[349] 4. Die der Schlacht bei Cannä voraufgehenden und nachfolgenden Schlachten und Treffen dieses Krieges brauchen wir nicht im einzelnen zu untersuchen, sondern müssen nur feststellen, daß sie mit unseren aus Cannä gewonnenen Ergebnissen über die römische und punische Taktik der Epoche harmonieren.[349]
Am Ticinus schlug die karthagische Reiterei die römische. Die römischen Leichtbewaffneten, die ihre Reiter begleiteten, kamen nicht einmal zum ersten Schleudern ihrer Geschosse, sondern ergriffen die Flucht, weil sie besorgten, von den anstürmenden feindlichen Reitern niedergeritten zu werden.
5. An der Trebia werden die Römer ganz ähnlich wie bei Cannä auf beiden Flügeln von der punischen Kavallerie und Leichtbewaffneten umgangen und endlich im Rücken angegriffen. Ein Hinterhalt, den Hannibal gelegt haben soll, soll noch diesen Rückenangriff verstärkt haben. Ein solcher Hinterhalt ist eine taktische Unmöglichkeit: entweder er lag ungefähr auf dem Wege, auf dem die Römer anrückten – dann waren diese 2000 Mann für den sehr wahrscheinlichen Fall, daß die Römer sie entdeckten, verloren. Oder aber der Hinterhalt lag erheblich seitwärts, so hatte er keinen Nutzen, da die Karthager durch die Umfassung der römischen Flügel viel schneller herumkamen. Ich halte daher für sicher, daß Polybius hier einer römischen Fabel zum Opfer gefallen ist; bei Cannä hat sich der römische Stolz durch ein ganz ähnliches Histörchen (was manche Historiker noch immer nacherzählen) zu trösten gesucht. Die Hauptsache ist, daß es den Römern, obgleich sie ganz wie später bei Cannä rings eingeschlossen wurden, gelang, nach verschiedenen Seiten durchzubrechen und den größten Teil des Heeres zu retten. Weshalb sie hier so viel besser davonkamen, als nachher bei Cannä, ist aus den Quellen nicht mit Sicherheit zu erkennen. Die allgemeinen Verhältnisse waren für die Römer nicht günstiger, sondern erheblich ungünstiger als bei Cannä. Bei Cannä waren sie numerisch wesentlich überlegen; an der Trebia wenig oder gar nicht. Bei Cannä hatten sie 6000 Reiter gegen die 10000 karthagischen, an der Trebia nur 4000. Überdies hatten die Punier damals auch noch eine Anzahl Elefanten, die den Angriff der Reiter unterstützten. Dazu kommt, wenn man der Erzählung Glauben schenken will, noch der Hinterhalt der Punier, und endlich schildert Polybius des breiteren, wie die Römer durch den Übergang über die winterkalte, angeschwollene Trebia, wobei ihnen das Wasser bis an die Brust ging, ohne vorher gegessen zu haben, von vornherein physisch geschwächt in den Kampf gingen.
Daß die Römer in dieser Schlacht endlich dennoch günstiger davon kamen, scheint nur darauf zurückzuführen, daß Hannibal hier für die Umfassung bloß Reiter und Leichte bestimmte. Seine eigene Phalanx war also um so viel stärker, trotzdem wurde sie an einer Stelle, wo Kelten und Afrikaner standen, durchbrochen.
Für die sehr schwierigen Einzelfragen der Schlacht verweise ich auf die unten (Kap. 8) noch zu erwähnende ausgezeichnete Arbeit von JOS. FUCHS »Der zweite punische Krieg und seine Quellen Polybius und Livius«. Gegen Fuchs aber neuerdings BELOCH in der Hist. Zeitschr. Bd. 114 (1915), der übrigens auch wieder feststellt, daß Kromayer Polybius' Darstellung[350] in Widerspruch mit seiner an anderen Stellen vertretenen Auffassung in der einschneidendsten Weise korrigiert.
6. Die Schlacht am Trasimenischen See ist ein Überfall auf dem Marsch. Er zeigt die Sicherheit, mit der die karthagischen Reiterführer ihre Truppen selbständig zu dirigieren verstanden, während die Römer sich nicht zu helfen wußten. An der Trebia waren 10000, am Trasimenus 6000 Mann durch die punische Umklammerung durchgebrochen, fanden aber nicht den Weg, ihrerseits den noch kämpfenden römischen Heerteilen zu Hilfe zu kommen, während wir die punischen Heerführer selbständig handeln sehen.
Die Frage, wie Hannibal eigentlich aus Ober-Italien an den Trasimenischen See gekommen ist, schien bisher sehr dunkel, ist aber jetzt, wie ich nicht zweifle, definitiv gelöst durch die Untersuchung von Jos. FUCHS, Hannibal in Mittelitalien, Wiener Studien Bd. 26, Heft I (1904). Nicht einverstanden bin ich jedoch mit Fuchs' Darstellung der Schlacht selber, die er nicht als Überfall, sondern als von Flaminius mit Vorbedacht angenommene Feldschlacht auffaßt.
Zur dritten Auflage. Von neuerer Literatur zu dieser Schlacht verzeichne ich noch: GÄRTNER, Berl. Dissert. 1911. GROBE, Zeitschr. f. österr. Gymnas. 1911, 7. Heft, S. 590. CASPARI, Engl. Historical Rev. 1910 Juli. REUSS, Rhein. Museum 1910. FUCHS, Zeitschr. f. österr. Gymnasien 1911. SADÉ, Klio 1909. KONR. LEHMANN, Jahresber. d. Philologischen Vereins Bd. 41, 1915.
Auf die Kontroverse selber ist hier keine Veranlassung einzugehen: ich merke nur an, daß, wie namentlich K. LEHMANN nachgewiesen hat, KROMAYER auch hier sich in starken Widerspruch zu Polybius setzt. Das ist natürlich kein Tadel, sondern soll nur von neuem feststellen, daß Kromayer nicht als Verteidiger der Autorität des Polybius aufgefaßt werden darf.[351]