1756.

[390] Im Siebenjährigen Kriege steht Friedrich auf der Höhe seiner Kraft und seiner Leistung. Seine strategischen Grundsätze sind dieselben geblieben.

Er trat ein in den Krieg mit dem Bewußtsein der unbedingten Überlegenheit. Er hatte in der zehnjährigen Friedenszeit sein Heer in weit höherem Maße vergrößert und verbessert als seine Gegnerin. Seine Festungen in Schlesien waren ausgebaut. In seinem Staatsschatz lagen 16 Millionen Taler bar und er rechnete, daß er das reiche Kursachsen sofort in seine Gewalt bringen und dessen Kräfte mit denen Preußens vereinigen werde. Beide Gebiete zusammen hatten einen jährlichen Einnahmeüberschuß von 71/2 Millionen Taler, während Friedrich die Kosten eines Feldzuges auf nicht viel höher als 5 Millionen veranschlagen wollte. Politisch rechnete der König, daß Frankreich eingedenk der alten Eifersucht zwischen den Häusern Habsburg und Bourbon, Österreich nur mäßig unterstützen, auch finanziell zu hohen Leistungen gar nicht imstande sein werde. Rußland glaubte er durch England zurückhalten zu können und auch wenn das nicht gelinge, daß die Russen militärisch nicht viel leisten und selbst Rußland und Österreich zusammen ihm nicht gewachsen sein würden, da sie finanziell zu schwach seien. Selbst wenn Kaiser Franz in Erinnerung seines Titels als König von Jerusalem seiner Gemahlin aus seinem Privatvermögen einen Vorschuß leiste, so könne das nicht weit reichen.

Die Verhältnisse lagen so günstig (nach der Auffassung des Königs), daß man zweifeln könnte, ob es nicht jetzt für ihn angezeigt gewesen wäre, zu den Grundsätzen der Niederwerfungs-Strategie überzugehen. Die preußischen Regimenter konnten binnen sechs Tagen mobil gemacht werden; die sächsischen Truppen konnten aufgehoben werden, ehe sie versammelt waren; die Österreicher hatten noch so gut wie keine Vorbereitungen getroffen und mußten erst die Lücken ihrer Friedens-Aufstellung vervollständigen. Friedrich[390] hätte Ende Juli 1756, als die Lage politisch reif war, mit überwältigender Überlegenheit in Böhmen einbrechen können und man sieht nicht, wie die Österreicher ihm bis Wien hätten einen Widerstand entgegensetzen können, dem er nicht überlegen gewesen wäre.

Aber nirgends finden wir eine Spur, daß der König solche Gedanken auch nur erwogen hätte. Zunächst schob er den Angriff vier Wochen auf, als die Franzosen drohten, dann sofort ihrerseits gegen ihn vorzugehen. Damit gab er den Österreichern Zeit zu Rüstungen und ermöglichte den Sachsen, ihre Armee in dem festen Lager von Pirna zu konzentrieren. Friedrich aber rechnete, daß, wenn er den Krieg erst Ende August beginne, die Franzosen in diesem Jahr nicht mehr kommen würden, und nahm jene Nachteile in Kauf, weil er ohnehin keinen Niederwerfungsfeldzug beabsichtigte, sondern nur Sachsen und einen Teil des nördlichen Böhmen okkupieren wollte. Andernfalls hätte jene Drohung der Franzosen ihn natürlich veranlassen müssen, den Angriff nicht zu verschieben, sondern möglichst zu beschleunigen, um mit Österreich fertig zu sein, ehe die Franzosen den weiten Weg bis an die Saale zurückgelegt hatten. Hier wäre der Grundsatz »kurze kräftige Schläge und dann einen schnellen, vorteilhaften Frieden« (wie es 110 Jahre später geschehen ist) am Platze gewesen. Friedrich aber dachte ganz anders. Seine Forderung, daß Preußens Kriege kurz und lebhaft sein sollten, ist nicht im modernen Sinne zu verstehen, sondern im Verhältnis zu den Kriegen der voraufgehenden Epoche, die zehn, zwanzig, dreißig Jahre gedauert hatten.

Friedrich begnügte sich also in diesem Jahr, die sächsische Armee (18000 Mann) bei Pirna gefangen zu nehmen und Sachsen in seinen Besitz zu bringen, verzichtete aber nicht nur auf eine entscheidende Schlacht gegen die Österreicher, sondern ging auch aus Böhmen wieder zurück. Er hat bereits in diesem ersten Feldzug erfahren, daß der Krieg schwerer sein würde, als er es sich vorgestellt hatte. Bei Lowositz (1. Oktober) waren die Preußen infolge eines gegen den königlichen Befehl unternommenen gescheiterten Kavallerieangriffs eigentlich geschlagen und der König hatte das Schlachtfeld bereits verlassen, als er zurückgeholt wurde, weil die Preußen eine Vorstellung der Österreicher, die die preußischen Generale für die Hauptstellung hielten, nach schwerem Ringen den österreichischen[391] leichten Truppen entrissen hatten und nun die Schlacht für gewonnen hielten. Sie war es nicht, die Hauptstellung der Österreicher war kaum berührt und die Armee der preußischen vollauf gewachsen, aber der Erfolg blieb schließlich doch den Preußen, weil Browne seinen Vorteil nicht erkannte und die Schlacht nicht fortsetzte. Denn sein Plan war, nicht mit den Preußen zu schlagen, sondern durch eine überraschende Annäherung auf dem anderen Ufer der Elbe, also durch ein Manöver, den Sachsen die Möglichkeit zu geben, sich aus der Einschließung zu befreien, was dann mißlang433.

Man kann nicht sagen, daß es nach der Kapitulation der Sachsen (16. Oktober) für Friedrich unbedingt zu spät im Jahr gewesen wäre, noch einen Niederwerfungsfeldzug gegen die Österreicher zu führen. Er hatte noch immer eine erhebliche Überlegenheit, wenigstens 110000 gegen 80000. Aber das ist eine rein doktrinäre Betrachtung. Friedrich dachte gar nicht daran, und die innere Struktur seiner Armee ließ eine solche Strategie nicht zu.


Quelle:
Hans Delbrück: Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Berlin 1920, Teil 4, S. 390-392.
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