1. Kapitel. Die Nachwehen des schwarzen Todes. (1359-1380.)

Versprengung und Verminderung der Juden. Allmähliche Rückkehr in ihre alten Wohnsitze in Deutschland und Frankreich. Gier der Fürsten nach Judenbesitz. Die goldene Bulle und die Juden. Rückkehr der Juden nach Frankreich. Manessier de Vesou und sein Eifer. Privilegien der französischen Juden unter Johann und Karl V. Verfall des Talmudstudiums diesseits und jenseits des Rheins. Matthatia, Oberrabbiner in Frankreich. Meïr Halevi von Wien und der Morenu-Titel. Samuel Schlettstadt und seine Schicksale. Gemetzel in Elsaß. Die Rabbinersynode von Mainz. Der Würfelzoll.


Wenn ein Reisender, gleich Benjamin von Tudela, in der zweiten Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts durch Europa gewandert wäre, um die jüdischen Gemeinden zu besuchen, zu zählen und zu schildern, so hätte er ein trostloses Bild von denselben entwerfen müssen. Von den Säulen des Herkules und dem atlantischen Meere bis zu den Ufern der Oder oder der Weichsel hätte er in vielen Gegenden gar keine Juden und meistens nur winzige, verarmte oder jammernde Gruppen angetroffen, welche noch an den schweren Wunden bluteten, die ihnen hier die rohen Fäuste der durch die Pest verwilderten Volksmassen und dort der verzweifelte Bruder- und Bürgerkrieg geschlagen hatten. Nach menschlicher Berechnung stand damals der Untergang der Juden im Westen und in der Mitte Europas nahe bevor. Die von den unbarmherzigen Metzeleien und der verzweifelten Selbstentleibung verschont Gebliebenen hatten den Lebensmuth eingebüßt. Die Gemeinde-Verbände waren meistens zersprengt. Die Erinnerung an die erlittenen Gräuelscenen zitterte noch lange nach und ließ dem schwachen Ueberrest keine Hoffnung [1] auf baldige Besserung. Die tiefempfundenen elegischen Verse des englischen Dichters (Lord Byron):


»Die wilde Taube hat ihr Nest,

Der Fuchs seine Höhle,

Der Mensch sein Vaterland,

Israel nur das Grab«,


diese Verse passen zwar auf die ganze mittelalterliche Geschichte der Juden, aber auf keine Zeit treffender als auf diese. Der Westen und die Mitte Europas war ein großes Grab für die Nachkommen der Patriarchen und Propheten geworden, dessen weitgeöffneter Schlund nach immer neuen Opfern schnappte.

Waren sie früher als Gottesmörder geächtet, so wurden sie seit der Zeit des schwarzen Todes als Menschenmörder, als Vampyre, als Gierige nach dem Blut der Christen verabscheut. Die schauderhafteste Unthat wurde glaubwürdig befunden, wenn sie einem Juden zur Last gelegt wurde. Die Poesie selbst, welche die Herzen mildern sollte, träufelte Gift gegen die Juden. In die harmlose oder lehrhafte Erzählung aus heidnischer Zeit von der Verpfändung eines Pfundes Fleisch für ein Darlehen – in vielfachen Wendungen dargestellt – daß ein Unterthan oder ein Kaufmann auf Ausschnitt des verpfändeten Fleischtheiles von einem Herrn oder einem Ritter aus Rache besteht, in diese Erzählung hat ein italienischer Dichter einen blutdürstigen Juden hineingezogen, um sie glaubwürdig zu machen. Der italienische Novellendichter Giovanni Fiorentino1 in der Sammlung Pecorone (um 1376) hat einem Juden aus Mestre die gehässige Rolle zugetheilt, daß er auf dem Pfunde Fleisch von dem christlichen Schuldner besteht, um Schadenfreude an dem Schmerze und Tode eines Christen zu genießen. Daß ein Kaufmann einem Ritter oder ein Christ einem andern gegenüber solchen Blutdurst zeigen sollten – Pfui! Das ist undenkbar, aber ein Jude, ja, das ist etwas anderes, jeder Leser würde es glaublich finden. Der Wahn aus der Zeit des schwarzen Todes hat den ersten Ansatz zur Schöpfung des angeblich von Haß gegen Christen erfüllten Shylock geliefert.

Merkwürdiger Weise waren die Juden, trotz des giftigen Hasses der christlichen Bevölkerung gegen sie, dieser unentbehrlich geworden. Nicht blos Fürsten, sondern auch Städte und selbst Geistliche waren von einer förmlichen Sucht besessen »Juden zu haben«. Kaum wenige Jahre nach der blutigen Raserei in Folge des schwarzen Todes [2] hatten in Deutschland Bürger und ihre Schöppen nichts Eiligeres zu thun, als Juden wieder aufzunehmen; sie vergaßen schnell ihren Eid, daß in ihren Mauern in hundert oder zweihundert Jahren kein Jude wohnen dürfe2. Der Bischof von Augsburg bewarb sich beim Kaiser Karl IV. um die Befugniß, »Juden zu heimen und aufzunehmen«3. Die Kurfürsten, die geistlichen wie die weltlichen, waren förmlich darauf versessen, das bis dahin ausschließliche Recht der deutschen Kaiser, Kammerknechte zu besitzen, zu beschränken und es sich als Machtbefugniß übertragen zu lassen. Namentlich war der damalige Erzbischof von Mainz, Gerlach, außerordentlich rührig, dem Kaiser Karl IV. dieses Recht abzuringen. Und es gelang ihm auch, da dem Kaiser daran gelegen war, die Kurfürsten in guter Stimmung für sich zu erhalten. Auf dem Reichstage zu Nürnberg (November 1355), wo eine Art deutscher Reichsverfassung, bekannt unter dem Namen »die goldene Bulle«, gegeben wurde, ertheilte der Kaiser sämmtlichen Kurfürsten für alle Zeiten – nächst dem Regal für aufzufindende Metall-Minen und Salzbergwerke – auch die Befugniß, Juden zu halten4, das heißt, er räumte ihnen auch diese Einnahmequelle neben den andern von Metallgruben und Salinen ein. Aber nur den Kurfürsten gestand der Kaiser dieses Recht zu; über die Kammerknechte unter der Gewalt der kleineren Fürsten und der Städte behielt er sich sein Recht vor. Der erzbischöfliche Kurfürst von Mainz beeilte sich, sofort von dem neuerworbenen Rechte Gebrauch zu machen und gewann einen Juden, der für ihn andere förmlich werben sollte5. So wurden die Juden zugleich abgestoßen und angezogen, gemieden und gesucht, geächtet und [3] umworben. Sie wußten aber recht gut, daß sie nicht um ihrer selbst willen gesucht wurden, sondern wegen des Nutzens, den die Obrigkeit und die Bevölkerung von ihnen zogen. Wie sollten sie sich nicht auf Geldgewinn verlegen, da sie nur dadurch ihr kümmerliches Dasein fristen konnten?

Wie in Deutschland, so suchten auch die Herrscher von Frankreich aus finanziellen Rücksichten den Juden wieder Zutritt in ihr Land zu gestatten. Dort war durch die häufigen Kriege mit den Engländern besonders seit der Gefangennahme des Königs Johann (September 1356) ein Nothstand eingetreten, der dieses ritterliche Land zu einer Provinz der englischen Krone zu machen drohte. Es fehlte vor allem an Geld. Selbst für die Auslösung des gefangenen Königs mochten die zusammenberufenen Stände keine Mittel bewilligen oder knüpften schwere Bedingungen an die Bewilligung. Der Bürgerstand machte einen Aufstand und ermuthigte auch die Bauern, sich von dem Joche des Adels zu befreien. Im ganzen Lande herrschte Anarchie. Da erschienen dem jungen Dauphin Karl, welcher während der Gefangenschaft des Königs (1356-1360) die Regentschaft führte, die Juden mit ihrer Finanzoperation wie rettende Engel, den Staat vom Abgrunde zu entreißen. Ein kluger Jude, Manessier (Manecier) de Vesou betrieb mit vielem Eifer die Rückkehr der Juden nach Frankreich, wo sie ein halbes Jahrhundert vorher verbannt, wieder zugelassen und wieder verbannt worden waren (Bd. VII2. S. 264. 275). Der Dauphin-Regent hatte zwar selbständig einzelnen Juden die Erlaubniß zur Rückkehr ertheilt, aber wenn das verarmte Frankreich oder der Hof Nutzen davon haben sollte, so mußte diese Rückkehr in großer Masse geschehen. Er fand daher den Plan, welchen Manessier ihm vorgelegt hatte, durchweg annehmbar. Er bewilligte ihre Rückkehr auf zwanzig Jahre und räumte ihnen die allergünstigsten Bedingungen ein. Indessen mochten diese, wie ihr Anwalt Manessier einen für sie so wichtigen Schritt nicht ohne die Genehmigung des gefangenen Königs thun, der nahe daran war, in sein Land zurückzukehren und die Zulassung ohne Weiteres hätte wieder aufheben können. Ihm wurde daher der Plan zur Bestätigung vorgelegt6. Auf Betrieb des Manessier de Vesou überreichten die Juden dem Könige eine Denkschrift, worin sie geltend machten, wie sie ungerechter Weise früher aus Frankreich verwiesen worden waren, und wie sie ihr Geburtsland nicht vergessen [4] könnten. Darauf erließ der gefangene König ein Dekret (März 1360), daß er mit Zustimmung der hohen und niedern Geistlichkeit des hohen und niedern Adels und der Bürger allen Juden die Erlaubniß erteilte, nach Frankreich einzuwandern und dort vorläufig zwanzig Jahre zu wohnen. Sie dürften im ganzen Lande in großen und kleinen Städten, Flecken und Burgen ihren Aufenthalt nehmen, dürften nicht nur Häuser, sondern auch Aecker besitzen7.

Die Bedingungen, unter denen die Juden nach Frankreich zurückkehrten, die höchst wahrscheinlich Manessier de Vesou entworfen hat, waren außerordentlich günstig. Jedes jüdische Familienhaupt mußte zwar beim Eintritt ins Land für sich vierzehn Gulden (Florins de Florence), für jedes Kind und überhaupt für jedes zur Familie gehörende Glied einen Gulden zahlen und dann eine jährliche Judensteuer von sieben Gulden und für jedes Familienglied einen Gulden leisten. Allein dafür genossen sie auch ausgedehnte Privilegien. Sie standen nicht unter der Willkür der Gerichte und der Beamten, sondern hatten einen eigenen Oberrichter, den Grafen von Etampes, einen Prinzen aus königlichem Geblüt, zu ihrem Beschützer (Gardien, Conservateur), der Untersuchungsrichter und Commissare anzustellen und ihr Interesse, wo es gefährdet war, wahrzunehmen hatte. Ueber Vergehen und Verbrechen unter einander sollten zwei Rabbinen mit Hinzuziehung von vier Männern urtheilen, ohne Angabe der Gründe und ohne Berufung. Die Güter des verurtheilten jüdischen Verbrechers sollten aber dem Könige verfallen und ihm außerdem von Seiten der Rabbinen hundert Gulden gezahlt werden. Wegen älterer Vergehen und Verbrechen ertheilte ihnen der König vollständige Amnestie. Der Gewalt des Adels waren sie entzogen, und auch vor den Chicanen der Geistlichkeit sollten sie geschützt sein. Sie durften nicht gezwungen werden, dem christlichen Gottesdienste und der Predigt beizuwohnen. Wie ihre Möbel, Viehstand, Getreide und Weinspeicher, so waren auch ihre [5] heiligen Schriften, nicht blos Bibel-sondern auch Talmudexemplare, vor Confiscation sichergestellt8. Scheiterhaufen für den Talmud sollten sich in Paris nicht wiederholen. Am meisten war ihr Handel geschützt. Sie durften Geld bis auf achtzig Procent (4 Deniers vom Livre) ausleihen, Pfänder nehmen, und ihr Pfandrecht wurde von einem Schutzwall von Gesetzen umgeben. Manessier von Vesou, der geschäftige und eifrige Unterhändler, erhielt eine hohe Stellung bei Hofe. Er war Obereinnehmer (procureur oder receveur général9). Er hatte für das pünktliche Einlaufen der Einzugsgelder und der jährlichen Judensteuer unter Verantwortlichkeit zu sorgen und bezog davon nah' an 14 Procent. Massenhaft wanderten in Folge dieser Privilegien Juden in Frankreich ein. Denn auch Solchen, welche nicht aus diesem Lande stammten, wurde es gestattet, sich daselbst anzusiedeln oder einen längern oder kürzern Aufenthalt zu nehmen (136110).

Freilich wurden diese ausgedehnten Privilegien der Juden von mancher Seite mit scheelem Blicke angesehen. Die christlichen Aerzte, denen die jüdischen Concurrenz machten, klagten: diese hätten keine Prüfung bestanden und seien nur Quacksalber. Die Richter und Beamten, denen keine Gewalt über die Juden eingeräumt und keine Gelegenheit zu Gelderpressungen gelassen war, klagten über Mißbrauch von Seiten der Juden. Die Geistlichkeit war ungehalten über die günstige Stellung der Juden, und da sie keinen Anhaltspunkt zur Klage hatte, so beschwerte sie sich darüber, daß sie an den Gewändern derselben das vorgeschriebene Abzeichen vermißte. Der schwache König Johann ließ sich, zum Theil im Widerspruch mit seinem eigenen Erlasse, ein Gesetz abzwingen (1362), vermöge dessen nur solche Juden die ärztliche Praxis ausüben dürften, welche sich einer Prüfung unterworfen, ferner sollten sämmtliche Juden das Abzeichen, ein großes Rad (Rouelle) von dem Umfange des königlichen Siegels von rother und weißer Farbe tragen, auch diejenigen nicht ausgenommen, welche ein besonderes Privilegium genossen (Manessier und seine Familie). Endlich sollten die Juden den Landgerichten unterworfen sein; hiermit wurde die frühere Bestimmung so ziemlich außer Kraft gesetzt11.

[6] Sobald aber der staatskluge Dauphin unter dem Namen Karl V. den Thron bestieg und ein festes Regierungssystem verfolgte, sich nämlich des Beiraths der Stände zu entledigen, sicherte er sich vor allem die Einnahmequellen von Seiten der Juden (Mai 1364). Er stellte ihre zum Theil von seinem Vater verletzten Privilegien wieder her, verlängerte die Erlaubniß zu ihrem Aufenthalte um noch sechs Jahre und gestattete sogar unter der Hand den jüdischen Geldmännern, mehr als achtzig Procent zu nehmen12. Auf das Gesuch des für seine Glaubensbrüder so eifrigen Manessier de Vesou entzog er wieder die Juden der ständigen Gerichtsbarkeit und stellte sie wieder unter den ihnen officiel zugewiesenen Beschützer, den Grafen von Etampes13. Den Geistlichen, welche ihren Haß gegen die Juden bis zur Unerträglichkeit steigerten, legte er mit Strenge das Handwerk. Die hohen Prälaten hatten nämlich in Südfrankreich predigen lassen, die Christen sollten bei Strafe des Kirchenbanns mit den Juden keinerlei Verkehr haben, ihnen nicht Feuer, Wasser, Brod, Wein reichen oder verkaufen, und hatten auf diese Weise wieder einen Fanatismus entzündet, der nicht blos das Vermögen, sondern auch das Leben der Juden bedrohte. Dagegen erließ nun der Statthalter von Languedoc im Namen des Königs eine Ordonnanz an die Beamten: Laien, Geistlichen und alle diejenigen, welche feindselig gegen die Juden verfahren sollten, unnachsichtlich an Gut und Leib zu bestrafen14.

Unter Karl's V. Regierung (1364-1380) hatten daher die Juden Frankreichs eine leidliche Existenz. Manessier blieb auch unter ihm Haupteinnehmer der Judensteuer für das nördliche Frankreich (Langue d'Oyl); im südlichen Landestheile (Langue d'Oc) fungirte als solcher Denis Quinon. Auf die Klage des Letztern, daß einige getaufte Juden im Verein mit Geistlichen Juden gewaltsam in die Kirche geschleppt und sie gezwungen hätten, die Predigten mit anzuhören, erließ Karl (März 1368) einen Befehl an seine Beamten, solchem ungebührlichen Zwange mit Strenge zu steuern15. Nur einmal wurde das freundliche Verhältniß zwischen dem König und den Juden gestört. Es liefen Klagen gegen jüdische Wucherer ein, daß sie einen höhern Zins genommen hätten, als das Gesetz erlaubt hatte. Karl beschloß daher mit seinem Rathe, die Juden wieder aus Frankreich zu verbannen (um 1368). Es scheint aber nur eine Speculation gewesen zu sein, um bedeutende Summen von ihnen zu erpressen. [7] In der That ließ sich der König bald von Manessier und einem andern angesehenen Juden Jakob de Pons-Sainte-Maxence besänftigen, oder eigentlich durch die Summe von 15,000 Mark, die wöchentlich abgezahlt werden sollte, erweichen. Darauf erklärte er: er wolle Gnade für Recht ergehen lassen und ihre Privilegien wieder erneuern. Er schärfte zwar, den Geistlichen zu Liebe, das Tragen von Judenabzeichen ebenso ein, wie sein Vater, befreite indeß davon Manessier de Vesou und den Rabbinen Matthatia von Paris sammt ihren Familien und auch diejenigen Juden, welche ihr Geschäft nach Plätzen führte, wo keine Religionsgenossen wohnten16. Später verlängerte derselbe den Aufenthalt der Juden um zehn und dann wieder um noch sechs Jahre. Alles dies geschah durch die Bemühung des unermüdlichen Manessier17. Seinen Eifer für die Juden und den Nutzen, den er dem Könige gebracht, belohnte Karl V. damit, daß er ihn und seine Familie von jeder Art Abgabe, Steuer und Leistung befreite (137418).

Indessen wenn auch die deutschen und französischen Juden nach so grausiger Schlächterei wieder auflebten, so war es blos das Leibesleben, ihre Seele blieb todt. Ihre Geisteskraft war geschwunden. In Frankreich, wo mehr als zwei Jahrhunderte von Raschi bis auf die letzten Toßafisten das Talmudstudium zur höchsten Blüthe emporgetrieben war, wo ein bewunderungswürdiger, fast unerreichbarer Scharfsinn und eine erstaunliche Denktiefe entwickelt worden waren, zeigte sich unter den Eingewanderten eine so erstaunliche Unkunde19, daß von neuem ein Anfang gemacht werden mußte. Die Privilegien der Könige Johann und Karl sprachen zwar von Rabbinen, welche die Befugniß haben sollten, unwürdige Juden zu verurtheilen; aber wenn man sich darunter tiefe Talmudkundige denken sollte, so gab es damals in Frankreich kaum einen Einzigen, mittelmäßige aber, nach dem eignen Geständniß der Zeitgenossen, nur fünf. Der Einzige, welcher damals das Talmudstudium vertrat, Matthatia b. Joseph Provenci, hat durch kein Schriftwerk seine Bedeutsamkeit bekundet. Vom König Karl V. so sehr geachtet, daß er und seine Familie vom Schandflecken am Gewande befreit wurde, und wie es scheint, mit dem Generaleinnehmer Manessier de Vesou verschwägert, war er indeß in der besten Lage, dem Mangel abzuhelfen. Aus einer gelehrten Familie stammend, welche ihren Wohnsitz in der Stadt Troyes hatte und davon den Namen [8] Troyes (Treves) führte und Jünger des angesehenen Rabbiners Nissim Ben-Rëuben Gerundi von Barzelona (VII, 395), gründete er von neuem ein Lehrhaus in Paris, sammelte Jünger um sich, erklärte ihnen den Talmud, weihte sie ins rabbinische Amt ein und ließ Talmudexemplare copiren20. Er wurde in Folge seines Eifers und seiner verhältnißmäßig bedeutenden Gelehrsamkeit von sämmtlichen neubegründeten französischen Gemeinden zum Oberrabbiner und zum Oberrichter für die bürgerlichen und peinlichen Processe gewählt und vom Könige bestätigt. Seine Schule hat erst die Gemeinden mit Rabbinen versehen. Aber seine Jünger haben ebenso wenig, wie er selbst die rabbinische Literatur mit irgend einem Erzeugniß bereichert. Selbst die literarisch so fruchtbare jüdische Provence war geistesarm geworden. Nur ein einziger Name klingt aus jener Zeit herüber: [9] Isaak b. Jakob de Lates, der in einigen Werken vorhandenes Material, auch Litterarhistorisches unselbstständig zusammengetragen hat21.

In Deutschland, dessen Rabbinen einst so stolz auf ihre Erbweisheit waren, hat der schwarze Tod mit seinem Gefolge von Judenschlächtereien und Ausweisungen die Schaar derselben so sehr gelichtet, daß auch hier eine außerordentliche Geistesarmuth eintrat. Unberufene und Halbwisser mußten aus Mangel an besseren Kräften zu rabbinischen Funktionen zugelassen werden. Diesem Uebelstande arbeitete ein Rabbiner entgegen, der zu jener Zeit als eine hohe Autorität in Deutschland galt: Meïr b. Baruch Halevi (um 1360-90). Rabbiner in Wien, wie sein Vater es war, erließ Meïr eine Verordnung, daß kein Talmudjünger rabbinische Funktionen ausüben dürfe, ohne vorher von einem bewährten Rabbinen dazu ermächtigt worden zu sein22. Bis dahin war es nämlich Brauch, daß Jeder, der in sich die Fähigkeit und den Beruf fühlte, die Rabbinatswürde ohne weiteres bekleidete und sich allenfalls, wenn er sich in der Nähe seines Lehrers niederließ, die Erlaubniß dazu von demselben ertheilen ließ. Da es namentlich in Deutschland seit der Zeit des R. Gerschom von Mainz stets bedeutende Talmudkundige [10] gegeben hat, so wirkte die öffentliche Meinung dem Mißbrauch dieser Freiheit entgegen. Denn ein Unberufener, der sich die Rabbinatswürde angemaßt hätte, wäre dem Gespötte und der Verachtung von nah und fern verfallen. In der Zeit nach dem schwarzen Tode dagegen war beim Mangel an Talmudkundigen diese öffentliche Ueberwachung nicht mehr vorhanden. Die Anordnung des Meïr von Wien, daß jeder Rabbiner erst dazu ordinirt werden, sich die Würde (Morenu) erwerben müsse, sonst aber namentlich mit Eheverhältnissen, Trauungen und Scheidungen sich nicht befassen dürfe, ging demnach aus einem Zeitbedürfnisse hervor und war keine Anmaßung von Seiten des Urhebers. Die Geistlosigkeit auch der angesehensten deutschen Rabbinen in jener Zeit zeigt sich auch darin, daß nicht Einer von ihnen irgend ein bedeutendes talmudisches Schriftwerk hinterlassen hat, daß sie vielmehr sämmtlich einen Weg einschlugen, der so recht geeignet ist, Stumpfsinn zu erzeugen. Meïr Halevi's Zeitgenossen Abraham Klausner23, ebenfalls in Wien, und Schalom aus Oesterreich, Rabbiner in Wiener-Neustadt (der aus übertriebener Scrupulosität den Wohnort seiner Vorfahren nicht verlassen mochte), verlegten sich lediglich darauf, die Bräuche der Gemeinden (Minhagim), denen früher nur eine geringe Aufmerksamkeit [11] geschenkt wurde, niederzuschreiben und zu verewigen. Sie und ihre Jünger Eisak Tyrnau (aus Ungarn), den eine Sage zum Vater einer schönen Tochter in einem eigenthümlichen romantischen Gewebe machte24, und Jacob Mölin (Maharil) haben nur solche geistlose Zusammenstellungen hinterlassen, die sie von ihren Lehrern überkommen hatten. Wenn diese östreichische Schule, welche damals das Uebergewicht hatte, so geistesarm war, um wie viel mehr die rheinische, von der nur Namen bekannt sind. Ein Rabbiner von Straßburg aus dieser Zeit ist nur durch seine Schicksale bekannt geworden. Samuel Ben-Aaron Schlettstadt25, welcher bereits mehrere Jahre in der Hauptstadt von Elsaß fungirt hatte, wurde beschuldigt, ein strenges Gericht über zwei jüdische Verräther geführt zu haben, weil sie den benachbarten Raubrittern, den Herren von Andlau, zum Nachtheil der Juden Kundschaft hinterbracht hatten. Einer von ihnen, Namens Salamiel, wurde durch [12] des Rabbiners Urtheil ertränkt, der andere entkam, rettete sich zu seinen Freunden, den Andlau, trat zum Christenthum über und wurde um so giftiger gegen seine Stammgenossen. Die Andlau sagten in Folge dessen der Stadt Straßburg Fehde an. Samuel Schlettstadt war aber noch glücklich genug, sich in die Burg Hohenlandsburg (bei Colmar) flüchten zu können, wahrscheinlich unter dem Schutze eines den Andlau feindlichen Ritters (um 1376). Hier brachte er mehrere Jahre zu, weil die Gemeinde von Straßburg den Zorn oder die Habgier seiner Feinde nicht beschwichtigen konnte. In der Einsamkeit des Burglebens, wo er von Familie und Glaubensgenossen getrennt war, füllte das Talmudstudium seine Muße aus. Hat Samuel Schlettstadt während dieser Haft etwa gleich Meïr von Rothenburg scharfsinnige Auslegung des Talmud zu Tage gefördert? Auch das nicht einmal; er arbeitete lediglich ein bereits vorhandenes, doch ziemlich geistloses Sammelwerk (Mardochai) des Mardochaï b. Hillel (B. VII2 S. 252) um und veranstaltete daraus einen Auszug26, ein laut sprechendes Zeichen der Kraftabnahme und der Unselbstständigkeit – eine Schlingpflanze, die sich an eine andere anlehnt. Samuel Schlettstadt wurde aber aus dem Stillleben auf Hohenlandsburg aufgestört, von Juden selbst angeklagt, den Tod eines Glaubensgenossen herbeigeführt zu haben, mußte heimlich entfliehen, drang bis zum Morgenlande vor und wußte sich einen Bannspruch von Autoritäten zu verschaffen, von dem Exilsfürsten David b. Hodaja aus Babylonien und vom Rabbinat in Jerusalem, vermittelst dessen die Gemeinde von Straßburg gezwungen wurde, sich wirksamer für ihn zu verwenden und ihn schadlos zu halten. Der Kahn, welcher ihn bei seiner Rückkehr über den Rhein setzen sollte, und auf dem sich sein Sohn befand, schlug aber um, und der unglückliche Vater mußte vom Ufer aus den Tod seines Sohnes, dem er schon die Arme entgegengestreckt hatte, mit ansehen. Er klagte sich der Schuld am Tode seines Sohnes an, weil er gegen seine Gemeinde einen so heftigen Bannspruch veranlaßt hatte. – Samuel Schlettstadt mag in dem blutigen Gemetzel mit umgekommen sein, welches die Bürger von Straßburg in Verbindung mit den Andlau an der Gemeinde einige Jahre später27 verübt haben. An grausigen Metzeleien der Juden in Elsaß hat es in dieser Zeit nicht gefehlt, während des Krieges Karls des Kühnen von Burgund gegen den Herzog von Lothringen und des aufständischen elsäßischen Städtebundes gegen den Kaiser. Fast alle die Juden von Colmar, Schlettstadt und noch andern kleinen [13] Städten kamen durch Schwert oder den Galgen um28. Schweizerische Soldbanden und städtische Schützenschaaren wetteiferten mit einander, die Juden dieses vielumstrittenen Landes todtzuschlagen oder zur Taufe zu zwingen. Sie wurden besonders in Deutschland als teuflische Creaturen angesehen, welche den Christen Unheil bringen und daher vertilgt werden müßten.

Durch die Unglückstage des schwarzen Todes und seiner Folgen waren die alten Erinnerungen so sehr erloschen, daß die rheinischen Rabbinen sich veranlaßt sahen, wegen Meinungsverschiedenheit über eherechtliche Punkte eine Synode zu veranstalten, lediglich zu dem Zwecke, alte Verordnungen wieder aufzufrischen. Auf der Versammlung zu Mainz (15. Ab = 5. August 1381)29 erneuerten einige Rabbinen im Verein mit Gemeindevorstehern die alten Bestimmungen von Speier, Worms, Mainz (Tekanot Schum VII.2 S. 23): daß die kinderlos gebliebene Wittwe ohne Prellerei und Verzögerung von der Schwagerehe entbunden werden und einen festbestimmten Antheil an der Hinterlassenschaft ihres Gatten erhalten sollte. Von den an dieser Synode betheiligten Rabbinen hat indeß auch nicht ein Einziger einen Namen von Klang hinterlassen. – Unter allen deutschen Juden wurden in dieser Zeit diejenigen, welche unter dem Erzbischof von Mainz, Adolf von Nassau, standen – nächst denen in der Reichsstadt Regensburg – verhältnißmäßig am glimpflichsten behandelt. Während sie überall, wo sie von neuem Aufnahme gefunden hatten, geplagt, gefoltert, wieder ausgewiesen oder niedergemetzelt wurden, wendete der Mainzer Kirchenfürst ihnen besondere Gunst zu (1384). Er befreite die zu seiner Botmäßigkeit Gehörigen von dem Zwange der geistlichen Gerichtsbarkeit, stellte einen Rabbinen, Isaak von Wydave, als ihren ständigen Richter an und hob den schändenden Würfelzoll auf. Jeder reisende Jude mußte nämlich bis dahin eine Anzahl Würfel an den Mauthäusern des Mains und Rheins entrichten, zur Erinnerung an das angebliche Würfeln um Jesu Kleider30.


Fußnoten

1 Vgl. darüber Graetz, Shylock in der Sage, im Drama und in der Geschichte 1880.


2 Um nicht viele Citate zum Belege zu häufen, will ich nur dafür die drastische Erzählung des elsäßischen Chronikers Königshoven anführen (Chronik von Elsaß und Straßburg V. § 78 p. 296): »In Straßburg kam man überein in dem Rate, daß in 100 Joren kein Jude sollte in die Stadt kommen. Doch eh' zwantzig Jore verkomment, da komment Schöffel und Ammann und der Rat überein, daß man die Juden solte wieder in die Stadt empfahen. Also komment die Juden wieder gen Straßburg 1368.« Die Urkunde darüber hat Schilter in den Anmerk. zu Königshoven p. 1053 f. mitgetheilt. In Breslau wurden sie schon 1350 zugelassen, Nürnberg nahm 1352 Juden auf, ebenso Zürich, in Worms 1353 »um ihres Nutzens willen.« In Wien waren sie bereits 1353, in Erfurt 1354; selbst in Basel, wo sie für zwei Jahrhunderte verbannt sein sollten, waren sie bereits wieder vor 1356, in Heilbronn 1357.


3 Vergl. die Quellen bei Winer, Regesten zur Geschichte der Juden in Deutschland I. S. 130.


4 Goldene Bulle, Titel 9.

5 Vergl. Schaab, diplomatische Geschichte der Juden von Mainz, S. 96 ff.


6 Ordonnances des Rois de France de la troisième race T. III. p. 473-481, T. p. 491-496 (Herausgeber Sécousse). Vgl. darüber J. Loeb, les expulsions des Juifs de France. Jubelschrift zu Graetz' 70. Geburtstag p. 39 f.


7 Depping hat den Landbesitz der französischen Juden nach ihrer Rückkehr in Abrede gestellt, histoire des Juifs au moyen-âge p. 178. Das Factum geht aber aus dem Tenor des 21. Artikels der Privilegien entschieden hervor (Ordonnances III. p. 479). Lat. Text: ... quod nulli magistri Hospiciorum nostrorum. .... equos, pecudes, jumenta, quadrigas, blada, vina, fenum, avenam dictorum Judaeorum ... capiant vel capere faciant. Franz. Text: ... que nulz maistres de nostro Hôtel ne priaigent (prennent) ou facent (fassent) prendre aucuns de chevauls, jumens, bestes à laine, aumaille (animaux domestiques), charretz, blez, vins, foin, aveine de diz Juys ou Juyves. Der Besitz von Pferden, Zugvieh, Schafheerden, Getreide aller Art und Wein setzt doch wohl Bodenbesitz und Bodencultur voraus.


8 Artikel 27 a.a.O. eisdem concedimus, quod volumina, rotuli vel libri dictorum Judaeorum per quemquam officiarium seu alium Christianum nullatenus capiantur.


9 Ordonnances III. p. 488, IV. p. 496, V. p. 436.


10 Das. III. p. 487 f.


11 Das. III. p. 603 f. wiederholt October 1363, das. p. 642 und December 1363, das. p. 648.


12 Das. T. IV. 439, V. p. 496.


13 October 1364, das. IV. p. 496.


14 Ordonnances IV. p. 440 f.


15 Das. V. p. 167 f.


16 Das. V. p. 496 f.


17 Ordonnances V. p. 44.


18 Das. p. 118.


19 Isaak de Lates Schaare Zíon (vergl. w.u.) zum Schluß: .םודא ץראמ תובישיה בור ולטבתנ זאו


20 Matthatia's Sohn, Jochanan, berichtet über seinen Vater an Isaak Ben-Scheschet (in des Letztern Respp. No. 270): 'ר) יראמ אבא היה תעמש ילוא רשאכ םימי הז ןושל לכב היה אל זא ץראל ואובבו .לאומו ןודא תפרצב (דיתתמ יראמ אבאו .םעהו םינברה ןיב םינדמל הששל השמחמ םיתפרצד רודב הרות ץיברהו ... םידימלת ףסאו םיברל ושרדמ רקחו ןזא הנומש וינפלמ ואציו םינשו םימי הז וינפל ויה רשא לככ הזה הבישי שפות םינבר. Isaak b. Scheschet referirt über ihn (das. No. 271): םהל ןתנו הלוגה ירוזפ לובג תא 'ה ביהרהב ןב היתתמ 'ררהמ ... םהינפל חלש ... תטלפ תפרצ תוכלמב דמללו דומלל ובבל ןיכה היתתמ 'רו ... ןנחוי 'ר ןב ףסוי 'ררהמ ... םיברל הרות ץיברהו תובישי םש עבקו .... איהה ץראב לכ ויה ותוא ותבהאבו ךלמה יניעב ןח אצמ ןמחרה תוכזבו תולהק לכו ... המוה םהל היה ,ותא תרמשמ ץראב םידוהיה ךלמה םגו ... ןיידו בר טפושו רשל םהילע והולבק איהה תוכלמ םדיטפשמ לכב לשימו םהילע ןורא ומש. – Es ist gewiß derselbe Rabbiner Matthatia, der in einer Ordonnanz Karl's V. vorkommt, daß er und die Seinigen von den Judenzeichen befreit sein sollten (Ordonnances a.a.O. V. p. 498): exceptez tant seulement (de porter l'enseigne): Manesier de Vezou, sa femme, et ses enfants, et Johannesson gendre, maistre Mathatias et sa mère et Abrahamson fils. – Johannes, Manessier's Schwiegersohn, ist identisch mit Matthatia's Sohn desselben Namens. – Matthatia's Name kommt auch in einem Talmudcodex (der Münchner Bibliothek) vor, der für ihn copirt wurde: וניבר ברה שרדמל יתבחכ ... רב המלש ינא ב"יב יתמיסו םירדס תששה לכ ףסוי 'ר ברה ונרזמ ןב היתתמ יששד ףלאל השלשו האמ תנש ילסכ חריל. Vgl. über diese Datumsangabe und ihre Bedeutung S. Rabbinowitsch Dikduké Sopherim Berachot Einl. p. 28 fg. Daß er als Oberrabbiner in Paris wohnte, ist selbstverständlich, wird aber auch bezeugt. Denn das Resp. des Isaak ben Scheschet zu Gunsten seines Sohnes ist (in einer Handschrift) nach Paris adressirt: תפרצ תוכלממ שירפ הימכחל (Katalog der Leydener hebr. Bibliothek p. 224). Isaak ben Scheschet bezeichnet Matthatias als Provençalen: ישניבורפ היתתמ ןב ןנחוי (zu No. 271 Ende). Vgl. über Matthatia, seine Abstammung und seine Nachkommen die gelehrte Monographie von N. Brüll in seinen Jahrbüchern zur jüd. Gesch. und Literatur I. 87 fg. Daselbst ist auch überzeugend nachgewiesen, daß die Familiennamen Treves, Trives von dem Ortnamen Troyes abgeleitet sind und zwar von der Schreibung שוירט im Hebräischen. Der Name wurde auch verdorben ausgesprochen Dreifuß und Trefousse.


21 J. de Lates historisches Compendium unter dem Titel ןויצ ירעש ist vollständig edirt von Sal. Buber (Jaroslaw 1885) mit allseitiger Gründlichkeit nach Art dieses gelehrten und verdienstvollen Herausgebers. Dieses Compendium ist eine Einleitung zu einem talmudisch-rabbinischen Werke קחצי תודלוה, Handschrift in der Bodleiana. Lates war ein Städtchen in Frankreich am Mittelmeere, wonach viele jüdische Schriftsteller benannt waren. Man darf also nicht lesen: Latas, allenfalls Lattes. Buber hat nachgewiesen, daß de Lates in diesem Compendium Vieles compilirt hat und nicht sehr ehrlich.


22 Dr. B. H. Auerbach (םהרבא תירב p. 6, Note) hat nachgewiesen, daß die Verordnung in Betreff der ונרומ-Würde von Meïr b. Baruch Halevi (לגס ריאמ 'ר) ausgegangen ist, wie es auch aus den Respp. des Isaak b. Scheschet No. 268-272 hervorgeht. Sein Zeitalter ist dadurch angegeben, daß diese Responsen noch vor der zweiten allgemeinen Vertreibung der Juden aus Frankreich 1394 und lange vor den ersten Judenverfolgungen in Spanien 1391 erlassen sind. In einer Notiz über Meïr in Wien findet sich das Datum 1364: תסנכה תיבב ןישדקמ ןיא םילשוריבש דיעמ בותכה ינא הלכק תנשב יולה ךורב ןב ריאמ 'ררהמל יתרפס הזו ללכ. Der Judenmeister (Rabbiner) Baruch von Wien, mit dem sich die Herzöge Albrecht und Leopold über die Bürgschaft von 20,000 Gulden, Juni 1367, geeinigt haben (Winer, Regesten S. 225 No. 83), scheint dessen Vater gewesen zu sein. In Maharil's und Isserlein's Respp. kommt sein Name öfters vor. Israel Isserlein bezeugt, daß die Familie aus der Rheingegend stammte (Pesakim No. 63): 'רהמ גלפומה ןקזה תמכסה .םוני ץראמ ויתואצוה רשא ל"גס ריאמ


23 Die רענזיולק םהרבא 'רהמ דסיש ךירטשוא יגהנמ oder רנזיולק םהרבא 'רהמ יגהנמ sind edirt. Eisak Tyrnau, Verf. der םיגהנמ (öfter edirt) bemerkt in der Einl. dazu: .... ... םיברה תונועב םימכב םימכח ידימלתו םידמולה וטעמתנ ןעי וא בושי יתיארש דע ךיירטסאבש ... .הרותו הנמא ישנא וספאו וריע גהנמ תתימא םיעדויה םישנא 'ג וא 'ב ןהב אצמנ אלש הלהק םילבקמה םימכחה ןיב יתלדג ימימ אנריט קזייא ריעצה יכנאו .... וניתוברמ םיגהנמ יתבתכו ... רענזיולק םהרבא 'רהמו םולש 'רדמ ןירהרעמו קראמראייטש םירגה. Der Herausgeber der Minhage Maharil, Namens Salomo Steinward, bemerkt in der Einl. dazu: er habe auch die Minhag-Angaben des Schalom von Oestreich und des Abraham Klausner eingereiht דירטשואמ םולש 'רה ירבד תומוקמ המכב יתפסוה בורו (לירהמ) לגס בקעי 'רהמ לש קהבימ ובר היה אודו ... 'רה יגהנמ תומוקמ שיב יתפסוה דועו ... וידחא השע ויגהנמ ורודב לודג היה אוהו רזולק םהרבא. Die Zeitgenossenschaft des Meïr von Wien und des Abraham Klausner giebt eine Notiz des Jakob Weil (Resp. No. 151 auch in Respp. von Isserlein No. 125): יולה ריאמ 'רהמ היה אניוב (דחא ןמזב) רנזיולק םהרבא 'רהמו. Schalom aus Wien gehört derselben Zeit, da sein Jünger Eisak Tyrnau zugleich Jünger des Abr. Klausner war. Eisak Tyrnau muß noch vor der umfangreichen Judenverfolgung in Oestreich, vor 1421, gestorben sein, da er den Bestand der österr. Gemeinde voraussetzt. Falsch ist daher bei Wolf I. No. 214: daß Eisak T. 1470 geblüht. Es folgt auch daraus, daß Maharil, Eis. Tyrnau's College, 1427 starb und mehr als 30 Jahre Rabbiner war. – Daß Schalom in Schweidnitz war, bezeugt Maharil (Hilchot Sabbat): היהשכ ... םולש 'רה רמא תבשב יופאה םחלמ תבשב ונקש האר ץינדיוזשב. Rabbiner war er aber in W.-Neustadt, woher auch seine Eltern stammten: םדא רודי םלועל םולש 'רהמ רמא :לירהמ יטוקל המכ ילהא יתקתעה רבכ הז ילול םימכח תוצמב ויתובא םוקמב ריעמ םימעפ

.טטשיינ


24 Aus dem Besitze des Dichters David Franco theilte Gabriel Polak einen eigenthümlichen Roman mit, worin Eisak Tyrnau und seine schöne Tochter die Hauptrolle spielen (in einem Werkchen םיהלא עבצא oder םיגהנמה לעב אנריט קחצי 'ר ןואגהל עריאש בר השעמ, Königsberg 1859). Ein schöner Erbherzog habe sich in Eis. Tyrnau's schöne Tochter verliebt und dem Vater das Versprechen abgenommen, wenn er einst ihrer Hand würdig, d.h. ein tüchtiger Talmudist werden würde, sie ihm nicht zu versagen. Er sei dann hinter dem Rücken seiner Mutter auf Reisen gegangen, habe sich seiner Begleiter durch Gift entledigt, sei in ein Bet-ha-Midrasch eingetreten und habe sich mit so vielem Eifer auf das Talmudstudium geworfen, daß er ein bedeutender Jünger (Bachur) geworden sei. Dann unerkannt in das Lehrhaus des Eisak Tyrnau eingetreten, habe er sich zuletzt zu erkennen gegeben, denselben an sein Versprechen erinnert und die schöne Rabbinertochter geheirathet. Die trostlose Herzogin-Mutter, welche ihren verschwundenen Sohn überall hatte suchen lassen, sei selbst, von der Schönheit des jungen Paares angelockt, bei dessen Hochzeit zugegen gewesen, ohne ihren Sohn zu erkennen. Durch eine Badefrau, die ihn an einem Maale erkannte, sei er verrathen worden, habe indeß seine fürstliche Abkunft hartnäckig geleugnet und sei vom Kaiser zum Tode verurtheilt worden. Seine unglückliche Mutter habe sich an den Juden Tyrnau's und besonders an dem Rabbiner Eisak rächen wollen. Da habe sie ihr Sohn im Traume gewarnt, und sie habe sich mit der Vertreibung der Juden aus Tyrnau begnügt.


25 Vgl. über ihn aus einem Berichte von Joseph Loans oder Joselmann (Joselin) Rosheim abgedruckt, Monatsschr. 1875, 409. Die Bannformeln, abgedruckt in Coronel's Sammelwerk םיסרטנוק 'ה p. 108b, vergl. das. p. 111b ff. und Orient VI. 739. Ausführlich zusammengestellt: Carmoly. la France Israelite p. 138 f. und S. Landauer, »ein gelehrter Rabbi auf der Festung Landsberg« Gemeindezeitung für Elsaß-Lothringen 1880 No. 15. Schlettstadt's Enkel (Ahron b. Abraham?) hat eine Nomenclatur der Toßafisten unter dem Titel םילודגה םש zusammengestellt, edirt in Ben-Jakob's Debarim Attikim p. 7 ff. Derselbe hat demnach in der ersten Hälfte des XV. Jahrhunderts gelebt.


26 יכדרמ רוצק oder ןטקה יכדרמ genannt.


27 Derselbe Bericht des Joselmann Rosheim zum Schluß.


28 Tagebuch des Joselmann Rosheim, abgedruckt in Revue des Etudes juives T. XVI. p. 88, vergl. das. T. XIII. p. 63.

29 Vergl. Note 5, 1.


30 Schaab, diplomatische Geschichte der Juden zu Mainz S. 107: Eine Urkunde von 1384: »auch haben wir In (unsern Juden) besunder gnade gethan, daß sie diese nesten Druck jare keine Würfflen an unsern Zellen zu Wasser oder zu Lande nit geben dorffen.« Eine andere Urkunde von demselben Jahre: »Uff Rine oder uff Meyne daß sie alle Juden Mann und Wyp in fürbasser keine Wurfflen zu begehren haben.« Vollständig aufgehoben wurde der Würfelzoll erst 1422, Stobbe Juden in Deutschland S. 217 No. 45. Die Urkunde über den Judenmeister Isaak von Wydave, Schaab das. S. 108.



Quelle:
Geschichte der Juden von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart. Leipzig [1890], Band 8, S. 15.
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