Kriegsverbrechen und Verbrechen

gegen die Menschlichkeit.

[253] Das auf Kriegsverbrechen bezügliche Beweismaterial ist überwältigend gewesen, sowohl was den Umfang betrifft, als auch in seinen Einzelheiten. Es ist unmöglich, in diesem Urteil einen angemessenen Überblick darüber zu geben oder die in Form von Dokumenten oder mündlichen Aussagen vorgelegte Materialmasse zu berücksichtigen. Fest steht, daß Kriegsverbrechen in größtem Ausmaße verübt worden sind, wie nie zuvor in der Kriegsgeschichte. Sie wurden in allen von Deutschland besetzten Ländern und auf hoher See begangen, und zwar ferner unter allen nur erdenklichen Begleiterscheinungen von Grausamkeit und Schrecken. Kein Zweifel [253] kann darüber bestehen, daß sie größtenteils aus der Auffassung der Nazis vom »totalen Krieg« stammen, mit der die Angriffskriege geführt wurden. Denn bei dieser Auffassung des »totalen Krieges« werden die den Konventionen zu Grunde liegenden sittlichen Ideen, die den Krieg menschlicher zu gestalten trachten, als nicht länger in Kraft oder Geltung befindlich angesehen. Alles wird dem gebieterischen Diktat des Krieges untergeordnet. Regeln, Anordnungen, Versicherungen und Verträge, eines wie das andere, haben keine Bedeutung mehr; befreit vom hemmenden Einfluß des Völkerrechts wird so der Angriffskrieg von den Nazi-Führern auf möglichst barbarische Weise geführt. Demgemäß wurden Kriegsverbrechen begangen, wann immer und wo immer der Führer und seine engsten Mitarbeiter sie als vorteilhaft betrachteten.

Zum größten Teile waren sie das Ergebnis kalter verbrecherischer Berechnung.

In manchen Fällen wurden Kriegsverbrechen mit Vorbedacht lange im vorausgeplant. Im Falle der Sowjetunion sind die Ausplünderung der zu besetzenden Gebiete und die Mißhandlung der Zivilbevölkerung bis in die geringste Einzelheit festgelegt worden bevor der Angriff begann. Bereits im Herbst 1940 ist der Überfall auf die Gebiete der Sowjetunion in Erwägung gezogen worden. Von diesem Zeitpunkt an wurden andauernd die Methoden besprochen, die zur Vernichtung jedes nur möglichen Widerstandes angewendet werden sollten.

In ähnlicher Weise hat die deutsche Regierung bei Aufstellung der Pläne für die Ausnützung der Bewohner der besetzten Gebiete zur Sklavenarbeit in größtem Maßstab diese Maßnahme als wesentlichen Bestandteil der Kriegswirtschaft angesehen, und dieses besondere Kriegsverbrechen bis in die letzten fein ausgearbeiteten Einzelheiten geplant und organisiert.

Andere Kriegsverbrechen, wie die Ermordung entwichener und wieder eingebrachter Kriegsgefangener, oder die Ermordung der Kommandos gefangener Flieger, oder die Vernichtung der Sowjet-Kommissare, waren das Ergebnis direkter, über die höchsten Dienststellen geleiteter Befehle.

Der Gerichtshof beabsichtigt daher, sich ganz allgemein mit der Frage der Kriegsverbrechen zu befassen, und später anläßlich der Prüfung der diesbezüglichen Verantwortlichkeit der einzelnen Angeklagten auf sie zurückzukommen.

Kriegsgefangene wurden mißhandelt, gefoltert und ermordet, nicht nur unter Mißachtung der anerkannten Regeln des Völkerrechts, sondern unter vollständiger Außerachtlassung der elementarsten Vorschriften der Menschlichkeit. Zivilpersonen in besetzten Gebieten erlitten das gleiche Schicksal. Ganze Bevölkerungen wurden nach Deutschland deportiert, um an Verteidigungswerken, in der Rüstungsindustrie und ähnlichen, mit dem Kriegseinsatz zusammenhängenden [254] Aufgaben, Sklavenarbeit zu leisten. Geiseln sind in sehr großer Anzahl aus den Zivilbevölkerungen aller besetzten Länder genommen und erschossen worden, wann und wie es den Deutschen gerade paßte. Öffentliches und privates Eigentum wurden planmäßig geraubt und geplündert, um Deutschlands Hilfsquellen auf Kosten des übrigen Europas zu vergrößern. Städte und Ortschaften und Dörfer wurden mutwillig zerstört, ohne jegliche militärische Rechtfertigung oder Notwendigkeit.


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 1, S. 253-255.
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