11. Die Bekehrung eines Dominikaners zum Judentum als Veranlassung zur Judenvertreibung aus England.

[426] Zwei geachtete jüdische Chronographen, Samuel Usque und Ibn-Verga, erzählen aus einer älteren Quelle, nämlich dem Martyrologium des Prophiat Duran (Ephodi), das Faktum von der Bekehrung eines Mönches zum Judentum in England und bringen damit die Ausweisung der Juden aus diesem Lande in pragmatische Verbindung. Sie begehen aber scheinbar den Anachronismus, daß sie diese Vertreibung um ein halbes Jahrhundert zu früh ansetzen. Darum haben neuere Bearbeiter der jüdischen Geschichte seit Basnage auf dieses Faktum keine Rücksicht genommen und noch weniger es als Veranlassung zur Vertreibung angesehen. Aber das Faktum ist wahr und der Pragmatismus ist richtig. Es wird zunächst von einem zeitgenössischen christlichen Chronikschreiber, von dem Fortsetzer der Chronik des Florenz von Worcester, erzählt (Florentii Wigoriensis monachi Chronicon ed. Thape London 1747. Der erste Teil ist längst ediert, die continuatio ist aber durch diese neue Ausgabe bekannt geworden). Dort heißt es T. II, p. 214, zum Jahre 1275: Londoniis quidam de ordine praedicatorum, dictus frater Robertus de Redingge, praedi cator optimus, lingua Hebraea eruditissimus, apostavit et ad Judaismum convolavit, atque Judaeam ducens uxorem se circumcidi atque Haggaeum fecit nominari. Quem accercitum et contra legem Christianam audacter disserentem rex (Eduardus) archiepiscopo commendavit Cantuariensi. Der Schluß fehlt [426] offenbar in der Quelle. Denn wenn der Erzbischof von Canterbury die Sache in die Hand genommen hat, so wird der abtrünnige Mönch wohl schwerlich mit heiler Haut davon gekommen sein. Es müßte denn sein, daß de Redingge Reißaus und seinen Aufenthalt in einem toleranteren Lande genommen hat, wie die sekundären Quellen angeben.

In dieser Chronik von dem Fortsetzer des Florenz von Worcester wird zwar nicht erzählt, welche trübe Folge der Übertritt des Mönches zum Judentume herbeigeführt hat, aber angedeutet ist es; denn von diesem Jahre 1275 an bis zur Vertreibung 1290 sind in dieser Chronik fast jedes Jahr Judenverfolgungen wegen falscher oder halbwahrer Anklagen aufgezeichnet. Namentlich zeigte sich seit der Zeit die Königin-Mutter Leonora als erbitterte Judenfeindin. Sie ließ noch in demselben Jahre die Juden aus der ihr gehörigen Stadt Cambridge verjagen (das. p. 215): Ejecti sunt Judaei a Canabrigia per reginam matrem regis. Daß ihr Einfluß auf die Vertreibung der Juden aus England eingewirkt hat, bemerken die Annales Wa verlienses ausdrücklich ... procurante Domina Alienora, matre dicti regis Angliae (expulsionem Judaeorum) (bei Gale, Historiae Angliae scriptores II, p. 242). Wir können uns also hinter der Feindseligkeit der Königin-Mutter die Dominikaner denken, welche die ihnen widerfahrene Schmach durch den Übertritt eines ihrer begabtesten Mitglieder zum Judentume an den Juden rächen wollten, wie die jüdischen Sekundärquellen (wohl aus der genannten zuverlässigen Primärquelle des Prophiat Duran) ausdrücklich angeben. Ibn Verga in Schebet Jehuda No. 20: תכמ דחא רמוכ ענצהב רייגתנו דואמ הפי השא קשח שירודאקידירפ םיארקנה ףסונ הפרחל םהל הז היה ... םישרודה תכהו .השאל ול החקלו הבשחו ... הכלמה לא םירומוכה לכ וכלהו ... םידוהיה תאנש לע םידוהיהמ הדובכ תמקנ חקת ךיא תובשחמ. Ähnlich Samuel Usque, der poetisierende Historiker (in seinen consolaçaõs, Dialogo III, No. 12) ... deram cocasio a um frade pregador, queda muita fermosura de una Judia se namorase ... tomou por remedio solrar os habitos de sua religiae e cristiandade e vestir aquelles de Judaismo, fazendose mui encubertamente Ebreo ... e achando por grande enjuria todos los frades o que aquelle commetera ... procuraran po meo da rainha ... y encitarem ei Rey contra os Judeos. Unter der »Königin« ist die Mutter des Königs Edward I. zu verstehen. Diese war bigott und boshaft genug, um den erbitterten Dominikanern als Werkzeug dienen zu können. Dem klugen und gerechten König selbst konnten die Mönche nicht direkt und nicht sobald beikommen. Erst nach und nach wurde auch er gegen die Juden erbittert.

Die Einkerkerung sämtlicher englischer Juden wegen Anschuldigung der Münzfälschung und Münzbeschneidung 1278 (bei Florenz von Worcester a.a.O. p. 220, 21 und bei Rymer und Tovey) war schon eine schreiende Ungerechtigkeit, hatte aber noch einen matten Schein von Grund, aber die Einkerkerung derselben vom Jahre 1287 war eine tyrannische Willkür. Sie ist durch einen einfachen Stein mit roher Inschrift verewigt, welche der Nachwelt den Schmerz der Eingekerkerten verkündet. Die genannte Chronik teilt dieses Faktum mit (a.a.O., p. 238): Judaei per totam Angliam cujuscunque aetatis aut sexus die Veneris, in crastino Apostolorum Philippi et Jacobi (2. Mai 1287) securae sunt custodiae mancipati, qui tandem regem de XII millia librorum ei solventes ... propria quisque redierunt. Der Stein, in den ein Eingekerkerter, namens Ascher, hebräische Buchstaben eingegraben, und [427] der dem gelehrten Staatsmanne und Hebraisten Selden bei der Enträtselung so viel Kopfzerbrechen gemacht hat (de gentium II, c. 6, p. 190) sagt dasselbe aus:


ויה ריא 'ו ... םוי

ידוהי לכ םיסופת

'נש יאה ץרא

ףלאל 'פל ז"מ

רשא ינא ישש

יתקקח.


Freitag, 2. Mai 1287, fiel auf den 16. Ijar. Man muß also lesen: 'וכו םידוהי לכ םיסופת ויה רייא ו"י 'ו ... םוי, was Selden nicht entziffern konnte, wie er die Wörter ץרא יאה, sonderbar genug mit »istae terrae« wiedergab, während es bei jüdischen Schriftstellern »das Inselland England« bedeutet.

Daß zuletzt sämtliche Juden Englands und auch der englischen Besitzungen auf Anstiften der Königin-Mutter, d.h. in letzter Reihe der Dominikaner, ausgewiesen wurden, ist bereits angegeben. Zwei englische Chronikschreiber, welche die Tatsachen trocken mitteilen, geben keinen Grund der Vertreibung an und legen den Juden keinerlei Verbrechen zur Last, um die tyrannische Maßregel zu beschönigen. Der Fortsetzer des Florenz von Worcester berichtet zum Jahre 1290: accepta a totis communitatibus bonorum temporalium quinta decima, dominus rex omnes cujuscunque sexus aut aetatis per universam Angliam habitantes Judaeos, absque spe remeandi, perpetuo damnavit exilio. Ein anderer zeitgenössischer Chronist, Mattheu of Westminster, erzählt die Austreibung mit mehr Details (Flores temporum ed. Frankfurt p. 414) ad 1290: Circa hos dies, scil. 31. Augusti, Judaeorum exasperans multitudo, quae per diversos orbes et intra fortia habitabat per retroacta tempora confidenter, jussa est cum uxoribus et parvulis suis una cum bonis suis mobilibus ab Anglia cedere, circa festum omnium Sanctorum, quod eis pro termino ponebatur quem sub poena suspendi transgredi non est ausa: quorum numerus erat (ut credebatur) 16511. Exierat etiam tale edictum a laudabili rege Anglorum in partibus Aquitaniae, a qua omnes Judaei pariter exulabantur.

Es ist wohl zu merken, daß von diesen heimischen und nicht sehr judenfreundlichen Schriftstellern mit keinem Worte die Münzfälschung einiger Juden, als – sei es auch nur entfernte – Veranlassung zur Ausweisung, erwähnt wird. Die Anklagen wegen Münzverschlechterung hatten zwölf Jahre vor dem Exil gespielt, und der kluge Edward I. hatte dabei die Erfahrung gemacht, daß den Juden von ihren Feinden falsche Münzen untergeschoben worden waren, um ein Objekt zur Anklage zu haben; der König hatte dem durch ein Gesetz eine Schranke gesetzt. Wenn selbst jüdische Quellen die Münzfälscherei als letzten Grund zur Ausweisung der englischen Juden angeben, so wußten sie nicht, was hinter den Kulissen vorging, daß die Dominikaner wegen der Apostasie des Robert de Redingge an den Juden Rache nahmen. Von der Münzfälschung als Veranlassung zur Vertreibung berichtet eine Quelle in Schebet Jehuda No. 18 und ein Zeitgenosse in den Responsen des Meïr von Rothenburg ed. Lemberg No. 246 הלא ידי לע וכפשנ םימד המכ תפרצ יבשוי וניחאל והובירחאר ונייה תועבטמ ילסופ הלאכו יאהו.

[428] Den Tag der Auswanderung der Juden von London gibt das red book of exchequer bei Tovey, Anglia Judaica p. 232 an, nämlich den Dienstag Morgen, den Dionysiustag = 9. Oktober 1290. Wenn die jüdischen Quellen das Faktum um 50 oder 30 Jahre früher anzusetzen scheinen, so beruht das lediglich auf Korruptelen. Wenn Ibn-Verga (a.a.O.) datiert: הזה שוריגה היהו הריציל םירשעו םיפלא 'ה תנש (הריטאלגניא שוריג), so muß man sich das Wort םירשע in das Zahlzeichen כ umgewandelt und dieses als korrumpiert aus נ' denken also ‘נ 'ה = 1290. Dasselbe Verfahren muß man mit dem Datum bei Usque anstellen (a.a.O.), wo er in dem ersten Teil ganz richtig den Übertritt des Dominikaners mit der Feindseligkeit der Königin (-Mutter) und der Vertreibung der Juden aus England in Kausalnexus bringt. Er hat, wie am Rande angegeben ist, dieses Faktum aus einer anderen Quelle geschöpft. Diese war eine hebräische und zwar, wie jetzt zur Gewißheit geworden ist, das תודמשה ןורכז von Prophiat Duran. Wenn nun Usque in der Überschrift das Datum hat Yngraterra anno 5002, so hatte seine Quelle 'ב 'ה. Auch hier muß man das ב' in נ' verwandeln, als ein Korruptel, das entweder schon Usques Quelle hatte, oder von ihm selbst eingeführt wurde. Den Vorfall von dem Übertritt des Dominikanermönches zum Judentum mit seinen trüben Folgen für die Juden Englands hat auch, wie schon gesagt, das Schebet Jehuda No. 20 aus einer deutschen Chronik םימיה ירבדכ) (םיזנכשאל, wohl dieselbe Quelle, die auch Usque benutzt hat. Nur kommen in Schebet Jehuda zwei Fehler vor. Zunächst ist da England mit Frankreich verwechselt (רייגתנש רמוכ ידי לע) ללוכ שורג היה תפרצ תוכלמב. Dort wird der bekehrte Mönch (de Reddinge) als Beichtvater der Königin ausgegeben: אוהה רמוכה ארקנה ומע תדותמ התיה הכלמה יכ בושח שיא (רייגתנש) ינינע לכ הל ודיגיו הכלמה לא םירמכה ... וכלהו רושיפנוק והורייג םידוהיה ךיאו רושיפנוקה. Das ist aber falsch und beruht wohl auf Mißverständnis der Grundquelle. Denn Usque gibt richtig an, daß die Dominikaner durch den Beichtvater der Königin (-Mutter) diese, den König und das Volk gegen die Juden einnehmen ließen, procuraran (os frades pregadores) por meo da rainha, que tin a um pregador, seu parente, com quem se confessava, incitarem el Rey etc. – Usque erzählt in der darauffolgenden Nummer, daß den aus England exilierten Juden die jungen Kinder gewaltsam genommen und im Christentum erzogen worden seien, und daß diese später unter dem darauffolgenden Könige auf die Probe gestellt worden wären durch zwei Zelte, auf deren einem die Thora und auf dem andern das Kreuz gemalt gewesen sei. Diese Fabel stammt aus dem Fortalitium fidei des in Anhäufung von Fabeln zum Nachteil der Juden unerschöpflichen Alfonso de Spina. Wir haben gesehen, daß die zeitgenössischen englischen Chroniken kein Wort von der gewaltsamen Bekehrung jüdischer Kinder haben, daß sie im Gegenteil angeben, die Juden seien mit ihren Frauen und Kindern abgezogen. Auch die Urkunden bei Rymer und Tovey bezeugen, daß Edward bei der Austreibung der englischen Juden den Behörden die größte Schonung eingeschärft hat. Gedalja Ibn-Jachja in Schalschelet (p. 92 b) hat die beiden Berichte von der Bekehrung des Mönches und dem Exil der Juden, der gewaltsamen Taufe der Kinder und der Probe mit den zwei Zelten zusammengeschweißt. Er hat diese Nachricht wahrscheinlich aus Usques Consolaçaõs entlehnt, wie vieles andere. Er beginnt den Bericht: תנשב םע אשנהל ידכ הריטלגניאב לומינ דחא רמוכ 'כ םיפלא 'ה תידודי. Auch hier muß man [429] כ 'ה' in נ 'ה' emendieren, so daß in betreff des Exiljahres der Juden aus England kein Widerspruch besteht. Schließlich sei noch bemerkt, daß der Zug in den jüdischen Sekundärquellen, de Reddinge sei aus Liebe zu einem jüdischen Mädchen zum Judentum übergetreten, und daß er es heimlich getan, von dem Bericht in der Chronik des Flo renz von Worcester widerlegt wird.


Quelle:
Geschichte der Juden von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart. Leipzig [1897], Band 7, S. 426-430.
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