oft[148] so greuelvollen innern Wirren der Städte wendet sich eine Partei, die eilig vielerA31 Helfer bedarf, an die Sklaven und verspricht ihnen die Freiheit240 und in Kerkyra (427 v. Chr.) taten dies die Aristokraten und der Demos um die Wette241, letzterer mit entscheidendem Erfolge. Da die jeweilen handelnde Partei ihre eigenen Sklaven wohl unmöglich von der Freilassung ausnehmen konnte, so ging auf einmal ein gewaltiges Kapital verloren, aber die Faktionswut fügte sich auch in die eigene Verarmung. Scharen von ausgewichenen oder auf die letztgenannte Weise freigewordenen Sklaven mögen dann beisammen geblieben sein, schon um sich mit Gewalt zu nähren, als Anfang von Räuberbanden. Entwichene Sklaven scheinen z.B. in Großgriechenland die gefürchteten Peridinen gewesen zu sein, von welchen Plato bei Anlaß derjenigen Gefahren redet, welche bei allzugroßer Anzahl gleichsprachiger Sklaven über eine Stadt kommen können242.

Allein auch in ruhigen Zeiten mußte die Nation die Folgen davon tragen, daß ihre Freien in allen höher entwickelten Städten und Landschaften die Arbeit nach Kräften verschmähten. Wohl gab es, wie sich zeigen wird, einzelne bessere, gemütliche Verhältnisse, in Attika aber wußte man, daß die Sklaven durchgängig gegen die Herrn sehr übel gesinnt seien243. Die mittlere Denkweise wenigstens der Stadtsklaven verrät sich ungefähr im Gespräch des Xanthias und Aeakos in den Fröschen des Aristophanes (V. 738 ff.): man mischt sich in allerlei, horcht auf das, was die Herrschaft spricht und bringt es weiter herum; nach erhaltenen Schlägen wird draußen gebrummt; die höchste Wonne ist dem Herrn heimlich zu fluchen. – Im Grunde sicherte den einzelnen Herrn nur die Nähe der Übrigen, welche ebenfalls Sklaven hielten: »Die Bürger dienen sich gegenseitig als freiwillige Leibwache gegen die Sklaven244«. – »Die Reichen in den Städten«, sagt Plato245, »welche viele Sklaven haben, leben furchtlos, indem die ganze Stadt jedem Einzelnen zur Hilfe bereit ist. Wenn aber ein Gott etwa einen Besitzer von fünfzig Sklaven aus der Stadt hinweg in eine Einöde versetzte samt Familie und Habe, an einen Ort, wohin ihm kein Fremder zu Hilfe kommen würde, in welcher Furcht würde er leben aus der Welt geschafft zu werden durch die Sklaven! Er wäre genötigt, einigen von ihnen schön zu tun und Versprechungen zu machen, auch Freilassungen ohne Grund vorzunehmen; er[149] würde Schmeichler seiner Knechte oder ihr Opfer«. Selbst im gewöhnlichen Leben wird Ermordung durch Sklaven als ein häufiges Mißgeschick bei spätern Komikern in der Reihe anderer Übel aufgezählt246. Ein Eigentümer, dessen Sklaven Mitwisser einer unrechtlichen Handlung desselben waren, durfte sich als den »unglücklichsten aller Menschen« betrachten; sie waren zeitlebens Herrn über ihn, und – was immer sie auch begingen – der Straflosigkeit sicher, ja unter Umständen der Freilassung, wenn sie ihn verzeigten247. Schon der sehr intelligente Sklave galt als unbequem und gefährlich, zumal wenn er die Denkweise der Freien sich angeeignet hatte248; besser noch, wenn die Sklavenschaft an nichts anderes dachte als an ihr Essen249. Auch auf dem Lande, wo die Verhältnisse noch dieA32 günstigsten waren, mußte laut Aristoteles250 der Herr früher aufstehen und später schlafen gehen als die Sklaven; das Haus durfte so wenig unbewacht bleiben als eine Stadt.

Die tatsächliche Behandlung der Sklaven wird von vornherein dadurch bestimmt, daß dieselben fast ausschließlich Barbaren oder Halbbarbaren sind. Schon ihre niedrige theoretische Taxierung, wie sie uns bei Plato und Aristoteles251 entgegentritt, geht offenbar von diesem Gesichtspunkt aus, obwohl dies nicht ausdrücklich hervorgehoben wird, und wenn Aristoteles in der Praxis milde und menschenfreundlich war, wie sein Testament beweist252, so gereicht ihm dies zu um so größerer Ehre. Die bekannte Frage, ob und welche Trefflichkeit (ἀρετή) der Sklave besitzen könne, die Ansicht, daß er von Hause aus von geringerer Qualität sei und so tief unter dem Freien stehe als der Leib unter der Seele, das Tier unter dem Menschen, daß ihm der auf Reflexion beruhende Entschluß (τὸ βουλευτικόν) fehle – dies Alles mag hier übergangen werden; es ist, als ob das Wort des Eumäos253, daß Zeus mit dem Tage der Knechtschaft einem Mann die Hälfte seines Wertes nehme, in späterer Zeit noch als viel zu milde gegolten hätte. Nichts, sagt Plato, ist gesund an einer Sklavenseele. Man verhärtete sich völlig dagegen, von einer gewaltigen Menschenmasse[150] umgeben und bedient zu sein, deren Leben schlimmer sei als der Tod254. Rechtlich war der Sklave gegen willkürliche Tötung und gegen Notzucht gesichert (wahrscheinlich nicht um seinetwillen, sondern um der Verwilderung der Besitzer zu steuern), sonst aber jeder Züchtigung und Mißhandlung preisgegeben255. Es war schon ein Unglück für alle Sklaven, daß in Gestalt der Bergwerksarbeiter eine allerunglücklichste Klasse vorhanden war, an welcher Jahrhunderte hindurch dargetan wurde, was man sich überhaupt gegen menschliche Wesen erlauben dürfe; ihnen wurde gewiß nur gegönnt, was nötig war, um sie am Leben und einigermaßen bei Kräften zu erhalten256, und die Fesselung wird außer der Arbeitszeit eine permanente gewesen sein. Auch bei den gewöhnlichen Sklaven kam sie sehr häufig vor und zwar nicht als Strafe, sondern um nach Kräften die Flucht zu verhindern; der eine Herr, sagt Xenophon, fesselt sie sozusagen alle, und doch laufen sie ihm häufig davon; der andere hält sie ungefesselt, und doch arbeiten sie und bleiben257. Xenophon, der hier nur von Landsklaven spricht, vertritt überhaupt die menschenfreundlichste Seite der griechischen Denkweise, welche die bessern Sklaven nicht nur durch bessere Kleidung belohnt, sondern auch durch gerechte Behandlung zum Gerechtigkeitssinn, durch Lob zur Ehrliebe angeleitet wissen will und ihnen als letztes Ziel die Freilassung in Sicht hält258. Daß der Sklave überhaupt lieber auf dem Lande als im städtischen Hause diente259, hing wohl mit seiner meist ländlichen Herkunft zusammen, und unter einem vernünftigen Herrn konnte sein Los hier mindestens so leidlich sein als dasjenige, welches ihn bei der Rückkehr nach der Heimat erwartete. Der Hirtensklave vollends wurde wahrscheinlich so[151] gut gehalten wie ein heutiger Knecht, weil bei der Behandlung der Tiere so vieles von seinem guten Willen abhing; die sizilischen und unteritalischen Hirten des Theokrit, ohne Zweifel Sklaven260, haben eigenen Besitz (der auch bei den Landsklaven Xenophons vorkommt) und können über Lämmer und Ziegen verfügen und zierliche Geschenke machen. Und wenn bei Schmäusen aller Art die Sklaven überhaupt reichlich mitbekamen261, so ließ man gewiß besonders bei Festen und Opfern auf dem Lande dieselben am Wohlleben des Tages teilnehmen; Aristoteles ist sogar der Meinung, man solle dergleichen mehr um der Sklaven als um der Freien willen begehen262. In Arkadien vollends gab es große Bewirtungen263, zu welchen man die Herrn samt ihren Sklaven einlud, ihnen dieselben Gerichte vorsetzte und ihnen den Wein in demselben Krater mischte. Auch beging man hie und da Feste, wo die Herrn die Sklaven bedienten und mit ihnen Würfel spielten, ja als die Griechen die römischen Saturnalien (wo Ersteres ebenfalls vorkam) kennen lernten, fanden sie, dies sei ein überaus hellenisches Fest264. Die angetrunkene Sklavin ist eine bekannte Genrefigur der Poesie sowohl als der bildenden Kunst265.

Im großen und ganzen jedoch wird es auf dem Land wie in der Stadt bei jenem völligen Mißtrauen und jener Verachtung266 geblieben sein, welche Plato als die richtigen Gefühle gegenüber den Sklaven bezeichnet; nach seiner Ansicht sollte der Herr ihnen ja nicht unrecht tun, wohl aber, wo sie im Unrecht seien, sogleich Züchtigung eintreten lassen, indem gütliches Zureden sie nur übermütig mache; nie und nimmer dürfe man mit ihnen scherzen, indem man damit nur sich das Gebieten und ihnen das Gehorchen erschwere; jedes Wort an sie müsse ein Befehl sein; der Besitz von Menschen habe eben überhaupt seine schwierigen Seiten267. Und das durchschnittliche Verhalten schildert Xenophon268 kurz dahin:[152] Die Herren bändigen die Üppigkeit der Sklaven durch Hunger, das Stehlen durch Verschluß alles Verschließbaren, das Davonlaufen durch Fesseln, die Trägheit durch Schläge. Solchen Mißhandlungen sind aber auch Sklavinnen ausgesetzt269. Vor Züchtigung der Sklaven im Zorn wird gewarnt, allein nicht aus Menschlichkeit, sondern aus Sorge vor ihrer Rache270. Altreiche Herrschaften galten für milder, unverhofft reich gewordene dagegen als grausam, und zwar über das Maß271.

In Athen, seit der Zeit des peloponnesischen Krieges, benahmen sich die Sklaven, obenhin besehen, sehr frei und keck. Ihr Kittel272 war eine Tracht, wie sie der ärmere Bürger und Metöke auch trug, so daß man sie von diesen, die ohnehin nicht besser aussahen, kaum mehr unterscheiden konnte273; vermittelst ihres Peculiums, das – wenigstens nach der neuern Komödie zu schließen – oft sehr beträchtlich gewesen sein muß, müssen sie sogar oft besser gestellt gewesen sein. Öfter nahm man sie in den Krieg mit, wenn auch nur als Waffenträger, und diejenigen, welche fielen, erhielten ihr besonders ehrenvolles Begräbnis von Staatswegen274 Die Überlebenden aber scheinen wenigstens in gewissen Fällen frei geworden zu sein, sei es durch ihre Herren oder durch den Staat275, und in Athen war nach dem Schlage von Chäronea der Demos im Begriff, die Sklaven zu Freien, die Fremden (Metöken) zu Bürgern, die ehrlos Gewordenen wieder für ehrlich zu erklären276. »Viele sind heute Sklaven,« heißt es in einem Komiker jener Zeit277, »welche morgen Bürger von Sunion sind und übermorgen an der Agora (d.h. am vollen Bürgerrechte von Athen)[153] Teil haben.« – Die Sprache scheint kein Hindernis des Verkehrs gewesen zu sein, indem die Sklaven rasch griechisch gelernt haben mögen, wenn auch die Skythen damit eher einige Mühe haben konnten als die Asiaten278. Von da an war es ganz unmöglich, daß in einer Stadt wie Athen, wo so wenige Leute ihrer Rede Schranken auferlegten, nicht auch die Sklaven sehr keck zu reden begonnen hätten; zur Zeit des Demosthenes führten sie das Wort lauter als in manchen Städten die Bürger279, ja sie scheinen auch das Theater besucht und hie und da an den attischen Mysterien Teil genommen zu haben, bis man in Augenblicken heftigsten Faktionswesens sie sogar in die Volksversammlung eindringen sah280. Wie werden sie sich im Theater gefreut haben, wenn z.B. im Ion des Euripides (V. 851) der (schon oben angeführte) Pädagog – ein Sklave – seine Tirade losließ: nur eines bringe dem Sklaven Schmach, nämlich der Name, sonst stehe keiner den Freien nach, sobald er ein Edler sei281.

Allein der Sklave konnte in diesem hochgebildeten Athen jeden Augenblick an seinen wahren Stand aufs bitterste erinnert werden. »Einige,« sagt Plato282, »trauen ihren Sklaven gar nicht und traktieren sie mit Stacheln und Geißeln oft und viel, wodurch sie deren Seelen erst recht knechten.« Außerdem aber gab es eine gerichtliche Folterung der Sklaven, von welcher man nur nicht glauben darf, sie sei nicht häufig vorgekommen. In Prozessen, sogar in privatrechtlichen, durfte der Herr seine Sklaven dazu anbieten oder die des Gegners dazu verlangen, jenes zur eigenen Entlastung, dieses zu des Gegners Belastung. Was der aristophanische Xanthias283 von Gattungen der Qualen aufzählt: das Aufspannen an einer Leiter, das Aufhängen (an den Armen), das Knebeln, das Eingießen von Essig in die Nase, das Auflegen von Ziegelsteinen – ist lange nicht alles; schon sein Mitredner Aeakos stellt die schwere Körperverletzung (πηροῦν) in Aussicht, und das Hauptmittel zur Erkundung der Wahrheit war in der Tat das Rad (τροχός), auf welchem der Körper ausgerenkt wurde. Daß man die eigenen Sklaven dazu anbot, welche doch im ganzen den Herrn[154] haßten und gegen ihn auszusagen versucht waren, galt als höchster Beweis eines guten Gewissens, und der Gegner, wenn er sie zurückwies, mußte sich verdeuten lassen, er habe ein schlechtes284, sonst hätte er sie eher begehren als der Andere sie anbieten müssen. Der Redner Lykurgos, dessen rohes Pathos so manches aus der Praxis des spätern IV. Jahrhunderts ausschwatzt, nennt die Sklavenfolter weit das gerechteste und dem Demos gemäßeste Mittel zur Erforschung eines streitigen Tatbestandes285, indem er die Sklaven seines Opfers Leokrates zur Folterung verlangt; letzterer verweigert sie und soll damit wiederum sein »böses Gewissen« verraten haben, ganz als hätte Menschlichkeit und Anhänglichkeit an die Sklaven unmöglich ein Wort mitreden können. – Um den wahrsten Grund dieser durchgehenden Handlungsweise zu durchschauen, muß man wieder um ein Menschenalter zurückgehen, zu Isäos286, welcher es vor versammeltem Gericht trocken und verständlich heraussagt: »wo ihr Richter irgend die Wahl habt zwischen dem Zeugnis von Freien und dem von gefolterten Sklaven, zieht ihr zur Ermittelung der Wahrheit billiglich (εἰκότως) das letztere vor, in der Überzeugung, daß schon manche Freie unwahres Zeugnis abgelegt zu haben scheinen, was bei Gefolterten noch niemals hat können nachgewiesenA33 werden.« Nämlich Meineid und Falsches Zeugnis liefen damals in Athen auf allen Gassen herum. Freilich, wenn man sich einmal auf das Foltergeständnis zurückgewiesen glaubte, konnte es mit der Zeit nicht ausbleiben, daß dasselbe auch von Freien erpreßt wurde287. – Es liegt nun nahe zu fragen, wie die großen Intelligenzen jener Zeit über diese Dinge gedacht haben möchten? Aristoteles kommt in seiner Rhetorik rein als Praktiker vom Gesichtspunkt des gerichtlichen Redners aus darauf zu sprechen288, verrät aber doch bei diesem Anlaß eineA34 eigene Meinung: »Wenn es im Interesse (unserer Partei) ist, daß gefoltert werde, muß man (der Redner) die Folterung preisen, indem Folterzeugnisse unter allen Zeugnissen die allein wahren seien; ist aber die Folterung uns unerwünscht und im[155] Interesse des Gegners, dann kann einer sie zunichte machen, indem er die Wahrheit zur Geltung bringt gegen alle Folterung überhaupt; denn auf der Folter wird ebenso viel Falsches ausgesagt als Wahres; es geschieht, daß die Gefolterten aushalten ohne die Wahrheit zu bekennen, und dann wieder sagen sie ganz leicht Falsches aus, nur um von der Folter loszukommen.« – Also doch wenigstens so viel! Aber auf dieses Kapitel im ganzen hin können uns manche politische und rechtliche Einrichtungen der Griechen, womit sich die Gelehrsamkeit große Mühe macht, einigermaßen indifferent werden289.

Der Sklave bleibt eben eine Sache, und auch diese oder jene Gunst, welche er erfährt, ist eine nur scheinbare, so z.B. die Aufsicht über die Kinder bis tief ins Jünglingsalter, welche durchweg dem Sklaven als Pädagogen übertragen wurde290. Hiebei ist vor allem zu erwägen, daß derselbe wesentlich die negative Seite der Erziehung, die Hütung und Abwehr vertrat, während der Unterricht bei freien Lehrern empfangen wurde, besonders aber, daß man Freie für das Amt des Pädagogen vielleicht wohl für den Augenblick zu finden, aber dann nur schwer richtig zu lenken vermocht hätte, weil kein Freier, namentlich kein Mitbürger derselben Stadt auf die Länge dazu taugte, abhängig (ὑπαίτιος) (vgl. oben S. 143) zu leben. Sodann glaubte man am ehesten beim Sklaven vor Liebesverhältnissen zu den Knaben sicher zu sein291; war er doch ein Barbar, in der Regel bejahrt und sogar manchmal deshalb mit seinem Amt betraut, weil er für andere Arbeit invalid geworden. Unter mehrern oder gar unter zahlreichen Sklaven denjenigen auszumitteln292, welcher sich am besten dazu eignete, konnte im Lauf der Jahre so schwierig nicht sein, auch werden Beispiele der beiderseitigen Treue und Anhänglichkeit nicht gefehlt haben, wie einige Grabschriften auf treffliche Pflegesklaven beweisen, ähnlich wie sie getreuen Ammen, ebenfalls Sklavinnen, sind gesetzt worden293.

Von den Freigelassenen hatte man im ganzen keine gute Meinung. Zunächst verstand sich von selbst, daß böse und undankbare Sklaven, wenn sie frei geworden, ihren Herrn, »am meisten von allen Menschen[156] haßten«, weil dieser sie in der Knechtschaft gekannt hatte294. In der neuern attischen Komödie trat aber der Freigelassene überhaupt leicht als Ankläger (ohne Zweifel seines Herrn) auf, »als bestände der Genuß der freien Rede in der Anklage295«, und was die Poesie als Typus zu brauchen wagt, das muß im Leben häufig vorgekommen sein. Eher könnte man annehmen, daß in der neuern Komödie der noch seinem Herrn gehörende Sklave etwas zu gut weggekommen sei, indem der Dichter dieser seiner Hauptperson, dem Träger der Intrige, dem kecken Erfinder aller Auswege eine gewisse Gunst habe erweisen müssen; doch fehlte es auch hier an schlimmern Sklaven nicht. – Den ganz fatalen Freigelassenen in Lucians Timon (Kap. 22 f.) wird man wohl der römischen Kaiserzeit völlig zu überlassen haben, so gut als den petronischen Trimalchio296.

Übrigens gab es Fälle im Leben, da ein spezifisches Talent alle Schranken zu beseitigen wußte, wenn nämlich ein bestimmtes Geschäft Fähigkeiten verlangte, welche in der freien griechischen Familie nur vereinzelt vorhanden und nicht erblich waren. Aus den demosthenischen Gerichtsreden für Apollodor297 lernt man ein solches Geschäft kennen, das von Sklaven auf Sklaven überging wie die Herrschaft der Mameluken in Ägypten. Im Dienste eines athenischen Wechslers Archestratos zeichnete sich der Sklave Pasion durch Fleiß und Gewissenhaftigkeit so sehr aus, daß jener ihm die Freiheit schenkte und, als er sich aus dem Geschäfte zog, ihm die Fortsetzung desselben auf eigene Rechnung überließ. Wohl nahm er dabei offenbar sein Hauptvermögen mit sich heraus, unterstützte aber den Pasion weiter mit seinem Kredit. Dieser erwarb nun große Reichtümer und wurde der erste Bankier von Athen; er erfüllte seine Pflichten gegen den Staat so redlich und freigebig, daß das Volk ihm für sich und seine Nachkommen das Bürgerrecht schenkte. In seinem Alter übertrug Pasion sein Geschäft samt einer großen Schildfabrik (wenn auch nur durch eine Art von Pacht) an Phormion, welcher erst sein Sklave, dann als Freigelassener sein Buchhalter und Kassier gewesen war, und als er mit Hinterlassung einer Witwe und zweier Söhne starb, verfügte sein Testament u.a., Phormion solle die Witwe heiraten und Vormund des einen Sohnes werden. Es wäre sehr interessant zu erfahren, aus welchem Land und Volk Pasion und Phormion stammten.

Endlich versteht sich von selbst, daß für jede spezielle und regelmäßige, also unfreie Tätigkeit, die der Staat, und ganz besonders der so ausgebildete[157] athenische, nicht entbehren konnte, Sklaven gebraucht wurden. Ihnen fielen regelmäßig die untern Beamtungen, das Schreiberwesen, die Polizei usw. zu. Der freie Streber begehrte nicht ein Ämtchen, sondern er wurde entweder Demagoge oder hungerte. Nur solche Ämter, wobei etwas Tüchtiges zu profitieren war (ἀρχάς), nahm der Demos mit Begier an298.[158]


Quelle:
Jakob Burckhardt: Gesammelte Werke. Darmstadt 1956, Band 5, S. 141-159.
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