Zweites Kapitel.

Brandenburg-Preußen.

[273] Im Grunde noch dringlicher als beim König von Frankreich war das Bedürfnis nach einem leistungsfähigen Kriegswesen bei den deutschen Fürsten, deren Mittel nicht hinreichten, um wenigstens im Notfall, wie es der König von Frankreich tat, die großen Söldnerbanden anwerben zu können. Es hat an recht weit ausgreifenden und tatkräftig durchgeführten Versuchen, in den deutschen Territorien ein neues Kriegswesen zu schaffen, nicht gefehlt. Man knüpfte sowohl an die überlieferten Lehnsverpflichtungen des Adels, wie an die nie völlig in Vergessenheit geratene allgemeine Verpflichtung zur Landesverteidigung. Erfahrene Kriegshauptleute wurden gegen eine feste Besoldung, ein Wartegeld angestellt, damit sie im Bedarfsfalle bereit seien, ein Lehnsaufgebot oder einen »Ausschuß« aus Bürgern und Bauern zu führen. Größere Territorien, wie Bayern, Württemberg, Pfalz, Sachsen, Preußen brachten sogar ziemlich zahlreiche, organisierte Milizen zustande. Eine besondere Erwähnung verdient dabei Graf Johann von Nassau, ein Bruder jenes Wilhelm Ludwig, der Moritz von Oranien bei seiner Heeresschöpfung so erfolgreich zur Seite stand. Graf Johann wollte, im Innersten ergriffen von den neuen Ideen des Kriegswesens, wie seine Verwandten sie in Holland verwirklichten, sie auf Deutschland übertragen. Er sah die heraufziehenden Wolken des Religionskrieges und riet den Ständen, sich zu waffnen, indem sie die geworbenen[273] Soldaten durch ein Landesaufgebot ersetzten. Er ging aber noch weiter.

Die Erfolge Moritz von Oranien hatten diesem damals ein solches Ansehen gegeben, daß sich die Jünger des Mars aus dem ganzen protestantischen Europa in seinem Feldlager zusammenfanden, um sich in das neue Kriegswesen einweihen zu lassen.

Die niederländische Kriegskunst beruhte aber nicht mehr auf der bloßen Erfahrung, sondern auf Studium und Wissen; Johann gründete daher (1617) in seiner Landeshauptstadt Siegen eine Kriegs- und Ritterschule für junge Edelleute und Patriziersöhne, wo Ingenieurkunst, Fortifikation, Artillerie, Taktik, Mathematik, Lateinisch, Französisch und Italienisch gelehrt werden sollte. Als Direktor dieser Schule berief er Johann Jakobi von Wallhausen, über dessen Herkunft und Leben wir leider nicht viel mehr wissen, als daß er in den Niederlanden gewesen ist, sich »der löblichen Stadt Danzig bestellter Oberst-Wachtmeister und Hauptmann« nannte und in den Jahren 1614 bis 1621 eine lange Reihe von militär-theoretischen Schriften herausgab. Diese Schriften sind ein Gemisch von wirklichen Kenntnissen und gutem Urteil und gleichzeitig oft unkritischer Phantastik302. Er ist imstande, der Kavallerie zu empfehlen, daß sie sich zur Verteidigung im Kreise oder im Karree aufstelle303 und stellt die Infanterie in Kreuz- und Oktogon-Form auf. Seine Schriften hatten aber einen großen Erfolg und wurden auch ins Französische übersetzt. Der Autor aber war, wie schon seine Schriftstellerei vermuten läßt, ein unsolider Charakter und wurde nach wenigen Monaten entlassen, die Siegener[274] Kriegsschule ging bald wieder ein und Graf Johann ist im Jahre 1623 gestorben304, ohne etwas Dauerndes geschaffen zu haben.

Auch die Miliz-Organisationen hatten keinen Erfolg. Diese Aufgebote hielten vor den berufsmäßigen Kriegern den Söldnern, nicht stand305. Die pfälzischen versagten, als die Spanier kamen, die sächsischen nahmen bei Breitenfeld die Flucht, von den bayrischen schrieb ihr Kurfürst Maximilian, daß man sich ihrer, als im Jahre 1632 die Schweden nahten, »mit gar keinem Effekt habe bedienen können und die Spesa umsonst geschehen seien306«. Die Württemberger haben noch bei Nördlingen mitgefochten und scheinen dort vernichtet worden zu sein; leider fehlt jede nähere Nachricht, wie sie sich geschlagen haben.

Brandenburg, obgleich durch die bevorstehende Vereinigung mit Preußen, Pommern und den Landschaften in Westfalen und am Niederrhein auf eine größere gedachte Politik angewiesen, ist doch in den Dreißigjährigen Krieg mit noch weniger Vorbereitung eingetreten als andere, oben genannte Territorien. Man berechnete wohl mal die Gesamtheit der schuldigen Lehnsdienste (1073 Pferde) und teilte sie in Kompagnien, aber das blieb auf dem Papier, und als die Berliner Bürger im Jahre 1610 Schießübungen abhalten sollten, erklärten sie, das sei zu gefährlich, da schwangere Frauen dadurch erschreckt würden307. Ein Krieg mit geworbenen Söldnern aber bedeutete, wie der brandenburgische Kanzler 1610 schrieb,[275] daß »der halbe Feind im Haufe und der ganze vor der Tür stehe«308.

In Preußen legten die Oberräte dem Herzog 1622 einen »Defensionsplan« vor, aber Georg Wilhelm wies ihn ab (19. Februar 1623), »weil die Erfahrung mehr als gut geben, daß mit der staatlichen Verfassung in der Kurpfalz zu Rettung des Landes, wie es zum Ernst und Treffen komme, über aller Menschen Vermuten so gar nichts ausgerichtet«309.

Von den Hussitenkriegen an bis zum 30jährigen Krieg, kann man sagen, also über 200 Jahre lang, stehen Theorie und Praxis der deutschen Wehrverfassung in Widerspruch. Theoretisch hantiert man fortwährend mit Lehnsdienst, Bürgeraufgebot und Miliz – praktisch werden die Kriege geführt von Söldnern.

1557 erließ der Kurfürst von Sachsen eine Ordre an die Stadt Delitzsch: »es ist unser ernstlicher Befehl, ihr wollet sammt euren Mitbürgern in guter Bereitschaft sein, damit ihr und sie auf weiteres Erfordern ungesäumt zuziehen möget.« 1583 wird befohlen, »daß unsere gehorsamen Lehnsgrafen, Herren von der Ritterschaft, Bürger und andere Untertanen und Verwandten jederzeit in guter Rüstung und Bereitschaft zum Zuzug gefaßt sein und sitzen sollen.« Nur bei »scheinlicher Leibschaft« soll Stellvertretung durch Standesgenossen gestattet sein310.

Wenn wir solche Kapitularien aus der Zeit Karls des Großen besäßen! Was würde die Rechts- und Verfassungsgeschichte daraus alles geschlossen, was für Systeme würde sie darauf aufgebaut haben! Aber es ist nichts als leeres Wortgepränge ohne jeden Gehalt.

Die kleine Leibgarde, die die Fürsten im 16. Jahrhundert halten, heißt das »Hofgesinde«. Der Kurfürst von Brandenburg hatte deren 200 Mann oder etwas mehr.

Wenn die Gefahr nahte, bewilligen die Stände auf kurze Frist eine kleine Truppe. Als 1626 sich Wallenstein und Mansfeld Brandenburg näherten, erklärten sich beide bereit, die Neutralität[276] des Territoriums zu achten, falls der Kurfürst das Land wirklich sperre. Aber dazu hatte er keine Soldaten, die Stände hatten wohl dreitausend Mann bewilligt, aber zu spät und dann nur auf drei Monate. Es sei unnötig, Kriegsvolk zu halten, erklärten sie; man habe hundert Jahre lang große und schwere Steuern dafür gezahlt und habe doch keinen Schutz davon.

So zogen die Truppen der beiden feindlichen Parteien ungehindert durch das Land, und schon 1628 berechnete man, daß Wallenstein zweihundert Tonnen Goldes aus dem Lande gezogen habe; für zwei Tonnen hätte man schon eine ansehnliche Macht aufstellen können311.

Das Bündnis mit Gustav Adolf gab wohl Veranlassung zur Aufstellung einiger brandenburgischer Regimenter, verpflichtete den Kurfürsten aber hauptsächlich zu Geldleistungen.

Als der Kurfürst sechs Jahre später auf die kaiserliche Seite übertrat, war der Plan, mit kaiserlicher Geldunterstützung eine sehr bedeutende brandenburgische Armee aufzustellen, die »der Römisch-Kaiserlichen Majestät und anstatt derselben der Kurfürstlichen Durchlaucht zu Brandenburg« verpflichtet war. Ihre Aufgabe sollte sein, die Schweden aus Pommern zu vertreiben, aber schon im nächsten Jahre berichtete der brandenburgische Minister Schwarzenberg dem Kurfürsten: »25000 Mann hätten E. Churf. D. bringen sollen, die hat dieses arme Land zu dessen höchstem Ruin unterhalten müssen. Etwa 5000 haben sich auf dem Generalen Rendevous in Gegenwart E. Churf. D. und das Generallieutnants Grafen von Gallas vor kaum 5 Wochen präsentiert; jetzt sein, wie E. Churf. D. Offiziere selber ausgeben, zu Roß und zu Fuß kaum 2000 vorhanden.« Die Ursache dieses Zustandes war natürlich, daß man das Geld nicht aufbringen konnte. Wir haben gesehen, wie es damit in jenen Jahren noch in dem größten und reichsten Königreich Europas, in[277] Frankreich stand. Eine ergiebige Steuerverfassung ist nicht so leicht geschaffen, um so weniger, als die Stände den äußersten Widerstand leisteten. Es ist nicht bloß, daß sie die Steuern nicht bezahlen wollen, sondern hinter der Geldfrage steht die Verfassungsfrage. Als die preußischen Stände den Kurfürsten mit seinen Soldaten zu ihrem Schutz zurückweisen, schrieb Schwarzenberg312: »sie wären auch große Narren, wenn sie es litten; sie müßten sich ja allerhand besorgen, wenn der Kurfürst so stark nach Preußen käme, daß er ihnen leges machen und was er wollte, thun könne.« So ist es ja auch nachher unter dem Sohn und noch mehr dem Urenkel dieses Kurfürsten gekommen, der die Souveränität aufrichtete als einen rocher von Bronze.

Die Überlieferung ist, daß der Große Kurfürst gleich nach seinem Regierungsantritt die brandenburgischen Truppen aus der Doppelverpflichtung gegen den Kaiser und gegen den Kurfürsten gelöst und damit das selbständige brandenburgische Heer geschaffen hat; die eigentliche Frucht aller Schmerzen und Leiden des Dreißigjährigen Krieges sei die Geburt der Brandenburg-Preußischen Armee gewesen.

Diese Vorstellung muß sehr wesentlich modifiziert werden. Friedrich Wilhelm hat keineswegs das Szepter ergriffen mit dem Entschluß, die fürstliche Gewalt von dem Mitregiment der Stände zu befreien und sie durch ein stehendes, nur dem Kurfürsten verpflichtetes Heer selbständig zu machen. Im Gegenteil, der Vertreter des monarchischen Gedankens war der Berater seines Vaters, Schwarzenberg, gewesen, und der Vorwurf, den die Zeitgenossen Georg Wilhelm machten, war nicht daß er zu wenig, sondern daß er zu viel gewollt habe. Noch 1640 bitten die Stände Schwarzenberg, »sie nicht als Rebellen und Sklaven zu behandeln.« Der Hauptvorwurf, der diesen Minister trifft, ist seine liederliche Verwaltung. Er selber sorgte dafür, daß, wenn Geld in den Kassen war, seine Forderungen zuerst befriedigt wurden, die Truppen aber wurden nicht bezahlt und gingen in Lumpen. Der neue Herr, ganz befangen in den Klagen der Stände über das tyrannische Regiment Schwarzenbergs, erkannte nicht gleich den Ort der Krankheit, sondern[278] hatte zunächst keinen anderen Wunsch, als mit den überspannten Plänen seines Vaters ein Ende zu ma chen und um des »blutweinenden Zustandes des Landes willen« Waffenstillstand mit den Schweden zu schließen und die Armee, wenn schon nicht ganz zu entlassen, doch auf einen geringen Stand zu reduzieren. Es blieben zuletzt in Brandenburg 125 Reiter und 2150 Mann zu Fuß, die nicht als Feldtruppe, sondern als Festungsbesatzung gedacht waren und deshalb bloß aus Musketieren bestanden. Die Hauptschwierigkeit bei dieser Reduktion war die Befriedigung der rückständigen Forderungen der Soldaten, wofür man die Mittel zu gewinnen trachtete, indem man mit den Obersten scharf abrechnete, was wieder mit diesen zu Konflikten führte. Markgraf Ernst, ein Vetter des Kurfürsten, brachte endlich mit Mühe 1830 Taler zusammen, um die Reiter zu befriedigen. Auch die organisatorischen Schöpfungen Schwarzenbergs, die Kriegskanzlei und die Kriegskasse, die freilich mit sehr fragwürdigen Personen besetzt waren313 wurden wieder aufgehoben und den Obersten das Recht wieder zugestanden, die Subaltern-Offiziere zu ernennen. In einer ein Menschenalter später niedergeschriebenen Anweisung des Kurfürsten an seine Söhne (1667) heißt es: »beklage allezeit, daß ich im Anfange meiner Regierung zu meinem höchsten Nachteil davon ableiten lassen und wieder meinen Willen Anderer Rath gefolget«, nämlich sich mehr auf Allianzen, statt auf eigene Kräfte zu verlassen314.

Was der Kurfürst schließlich an Truppen behielt, war zwar immer noch etwas mehr als die Stände wünschten, aber doch keine Feldarmee mehr und wurde auf Drängen der Stände, abgesehen[279] von den Garnisonen in den neugewonnenen Plätzen Kolberg, Halberstadt, Minden, noch unter den Stand reduziert, der schon 1631, beim Erscheinen Gustav Adolfs, vorhanden gewesen war.

Eine wirkliche Armee hat Kurfürst Friedrich Wilhelm erst 15 Jahre nach seinem Regierungsantritt gebildet, als er 1655 gezwungen wurde, in dem neu entbrannten Kriege zwischen Schweden und Polen, sozusagen einem Ausläufer des 30jährigen Krieges Partei zu ergreifen. In fortwährendem Kampf mit den Ständen hatte er, statt der einmaligen Bewilligungen, Steuern für eine längere Periode (1653 die Kriegsmetze auf sechs Jahre) durchgesetzt oder unbewilligt gewaltsam erhoben315. Ein Reichsgesetz (1654), das die Untertanen verpflichtete, »zur Besetzung und Unterhaltung der nötigen Festungen, Plätze und Garnisonen hülflichen Beitrag zu leisten«, kam den Fürsten zu Hilfe und nicht weniger wichtig war, daß angestrengte Arbeit so viel Ordnung in die Verwaltung brachte. Auf die vorhandenen Mittel nicht vergeudet, sondern ihrem Zwecke gemäß verwendet wurden. So brachte der Kurfürst es fertig, 1656 in Preußen eine einheitliche Armee von 14000 bis 18000 Mann aufzustellen, an der alle jetzt unter seiner Herrschaft vereinigten Landschaften beteiligt waren. Mit dieser Armee schloß er sich, freilich halb gezwungen, den Schweden unter Karl X. an und nahm Teil an der Schlacht bei Warschau.

Nach dem Frieden von Oliva, 1660, wurde die Feldarmee von neuem bis auf 4000 Mann außer den Garnisontruppen reduziert, jetzt aber der prinzipielle Gedanke gefaßt, eine dauernde Waffenmacht auch im Frieden zu unterhalten. Bis dahin lassen sich alle Maßnahmen des Kurfürsten immer noch so verstehen, daß es nur tatsächliche oder drohende kriegerische Verwicklungen waren, die die Truppenaufstellungen hervorriefen. Jetzt aber wurde allem Widerstand der Stände zum Trotz der miles perpetuus nach dem schwedischen Muster, auf das der Kurfürst sich ausdrücklich bezog, durchgesetzt316, und als Friedrich Wilhelm starb, hinterließ er eine festgesetzte Armee von 29000 Mann.[280]

Der Geschichte der nunmehr werdenden brandenburgisch-preußischen Armee ist zugleich die Geschichte des preußischen Staates.

Das Fundament der preußischen Verwaltung ist die Einteilung des Landes in die Kreise mit dem Landrat an der Spitze. Der Landrat ist ein von den Großgrundbesitzern des Kreises in ihrer Kreisversammlung präsentierter, vom Fürsten ernannten angesessener Edelmann, der die Beziehungen der Einwohner zu eingelagerten oder durchmarschierenden Truppen regelt, die Lieferungen zu ihrer Verpflegung umlegt, die Einquartierung verteilt, die Fuhren ausschreibt, die Steuern einzieht, die Truppen zu besolden oder ihre Brandschatzung abzukaufen.

Über den Landräten steht die Kriegskammer, die hervorgegangen aus dem Ober-Kriegs-Kommissariat, die dauernd gewordenen Steuern und Lieferungen ausschrieb und verwaltete, die militärischen Bauten an Gebäuden, Magazinen und Festungen ausführen ließ, die Gelder an die Truppen auszahlte, Wege und Brücken unterhielt. Indem Friedrich Wilhelm I. diese Kriegskammern mit den Kammern vereinigte, die die königlichen Domänen verwalteten (1723), schuf er die noch heute bestehenden Bezirks-Regierungen.

Die oberste Spitze des ganzen Heerwesens, Kommando und Verwaltung in sich vereinigend, hatte ursprünglich der Feldmarschall gebildet. Dann war die Verwaltung abgetrennt, zuerst einem Einzelnen, dann (1712) einem Kollegium anvertraut worden, dem General-Kommissariat. Indem Friedrich Wilhelm I. dieses mit der Domänen-Verwaltung, ebenso wie in der mittleren Instanz vereinigte, schuf er (1723) das General-Direktorium.

Aus ihm sind nicht bloß das Kriegsministerium, sondern die meisten der heute bestehenden Ministerien hervorgegangen, besonders das Finanz-Ministerium und das Ministerium des Innern. Die Mutter der preußischen Zentral-Verwaltung ist also historisch die Intendantur der Armee317.

Wallenstein hatte einst von den Landschaften, wo er sich einlagerte, nicht nur verlangt, daß sie die Truppen unterbrachten und verpflegten, sondern daß sie ihnen auch den Sold zahlten und zwar[281] für die Offiziere, besonders für die hohen Offiziere einen sehr hohen. Was die Landschaften nicht gaben, trieben die Truppen selber ein. In dem Zusammenwirken der bürgerlichen Obrigkeiten mit den Truppenführern hatte sich eine Art Verwaltungssystem ausgebildet, das die Truppen versorgte und das Land doch so weit schonte, daß es nicht völlig verdarb und das wirtschaftliche Leben seinen Fortgang nehmen konnte. Im Frieden war nun die Verwaltung (mit Ausnahme der Rekrutierung) bei den bürgerlichen Behörden geblieben, die die Steuern systematisch erhoben und fortbildeten318. Für Brandenburg wurde besonders wichtig und ergiebig die im Jahre 1667 nach holländischem Muster eingeführte allgemeine Verbrauchsabgabe, die Akzise.

Nachdem die stehende Armee einmal geschaffen war, begann sie sehr schnell zu wachsen, erst getrieben von dem Bedürfnis der Kriege gegen Ludwig XIV, dann durch die Verwicklungen des großen Nordischen Krieges und auch nach dessen Abschluß weiter durch das beginnende Großmacht-Sterben unter Friedrich Wilhelm I., endlich die Eroberungs-Politik Friedrichs des Großen. Es galt sowohl die Menschen dafür aufzubringen wie das Geld.

Das Geld gaben die immer kräftiger ausgebildeten Steuern, die rationelle und intensiver ausgenützten Domänen, die gute Kontrolle und schließlich auch die Subsidien, die seit 1688 in den Kriegen gegen Ludwig XIV. die Seemächte sich bereit finden ließen, den truppenstellenden deutschen Fürsten zu zahlen. Brandenburg bezog von 1688 bis 1697 nicht weniger als 6545000 Taler, ein Drittel der gesamten Militärausgaben319. Unter den Auflagen, mit denen die Hof-Kabale den ausgezeichneten Minister Dankelmann stürzte, war auch die Frage, weshalb man in Geldverlegenheit sei, da doch die Subsidien den Kurfürsten hätten reich machen müssen.

Mehr Sorge als das Aufbringen des Geldes machte jetzt das Aufbringen der Mannschaft. Die freiwillige Werbung genügte nicht mehr. Schon im 30jährigen Kriege hören wir hier und da einmal[282] von gewaltsamem Pressen für den Kriegsdienst. Montecuccoli (Werke, Bd. II, 469) schlägt vor, daß »die Waisen, Bastarde, Bettler und Armen«, die in den Spitälern verpflegt werden, in Militär-Bildungsanstalten zu Soldaten erzogen werden nach Art der Janitscharen. Das ist wohl niemals praktisch versucht worden; solche Kadettenkorps für den gemeinen Mann hätten zu viel gekostet und zu wenig ergeben. Man fand kein anderes Mittel, als das gewaltsame Pressen zum System auszubilden.

Die Offiziere griffen passende Männer auf, wo sie sie fanden und zwangen sie durch Mißhandlungen, sich einstellen zu lassen. Oder aber den Ortsbehörden wurde aufgegeben, aus ihrem Bezirk eine bestimmte Anzahl Rekruten den Regimentern zur Verfügung zu stellen. Die Willkür verletzte alle Rechtsempfindungen und schädigte das Land aufs schwerste. Mißbrauch und Korruption mußten die Folgen sein. Offiziere wie Beamte benutzten ihre Aushebungs-Gewalt zu Erpressungen und ließen gegen Bezahlung Ausgehobene wieder frei. »Die Offiziere, heißt es in einem Mandat (vom 10. Februar 1710), unterstehen sich, häufig mit den Gemeinen ›ein ordentliches Kommerzium‹ zu treiben, sie gegen Geld loszulassen oder an andere Regimenter und Kompagnien zu verkaufen«320. Die Bauern wollten ihre Produkte nicht mehr in die Stadt bringen, weil sie fürchteten, dort festgehalten und den Werbern ausgeliefert zu werden. Scharenweise gingen die jüngeren Männer über die Grenze, um sich dem Dienste zu entziehen. Der Statthalter von Pommern berichtete 1706, die Untertanen würden durch die Werbemethoden und sonstigen Lasten »totaliter ruiniert werden«. Aus Minden wurde 1707 berichtet, daß die Knechte für den Ackerbau nicht mehr zu erlangen seien, weil die Rekrutierung die jungen Leute in die benachbarten Provinzen getrieben habe. Ein Reglement im Jahre 1708 schrieb vor, man solle alle kriegsfähigen Leute, die »dem Publico nichts beitragen, ohne bruit ausheben und auf die Festung liefern«, wo der Gouverneur sie den Werbe-Offizieren übergeben sollte. Noch schlimmer wurde es unter Friedrich Wilhelm I.. Zwar fällt sein Regierungsantritt ziemlich zusammen mit dem Abschluß[283] der französischen Kriege, und der König selbst hat, abgesehen von der kurzen Beteiligung am Nordischen Kriege, verlustreiche Kriege nicht geführt, aber sein Menschenbedarf wuchs dennoch, da er die Armee verdoppelte. Aus allen Provinzen kamen die Klagen der Behörden, daß die Werbungen die Leute aus dem Lande trieben und das Wirtschaftsleben zu zerstören drohten; die Bevölkerung widersetzte sich den Werbungen mit Gewalt und der Generalauditeur klagte über das viele Blutvergießen, das dabei vorkäme. Wohl erließ der König eine Verordnung über die andere, die den Gewaltsamkeiten steuern sollten, da er aber selber wieder die Aufhebung und Wegnahme ungehorsamer Bürger und Bauern und solcher Dienstboten, »welche nicht gut tun«, empfahl, oder die Mahnung zu gutwilliger Werbung dahin auslegte, »daß nämlich keine Exesse und große Gewalttätigkeiten dabei vorgehen und desfalls keine Klagen einkommen mögen«, so schienen »kleinere Gewalttätigkeiten« erlaubt, und es blieb praktisch alles beim alten.

Ideell aber vollzog sich, ohne daß die Zeit oder der Schöpfer selbst sich dessen recht bewußt wurden, in dem Verhältnis der Armee zum Kriegsherren und dadurch auch zum Staat eine Wandlung von der größten Tragweite.

Neben dem auf Werbung beruhenden Heer hatte König Friedrich I. 1701 auch eine Land-Miliz organisiert, die an die alte Verpflichtung zur Landesverteidigung anknüpfte, und zu der Bürger und Bauern, wie es hieß, »enrolliert« wurden. Friedrich Wilhelm I. hatte diese Miliz als militärisch zu minderwertig gleich bei seinem Regierungsantritt aufgehoben, den Grundsatz der Dienstverpflichtung aber hielt er fest und übertrug ihn auf die stehende Armee. Man war von der freiwilligen Werbung von dem Bedürfnis getrieben, zu gewaltsamen Einstellung gekommen, ohne sie ethisch oder staatsrechtlich begründen zu können. Jetzt erklärte Friedrich Wilhelm I. (Edikt vom 9. Mai 1714), die junge Mannschaft sei »nach ihrer natürlichen Geburt und des höchsten Gottes eigner Ordnung und Befehl mit Gut und Blut zu dienen schuldig und verpflichtet«, »die ewige Seligkeit ist vor Gott, alles andre aber muß vor mir sein.« Man hat das als die Verkündigung des großen Grundsatzes der allgemeinen Wehrpflicht auffassen wollen. Aber mit Unrecht. Es war nur die Verkündigung des Grundsatzes der[284] schrankenlosen Gewalt des im König verkörperten Staates, über die Untertanen nach seinem Bedürfnis frei zu verfügen. Die Vorstellung, daß die gesamte Bürgerschaft berufen sei, für den Staat zu kämpfen, fehlte durchaus, und niemand würde ihr mehr widersprochen haben, als grade Friedrich Wilhelm I.. In seinen Augen war der Soldatenstand ein Beruf, wie andere auch, ein Beruf, der nur dann gut ausgeübt werden konnte, wenn er von den technisch dazu Ausgebildeten ausgeübt wurde. Wer Soldat war, war Soldat und sollte es womöglich sein Leben lang bleiben. Hätte man freiwillig Geworbene in genügender Anzahl gehabt, so wäre Friedrich Wilhelm I. damit durchaus zufrieden gewesen. Daß er auch ausheben ließ für den Dienst und seine Untertanen dazu verpflichtet erklärte, war nur eine Steigerung desselben Gedankens und derselben Praxis, denen wir ja auch in Frankreich unter Ludwig XIV. begegnet sind321. Aber eben durch diese Steigerung sind doch Armee und Volk in eine Beziehung zueinander getreten, die vorher nicht existierte, und ist die Aushebung unter Friedrich Wilhelm I. praktisch der Vorläufer der hundert Jahre später proklamierten allgemeinen Wehrpflicht geworden.

Nachdem schon früher öfter Bestimmungen getroffen waren, die einem Regiment einen bestimmten Bezirk zur Rekrutierung anwies, erließ der König im Jahre 1733 eine generelle Verfügung dieser Art, die als »Kanton-Reglement« eine etwas legendarische Berühmtheit erlangt hat322.

Der Gedanke scheint so einfach und naheliegend, daß man sich[285] wundern möchte, ihn erst so spät, im zwanzigsten Jahr der Regierung dieses Königs zur Ausführung gebracht zu sehn323. Die Grundvorstellung blieb die freiwillige Werbung, man behielt auch den Ausdruck »Werbung« bei, als es sich später schon um ganz reguläre Aushebung handelte, aber die Anweisung auf einen bestimmten, nicht bloß Regiments- sondern Kompagnie-Bezirk gab der Werbetätigkeit der Kapitäne einen ganz anderen Charakter als bisher. Die Kapitäne waren vielfach Gutsbesitzer oder Verwandte von Gutsbesitzern und hatten mit Vorliebe Bauernsöhne aus diesen Gütern »geworben«; diese nicht wertlose patriarchalische Beziehung wurde jetzt zerrissen und der persönliche Eifer in der Werbetätigkeit sehr eingeengt. Den Anstoß zu der in ihren Folgen sehr weitgreifenden Reform gab die Erfahrung, daß die Kapitäne bei der freien Konkurrenz in der Anwerbung sich gegenseitig ins Gehege kamen, sich die Rekruten abzujagen suchten und in Streitigkeiten gerieten.

Der Hauptvorteil der neuen Ordnung war, daß der Willkür, daß es in die Hand jedes beliebigen Kapitäns gelegt war, ob ein geeigneter Mann Soldat werden mußte oder nicht, jetzt eine Schranke gesetzt war. Des weiteren wurden die höheren Klassen und gewisse Volksschichten, die für das Wirtschaftsleben besonders nützlich schienen, durch Verordnungen geschützt. Der Adel, die Söhne von Beamten, die Söhne von Bürgern, die über 10000 Taler im Vermögen hatten, von Kaufleuten, Fabrikanten, die Wirtschaftsbeamten, die mit Haus und Hof angessenen Bauern und ihre einzigen Söhne, die Söhne von Predigern, die wieder Theologie studierten, die Arbeiter in den von dem merkantilistischen König geförderten Industrien, alle diese wurden von der Kantonspflicht »eximiert«. Diese Eximierungen wurden mit der Zeit noch sehr erweitert. Die Grenzen, die sie setzten, waren aber doch vielfach nur unbestimmt oder weiter als man vermuten sollte, z.B. daß die Söhne von Predigern nur frei waren, wenn sie wieder Theologie[286] studierten, also weder die Theologen überhaupt, noch die Söhne von Predigern überhaupt. Die Stadt Berlin bildete keinen »Enrollierungsbezirk«, trotzdem aber war es von Offizieren erlaubt, »hier und da ledig lose Leute von geringer Extraktion, z.B. Schuster, Schneider und dergleichen gemeiner Leute Kinder zu enrollieren«. Es blieb also immer noch Willkür genug und diese Willkür sehr bestimmte Schranken gezogen hätte, das ist die Vorliebe der Zeit und besonders Friedrich Wilhelms I. für »lange Kerle«. Kein Soldat sollte unter fünf Fuß sechs Zoll messen. Dadurch war die große Mehrzahl der jungen Leute von vornherein vor den Werbern gesichert. Wiederum Leute von 10, 11 Zoll und mehr, konnten sich den Werbern, auch wenn sie zu den Eximierten gehörten, nur schwer entziehen. »Wachse nicht, sonst fangen dich die Werber«, sollen die Mütter zu ihren hochaufschießenden Söhnen gesagt haben.

Da an sich der großgewachsene Mensch keine Gewähr gibt, daß er besonders tapfer, zäh, gesund oder auch nur stark sei, so scheint es sich um eine reine fürstliche Laune zu handeln. Der Ausgangspunkt ist auch nichts als die Freude an dem Stattlichen, Repräsentativen; wir finden dieselbe Erscheinung schon bei den römischen Legionen (Bd. II, Erster Buch, achtes Kap.). Der Vorteil aber war, daß damit ein objektiver Maßstab für die Aushebung gegeben und die das moralische Gefühl revoltierende Willkür zurückgedrängt war. Der Mensch will, daß in Lebensfragen das Schicksal entscheide und nicht der Mensch. Im 19. Jahrhundert führte man aus demselben Grunde das Los ein.

Die Kapitäne enrollierten die ihnen geeignet erscheinenden, »Wachstum versprechenden« Knaben bereits mit dem zehnten Jahr; sie durften einen besonderen »Puschel« am Hut tragen und erhielten einen Paß, der sie vor der Werbung durch andere Kapitäne schützen sollte.

Nach dem Siebenjährigen Kriege erließ König Friedrich neue Bestimmungen über die Enrollierung, die die Eximierungen erweiterten, die Aushebung den Kapitänen entzog und sie einer Kommission übertrug, in der die Zivilbehörden mit den Regimenten[287] zusammenwirken Die Bestimmung, daß nur große Leute ausgehoben werden sollten, blieb, was sogar zu der besonderen Klausel führte, daß von mehreren Söhnen eines Bauern der kleinste den Hof übernehmen solle324.

Die Söldnerheere hatten ihren Zuzug aus aller Herren Länder genommen, wie es sich gerade bot. Die Aushebung, vermöge deren jetzt die Heer ergänzt wurden, schloß die Werbung von Ausländern keineswegs aus, im Gegenteil, die Kantons-Einrichtung war eigentlich nur ein Behelf, weil die ausländische Werbung quantitativ wie qualitativ dieser Ergänzung nicht entbehren konnte. Je mehr Ausländer man gewinnen konnte, desto besser glaubte man zu fahren, weil man dem Lande die Arbeitskräfte erhielt. Der Untertan war nützlicher, wenn er erwarb und Steuern zahlte, als wenn er diente. Friedrich der Große hat einmal (1742) als Ziel hingestellt, daß 2/3 der Kompagnien aus Ausländern und 1/3 aus Inländern bestehen möge325. Man warb in den deutschen Territorien, die keine oder nur wenig Truppen unterhielten, namentlich in den Reichsstädten; man warb auch sehr stark in Polen und in der Schweiz. Die preußischen Werbeoffiziere verschmähten keine List und keinen Betrug, wo es anging, auch nicht die Gewalt, um brauchbare, hochgewachsene Leute für das Heer ihres Königs zu gewinnen. Selbst die Leibgarden der kleinen deutschen Fürsten waren nicht sicher, daß der König von Preußen nicht unter ihnen »aushob«. Einen sehr großen Zuschuß lieferten auch die Deserteure, die aus irgend einem Grunde, besonders weil sie eine Bestrafung zu befürchten hatten, ihre Fahne im Stich ließen und die bürgerliche Arbeit nicht liebten oder auch keine fanden. Aus einer zufällig erhaltenen Liste vom Jahre 1744[288] kann man entnehmen, daß in einer Kompagnie des Regiments Rettberg unter 3 Ausländern 65, in einer anderen unter 119 Ausländern 92, »bereits andern Potentaten gedient hatten«, d.h. desertiert waren.

Friedrich der Große hat während seiner Kriege stets auch in den Nachbarländern und auch in Feindesland, in Mecklenburg, Sachsen, Anhalt, Thüringen, Böhmen für seine Armee ausheben und auch Kriegsgefangene vielfach für seinen Dienst pressen lassen. Nach der Kapitulation von Pirna versuchte er ja die Mannschaften der ganzen sächsischen Armee, nachdem die Offiziere entlassen waren, in den preußischen Dienst überzuführen. Er ließ sie sogar in ihren Bataillonen zusammen und gab ihnen nur preußische Offiziere. Das hat dann freilich übel geendigt; eine Anzahl dieser Bataillone meuterten, erschossen ihre Kommandeure und gingen über zu den Österreichern.

1780 verfügte der König, daß Personen, die wegen unbefugter Schriftstellerei und Aufwieglung an Untertanen verurteilt seien, nach verbüßter Strafe zu Militärdiensten verurteilt werden könnten.

Bei einem derartigen Rekruten-Material war natürlich die Desertion ungeheuer. Kaum eine militärische Schrift des Königs, die sich nicht mit der Verhütung der Desertion beschäftigt. Im Frieden war sie dadurch erleichtert, daß in Preußen, dem »Königreich der Lisieren« nach Voltaire, wenig Städte mehr als zwei Tagemärsche von der Grenze entfernt lagen. Die Soldaten mußten sich gegenseitig auf Schritt und Tritt überwachen und auch die Bayern wurden bei schwerer Strafe verpflichtet, Deserteuren den Weg zu verlegen, sie zu fangen und einzubringen.

In einer Instruktion König Friedrichs vom 11. Mai 1763 werden die Offiziere auch angewiesen, das Gelände zu studieren – man möchte meinen zu Gefechtszwecken: aber der ganze Unterschied nicht nur in der Ausbildung, sondern auch im Geist der Armeen des 18. und 19. Jahrhunderts erscheint, wenn man mit dieser Erwartung den wirklichen Inhalt jener Instruktion vergleicht. Sie lautet:

»Da Se. Kgl. Majestät auch gefunden, daß die meisten Officiers in ihren Garnisons so viel Faulheit besitzen, und sich nicht einmal das Terrain um ihre Garnison bekannt machen,[289] welches doch sämtlichen Officiers zu willen höchst nötig ist, wann sie Deserteurs nachgeschickt werden, so befehlen Se. Königl. Majestät denen Commandeurs der Regimenter, denen Officiers Uhrlaub zu geben, zu sagen auf einen Tag, um von dem bergigten Terrain Käntniß zu erlangen, sich die Deffilées, enge und hole Berge und vergleichen, sehr genau bekandt zu machen, welches in allen Garnisons, wenn die Regimenter ihre Quartire ändern, geschehen muß.«

Im Kriege mußte bei Märschen und Lagern stets die Desertions Verhütung im Auge behalten werden: keine Nachtmärsche, kein Lager in der Nähe des Waldes, bei Märschen durch Wälder Husaren neben der Infanterie. Der französische Gesandte Balory, der Friedrich 1745 in's Feld begleitete, berichtet aus Furcht vor Desertionen habe man sich nicht getraut, Patrouillen auch nur auf ein paar hundert Schritt weit wegzuschicken326. Selbst die strategischen Bewegungen wurden dadurch beeinflußt; 1735 weigerte sich Friedrich Wilhelm I. auf Rat Leopolds von Dessau, seine Truppen durch ein stark mitgenommenes Gebiet an der Mosel marschieren zu lassen, weil es gefährlichste Gelegenheit zur Desertion gäbe327.

War es überhaupt möglich, mit Soldaten dieser Herkunft und dieses Charakters Schlachten zu schlagen und zu gewinnen? Auch im 30jährigen Kriege waren bereits Kriegsgefangene vielfach untergesteckt worden. Diesen Söldnern war es gleichgültig, für wen sie kämpften; der Krieg war ihnen ihr Beruf und ihr Landwerk und sie traten ohne inneres Widerstreben über aus einem Dienst in den anderen. Mit den Gepreßten des 18. Jahrhunderts war es zum Teil nicht anders; ein sehr großer und bei den wachsenden Heeren immer größere Teil kam aber jetzt mit soviel innerem Widerstreben zur Truppe, daß sie in den Formen des alten Söldnertums ein brauchbares Kriegertum nicht hätte ergeben können. Die Schaffung von kampffähigen Truppenteilen aus widerwillig Gepreßten wurde erst möglich und wird erst verständlich dadurch, daß die alten Söldnerbanden nunmehr übergeführt waren in die Formen des stehenden Heeres mit seiner Disziplin.[290]

Der Trotz der Landsknechte konnte nie völlig gebrochen werden, weil der Augenblick kam, wo die Armee aufgelöst wurde und das Recht des Vorgesetzten erlosch. Die Unterordnung war nur eine vorübergehende Selbstbeschränkung, keine Lebensgewohnheit. Indem die Regimenter Dauer gewannen, gewann die Disziplin eine ganz neue Grundlage. Schon der 30jährige Krieg zeigt, bei aller Zuchtlosigkeit der Soldbanden nach außen, gegenüber der Bevölkerung, doch nach Innen schon sehr ausgebildete Herrschaft des Aufbaus der Übergeordneten, eine wirkliche Disziplin, erzeugt durch das gebieterische Gesetz des Krieges selbst, und diese Disziplin wurde nunmehr im Frieden nicht nur erhalten, sondern mehr und mehr verschärft. Wir haben erfahren, wie Moritz von Oranien die Kunst des Exerzierens, sage man, wieder entdeckt, sage man, zu einer wirklichen Technik ausgebildet und die Schweden sie von ihm übernommen hatten. Diese Technik wurde nun immer weiter gesteigert und benutzt, die Mannschaft in die Hand der Offiziere zu bringen und sie dem Willen der Vorgesetzten zu unterwerfen. Der Gleichtritt, die Gewehrgriffe, der Parademarsch, der genaue Wachdienst, das Salvenschießen, die Grüß-Vorschriften wurden alles Mittel, den Willen des Mannes einzugewöhnen, in den Willen des Vorgesetzten. Eine Truppe einzuexerzieren, erfordert aber viel Arbeit und starke Mittel. Erst mußte, wie schon Dilich (1607) unterscheidet, der einzelne Mann ausgebildet werden und dann die Truppe: der Zug, die Kompagnie, das Bataillon und die größeren Verbände: Das erste Exerzierreglement in Deutschland schuf der Landgraf Moritz von Hessen. Schon Wallhausen schildert (Kriegskunst zu Fuß S. 70), wenn einem Mann ein- oder zweimal gesagt ist, wie er sich aufstellen soll, und er es doch nicht tut, »so stehet ein guter Brügel dabei; denn der es sonder Schläge nicht haben will, muß mit Schlägen einnehmen«. Es muß schon damals ziemlich hart hergegangen sein, denn schon Johann von Nassau hält es für nötig328, es als eine schlechte Sitte zu bezeichnen, wenn man beim Exerzieren nach Belieben mit Prügel oder Karbatsche strafe; man solle nur mit dem »Regiment« oder »Szepter« strafen; dabei sei weniger Mißbrauch zu befürchten.[291]

Friedrich Wilhelm I. schreibt in seinem Reglement von 1726 vor (Titel IV, Artik. XI, S. 222): »Ein neuer Kerl muß in 14 Tagen nicht auf die Wacht ziehen, oder andere Dienste thun, in solcher Zeit selbiger wenigstens exerciren lernen muß, daß er Dienst thun kann, und es muß einem neuen Kerl, damit er nicht gleich im Anfange verdrißlich und furchtsam gemacht werde, sondern Luft und Liebe zum Dienst bekommen möge, alles durch gütige Vorstellungen, sonder Schelten und Schmälen gelernet, auch muß der neue Kerl mit exerciren nicht auf einmal so stark angegriffen, vielweniger mit Schlägen und dergleichen übel tractirt werden, absonderlich, wenn es ein einfältiger oder unteutscher Kerl ist«. Auch Friedrich der Große hat einmal ausdrücklich vorgeschrieben329, »bei dem exerciren muß Keiner geschlagen, noch gestoßen, noch geschimpfet werden. Mit Geduld und methode lernet ein Kerl exerciren, mit Schläge nicht.« Aber geht es weiter »Wann ein Kerl raisonniret, oder nicht tun will, was ihm befohlen ist, oder tückisch ist«, »alsdann muß er gefuchtelt werden, aber doch mit Maaße.« In Wirklichkeit ist nach allen Berichten beim Exerzieren nur zu sehr geprügelt worden. Aber nichts ist auch falscher als die Vorstellung, das Exerzieren sei eine unnütze Spielerei gewesen. Der Kapitän, der seine Mannschaft dahin gebracht hatte, in jedem Augenblick mit der Bewegung jedes Gliedes seinem Gebote zu folgen, durfte hoffen, sie mit seinem Befehlswort auch gegen das feindliche Feuer vorwärts zu führen und auf den exakten Bewegungen der Kompagnien beruhen die taktischen Evolutionen, die die Heere Friedrichs zum Siege führten.

In die durch Disziplin und Exerzierübungen fest zusammengeschmiedeten taktischen Körper konnte man auch Mannschaften von wenig gutem eigenen Willen einstellen; sie mußten dem Kommandowort des Offiziers gehorchen und mittun. Je besser die Disziplin wurde, und je mehr man sich auf sie verlassen konnte, desto weniger Wert legte man auf den guten Willen und die sonstigen moralischen Qualitäten des Rekruten. So schraubten sich die verschiedenen Eigenschaften des stehenden Heeres sozusagen gegenseitig in die Höhe: die Masse brachte Elemente, die an sich unkriegerisch und[292] widerwillig waren, die Disziplin machte sie brauchbar und ermöglichte die Einstellung immer größerer Massen dieser Art; je schlechter das Material wurde, desto nötiger war wieder die feste Form, die Disziplin, die den Einzelnen in dem taktischen Körper fast verschwinden ließ. Wiederum das Exerzieren erzeugte die Disziplin und die Disziplin ermöglichte eine Exaktheit und Feinheit der Exerzierens, die immer weiter getrieben wurde und den Einzelnen als ein fast beliebig auswechselbares Stück der Maschine ansah und behandelte. Auch diejenigen, die ursprünglich ganz gegen ihren Willen, selbst durch offenen Betrug oder brutale Gewalt eingereiht worden waren, gewöhnten sich vielfach an dieses Dasein und nahmen mehr oder weniger den Geist und den Ehrgeiz ihres Truppenteils in sich auf.

Der Strenge der Disziplin unterlag in der preußischen Armee nicht etwa bloß der gemeine Mann, sondern auch der Offizier. Als nach der Schlacht bei Mollwitz der junge König manches in der Armee, namentlich in der Kavallerie, reformierte, ging er mit solcher Schärfe vor, daß über 400 Offiziere den Abschied erbeten haben sollen330.

Friedrich selbst bezeugt und die Ereignisse bestätigen es, daß trotz aller unzuverlässigen und üblen Elemente auch in dem gemeinen Soldaten seiner Armee ein starker militärischer Ehrbegriff lebte. Er schildert seine Armee in den General-Prinzipien: »Unsere Trouppen seynd so trefflich und so agil, daß sie sich in einer Zeit von nichts en Bataille formiren, und man kan fast niemahlen von einen Feinde überfallen werden, weil ihre Bewegung sehr schnell und geschwinde ist. Wollet ihr euch des Schißegewehrs bedienen, welche Truppen machen ein so starkes Feuer wie die unsrige? Die Feinde sagen, daß man vor den Rachen der Hölle stünde, wenn man gegen über unserer Infanterie stehen müsse. Wollet Ihr, daß unsere Infanterie nicht anders als mit den Bajonet attaquiren soll, welche Infanterie wird besser als sie mit einem starken Antritt, ohne zu wanken, an den Feind marschieren? Wo wird man in der größesten Gefahr mehr Contenance finden? Muß man schwenken, um den Feind auf die Flanque zu fallen, so ist[293] diese Mouvement in einem Augenblick geschehen, und sonder sie geringste Mühe zu Stande gebracht.«

»In einem Lande, wo der Militair-Stand der vornehmste ist, wo der beste Adel in der Armee dient, wo die Officiers Leuthe von Naissance, und selbst die Landes-Einwohner, nämlich die Söhne deren Bürger und deren Bauern, Soldaten seynd, da kann man sich versichert haben, daß bey dermaßen eingerichteten Trouppen ein point d'honneur seyn müsse. Auch ist solches würklich groß unter ihnen, denn Ich habe selbst gesehen, daß Officiers lieber auf der Stelle bleiben als zurück weichen wollen; zu geschweigen, daß selbst gemeine Soldaten diejenigen nicht unter sich leiden wollen, welche einige Schwachheit blicken lassen, die man bey andern Armeen gewiß nicht releviert haben würde. Ich habe Officiers und gemeine Soldaten stark blessiert gesehn, die dem ohnerachtet ihren Posten nicht verlassen, noch sich retirieren wollen, um nur an ihren Blessuren verbunden zu werden.«

Wir können uns heute schwer von der Vorstellung lösen, daß der Soldat ein junger Mann ist. In der altpreußischen Armee war etwa die Hälfte der Armee über 30 Jahre und nicht ganz wenige über 50, einige sogar über 60. Das Durchschnittsalter der Unteroffiziere ist auf etwa 44 Jahre zu berechnen331.

Das Wachsen der stehenden Armee im Frieden legte den Gedanken nahe, durch Beurlaubung einen Teil der Kosten zu sparen; unter Friedrich Wilhelm I. wurde das systematisch ausgebildet und allmählich immer mehr erweitert. Nicht nur die Inländer wurden nach Hause geschickt, sondern auch die Ausländer wurden als »Freiwächter« vom Dienst dispensiert und suchten sich irgend eine bürgerliche Beschäftigung, so daß Friedrich Wilhelm I. in seinen Reglements Fürsorge treffen will, »damit sie das Handwerk nicht verlernen. Soldaten bleiben und nicht zu Bauern oder Bürgern wieder werden«: Nur in der Exerzierzeit, April bis Juni, war[294] das Heer wirklich versammelt. Der Rest, der bei der Fahne blieb, wurde wesentlich mit Wachdienst beschäftigt332.

Zum Wesen der stehenden Heere, wie sie sich in der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts bilden, gehört die scharfe Scheidung zwischen der Mannschaft und dem Offizierkorps, wie wir sie schon in der französischen Armee kennen gelernt haben. In Preußen war sie noch schärfer als in Frankreich, insofern die bürgerlichen Offiziere hier noch seltener waren, als dort, und die Zwischenstufe der »officiers de fortune« fehlt. Wie sich diese scharfe Spaltung innerhalb der Waffenmacht allmählich herausgebildet hat, bedarf noch weiterer Untersuchungen333. Das Wort Offizier greift ursprünglich weiter und umfaßt die Unteroffiziere und sogar die Spielleute. Dann tritt die Trennung ein, daß die Unteroffiziere sozial dem Stande der Gemeinen angehören und sich darüber das Offizierskorps im modernen Sinne ausschichtet, das ausschließlich oder so gut wie ausschließlich aus Edelleuten besteht. Ein merkwürdiger Hinweis auf diese Bildung im Sinne einer Beschwerde findet sich im Simplizissimus. Er schildert die militärische Rangordnung als einen Baum, auf dessen untersten Zweigen die Soldaten sitzen, über ihnen die »Wamsklopfer«, »über ihnen hat des Baumes Stamm einen Absatz, welches ein glattes Stück war ohne Äste mit wunderlichen Materialien und seltsamen Seifen der Mißgunst geschmiert, also daß kein Kerl, er sei denn von Adel, weder durch Mannheit, Geschicklichkeit noch Wissenschaft hinaufsteigen konnte, Gott geb, wie er auch klettern konnte. Über demselben Ort saßen die mit den Fähnlein, deren waren teils jung, teils bei ziemlichen Jahren; die Jungen hatten ihre Vettern hinaufgehoben, die Alten aber waren zum Teil von sich selbst hinaufgestiegen, entweder auf einer silbernen[295] Leiter, die man Schmieralia nennt, oder sonst auf einem Steg, den ihnen das Glück aus Mangel anderer gelegt hatte.«

Die Entwickelung ist, um es zu wiederholen, allen europäischen Ländern gemeinsam, wohl in keinem Staat aber so scharf zur Ausprägung gelangt, wie in Preußen. Friedrich Wilhelm I. befahl gleich nach seinem Regierungsantritt, daß »niemalen ein anderer als ein Edelmann zum Gefreit-Korporal (Fahnen-Junker) gemacht werden soll« und entfernte nach dem Abschluß des Spanischen Erbfolgekrieges die bürgerlichen Offiziere334. Friedrich der Große hat wohl, wenn ihm die jungen Offizier-Aspiranten vorgestellt wurden und er darunter einen Bürgerlichen entdeckte, ihn eigenhändig mit dem Krückstock aus der Reihe herausgestoßen. Nur bei einem hervorragenden Talent ließ er auch Bürgerliche gelten und hielt z.B. viel vom General Wunsch, einem württembergischen Pfarrerssohn.

Nicht ganz so streng wie bei der Infanterie und Kavallerie war es bei der Artillerie und den Husaren. Die Artilleristen galten ja noch für eine Mittelstufe zwischen Technikern und Soldaten, und die Husaren sollten als leichte Kavallerie, so zu sagen eine Truppe von unternehmungslustigen Abenteurern bilden, denen auch grundsätzlich die Heiratserlaubnis versagt wurde. Der Husar solle sein Glück durch den Säbel machen, sagte Friedrich, und nicht durch die Scheide. Auch anderen Offizieren gab er den Heiratskonsens nur, wenn die Braut das genügende Vermögen nachwies und ebenso wie ihr Mann von Adel war.

Die Junker wurden oft schon mit 12 oder 13 Jahren in die Armee eingestellt.

Im Jahre 1806 waren von den 131 bürgerlichen Offizieren der Linie-Infanterie 83 in den Garnison-Bataillons und nur 48 in den Feld-Regimentern. Ähnlich wie in Frankreich ist aber auch in Preußen mit fingierten Adelsprädikaten nachgeholfen worden; es wird erzählt von gefälligen Kanzleibeamten, die die entscheidenden drei Buchstaben in die Personalpapiere hineinzupraktizieren wußten.

Das ursprüngliche Verhältnis zwischen dem Offizier und dem Kriegsherrn war wie bei den Landsknechten ein wechselseitiger Vertrag,[296] wie man es nannte, eine Kapitulation. Noch Derfflinger hat einmal dem Großen Kurfürsten wegen verletzter Kapitulation die Kriegsfolge verweigert. Die unteren Offiziere wurden von den Obersten angestellt. Ganz allmählich ist das in die Ernennung durch den Kriegsherrn selbst übergeleitet worden.

Der hierarchische Aufbau, vom Fähnrich und Leutnant bis zum Feldmarschall, oder sagen wir vom gemeinen Soldaten bis zum Feldmarschall ist in allen europäischen Staaten nahezu der gleiche. Spanisches, italienisches, französisches, deutsches findet sich darin, von einem Volk auf das andere übernommen335. Die merkwürdigsten Wandlungen macht das Wort »Marschall« durch, das eigentlich nur eine Pferdeknecht bedeutet, auf mancherlei bürgerliche Funktionen übertragen, militärisch (im französischen) auf dem Hufschmied und Wachtmeister haften geblieben, gleichzeitig aber aufgestiegen, ist bis zum Höchstkommandierenden. Der »Feldmarschall« erscheint im 16. Jahrhundert neben den Kommandeuren der Infanterie-Regimenter als Reiteroberst (bei Sievershausen hatte Albrecht Alcibiades drei Feldmarschälle), aber da die Reiterei ursprünglich das Heer war, so erscheint der Feldmarschall auch als Verwaltungs-Offizier oder Lager-Präfekt. Montecuccoli (II, 210) gibt diese Reihenfolge: Generalissimus, Generallieutenant, Feldmarschälle, General der Kavallerie, General der Artillerie, Feldmarschall-Lieutenant.

Preußen war ein durch Erbgang zusammengebrachter Zufallsstaat, der sich von der polnischen, später russischen bis zur holländischen Grenze erstreckte und dessen einzelne Landschaften durch keinerlei innere Interessen, sondern ausschließlich durch die Dynastie zusammengehalten wurden. Die Dynastie schuf das Beamtentum und schuf die Armee, die in diesem Staate die Einheit bildeten. Mangels eines anderen großen Momentes konnte es nur die ritterliche Vasallentreue sein, die das Offizierkorps mit dem Kriegsherrn verband. Die Bildung des Offizierkorps knüpft also[297] an die Traditionen des alten Schweradels an, der ja auch in den Marken und Koloniallandschaften, Brandenburg, Preußen, Pommern, Schlesien viel stärker vertreten war, als in den altdeutschen Gebieten westlich der Elbe. Immer wieder kommt Friedrich in seinen Schriften darauf zurück, daß Bürgerliche zu Offizieren nicht geeignet seien, da ihr Sinn nicht auf Ehre, sondern auf Erwerb gerichtet sei. Dem Edelmann schrieb er aber nicht nur die rechten Eigenschaften für den Kriegsdienst zu, sondern verlangte auch, daß er tatsächlich diene, und Friedrich Wilhelm I. ließ gewaltsam durch Landreiter zur Verzweiflung der Eltern die Knaben von den adligen Gutshöfen abholen und zu militärischer Erziehung in die Kadettenkorps bringen. Manche Eltern versuchten, um ihre Kinder zu behalten, vergeblich den Beweis anzutreten, daß sie nicht zum preußischen Adel gehörten. Der König aber blieb bei seinem Befehl und ließ ihnen sagen, daß er gut für die Knaben sorge336. Auch Friedrich hat in Schlesien die Junker auf diese Weise ausheben lassen.

Die Bildung, die die Kadettenkorps gaben, kam aber über eine Volksschule kaum hinaus und Männer wirklich höherer Bildung waren im preußischen Offizierkorps sehr selten. Die Vorstellung jener Gothenfürsten, daß, wer den Stock des Schulmeisters zu fürchten gelernt habe, kein tapferer Krieger sein werde (Bd. II, Buch IV, Kap. 1), war unter dem Adel noch nicht ausgestorben. Leopold von Dessau soll seinen Sohn Moritz gar nichts haben lernen lassen, um zu sehen, was die reine Natur vermöge. Friedrich selbst suchte seinen Umgang unter Franzosen. Kein Wunder, wenn Berenhorst schreiben konnte337: als 1741 etwas von Kolonnen befohlen worden sei, hätten die Herren sich untereinander gefragt: »Wat is denn nu Kolunnige? Eh wat, ick folge min Voddermann, wo deh hinmarschiert, ick och.« Noch bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts hat es bei uns Stabsoffiziere und General gegeben, die als ursprüngliche Plattdeutsche mit Dativ und Akkusativ nicht fertig zu werden wußten. Ich kann dazu noch einen hübschen persönlichen Beitrag liefern. Als ich im Jahre 1879 meinen Zögling, einen jungen Prinzen, aufs Kadettenkorps bringen wollte,[298] und darüber mit den Chefs des militärischen Erziehungs- und Bildungswesens, einem General der Kavallerie, verhandelte, versicherte dieser mir: »Auf der Grammatik lege ich einen besonderen Wert«.

In der Landsknechtszeit waren Offiziere und Soldaten auf dieselben Kriegsartikel verpflichtet worden. Die Bildung des adligen Offizierkorps führte zu gesonderten Bestimmungen. Friedrich Wilhelm I. setzte bald nach seinem Regierungsantritt neue Kriegs-Artikel für die Unteroffiziere und Gemeinen fest (12. Juli 1713) und erließ im Jahre 1726 ein besonderes Dienst-Reglement für die Offiziere. Der Offizier, heißt es hier, soll im Dienst unbedingt gehorchen, »es sei denn, daß er an seiner Ehre angegriffen wird«. Friedrich der Große hat das später dahin erläutert, daß, so lange der Dienst daure, der beleidigte Offizier stille sein müsse; »sobald aber der Dienst völlig vorbei ist, so kann derselbe wegen des Schimpfes gehörige Satisfaktion suchen«.

Das adlige Offizierkorps verbürgte dem König die Treue und Tüchtigkeit des Heeres. Das Offizierkorps sollte vermöge der Disziplin die Mannschaft so in der Hand haben, daß sie ihm jeder Gefahr Trotz bietend folgte, denn der Soldat müsse seinen Offizier mehr fürchten als den Feind. Als der König mit den Leistungen einiger Truppenteile in der Schlacht bei Zorndorf nicht zufrieden war, empfahl er den Offizieren die Anwendung des Stockes. Auch der römische Centurio hat ja seine Kompagnie mit der Weinrebe regiert und sie mit Hilfe dieses Instruments disziplinierte römische Legion hat Griechen und Barbaren, Hannibal und die Gallier und die Welt erobert.

Die Landsknechte hatten ihrer Zeit, was ich hier nachhole, das Recht gehabt, sich einen »Führer« oder »Ambosat« zu wählen, der sie den Offizieren gegenüber als der »stete Vorsprecher, Vater und Vormund« vertrat. Bei seiner Ernennung gelobte er den Mannschaften, »allezeit für sie als seine Söhne zu sprechen, eines jeden Not und Anliegen oder Gebrechen der Obrigkeit anzubringen«. Er vertrat auch ihre Interessen in Fragen der Löhnung, und die Knechte versprachen ihm, alle als ein Mann für ihn zu stehn, auch wenn er zu ihnen »ein Wort zu viel geredet hätte« und dadurch in der Obrigkeit Ungnade gekommen wäre. »Was dem Führer wegen der Knechte widerfährt, soll auch dem ganzen Fähnlein[299] widerfahren«. Schon vor dem dreißigjährigen Krieg eiferte Wallhausen gegen dieses Amt und verlangte die Abschaffung: »Der Führer schadet im Fähnlein mehr als er nutzt. Er ist nur sein Aufwiegler und in Meutereien der Soldaten Advokat«338. Wie weit war man jetzt, im 18. Jahrhundert, von solchen Einrichtungen entfernt! Je mehr man erkannt hatte, daß die besser disziplinierte Truppe der weniger disziplinierten überlegen sei, desto mehr hatte die subjektive Wohlfahrt und das Recht der Persönlichkeit diesem Gesetz des Krieges weichen müssen und die Forderung der Unterwerfung unter den Willen des Vorgesetzten, hatte nicht nur den Trotz des alten Landknechts gebrochen, sondern auch eine Maschinerie von einer Härte geschaffen, die im stärksten Kontrast stand zu den Begriffen der Humanität, die eben dasselbe Jahrhundert erzeugte. Die Gewalt der preußischen Offiziere über ihre Untergebenen war unbeschränkt und nicht einmal durch ein Beschwerderecht gemäßigt. Die einzige Erwägung, die auch einem rohen Hauptmann Vorsicht und Mäßigung gebot, war, daß er den Mann nicht etwa durch Mißhandlung dienstunfähig machte, aber ihn zur Desertion trieb, da er dann das Werbegeld für den Ersatz hätte hergeben müssen. Bei der Garde fiel dieses Moment fort, da hier nicht die Kapitäns, sondern der König die Kosten der Rekrutierung trug. Friedrich aber sah sich deshalb in jener schon oben angeführten Instruktion für die Garde veranlaßt, ausdrücklich zu sagen, es müsse mit Maßen gestraft und dürfe nicht beim Fuchteln gesagt werden, »hohle ihn der Teufel, der König muß einen anderen geben«. Wenn ein Offizier einen Kerl »ungesund stoße«, so solle er ihn bezahlen und auf sechs Monate nach Spandau kondemniert werden. Die Kapitäns sollten sich mehr um ihre Leute kümmern, aber »sie kosten ihnen nichts, also fragen sie auch gar nichts darnach«.

Die Vorstellung, daß die Kapitäns ein Interesse an der Erhaltung ihrer Leute haben müßten, um für sie zu sorgen, findet sich auch bei dem Marschall von Sachsen. Er verwirft in seinen »Rèveries« den Gedanken, die Rekruten von den Ständen stellen zu lassen, weil die Kapitäne sie dann verkommen ließen.[300]

Das Spießruten-Laufen endete aber nicht ganz selten mit zu Tode peitschen.

Man wird schon bemerkt haben, daß die Bildung der brandenburgisch-preußischen Armee sich sehr an das französische Muster anlehnt. Es ist ja die Epoche, wo die französische Kultur die Weltkultur ist und im besonderen die deutsche Bildung ganz im Banne der französischen steht. Die brandenburgische Armee erhielt noch im besonderen einen Zuschuß durch die ans Frankreich vertriebenen Hugenotten, die bei uns eine neue Heimat fanden. Im Jahre 1688 waren von 1030 brandenburgischen Offizieren mindestens 300, also weit über ein Viertel Franzosen, und als Kurfürst Friedrich III. im Jahre 1689 selber am Rhein kommandierte, waren vier von seinen zwölf Generalen Hugenotten. Auch in die Sprache der Armee gingen zahlreiche französische Ausdrücke über.

Vergleichen wir die französische und die preußische Armee des 18. Jahrhunderts, so ergeben sich bei Gleichheit der Grundelemente doch erhebliche Verschiedenheiten.

Das Exerzieren beschränkt sich bei den Franzosen auf die Einübung der nötigen Bewegungsformen; bei den Preußen wird tagtäglich geübt und der Dienst nimmt Offiziere wie Mannschaften unausgesetzt in Anspruch. Die Offiziere müssen in der Nähe ihrer Leute wohnen, um jeden Augenblick mit ihnen antreten zu können339.

In Preußen ist das Offizierkorps einheitlich, in Frankreich gibt es die Differenz zwischen den adligen und bürgerlichen Offizieren, vor allem aber zwischen dem Hofadel und dem Landadel; wir haben die hochvornehmen jungen Regimentskommandeure und Generale, die zu ihren Stellungen gelangen, ohne durch die strenge Schule der eigentlichen Offizierserziehung hindurchgegangen zu sein. Das kann einmal zum Vorteil werden, weil es die Möglichkeit gibt, wirkliche Kapazitäten jung an die Spitze der Truppen zu bringen. Schließlich aber ist nicht am wenigsten an dieser Stelle der Krankheitskeim zu suchen, der die Armee des Lilienbanners zersetzt hat. Die Hofgenerale des spanischen Erbfolgekrieges und des Siebenjährigen Krieges, die mit Frau v. Maintenon und[301] Frau v. Pompadour über ihre Kriegspläne korrespondieren und fortwährend gegen einander intrigieren, ermangeln der großen kriegerischen Entschlossenheit, die zuletzt in der Heerführung die entscheidende Eigenschaft ist. An persönlicher Tapferkeit und an Eifer fehlt es ihnen nicht, wohl aber an der eigentlich kriegerischen, den ganzen Mann einnehmenden Gesinnung. Prüft man, weshalb trotz großer numerischer Überlegenheit die französische Armee im Siebenjährigen Kriege gegen die Truppen von drei deutschen Kleinstaaten, Hannover, Braunschweig und Hessen, sehr wenig verstärkt durch einige Preußen und Engländer, nichts auszurichten vermochte, so stößt man immer wieder auf diesen Punkt340.

Sowohl die preußische wie die französische Armee ergänzen sich zu einem sehr erheblichen Teil aus Fremden; in Frankreich aber bilden diese Fremden eigene Regimenter; in Preußen hat es wohl auch vorübergehend kleine fremde Truppenteile gegeben, Hugenotten, Bosniaken, ungarische Husaren, polnische Ulanen, aber in der Hauptsache waren die Fremden als geworbene Soldaten in dieselben Regimenter eingestellt wie die ausgehobenen Kantonisten. Im Jahre 1768 soll die Armee bei 90000 Ausländern nur etwa 70000 Inländer gezählt haben341. Es scheint ein sehr großer Vorzug der französischen Armee, daß sie zum wesentlichsten Teil einen nationalen Charakter trug, aber militärisch macht sich dieser Vorzug im 18. Jahrhundert keineswegs geltend, da es doch nur der Abhub der Nation war, der sich in der Armee zusammenfand. Nichtsdestoweniger ist der Unterschied von weltgeschichtlicher Bedeutung geworden. Der nationale Charakter der französischen Armee war nicht potent genug, ihr eine besondere Kraft zu verleihen, aber wesentlich genug, um die bis zur Barbarei gehende Strenge der preußischen Disziplin zu verhindern. Die französische Armee hatte nicht die Prügelstrafe, noch viel weniger das unbeschränkte Prügelrecht der Offiziere und Unteroffiziere342. In Preußen war es bei[302] der Menge der schlechten Elemente, die der Armee aufgehalft wurden, unentbehrlich.

Als nach den immer wiederholten Mißerfolgen und Niederlagen des Siebenjährigen Krieges die Disziplin in der französischen Armee sehr wackelig geworden war, versuchte der Kriegsminister Saint Germain sie wieder herzustellen, indem er sie nach preußischem Muster reformierte und die Prügelstrafe einführte. Die Franzosen hatten Selbstbewußtsein genug, sich das nicht gefallen zu lassen, und der Versuch mußte wieder aufgegeben werden, aber nun ging die Disziplin völlig in die Brüche, und dieser Prozeß ging unaufhaltsam weiter, indem die Nation sich überhaupt der Autorität des Königtums abwandte und zu der Idee der Volkssouveränität überging. Die große französische Revolution, die die neue Epoche der Weltgeschichte heraufführte, wurde ermöglicht dadurch, daß die Armee den König verließ und sich der Volksbewegung anschloß. Die fremden, die Schweizer Regimenter blieben dem König treu, während die französischen Regimenter von ihm abfielen. Alle Versuche, noch nach Ausbruch des allgemeinen Krieges der Bewegung Einhalt zu tun und zur Ordnung zurückzukehren, erst unter Lafayette und dann unter Dumouriez scheiterten gerade an dem Widerstand der Armee, in der der Nationalstolz die Anhänglichkeit an den Kriegsherrn, der sich mit dem nationalen Gedanken im Widerspruch gesetzt hatte, überwog. Dadurch, daß Preußen kein nationaler Staat war und keine nationale Armee hatte, war das Aufkommen eines solchen inneren Widerspruchs ausgeschlossen. Die Fehler der preußischen Armee lagen an ganz anderer Stelle, wie es im Jahre 1806 schrecklich zu Tage kommen sollte.

Als einen letzten Unterschied zwischen der preußischen und der französischen Armee wollen wir endlich nicht unterlassen, uns klar[303] zu machen, wieviel größer im Verhältnis zur Volkszahl und wirtschaftlichen Kraft das kriegerische Aufgebot Preußens war.

Das Maximum seiner Streitkraft unter dem Königtum scheint Frankreich im letzten Jahre des Siebenjährigen Krieges, 1761, erreicht zu haben, wo es in Deutschland 140000, zu Hause und in den Kolonien 150000, im ganzen 290000 Mann unter den Fahnen hatte343. Das wäre etwa 11/5% seiner Bevölkerung. Beim Ausbruch der großen Revolution war die Armee nur 173000 Mann stark (79 französische, 23 fremde Infanterie-Regimente), das ist etwa 0,7%.

Die preußische Armee zählte im Dezember 1740 fast 100000 Mann344, das sind auf 2,24 Millionen Einwohner 4,4%; beim Tode Friedrichs waren es 200000 aber 31/3% der Bevölkerung, wovon jedoch 10 Monate des Jahres noch nicht die Hälfte (82700 Mann) bei der Fahne waren, immer noch etwa das Doppelte des Relativ-Satzes in Frankreich345.

Quelle:
Hans Delbrück: Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Berlin 1920, Teil 4, S. 273-304.
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