1757.

[392] Im Winter und Frühjahr 1757 bildete sich die furchtbare Koalition der drei großen Militärmärche, Österreich, Rußland und Frankreich gegen das kecke Preußen, die lange vorbereitet, doch in dieser Art von Friedrich nicht vorausgehen und erst durch sein eigenes Vorgehn zum Ausreifen gebracht worden war.

Friedrich hatte zunächst die Idee, sich defensiv zu halten, Schlesien preiszugeben, so weit es nicht durch die gut ausgebauten Festungen gedeckt wurde und das Gros der Armee nach Sachsen zu ziehen, um je nach den Umständen den Österreichern oder Franzosen, wenn und wo sie sich nähern sollten, auf den Hals zu fallen. Die Initiative sollte also, wie vor Hohenfriedberg, den Gegnern überlassen bleiben. Da schlug ihm Winterfeld vor, selber die Initiative zu ergreifen, schon im April in Böhmen einzufallen und die Österreicher zu schlagen, ehe die Franzosen zur Stelle sein konnten. Der König machte Einwendungen. Die Österreicher,[392] etwa ebenso stark wie die Preußen, waren ähnlich wie diese in vier Gruppen an der Grenze von Schlesien und Sachsen verteilt. Es war für die Preußen sehr schwierig, in dieser Jahreszeit, wo sie auf den Feldern für Mann und Roß noch nichts fanden, die ganze Verpflegung mitzuschleppen. Fand man eins der österreichischen Heere, im besonderen des Brownesche, das dem Erzgebirge gegenüber an der unteren Eger kantonierte, in einer festen Stellung und der König, der von Dresden kam, mußte vor dieser Stellung aus Mangel an Proviant wieder umkehren, so waren auch alle anderen Kolonnen in großer Gefahr und das ganze Unternehmen mißglückt. Friedrich verbesserte daher den Winterfeldschen Plan dahin, daß Schwerin von Schlesien aus, seinen Gegner zur Seite drückend, so marschieren sollte (über Jung-Bunzlau), daß er das Brownesche Korps im Rücken bedrohte, es damit aus seinen festen Stellungen herausmanövriert und auch dem König den Weg frei machte. Dabei hatte man dann auch die Aussicht, österreichische Magazine zu erbeuten, konnte tiefer ins Land eindringen und fand vermutlich Gelegenheit, auch einem oder dem anderen der österreichischen Heere eine Niederlage beizubringen.

Der Plan ist glänzend gelungen, aber doch nicht so, wie er gedacht war. Schwerin gelangte bis Jung-Bunzlau und hatte das Glück, noch gerade rechtzeitig zu kommen, um die Zerstörung des österreichischen Magazins in dieser Stadt zu verhindern. Ohne diesen Glücksfall wäre er in die größte Verlegenheit gekommen. Trotzdem konnte er nun nicht weiter in der vorgeschriebenen Richtung auf Leitmeritt oder Melnik, weil die Österreicher ihn von der anderen Seite bedrohten und er das in Jung-Bunzlau erbeutete Magazin nicht wieder preisgeben konnte434. Der Plan des Königs hatte sich also als unausführbar erwiesen, aber auch als unnötig, da Browne ohnehin schon, völlig überrascht durch den plötzlichen Anmarsch des Feindes, die festen Stellungen auf den Paschkopol wie hinter der Eger preisgegeben und den Rückzug auf Prag angetreten hatte.[393]

So geschah es, daß die von vier verschiedenen Punkten anrückenden preußischen Kolonnen sich bei Prag vereinigen konnten, ohne daß die Österreicher sie etwa noch in der Vereinzelung mit vereinigter Macht angefallen hätten. Im Gegenteil, von den vier österreichischen Heeresgruppen waren nur drei bei Prag vereinigt, während die Preußen hier jetzt ihre ganze Macht beisammen hatten.

Die Österreicher beschlossen jetzt, nicht weiter zurückzuweichen, sondern sich östlich von Prag zur Schlacht aufzustellen, wurden angegriffen, geschlagen und in Prag eingeschlossen (6. Mai). Aber ehe sie zur Kapitulation gebracht werden konnten, erschien nun eine Ersatz-Armee, schnitt den Preußen die Zufuhr aus Schlesien ab und zwang sie dadurch zu einer Schlacht unter den ungünstigsten Bedingungen, die bei Kollin (18. Juni) verloren ging.

Blickt man auf die Bestimmtheit, mit der Friedrich in diesem Feldzug der Schlacht zustrebt und auf die schließliche Idee, das feindliche Hauptheer durch Einkreisung völlig zu vernichten, so fühlt man sich versucht, anzunehmen, daß der König mit diesem Feldzug zur Niederwerfungsstrategie übergegangen sei. Aber so großartig das erscheint, so erkennt man bei näherem Zusehen, daß man mit dieser Auffassung den König nicht erhöhen, sondern herabsetzen, und weder seine Größe als Feldherr noch der Wahrheit gerecht werden würde.

Hätte Friedrich den Niederwerfungsgedanken verfolgt, so würde ihn der Vorwurf treffen, daß er sich dazu erst bekehrt hat, als es zu spät war. Im ersten Jahr des Krieges hätte er möglicherweise auf diesem Wege zum Ziele gelangen können, als die Österreicher noch ungerüstet waren; im Jahre 1757 war das Übergewicht der Preußen, wie der Erfolg bestätigt hat, nicht mehr groß genug.

Des weiteren müßten wir annehmen, daß der König sich des Wesens und der Tragweite seines eigenen Planes gar nicht bewußt geworden sei. Kurz vor dem Aufbruch teilt er ihn seinem Bundesgenossen, dem König von England und dem Feldmarschall Lehwaldt (10. und 16. April), der in Preußen kommandierte, mit, sagt aber durchaus nichts von einer Entscheidungsschlacht, sondern spricht nur von den Magazinen, die er den Österreichern nehmen wolle; dadurch hofft er, sie fast aus Böhmen zu verdrängen, oder wie es in dem andern Brief heißt, bis über die Beraun, das ist etwas[394] südlich von Prag, zurückzutreiben. Das ganze ist ihm ein »Coup«, mit dem er bis zum 10. Mai fertig zu sein hofft, um dann sich gegen Franzosen oder Russen zu wenden.

Zum dritten würde Friedrich, wenn er anders gedacht und Österreich in einem Zuge niederzuwerfen getrachtet hätte, sich eines schweren Fehlers in der Abschätzung der beiderseitigen Kräfte schuldig gemacht haben. Denn selbst wenn er bei Kollin gesiegt und die in Prag eingeschlossene Armee gefangen genommen hätte, so ist es dennoch höchst ungewiß, ob sich die tapfere Maria Theresia dadurch zu einem Frieden hätte bestimmen lassen435.

Der Feldzug von 1757 ist also ganz wie alle anderen Feldzüge Friedrichs aufzufassen unter den Gesichtspunkten der Ermattungsstrategie mit der Maßgabe, daß sich Friedrich in ihm dem Schlachtpol und damit der Niederwerfungsstrategie am meisten angenähert hat. Es hat keine grundsätzliche Abwandlung in seinen Anschauungen stattgefunden und er ist nicht plötzlich aus einem Extrem ins andere umgeschlagen. Der Vorwurf, den man ihm gemacht hat, daß sein ursprünglicher Feldzugsplan so »kleinmütig« sei, daß man es kaum begreifen könne, ist ebenso unberechtigt, wie der entgegengesetzte, mit dem sein Bruder Heinrich ihn nach Kollin verspottete, »Phaëton ist gefallen«. Friedrichs ursprünglicher Plan war, wie wir gesehen haben, die Gegner an sich herankommen zu lassen, um sie dann einen nach dem anderen anzufallen. Dieser Plan erfuhr eine Steigerung, indem man dem nächsten Gegner, den Österreichern gleich selber auf den Leib ging, und er erfuhr endlich eine neue Steigerung, als ganz unerwartet die Schlacht bei Prag dazu führte, daß das Gros der östereichischen Armee in der Festung eingeschlossen wurde und sich nun die Möglichkeit bot, diese ganze Armee gefangen zu nehmen. Noch am Morgen der Schlacht hatte Friedrich an dergleichen kaum gedacht, da die Österreicher mit dem linken Flügel an Prag angelehnt, Front nach Norden standen, sie also nach der Niederlage naturgemäß an Prag vorbei den Weg nach Süden genommen hätten. Bei der großen Überlegenheit, über die Friedrich gebot, hatte er ein Drittel seiner Armee unter Keith auf der Westseite von Prag gelassen,[395] das nunmehr den Österreichern den Rückzug nach dieser Seite durch die Stadt verwehrte, und hatte außerdem dem Prinzen Moritz befohlen, oberhalb der Stadt mit drei Bataillonen und 30 Schwadronen über die Moldau zu gehen, um die Österreicher auch noch auf ihrem Rückzug anzufallen436. Dieses Unternehmen mißglückte, da die Zahl der Pontons nicht ausreichte, aber Friedrich selbst hat so wenig Gewicht darauf gelegt, daß er in seinen Denkwürdigkeiten den Befehl überhaupt nicht erwähnt. Da die vorausgesetzte Rückzugstraße noch fast eine Meile von der Moldau entfernt ist, so hätte Moritz mit 4000 Mann auch wohl nichts Entscheidendes ausgerichtet. Immerhin ist Friedrichs Befehl ein Beweis, wie sehr er bemüht war, den Erfolg der Schlacht so hoch zu steigern, wie nur irgend möglich, und auch damit nähert er sich der Niederwerfungsstrategie. Das ganze Gefechtsbild aber wurde verändert dadurch, daß die österreichische Front sich von Norden her als unangreifbar erwies und die Preußen um sie herummarschierten, um vom Osten her anzugreifen. Die Österreicher nahmen dementsprechend eine neue Front, hatten also nunmehr den Rücken gegen die Stadt und wurden schließlich in diese hineingeworfen. Erst am nächsten Tage bemerkten es zu ihrem eigenen Erstaunen die Preußen und wurden sich nun erst klar, welcher ungeheure Erfolg ihrem Siege beschieden war. Jetzt also tauchte auch der Gedanke auf, die ganze österreichische Armee durch Aushungerung gefangen zu nehmen. Trotzdem bleibt der König im Rahmen der Ermattungsstrategie, denn für den Fall des Gelingens faßt er nicht ins Auge, nach Wien zu gehn, den Frieden zu erzwingen und sich dann mit ganzer Macht gegen die Franzosen zu wenden, sondern er nimmt an, daß der Krieg gegen Österreich fortzuführen ist und will nur 30000 Mann gegen die Franzosen detachieren.

Aber der ganze anscheinend ungeheure Glücksfall der Einschließung der feindlichen Armee war in Wirklichkeit, wie Clausewitz es bezeichnet hat, eine Tücke des Schicksals. Friedrich selber hat in einer späteren Schrift das Fehlschlagen seines Feldzugsplanes darauf zurückgeführt, »daß die Schlacht bei Prag, lediglich durch die Truppen gewonnen, die ganze Armee des Prinzen Karl nach Prag[396] hineinwarf, und so die Belagerung dieser Stadt unmöglich machte«. Es ist daher eine völlige Verkennung von Friedrichs Denkweise, wenn man meint, daß er diese Einschließung von vornherein beabsichtigt und zu diesem Zweck das Keith'sche Korps auf der Westseite von Prag gelassen habe. Der eigentliche und ursprüngliche Zweck dieses Korps war vielmehr, den Grundsätzen des Königs entsprechend, ganz derselbe, der ihn einst bestimmt hatte, während der Schlacht bei Kesselsdorf auf der Nordseite der Elbe zu bleiben. So wie er damals die Straßen und Verbindungen mit Berlin und Schlesien decken wollte, so sollte Keith die Verbindung mit Sachsen decken, und da er einmal auf diesem Ufer stand, so erhielt er auch den Auftrag, das Ausweichen der Österreicher nach dieser Seite zu verhindern und den Prinzen Moritz über die Moldau gegen den vorausgesetzten Rückzugsweg der Österreicher zu detachieren437.

Nicht also gemäß einem vorher entworfenen Plan ist der Feldzug durchgeführt worden. Die Grundidee, daß Schwerin von Schlesien hier durch Flankenbedrohung Browne aus seinen Eger-Stellungen herausmanövrieren solle, hat sich sogar als unerfüllbar erwiesen. Dennoch war es am letzten Ende Verdienst und Strategie, was den Erfolg brachte, die Überraschung erwies sich also so wirksam, daß die moralische Kraft der gegnerischen Führung nicht standhielt und man ohne Widerstand den Preußen die Wege freigab. Inkonsequent genug blieb man dann bei Prag stehn und gab wieder dem Feinde die so sehnlich erwartete Gelegenheit zum Zuschlagen.

Die Folgerichtigkeit seines Denkens hat den königlichen Feldherrn vor jeder Phantastik in seinen Plänen bewahrt, wie die Neueren sie ihm untergelegt haben. Wenn er schließlich nach etwas Unerreichbaren gegriffen und darüber Schiffbruch erlitten hat, so hat die Nachwelt ihm deshalb nicht mit einer Schuld belastet, denn es ist gesagt, »den lieb' ich, der Unmögliches begehrt«. Wie hätte er, der das Schicksal immer von neuem herausfordernde, von keinen Schlägen des Unglücks zu beugende Held sein können, wenn er die[397] unvergleichliche Gabe, die ihm eben das Schicksal entgegentrug, aus Vorsicht hätte ausschlagen wollen?

Auch die Schlacht bei Kollin hat er nicht geschlagen, um die »Belagerten in Prag zu entmutigen«, oder weil er prinzipiell die Schlacht suchte, sondern weil Daun ihm so nahe gerückt war, daß er nicht mehr gleichzeitig die Belagerung und die an dem Wege von Schlesien liegenden Magazine (in Brandeis und Nimburg) decken konnte. Die ganze fundamentale Verschiedenheit der friedericinischen Strategie von der anderen offenbart sich in der Tatsache, daß der König, noch als er von Prag gegen Daun aufbrach, den Wunsch und den Plan hatte, die Österreicher nicht anzugreifen, sondern sie durch Manövrieren zurückzudrücken. Friedrich hat es, nach einer sehr glücklichen Formulierung Otto Herrmanns für nötig gehalten, sich wegen seines Angriffs bei Kollin zu entschuldigen; ein anderer Feldherr hätte sich entschuldigen müssen, wenn er nicht angegriffen hätte. Weil er seine Magazine nicht entbehren konnte, konnte der König auch nicht, wie Napoleon und Clausewitz verlangt haben, Daun noch weiter herankommen lassen, um sich aus der Belagerungsarmee für die Schlacht zu verstärken. Es blieb nichts übrig, als Daun in der Stellung, die er genommen, anzugreifen oder die Einschließung von Prag aufzugeben, und in dieser Notlage entschloß sich Friedrich, das Äußerste zu wagen und Daun anzugreifen.

Aber die Schlacht bei Kollin ist nicht durch diesen oder jenen einzelnen Fehler verloren gegangen, sondern weil sie von vornherein, wie wir heute die Dinge übersehn, ungewinnbar war. Daun hatte 54000 Mann gegen 33000 in einer so vorteilhaften Stellung, daß nicht nur schwer heranzukommen, sondern auch jede Bewegung des Angreifenden von weit her zu erkennen bar. Auch bei Soor hat Friedrich eine große Überlegenheit geschlagen (22000 gegen 39000) und später bei Leuthen (40000 gegen 60000), aber bei Soor war der Angriff der Preußen, sei es überhaupt, sei es an der Stelle, wo er erfolgte, völlig unerwartet und die österreichische Führung traf keine rechtzeitigen Gegenmaßregeln. Da sie bei Kollin dazu in der Lage war und nicht versäumte, es zu tun, wenn auch erst im letzten Augenblick, so konnten die Preußen der Niederlage nicht entgehen und auch Friedrichs eigene Vorstellung, es hätten ihm[398] nur vier Bataillone gefehlt, um zu siegen, ist als eine Selbsttäuschung anzusehen und abzulehnen438.

Nachdem die Preußen Böhmen geräumt hatten, kam Friedrich auf seine erste Feldzugsidee, im Winter, die Gegner erst dann zu attackieren, wenn sie ihm näher kämen, zurück. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß er den schweren Krieg besser durchgehalten haben würde, wenn er von vorn herein auf diesem Boden verblieben wäre, denn der Erfolg seiner strategischen Offensive ist ihm wieder verloren gegangen, die Verluste aber, die ihm Prag und Kollin gekostet hatten, waren, wenn auch in der Zahl, doch in der Qualität nicht zu ersetzen. Die moderne Kritik scheint also mit ihrem Verdammungsurteil für das erste Projekt, ihrem Enthusiasmus über den ausgeführten Plan völlig im Unrecht zu sein. Aber so einfach liegt die Sache nicht. Ganz unrichtig ist es freilich, das erste Projekt als »kleinmütig« zu bezeichnen. Auch dieser Plan gipfelte ja bereits in dem Gedanken einer taktischen Offensive, und die strategische Offensive war, wie wir gesehen haben, nur die Steigerung eines ohnehin vorhandenen Gedankens. War nun auch der materielle Erfolg wieder verloren gegangen, so blieb doch ein moralischer Gewinn von unschätzbarem Wert, der außerordentliche Respekt, die heilige Scheu der feindlichen Führung vor den Entschlüssen, die dem Preußenkönig zugetraut werden könnten. Auch die Niederlage von Kollin hat diesem moralischen Prestige Friedrichs keinen Abbruch getan, auch nicht bei dem Sieger, dem Feldmarschall Daun. In der Tat ist Friedrich durch die Niederlage nur gewachsen. Statt sich durch den[399] Mißerfolg niederschlagen zu lassen, befestigte er sich nur in dem Gedanken, daß Manöver nicht genügten und daß er suchen müßte, seine Feinde in Schlachten zu bezwingen.

So ging er den Franzosen zu Leibe und schlug sie bei Roßbach, nicht weit von der Saale und dann den Österreichern und schlug sie in Nieder-Schlesien bei Leuthen. Bei Roßbach gelang der Schlag gegen doppelte Überlegenheit, als nach langem vergeblichen Bemühen Friedrichs, eine Gelegenheit zum Angriff zu finden, Hildburghausen und Soubise sich entschlossen, nunmehr ihrerseits zum Angriff zu schreiten. Sie waren dabei, das preußische Heer zu diesem Zwecke zu umgehen, als die Preußen plötzlich aus ihrem Lager vorbrachen und in den Flankenmarsch hineinstießen. Ehe die Franzosen und Reichstruppen sich recht entwickeln konnten, waren sie schon über den Haufen geworfen.

Bei Leuthen (40000 Preußen gegen 60000 bis 66000 Österreicher) gelang es den Preußen, den vollständig aufmarschierten Österreichern unvermerkt nicht eigentlich in, aber doch an die linke Flanke zu kommen. Friedrich hatte das Heer vier Treffen tief aufgestellt, hatte also eine sehr kurze Front, während die österreichische Aufstellung, um rechts und links eine Anlehnung zu haben, auf eine ganze Meile lang ausgerecht war. Die Preußen hatten also an der Angriffsstelle die Überlegenheit und schlagen den linken Flügel der Österreicher, ehe der rechte zur Stelle sein konnte. Es ist der Defensivgedanke, der den Österreichern das Verderben gebracht hat. Sie hatten, während der König mit den Franzosen beschäftigt war, den Herzog von Bevern von Breslau geschlagen, die Stadt eingenommen und auch die Festung Schweidnitz erobert. Statt nunmehr den Krieg mit ihrer Übermacht den Winter hindurch fortzusetzen und zur Entscheidung zu bringen, wollten sie in die Quartiere gehen, und als der König herannahte, schien es ihnen genügend, ihm in einer passenden Defensivstellung entgegenzutreten. Daß er es wagen würde, sie in dieser Stellung anzugreifen, (5. Dezember) erwarteten sie nicht; sie nahmen an, daß er abziehen werde und wären mit diesem Ergebnis zufrieden gewesen439. Die Konstellation hat also eine gewisse Ähnlichkeit mit derjenigen von Soor; auch dort[400] haben ja die Österreicher geglaubt, ihren Erfolg hauptsächlich durch den Aufmarsch erlangen zu können, und des eigentlichen Zuschlagens nicht oder erst später zu bedürfen. Das gab dem entschlosseneren Gegner die Möglichkeit, sich des taktischen Vorteils des Flankenangriffs zu bemächtigen und dadurch seinen Nachteil der numerischen Unterlegenheit wett zu machen und ins Gegenteil zu verkehren. Die Entschlossenheit siegte über die Mattigkeit. Hätten die Österreicher bei Leuthen sich auf die Preußen geworfen, während sie ihren Flankenmarsch machten, so wie Friedrich sich auf die Franzosen bei Roßbach warf, so hätte ihnen bei ihrer großen Überlegenheit der Sieg kaum entgehen können. Theoretisch fehlte ihnen diese Einsicht nicht. Kaiser Franz selber hat dem Oberkommandierenden, seinem Bruder Karl, schon im Frühjahr 1757 bei seiner Abreise zur Armee diesen Rat gegeben440. Aber zur Ausführung fehlte der Entschluß. Auch bei Prag haben die Österreicher die Preußen ihren Flankenmarsch machen lassen, ohne dazwischen zu fahren. Auch bei Kollin haben sie es nicht getan; aber hier mißlang das preußische Manöver dennoch, weil die Österreicher den Flankenmarsch rechtzeitig bemerkten und ihm in ihrer großen Überlegenheit durch Verlängerung ihrer Front entgegentreten konnten.

Die Führung ist bei Leuthen wieder das Entscheidende, aber die preußische Disziplin stellte ihr das rechte Instrument zur Verfügung, Truppenkörper, deren Ordnung, Schnelligkeit, taktische Gewandtheit die sichere Ausführung jedes Befehls gewährleistete. König Friedrich brachte es fertig, zunächst in der Richtung auf das österreichische Zentrum in vier Kolonnen nebeneinander vorzumarschieren und erst als er schon ganz nahe war, sich zu entscheiden, ob er sich gegen die rechte oder linke Flanke des Feindes wenden wolle. Dann erfolgte die Schwenkung und der Aufmarsch so schnell, daß die Österreicher schon angegriffen wurden, ehe sie die Situation nur recht erkannt hatten. Kein anderes Heer jener Zeit außer dem preußischen hätte das zu leisten vermocht.

Man kann es nicht genug betonen, daß es nicht die Theorie ist, die Friedrich von seinen Gegnern unterscheidet, sondern allein die Ausführung. Wie wenig Friedrichs Gegnern die theoretische[401] Einsicht in den Wert einer gewonnenen Schlacht fehlte, zeigt auch die russische Heerführung dieses Jahres.

Die »Konferenz« in Petersburg gab Apraxin die Instruktion, »Die Einnahme nicht nur von Preußen, sondern selbst noch weiterer Gebiete erachten wir für nichts, wenn es Lehwaldt gelingt, dieses Königreich (Ostpreußen) zu verlassen und sich mit dem Könige zu vereinigen«. Er soll also Lehwaldt schlagen. Demgemäß erhielten die russischen Irregulären unter General Sibilski den Auftrag, die Preußen zu umgehn und so lange aufzuhalten, bis die Armee herankomme und sie schlagen könne441.


Quelle:
Hans Delbrück: Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Berlin 1920, Teil 4, S. 392-402.
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