Viertes Kapitel.

Das persische Heer.

[46] Das persische Heer hatte einen dem griechischen ganz entgegengesetzten Charakter; es bestand aus Reitern und Bognern. Der einzige Zeitgenosse, dessen Bericht uns über die Perserkriege direkt vorliegt, Äschylos in seinem Drama »Die Perser«, singt und sagt immer wieder von dem Kampf des Spießes gegen den Bogen.30

Auch die persischen Reiter führten den Bogen.

Die Schwerter oder kurzen Spieße, die erwähnt werden, dienten nur als Nebenwaffen.

Da der Bogen die Hauptwaffe bildet, so sind die Schutzwaffen nur leicht, bei den Fußtruppen wohl nur ein Flechtschild, den der Schütze beim Schießen vor sich hinstellen konnte. »Mit Hosen und Hüten gehen sie in den Kampf«, schilderte Aristagoras die persischen Krieger den Spartanern. An anderer Stelle31 werden[46] Schuppenpanzer erwähnt, sind aber wohl nur von einem Teil der Reiter getragen worden.

Es ist aber nicht bloß die verschiedene Bewaffnung, die Perser und Griechen unterscheidet. Die Kraft der Phalanx beruht neben der Tapferkeit und Ausrüstung des Einzelnen auf dem Zusammenhalt des Ganzen, des taktischen Körpers. Wir haben gesehen, daß sogar die bei weitem größere Zahl der Krieger die Entscheidung nicht durch die Waffen gibt, sondern dadurch, daß sie in den hinteren Gliedern der Phalanx einen physischen und moralischen Druck ausübt. Einen solchen taktischen Körper bilden die Perser nicht; Schützen sind dazu wenig geeignet; sie streben naturgemäß auseinander, nicht zu einer Einheit. Nur eine besonders hochgetriebene Kunst kann dennoch eine innere Einheit aus ihnen bilden. Zunächst aber kommt alles auf die Geschicklichkeit, den Eifer, den Mut des Einzelnen an.

In großen Massen sind Schützen gegen Hopliten nicht zu verwenden; werden sie sehr tief aufgestellt, so haben die hinteren Glieder keinen wirksamen Schuß mehr. Breiten sie sich aus, so können die Pfeile sehr bald den Feind nicht mehr erreichen.

Das persische Reich bestand aus dem nationalpersischen Kern und den zahlreichen unterworfenen Völkerschaften. Aus diesen letzteren entnahmen die Perserkönige keine Krieger. Die Mesopotamier, Syrer, Ägypter, Kleinasiaten waren ihnen die unkriegerische, tributzahlende Masse, mit Ausnahme der phönizischen und griechischen Seeleute, die naturgemäß die Flotte füllten. Wenn Herodot die ungeheure Masse von Völkerschaften aufzählt, die im persischen Heere erschienen sind, so müssen wir das als reine Phantasie ansehen. Persien selbst, das heutige Persien, Afghanistan, Beludschistan und große Teile von Turkestan umfassend, war und ist noch heute zum größten Teil Steppen- und Wüstenland mit zahlreichen kleinen, größeren und einigen sehr großen Oasen darin. Perser, Meder und Parther sind Stämme desselben Volkes, wie etwa im mittelalterlichen Deutschland Sachsen, Franken, Schwaben, Bayern. Was sie zusammenhielt, war nicht bloß die Nationalität, sondern auch die gemeinsame Religion, die Offenbarung des Zarathustra. Das[47] eigentlich kriegerische Element sind naturgemäß mehr die nomadisch als die bäuerlich lebenden Stammesgenossen. Von den Nomaden wird die Reichsgründung ausgegangen sein. Indem sich die Perser zu Herren weiter und reicher Kulturländer machten, wandelten sie sich aus kriegerischen Hirten in kriegerische Herrscher, Ritter um. Wir werden uns vorzustellen haben, daß alle die Satrapen vom Schwarzen Meer bis zum Roten von großen Gefolgen kriegerischer, nationalpersischer Leibwachen begleitet waren, mit denen sie sich selbst umgaben und wichtige feste Punkte besetzten. Mit Hilfe der Tribute und Naturallieferungen, die sie einzogen, erhielten sie nicht nur diese Scharen, sondern ergänzten sie auch nach Umständen durch Söldner aus kriegerischen Stämmen, die vielfältig noch halb oder ganz unabhängig in dem großen Reiche sitzen geblieben waren. Aus Persien selbst aber konnten, mehr aus den Nomaden als aus den Bauern, stets Ergänzungen und Verstärkungen aufgeboten, angeworben und herangeführt werden.

Das persische Reich in seiner Begründung wie in seiner Struktur findet seine Parallele 1200 Jahre später in dem aus einem anderen Oasen-Lande erwachsenden Weltreich der arabischen Beduinen, die ebenso, wie einst die Perser, zusammengehalten wurden durch eine neue Religion. So wenig wie später die Araber haben einst die Perser Massenheere gebildet, denn große Massen sind auf so ungeheure Entfernungen, wie sie Reiche von solcher Ausdehnung mit sich bringen, nicht zu bewegen. Araber wie Perser bilden Qualitätsheere. Sich das Wesen des persischen Heeres zu veranschaulichen, wird man gut tun, die Berichte der griechischen Quellen zu ergänzen durch Heranziehung der Analogie des germanischen und ritterlichen Kriegswesens: die Franken unter den Merowingern, die mit kleinen Scharen die reichen romanischen Landschaften Galliens besetzen, während der Hauptstock des Volkes auf den ererbten Stätten sitzen bleibt, und die deutschen Ritter, mit denen die sächsischen, salischen und staufischen Könige Italien einnahmen und in Gehorsam hielten. Was sonst für Unterschiede waren zwischen dem orientalischen und den occidentalen Staatswesen kommt hier nicht in Betracht: was wir heranzuziehen haben, ist das Wesen des Kriegerstandes, der bei[48] sehr geringer Zahl doch sehr große Herrschaften zu behaupten vermag.32

Treffend wird der Wert und der Unterschied der beiderseitigen Heere charakterisiert in der Unterredung, die die Griechen zwischen Xerxes und dem vertriebenen Spartanerkönig Demarat stattfinden lassen. Der Großkönig rühmt, daß in seiner Leibwache Männer seien, die es mit drei Hellenen zugleich aufnehmen würden. Demarat aber erwidert darauf, die einzelnen Spartaner seien so tapfer wie andere Männer, ihre eigentliche Kraft aber beruhe in dem Zusammenhalt, und das Gesetz gebiete ihnen, in Reih und Glied verharrend zu siegen oder zu sterben. Begrifflich drücken wir das aus: die griechischen Hopliten bilden einen geschlossenen taktischen Körper, die persischen Krieger nicht.

Die Überlieferung der Griechen über die Perser enthält einen inneren Widerspruch. Einmal werden diese dargestellt als ungeheure, aber sehr unkriegerische Massen, die mit Peitschenhieben in die Schlacht getrieben werden müssen. Dann wieder erscheinen sie als höchst tapfere und tüchtige Krieger.33 Wäre beides, sowohl die Masse wie die kriegerische Tüchtigkeit richtig, so bliebe der immer wiederholte Sieg der Griechen unerklärlich. Eins von beiden kann nur richtig sein, und da ist es klar, daß die Überlegenheit der Perser nicht in der Zahl, sondern in der Qualität zu suchen ist.

Den Sieg der Bürgerheere über das Berufsheer hat die griechische Legende, die uns allein vorliegt, umgebildet in den Sieg einer kleinen Minderheit über eine ungeheure Mehrheit. Das ist eine volkspsychologische Verschiebung, der man immer wieder begegnet. Die Kategorie der Qualität ist für die Masse zu fein; sie setzt sie um in die Kategorie der Quantität. Das ist Legende, aber nicht Lüge. Für jeden, der Verständnis für den Unterschied eines Berufs- und eines Bürgerheeres hat, ist der Sieg der griechischen Bürger über die persischen Ritter nicht minder ruhmvoll, als es[49] der Sieg der Wenigen über die Vielen in der Tradition ist. Für das kriegsgeschichtliche Verständnis aber kommt alles auf die Unterscheidung von Legende und Geschichte an dieser Stelle an. Die Vorstellung von dem persischen Massenheer ist vollständig auszumerzen. Nichts zwingt uns anzunehmen, daß die Perser überhaupt die numerische Überlegenheit bei Marathon und Platää hatten; es ist auch durchaus möglich, ja sogar wahrscheinlich, in meinen Augen gewiß, daß die Griechen die stärkeren waren.

Die Perser waren Berufskrieger. Auch die etwa für einen so großen Krieg wie diesen griechischen, aus den Hirten und Bauern Persiens zur Ergänzung des eigentlichen Ritterheeres aufgebotenen Mannschaften waren doch kein Volksaufgebot, sondern aus der ganzen Volksmasse die Kriegerischen. Die Griechen, mit Ausnahme der Spartiaten, Bürgeraufgebote, die nicht einmal eine starke kriegerische Tradition hatten. Das heroische Zeitalter lag schon weit zurück, und die letzten Generationen hatten zwar manche Nachbarfehde gesehen, aber doch die Masse des Volks zu friedlichen Beschäftigungen, zu Bauern, Schiffern, Kaufleuten, Handwerkern erzogen.

Als ich in meinen »Perser- und Burgunderkriegen« diese Ansicht zum erstenmal aufstellte, ist sie von manchen Gelehrten ohne weitere Begründung mit einem einfachen »unmöglich« abgewiesen worden, und es ist ja nur natürlich, daß eine so eingewurzelte Vorstellung, wie die von der Größe des Xerxes-Heeres, nicht leicht aufgegeben wird. Weil ich das voraussah, verband ich die Studie über die Perserkriege mit der über die Burgunderkriege zwischen Karl dem Kühnen und den Schweizern. Hier haben wir genau denselben Vorgang. Das Heer von Bürgern und Bauern besiegte in wiederholten Schlachten das Heer der Berufskrieger (Ritter und Söldner), die populäre Erzählung aber setzte das um in einen Sieg der kleinen Minderheit über die große Mehrheit. Über Granson und Mutter aber sind uns einige Armee-Listen für beide Seiten erhalten und so sind wir imstande, urkundlich nachzuweisen, daß die angeblich vielen Hunderttausende Karls des Kühnen tatsächlich erheblich schwächer waren als die Schweizer. Mit einem »unmöglich« darf man also eine solche Verschiebung auf keinen Fall abtun. Es ist nicht einzusehen, weshalb Herodot und die Griechen glaubwürdiger[50] sein sollten als die biderben Schweizer Chronisten, denen man auch Jahrhunderte lang geglaubt hat. Wer meine Beweisführung anzweifelt, den bitte ich, immerhin kein endgültiges Urteil zu sprechen, bis er die Probe an der Nachprüfung der Schweizer Tradition gemacht hat. Wir haben eine schweizerische Erzählung, Bullinger, die etwa so spät nach den Ereignissen niedergeschrieben ist, wie Herodot nach den Perserkriegen und deshalb ungedruckt geblieben war. Ich habe das betreffende Stück aus der Handschrift in meinen »Perser- und Burgunderkriegen« abgedruckt, damit man daran den Charakter und die Zuverlässigkeit einer derartigen Aufzeichnung studieren kann. Wie ich selber durch diese methodologische Vorarbeit erst zu voller Sicherheit in der Behandlung der griechischen Erzählungen gelangt bin, so rate ich jedem Gelehrten, der weiter auf diesem Felde pflügen will, sich dieses Instrument anzueignen, ehe er dem felsdurchsetzten Boden seine Saat anvertraut. Leider habe ich, wie ich in dieser neuen Auflage hinzufügen will, noch nicht bemerkt, daß irgend ein Gelehrter diesem Rate gefolgt sei.[51]

Quelle:
Hans Delbrück: Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Berlin 1920, Teil 1, S. 46-52.
Lizenz:

Buchempfehlung

Grabbe, Christian Dietrich

Herzog Theodor von Gothland. Eine Tragödie in fünf Akten

Herzog Theodor von Gothland. Eine Tragödie in fünf Akten

Den Bruderstreit der Herzöge von Gothland weiß der afrikanische Anführer der finnischen Armee intrigant auszunutzen und stürzt Gothland in ein blutrünstiges, grausam detailreich geschildertes Massaker. Grabbe besucht noch das Gymnasium als er die Arbeit an der fiktiven, historisierenden Tragödie aufnimmt. Die Uraufführung erlebt der Autor nicht, sie findet erst 65 Jahre nach seinem Tode statt.

244 Seiten, 9.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon