Erstes Kapitel.

Die Schlacht bei Cannä.

[326] Das römische Heer bei Cannä war doppelt so stark als das, welches das erstemal an der Trebia versucht hatte, Hannibal in rangierter Feldschlacht die Stirn zu bieten; es zählte nicht weniger als acht römische Legionen und entsprechende Bundeskontingente, also kurz ausgedrückt sechzehn Legionen, oder nach Abzug der Lagerbesatzung und der Rorarier, die nicht als Kombattanten fungierten, gegen 55000 Hopliten, 8-9000 Leichtbewaffnete und dazu 6000 Reiter. Die große Masse der Hopliten wurde nicht benutzt, die Front zu verlängern, sondern die Tiefe zu verstärken. Man stellte nicht Legionen hintereinander, da sie ja nach Altersklassen rangiert waren und man nicht die junge Mannschaft hinter die Familienväter stellen konnte. Die größere Tiefe wurde also, wie Polybius berichtet, dadurch hergestellt, daß jeder einzelne Manipel viel tiefer als breit aufgestellt wurde (ποιῶν πολλαπλάσιον τὸ βάθος ἐν ταῖς στείραις τοῦ)μετωπου), und der schmäleren Front entsprechend die Intervalle zwischen den Manipeln verkürzt. Ich nehme an, daß die Front der Infanterie nicht mehr als etwa 800-900 Meter breit war, indem ich die Tiefe auf einige 70 Mann ansetze.171 Der Konsul[326] Terentius Varro, der diese Anordnung traf und in einer Rede vorher die Römer darauf verwiesen haben soll, daß sie fast die doppelte Überlegenheit hätten, hat vermutlich gerechnet, daß, je länger die Front sei, desto schwerer und langsamer sich das Heer bewege; daß an ein Überflügeln und Umklammern des feindlichen Heeres bei der Überlegenheit der karthagischen Kavallerie, auf die sein Kollege Ämilius Paullus immer sorgenvoll hinwies, ohnehin nicht zu denken sei, daß also alles darauf ankomme, mit tiefer Masse einen unwiderstehlichen Stoß zu führen.

Die Reiterei stand auf beide Flügel verteilt: der rechte lehnte sich an den Fluß Aufidus.

Das Schlachtfeld bildete eine weite Ebene ohne Hindernisse.

Hannibal war an Infanterie nicht viel mehr als halb so stark wie sein Gegner, 32000 Schwergerüstete gegen 55000, etwa gleich stark an Schützen, je 8000, an Kavallerie aber ebenso sehr überlegen, 10000 Pferde gegen 6000. Er verteilte seine Kavallerie ebenfalls auf beide Flügel und bildete die Phalanx aus seinen Iberern und Kelten, etwas über 20000 Mann. Die Afrikaner stellte er, je die Hälfte, gegen 6000 Mann, hinter jeden Flügel, in der Art, wie Alexander bei Gaugamela, in einer tiefen Kolonne, da, wo die Infanterie und Kavallerie sich berührten. Aus solcher Stellung konnten die Afrikaner ebensowohl nach der einen Seite zur Verstärkung und Unterstützung des Zentrums, falls es nötig werden sollte, wie nach der anderen zur Verlängerung der Infanteriefront, Überflügelung und Umklammerung des Gegners aufmarschieren.

Polybius gebraucht für diese Aufstellung ein sehr kühnes Bild. Zuerst habe alles eine gerade Linie gebildet, Reiter, Afrikaner, Iberer und Kelten, Afrikaner, Reiter, dann sei das Zentrum vorgeschoben und so, indem dieses sich verdünnte, die Figur eines Halbmondes entstanden.

Man hüte sich wohl, dem Reiz dieses Bildes zu sehr nachzugeben, wie es Polybius selber getan, und sich die Linie etwa als eine gebogene vorzustellen, oder zu glauben, daß das Zentrum durch das Vorschieben sich allmählich von selbst verdünnt habe. Gebogene Linien bilden sich zwar nur zu leicht beim Vormarsch, sind aber nicht Formen, in denen man sich taktisch bewegen kann,[327] sondern Verbildungen, die nicht ganz zu vermeiden sind und mit denen man auszukommen versuchen muß, aber denen man nach Möglichkeit entgegen wirkt, um die gerade Linie zu behalten.

Auch würden, wenn man die Schilderung des Polybius wörtlich nimmt, die Afrikaner zwischen dem Zentrum und der Kavallerie geblieben und diese an die äußersten Hörner des Halbmondes gekommen sein, also am fernsten vom Feinde, während wir nachher hören, daß gerade sie den ersten Kampf hat, also dem Feinde zunächst gewesen sein muß; die Afrikaner aber sind es, die die römische Phalanx überragen. Das vereinigt sich nur so, daß, als der Zusammenstoß erfolgte, die Afrikaner hinter der Kavallerie standen. Am besten stellt man sich den Vorgang so vor, daß, als alle Korps noch in einer geraden Linie nebeneinander standen, sie noch nicht aufmarschiert waren. Die Front wurde also gebildet durch die Spitzen von etwa sechs Kolonnen, die solche Distanz voneinander genommen hatten, daß dazwischen aufmarschiert werden konnte, das, was in der Taktik des achtzehnten Jahrhunderts der flügelweise Abmarsch genannt wird. Statt aber nunmehr alle Kolonnen gleichmäßig aufmarschieren zu lassen, ließ Hannibal nur die Kavallerie und die Iberer-Kelten des Zentrums aufmarschieren, diese aber so flach, daß sie mit ihren 20000 Mann den Raum ausfüllten, den drüben 55000 Legionäre einnahmen. Hinter dieser Front, noch in Kolonne, da, wo Kavallerie an das Zentrum anschloß, standen auf beiden Flügeln die Afrikaner. Heute pflegen wir eine solche Stellung (indem wir von der Kavallerie absehen) Hufeisenform zu nennen, mit demselben Vorbehalt, wie bei dem Bilde vom Halbmond, daß nämlich die Linien nicht rund, sondern rechtwinklig sind. Da beim Vormarsch einer breiten Front die Mitte leicht vorprellt und sich nach vorne ausbiegt, so wird für das Auge des Betrachtenden von der Mitte aus, so zu sagen in der Perspektive des Höchstkommandierenden, das Bild vom Halbmond noch zutreffender gewesen sein, als für unsere taktische Analyse, die die Phalanx als eine gerade Front ansieht, auch wenn in der Praxis die Richtung sehr verloren gegangen ist.

Nachdem das Geplänkel der zahlreichen Schützen vor der Front auf beiden Seiten das Gefecht eröffnet, ging zunächst die[328] Kavallerie des linken karthagischen Flügels unter Hasdrubal am Flußufer zu entschiedenem Angriff vor. Ohnehin war ja Hannibal in dieser Waffe bedeutend überlegen; dazu hatte er die gesamte schwere Kavallerie auf diesem Flügel vereinigt.172 Die römischen Reiter wurden auf der Stelle überrannt, niedergehauen, in den Fluß getrieben und vom Schlachtfeld verjagt.

Auf dem andern Flügel hatten mittlerweile die leichten numidischen Reiter nur mit ihren Gegnern scharmutziert; nunmehr schickte ihnen Hasdrubal hinter der römischen Infanterie weg Unterstützung, und als darauf auch hier die römischen Reiter die Flucht ergriffen, führte der karthagische General seine ganze Reitermasse zum Angriff in den Rücken der römischen Phalanx.

Noch während des Reitergefechts war diese an das feindliche Fußvolk gelangt und hatte es mit ihrer ungeheuren Überlegenheit, 55000 Hopliten gegen 20000, zurückgetrieben. Da kam der Reiterangriff von hinten und brachte die vorwärtsdrängende Masse zum Stehen. Nicht daß die iberischen, keltischen und numidischen Reiter hätten in die Legionen einbrechen, die ungeheure Masse sprengen können – aber sie griffen sie mit ihren Wurfspeeren an, bald gesellten sich die punischen Schützen zu ihnen, und der Hagel von Spießen, Pfeilen und Schleuderkugeln, der von hinten in die Römer hineinprasselte, zwang die letzten Glieder, Kehrt zu machen und hemmte das weitere Vordringen der ganzen Phalanx. Das punische Zentrum hielt jetzt; die beiden zurückgehaltenen Kolonnen der karthagischen Infanterie, die Afrikaner marschierten vorwärts und kamen damit in die Flanke der römischen Phalanx, machten rechts und links um und vollendeten auf diese Weise die Einschließung, so daß die Römer ringsum von allen Seiten zugleich angegriffen wurden.

Obgleich ihre Reiter das Feld geräumt hatten, so waren die Römer immer noch an Zahl erheblich überlegen. »Konzentrisches[329] Wirken gegen den Feind ziemt dem Schwächeren nicht,« sagt Clausewitz in seinem Werke »Vom Kriege«, und ähnlich hat Napoleon einmal gesagt, daß der Schwächere nicht auf bei den Flügeln zugleich umgehen dürfe. Hier hatte der Schwächere auf beiden Seiten umgangen, bis er den Ring hinten wieder geschlossen hatte. Wenn die Konsuln nach drei Seiten die Manipel anwiesen, sich defensiv zu verhalten, so konnten sie nach der vierten mit einem mächtigen Ansturm den nur mäßig starken Ring in der Front durchbrechen und das feindliche Heer von der Bruchstelle aus aufrollen. Aber zu einem solchen Manöver gehört mehr, als das römische Bürger-Heer in der Taktik leistete. Die Manipel sind keine selbständigen taktischen Körper;

sie sind nur Gliedstücke des einen einheitlichen taktischen Körpers, der Phalanx. Auch die Legionen sind keine taktischen Körper, fähig und gewohnt, selbständig zu agieren; sie sind bloße Administrativ-Körper. Hätten je zwei Legionen hintereinander gestanden, so könnte man sich vielleicht vorstellen, daß in dieser äußersten Not die hinteren Kehrt gemacht hätten, die Flügel-Legionen die Wendung nach außen, um die feindliche Kavallerie und die Afrikaner abzuwehren, während die sechs übrigen die Iberer und Gallier der feindlichen Front, die sie ja bereits vor sich hertrieben, vollends warfen. Aber so standen die Römer keineswegs, sondern es stand Legion neben Legion. Keine konnte eine Bewegung für sich machen, ohne die gesamte Phalanx zu zerreißen. Die große Tiefe war hergestellt, nichts ist charakteristischer für den Stand der römischen Taktik, durch die Vertiefung jedes einzelnen Manipels, und die drei Schichten der Manipel, Hastaten, Principes, Triarier waren voneinander nicht zu trennen. Es erscheint uns so einfach, daß die Manipel der Triarier Kehrt machten, um mit ihren Spießen die Reiter Hasdrubals abzuwehren, während die Hastaten und Principes mit ihrer ungeheuren Überlegenheit den begonnenen Angriff fortsetzten. Aber solche taktischen Wendungen lassen sich, so einfach sie scheinen, nicht improvisieren, und die Triarier konnten den Kampf nach rückwärts um so weniger aufnehmen, als ja ihre Manipel mit sehr großen Intervallen standen und nicht imstande waren, sofort eine geordnete, geschlossene Front herzustellen. Die ganze römische Infanterie[330] war es gewohnt, mit der geschlossenen Phalanx vorzudrücken, bis der Feind nachgab und wich. Sobald nunmehr der Ruf ertönte »Angriff von hinten« und die letzten Glieder Kehrt machen mußten, hörte der vorwärtsschiebende Druck der Masse auf, und damit kam die ganze Phalanx zum Stehen. In diesem Augenblick war sie rettungslos verloren. Der Vorteil der numerischen Überlegenheit war paralysiert. Er bestand ja ausschließlich in dem ungeheuren physischen und moralischen Druck, den die hinteren Glieder ausübten; der eigentliche Waffengebrauch beschränkt sich in jeder Phalanx auf einen ganz geringen Teil. In dem Augen blick, wo der Angriff von hinten den Druck aufhebt, kommen als Kämpfer nur noch die äußeren Ränder der Phalanx in Betracht, und diese sind auf die bloße Verteidigung beschränkt.

Ihres Sieges sicher, die Beute vor Augen, drängten die karthagischen Söldner von allen Seiten heran; kein Geschoß, in die Masse der Römer hineingeschleudert, konnte fehlgehen, und je mehr, von Entsetzen gepackt, die Römer sich zusammenpferchen ließen, desto weniger konnten sie ihre Waffen gebrauchen, desto sicherer mähte das feindliche Schwert.

In stundenlangem Morden wurde das ganze römische Heer abgeschlachtet, nur wenige wurden lebend gefangen genommen, noch nicht dem vierten Teil gelang es, aus dem Gewühl zu entrinnen.

Das Entscheidende ist der Rückenangriff der karthagischen Kavallerie. In Polybius' Darstellung ist hier eine merkwürdige Diskrepanz, insofern, als er vor der Schlacht Hannibal eine Rede an die Soldaten halten läßt, in der der Feldherr ihnen zeigt, wie sie in der Ebene von ihrer überlegenen Kavallerie den sicheren Sieg erwarten dürften, und auch selbst in seiner Schlußbetrachtung diese Überlegenheit als die Ursache des karthagischen Sieges nennt, in seiner Erzählung jedoch viel mehr den Flanken-Angriff der Afrikaner hervortreten, ja das Manöver der Kavallerie gar nicht einmal als eine Anordnung Hannibals, sondern als eine spontane Handlung Hasdrubals erscheinen läßt. Die Römer, sagt er, hätten, indem sie zuerst mit dem vorgeschobenen Zentrum der Punier zusammenstießen und dieses zurücktrieben, sich nach der Mitte zusammengedrängt und seien so allmählich zwischen die Afrikaner geraten, wie Hannibal das vorher berechnet hatte. Daß ein gewisses[331] Zusammendrängen der Römer nach der Mitte stattfand, ist ganz natürlich. Ihre Flügel-Manipel, die das karthagische Zentrum wohl etwas überragten, schwenkten nicht gegen dessen Flanken ein, da sie ja die afrikanischen Staffeln vor sich sahen, die ihnen selber dabei in die Flanke gekommen wären; sie blieben im Vormarsch, aber der Eifer der nächsten, die noch zum direkten Einhauen auf die Kelten und Iberer kommen zu können meinten, drängte dabei nach der Mitte. Überdies gingen die äußersten Flügel-Manipel wohl etwas langsamer war, da das ungünstig verlaufende Reiter-Gefecht neben ihnen ihre Aufmerksamkeit stark ablenkte. Der Vorgang ist aber natürlich nicht so zu verstehen, als ob durch diese Schiebung überhaupt erst die Überflügelung der Afrikaner entstanden wäre. Ebenso wenig kann es die Flanken-Bewegung der Afrikaner gewesen sein, die den Angriff des römischen Zentrums zum Stocken brachte. Wenn weiter nichts dazu gehörte, ein tapferes, überlegenes Heer zu überwältigen, als daß man die eigene Linie länger und dünner macht und die Überschießenden gegen die feindlichen Flanken führt, so würde der Kunstgriff oft angewandt worden sein. Die Gefahr ist aber, daß, während man überflügelt, das eigene Zentrum, das zu dem Zweck geschwächt werden muß, durchbrochen werden kann. Daß dies bei Cannä nicht geschah, ist das eigentlich Bedeutsame der Schlacht. Es kann nur erklärt werden durch den Angriff der punischen Reitermassen von hinten her, und mit Recht findet daher Polybius in seiner Schlußbetrachtung das Entscheidende in der Überlegenheit der karthagischen Kavallerie, und nicht auf eigene Hand, sondern in Erfüllung des Schlachtgedankens seines Feldherrn hat Hasdrubal das Manöver ausgeführt.

So einleuchtend die Regel ist, daß es dem Schwächeren nicht ziemt, auf beiden Seiten zugleich zu umgehen, da er sich dazu im Zentrum zu sehr schwächen muß – Hannibal hat es gewagt, dieser Regel zum Trotz mit 50000 Mann 70000 vollständig einzukreisen, und ließ sie in diesem eisernen Ring sterben, Mann für Mann. Stundenlang muß das entsetzliche Morden gewütet haben; die Karthager selber verloren nicht weniger als 5700 Tote, von den Römern aber deckten 48000 das Schlachtfeld, 16000 entkamen, der Rest wurde gefangen genommen.[332]

Alles war darauf angekommen, daß das punische Zentrum standhielt, bis die Kavallerie die römische vertrieben und ihre Umgehung vollendet hatte: weshalb hat Hannibal da nicht seine zuverlässigsten Truppen, die Afrikaner, in die Mitte gestellt, und weshalb hat er noch dazu das Zentrum vorgeschoben? Je länger dies zurückgehalten wurde, je später hier der Kampf begann, desto größer die Wahrscheinlichkeit, daß die Kavallerie ihre Aufgabe rechtzeitig erfüllen, desto geringer die Gefahr, daß das Zentrum vorzeitig erliegen könne. Weshalb hat nicht Hannibal umgekehrt die Kavallerie vorgeschoben und sie vor die beiden Infanterie-Flügel gestellt, so daß der Halbmond, um in dem Bilde des Polybius zu sprechen, umgekehrt war?

Wenn wir es recht betrachten, so ist es auch so gewesen. Das Vorschieben des Zentrums bezieht sich nicht auf sein Verhältnis zur Kavallerie; im Gegenteil, diese ging vor, als noch die Schützen miteinander plänkelten. Gar zu früh aber durften sie nicht anreiten, denn sonst wäre es vielleicht gar nicht zu voller Entwicklung der Schlacht gekommen. Der punische Feldherr mußte darauf gefaßt sein, daß die Konsuln, wenn sie sahen, wie ihre Kavallerie weggefegt wurde, die Infanterie schleunigst wieder in die befestigten Lager zurückführten. Erst wenn das ganze römische Heer so nahe war, daß es sich der Schlacht auf keine Weise mehr entziehen konnte, durfte der Reitersturm losbrechen: deshalb stand die Kavallerie mit der Infanterie in einer Linie und die Afrikaner, die die Schwenkungen machen sollten, zurückgezogen hinter der Kavallerie.

Die gefährliche Zeitspanne, in der das schwache punische Zentrum ohne Hilfe dem Andrang der ungeheuren Masse der römischen Legionen ausgesetzt war, war also nicht zu vermeiden: doppelt auffallend, daß an diese Stelle die weniger zuverlässigen Bundesgenossen, die Gallier, gestellt wurden.

Aber das Zentrum war auch in dieser Schlacht der dem größten Verlust ausgesetzte Posten: nicht weniger als 4000 Tote haben die Gallier auf dem Platze gelassen, die Iberer und Afrikaner zusammen nur 1500. Hannibal mußte sparsam umgehen mit dem Blute der Allergetreuesten, die den dauernden Kern des antirömischen Heeres in Italien bilden sollten. Wie nahe liegt der Gedanke:[333] die Garde an die Stelle, wo der unbedingt zuverlässige Widerstand geleistet werden muß! Wie unermeßlich die Folgen, wenn hier, wo es sich zuletzt um Minuten handeln mochte, die Römer durchbrachen, ehe Hasdrubal sie von hinten zurückriß – wenn der Feldherr sich dann hätte sagen müssen: die Afrikaner hätten es noch so lange ausgehalten; welch' ein Fehler, sie nicht an diesen Platz zu stellen!

Es läßt sich in der Kriegskunst nicht alles berechnen, wägen und messen: der Glaube an den eigenen Stern muß in dem Unberechenbaren die Entscheidung geben. Hannibal, um nicht die Zukunft der Gegenwart zu opfern, wagt es, die gefährliche Stelle den Galliern anzuvertrauen, zu mehrerer Sicherheit mischt er sie mit seinen Iberern, setzt ihnen vorher in einer Ansprache auseinander, wie in der weiten Ebene die überlegene Kavallerie wirken werde, und drückt das Siegel auf ihre Zuverlässigkeit, indem er selber bei ihnen seine Stellung nimmt. Alexander hatte an der Spitze seiner Ritter selber eingehauen. Hannibal übergibt das Kommando der Kavallerie einem seiner bewährten Generale und stellt sich mit seinem Stabe, seinen jungen Bruder Mago zur Seite, im Zentrum auf, um von hier die Schlacht zu leiten und durch die Macht seiner Persönlichkeit das schwache Eisen des Widerstandes zu stälen. Der Blick auf den Feldherrn, der Zuruf seiner Stimme gibt den Galliern das unerschütterliche Vertrauen in den Sieg, und sie bestehen die schwerste aller Prüfungen: vor einem übermächtigen Feinde zurückzuweichen, ohne sich von ihm überwinden zu lassen, unter den schwersten Verlusten den Kampf zu halten, bis die versprochene Hilfe von der anderen Seite erscheint. In keiner Schilderung der Schlacht darf der Hinweis auf die Bedeutung der Postierung Hannibals fehlen. Nicht bloß geistig, auch persönlich ist Hannibal der Mittelpunkt der Schlacht, nicht mehr, indem er selber den Flamberg schwingt, wie Alexander, noch nicht so, daß die Schlacht sich zu verschiedenen Akten differenziert hat, die der Feldherr selber dirigieren muß (mit dem Aufmarsch und dem Befehl zum Antreten ist die Schlacht vollständig vorgezeichnet), nur die Persönlichkeit als solche ist es, die in ihrem bloßem Dasein an einer bestimmten Stelle passiv-aktiv die entscheidende Wirkung ausübt.[334]

Der einzige Befehl, den Hannibal, nachdem das Schlachtsignal ertönt war, zu geben hatte, war der zum Vormarsch der Afrikaner auf den beiden Flügeln. Da sie anfänglich noch in Kolonnen gestanden haben, so hat Hannibal dabei den Gedanken gehabt, daß er sie im Notfall statt zur Umklammerung der feindlichen Phalanx auch zur Verstärkung seines Zentrums aufmarschieren lassen könne, falls dieses etwa dem Druck der Römer nicht genügend widerstehen zu können schien, bis Hasdrubals Umfassung sich bemerklich machte. Wir erkennen die Ähnlichkeit der Schlachtanlage mit Gaugamela. Hannibal hatte griechische Schriftsteller in seinem Hauptquartier, die seine Taten beschreiben sollten, wie Alexander. Es wird nicht zu kühn vermutet sein, daß, wer solche Männer in seine Umgebung zog, auch ihrer Bildung teilhaftig war und gelernt hatte, was ihm Hellas zu bieten vermochte. Wie es sich auch immer mit jenem Spartaner Xanthippus verhalten haben mag, der im ersten punischen Krieg die Karthager gelehrt haben soll, den Regulus zu besiegen, kein Zweifel, daß Hannibal die griechisch-macedonische Kriegskunst studiert hat, und wir mögen uns vorstellen, wie an den Abenden im Winterquartier der Grieche Silen ihm das Buch des Königs Ptolemäus über die Taten des großen Alexander vorlas und der Karthager seine Ideen formte nach dem strahlenden Vorbild des Zeussohnes.

Die Karthager haben bei Cannä gesiegt mit ihren barbarischen Söldnern durch ihre Überlegenheit an Kavallerie, durch das Offizierkorps, die Generale und Stabsoffiziere, die ihre Truppen in der Hand hatten und taktisch zu dirigieren wußten, und durch den Feldherrn, der mit der untrüglichen Sicherheit des Genius die vorhandenen Kräfte zu organisch-einheitlichem Wirken verband.

Dem Feldherrn, wie ich meine, verdanken wir auch die Schilderung der Schlacht, wie wir sie heute bei Polybius und in den Hauptzügen auch bei Livius lesen. Das zeigt sich nicht sowohl in dem, was erzählt wird; daraus wäre noch nichts zu schließen, denn so großartig die Schilderung ist, so kann doch auch ein anderer Mann von Talent zur Stelle gewesen sein – aber es zeigt sich in dem, was übergangen und wie Licht und Schatten verteilt ist.

Das eigentlich Entscheidende, der Rückenangriff der Kavallerie,[335] ist nicht besonders betont; ja er erscheint gar nicht als ein Befehl Hannibals, sondern als die Handlung eines Kavalleriegenerals. Der ganze Akzent der Erzählung liegt auf der Verteilung der Afrikaner auf die beiden debordierenden Flügel. Das Motiv der Schonung dieser Truppen ist dabei nicht erwähnt. Es liegt für den Feldherrn immer etwas Peinliches darin, wenn er gewisse Truppen, noch dazu Bundesgenossen, mit Absicht größerem Verluste aussetzt, als andere. Er wird es sich selber kaum eingestehen, daß und wann er so rechnet. Dennoch dürfen wir dieses Motiv in ihn hineinlegen; jeder Dritte hätte es gedurft und hätte dies so leicht zu erratende Motiv nicht übergangen. Unsere Erzählung aber sagt nichts davon, sondern verweilt ausschließlich bei dem taktischen Manöver der Umklammerung, denn dies ist der originale Gedanke dieser Schlachtanlage. Das eigentliche Entscheidende, der Kavallerie-Angriff, tritt dagegen zurück, denn dieses Manöver ist dem Feldherrn nichts Außerordentliches, es ist seine gewöhnliche Technik. Sie hätte auch diesmal ausgereicht, und mehr als das: hätte Hannibal die Afrikaner nicht zu jener Aufstellung verwandt, sondern einfach seine Phalanx durch sie verstärkt, so hätte er den unbedingt sicheren Sieg in Händen gehabt. Aber er wollte nicht bloß den Sieg, er wollte die völlige Vernichtung des feindlichen Heeres. Er wagt es darauf hin, sein Zentrum dünn zu machen und die Afrikaner für die Umklammerung aus beiden Flanken bereit zu stellen, denn das römische Heer soll auch nicht einmal die Flucht nach irgend einer Seite hin ergreifen können, sondern eingeschlossen werden. Auch in seiner Schlacht-Erzählung schlägt daher das Herz für die Afrikaner, denen er diese Aufgabe zuweist, und vernachlässigt darüber das Verdienst der Kavallerie.

In der Ausführlichkeit, mit der in dem Bilde vom Halbmond die Aufstellung geschildert, das Zusammendrängen der Römer nach der Mitte, das Einschwenken der Afrikaner von beiden Seiten, die Erschütterung des dünnen Zentrums und der Zuspruch des Feldherrn erzählt wird, empfindet der Leser noch heute nach, von welchem Standpunkt das ganze Schlachtbild gesehen ist und daß in dem, was uns erzählt wird, nicht das sachlich Wichtigste, sondern das, was den Geist des Feldherrn am meisten beschäftigte, den Vorrang hat.
[336]

1. Eine viel umstrittene wissenschaftliche Kontroverse ist, ob die Schlacht auf dem rechten oder linken Ufer des Aufidus geschlagen ist. Da feststeht, daß der rechte römische, der linke karthagische Flügel an den Fluß angelehnt waren, so muß man mit dem Wechsel des Flußufers auch die ganze Stellung der Heere umkehren. Ich drucke, was ich darüber in den vorigen Auflagen gesagt habe, nicht wieder ab, da es durch die Untersuchung von KONRAD LEHMANN, Klio Band 15, S. 162 (1917) überholt ist. Der Stand der Forschung war bis dahin, daß der Wortlaut der Quellen auf das rechte Ufer führe, niemand aber imstande war, eine strategische Erklärung zu finden, wie die Römer in dieser Stellung mit dem Rücken gegen das Meer gekommen seien, und wie die römischen Flüchtlinge sich aus der Schlacht nach Canusium und Venusia gerettet haben sollen. Ich habe das des Näheren in der Historischen Zeitschrift Band 109, S. 502. dargelegt. Konrad Lehmann hat nun festgestellt, daß auch die Vorstellung, die Quellenberichte zwängen dazu, die Schlacht auf dem rechten Ufer anzusetzen, irrig gewesen ist. Er stellt durch den Vergleich zwischen der Angabe des Polybius, daß Hannibal bei Beginn der Ernte von Gerunium aufgebrochen sei, mit dem Schlachtdatum (2. August) fest, daß die Schlacht nicht fast unmittelbar an den Aufbruch von Gerunium anschließend ist, sondern daß ein Zwischenraum von zwei Monaten angenommen werden muß. In dieser Zeit fouragierte Hannibal in Apulien südlich des Aufidus. Die Flußübergänge kurz vor der Schlacht, die man bisher von Norden ausgehen ließ, müssen also von Süden ihren Ausgang nehmen und auf diese Weise eingestellt, ergibt die Quellen-Interpretation, daß das Schlachtfeld auf dem Nordufer zu suchen ist.

Der strategische Zusammenhang kann nunmehr folgendermaßen festgelegt werden. Hannibal zog von Gerunium in die Apulische Ebene. Die Römer folgten ihm, indem sie auf den Randhügeln des Berglandes unangreifbare Stellungen suchten. Da sie in Cannä ein Magazin anlegten und die Vorräte aus der Gegend von Canusium dahinbringen ließen, so müssen sie zuletzt eine Stellung gehabt haben, die näher an Cannä als an Canusium lag und doch nicht unmittelbar bei Cannä, da es Hannibal ja gelang, ihnen Cannä mit seinem Magazin wegzunehmen. Ich nehme also an, daß das Lager in der Gegend des Monte Altino gewesen ist, etwa 6 Kilometer südöstlich von Cannä, also so weit vorgeschoben wie möglich, um möglichst viel Land zu decken und doch durch das Terrain noch gegen einen punischen Überfall geschützt. Hannibal aber, gesichert durch seine starke Reiterei, zog von Süden nach Norden durch die Ebene an dem römischen Lager vorbei, nahm Cannä mit seinem Magazin durch Handstreich und zwang die Römer, sich weiter hinein ins Land gegen Canusium zurückzuziehen.

Lehmann stellt nun weiter die Vermutung auf, daß die Römer als Schlachtfeld einen Platz gewählt hätten, wo sie wegen der Überlegenheit der punischen Kavallerie für beide Flügel eine Anlehnung hatten. Er findet eine solche Stellung, die, etwa 3 Kilometer breit, rechts durch den Fluß, links durch eine steile Böschung begrenzt ist. Das Feld heißt noch heute[337] »pezzo del sangue«. Ganz sicher ist das wohl nicht, und auf alle Fälle würde ich das eigentliche Schlachtfeld ein Stück weiter hinaufrücken, wo die Ebene enger wird da mir 3 Kilometer zu breit erscheint.


Quelle:
Hans Delbrück: Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Berlin 1920, Teil 1, S. 326-338.
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