12. Kapitel. Die Juden in Polen.

[410] Lage der Juden in Polen; die judenfeindlichen deutschen Zunftkolonien. Zahl der Juden Polens. Ihre Beteiligung an den Wissenschaften. Das Talmudstudium. Schalom Schachna, Salomo Lurja und Mose Isserles, erste drei rabbinische Größen Polens. David Gans' Geschichtswerk. Suprematie der polnischen Rabbinen, talmudische Atmosphäre. Die Wahlkönige, Heinrich von Anjou feindselig gegen die Juden. Stephan Bathori und Sigismund III. judenfreundlich. Die jüdisch-polnischen Synoden. Mardochaï Jafa und Falk Kohen. Die Reformation in Polen, die Antitrinitarier, Simon Budny und Martin Seidel. Disputation zwischen Juden und polnischen Dissidenten. Jakob von Belzyce und der Karäer Isaak Troki. Das polemische Werk Chisuk Emuna.


(1566-1600.)

Polen, in diesem Jahrhunderte durch Vereinigung mit Litauen unter den Söhnen Kasimirs IV. eine Großmacht geworden, war so ziemlich wie die Türkei ein Asyl für alle Geächtete, Verfolgte und Gehetzte. Das kanonische verfolgungssüchtige Christentum hatte dort noch keine festen Wurzeln geschlagen, und auch die monarchische Despotie mit ihrem von Priestern genährten Eigensinn, alles rücksichtslos durchzusetzen, konnte bei dem Unabhängigkeitssinn des polnischen Groß- und Kleinadels nicht durchdringen. Die Starosten durften auf ihrem Gebiete wie die englischen und schottischen Lords und Lairds unumschränkt herrschen und königliche Eingriffe abwehren. Das reformatorische Bekenntnis, namentlich Calvins Lehre, fand unter dem Adel und der Bürgerschaft Eingang, wie sich früher die hussitische Opposition gegen den Katholizismus auch daselbst behauptet hatte. Polen war daher auch in diesem Jahrhunderte wieder ein zweites Babylonien für die Juden, wo sie im ganzen und großen vor blutigen Verfolgungen geschützt waren, einige von ihnen es zu einer gewissen Stellung bringen konnten und sie ihre Eigenart ungehemmt entfalten durften.1 Als die Juden aus Böhmen ausgewiesen [410] worden waren und sich nach Polen gewendet hatten, wurden sie wohlwollend aufgenommen.2 Ja, es wurde so hoher Wert auf sie gelegt, daß man sie gar nicht entbehren zu können vermeinte. Als viele derselben, angelockt von der günstigen Stellung ihrer Stammgenossen in der Türkei, sich anschickten, dahin auszuwandern, bot der Palatin von Krakau im Namen des Königs alle Mittel auf, um sie freiwillig oder gezwungen im Lande zu behalten3, während in Deutschland Herren und Städte keine andere Sorge zu haben schienen, als wie sie sich der Juden entledigen könnten. Allerdings waren sie in Polen fast unentbehrlich. Sie hatten die Pacht von den Salzbergwerken, von den Zöllen und Brauereien inne, weil sie durch Fleiß und Sparsamkeit und auch durch Findigkeit Barschaft besaßen, welche sie dem nur auf das Waffenhandwerk und politische Intrigen bedachten Groß- und Kleinadel als Vorschüsse vorzustrecken imstande waren. Es kam nicht viel darauf an, wie sich die Könige zu ihnen verhielten, ob sie ihnen gewogen oder übelwollend gesinnt waren, der Adel schützte sie meistens auf seinen Gütern gegen feindselige Anfälle, insofern sein Interesse dabei nicht geschädigt wurde. Die letzten jagellonischen Könige Sigismund I. (1506-1548) und Sigismund August (1548-1572) hatten weder eine entschiedene Abneigung gegen, noch Zuneigung für die Juden, wie sie denn überhaupt keine entschiedenen Charaktere waren, sondern die Regierungsangelegenheiten nach Gunst, augenblicklichem Einfluß oder nach Stimmung und Laune entschieden. Begünstigungen und Beschränkungen der Juden wechselten unter diesen beiden Königen miteinander ab, je nachdem eine judenfreundliche oder judenfeindliche Persönlichkeit auf sie einwirkte.

Nach dem Tode des einsichtsvollen Kanzlers Christoph Szydlowiezki begannen allerdings unter Sigismund I. Quälereien für die Juden. Die geldgeizige Königin Bona4 bediente sich eines gesinnungslosen Woiwoden, Piotr Kmita, um von den Juden Geld zu erpressen, und zwar durch Androhung oder Erlaß von Beschränkungen für sie. Es ist charakteristisch für[411] diesen Wicht von Werkzeug, daß er einerseits den deutschen Krakauer Kaufleuten Furcht einflößte, daß auf einem Reichstag die Handelsfreiheit der Juden noch mehr ausgedehnt werden würde, und anderseits unterstützte er scheinbar der ersteren Antrag, die Juden auszuweisen, und versprach seinen Einfluß in ihrem Interesse geltend zu machen, um von beiden Teilen Summen zu erlangen.

Es gab nämlich eine judenfeindliche Partei in Polen, welche mit mißgünstigem Auge die bessere Lage der Juden in diesem Lande als in der übrigen Christenheit betrachtete und beharrlich dahinter war, das noch immer zu Recht bestehende Statut von Kasimir IV. zum Schutze gegen allzu grelle Verfolgung aufzuheben; sie konnte aber unter diesen Umständen ihre Wünsche nur teilweise durchsetzen. Es war einerseits die katholische Geistlichkeit, welche die kanonischen Beschränkungen der Juden in der polnischen Gesetzgebung vermißte, und anderseits der deutsche Kaufmanns- und Handwerkerstand, welcher die Konkurrenz der Juden fürchtete. Diese Partei hatte unter Sigismund I. die Judenfrage auf dem Landtag zur Sprache gebracht, und es hatten sich dabei verschiedene Meinungen geltend gemacht. Einige – und das waren die Vertreter der Parteigänger der deutschen Städte – waren für vollständige Ausweisung der Juden aus Polen, andere für eine ihnen zu gewährende Freiheit und endlich eine Mittelpartei für Beschränkung ihres Handels.5 In Deutschland hätte wahrscheinlich keine Stimmenverschiedenheit darüber geherrscht, in Polen dagegen drang die vermittelnde Ansicht durch. Den deutschen Zünftlern war natürlich dieser Beschluß nicht recht, und sie arbeiteten mit mehr Rührigkeit, als ihnen sonst eigen zu sein pflegte, daran, die Juden verhaßt zu machen. Der Posener Magistrat gab ihnen Schuld, als ein heftiger Brand, von dem Judenviertel ausgegangen, einen großen Teil der Stadt in Asche gelegt hatte, ihr Hochmut und ihre Unverschämtheit hätten das Unglück herbeigeführt. Er zog die Markgräfin von Brandenburg ins Mittel, daß sie sich bei ihrem ohnehin nicht besonders judenfreundlichen Gemahl Joachim II. verwenden möge, und dieser wieder bei dem polnischen Könige, die Juden aus Posen ausweisen zu dürfen oder wenigstens sie zu zwingen, außerhalb der Stadt zu wohnen.6 Die Krakauer Kaufleute – immer wieder Deutsche – richteten ein Bittgesuch an den König Sigismund mit Klagen über die Geschäftstätigkeit der Juden, daß sie aus der Walachei Produkte bezögen und dadurch das Geld außer Landes führten und andere ähnliche kleinliche Querelen.7 Dieselben Krakauer deutschen Bürger stellten [412] an den König das wunderliche Gesuch, er solle das von dem Kanzler Szydlowiezki im Namen des Königs streng gehandhabte gerechte Gesetz, daß Mörder eines Juden mit dem Tode bestraft und auch nur ein Auflauf zur Zerstörung des Eigentums der Juden mit einer hohen Geldstrafe geahndet werden sollte, zu ihren Gunsten aufheben. Und Sigismund war so kopflos, das Gesuch so weit zu genehmigen, daß er das Gesetz bis auf seine Rückkehr suspendierte mit der eitlen Warnung, daß die Bürger die Juden vor Unbilden schützen und ihre Privilegien achten sollten.8

Die katholische Geistlichkeit war anderseits erbittert darüber, daß die Juden in Polen sich von dem schändenden Abzeichen zu befreien gewußt hatten und sich in die Landestracht kleideten. Sie hetzte so lange, bis die Landboten auf einem Reichstage einen Gesetzesantrag stellten, daß die Juden durch eine schwere Strafe gezwungen werden sollten, wenn nicht auf Reisen, eine gelbe Kopfbedeckung zu tragen.9 Um allen Anklagen zu begegnen, arbeiteten polnische Juden oder ließen eine Verteidigungsschrift in lateinischer Sprache ausarbeiten, worin sie auseinandersetzten, daß die Glaubensansichten sich änderten, und was heute Frömmigkeit sei, morgen als Wahn (in der Zeit der Reformation) gelte. Daher sollten sich die Menschen nicht um des Glaubens willen verfolgen. Die Juden machten durch den Handel den Ertrag des Bodens fruchtbar und verschafften dadurch dem Lande Geld, weit entfernt es ihm zu entziehen. Es gäbe in Polen allerdings 3200 jüdische Kaufleute auf 500 polnische, aber dreimal so viel Handwerker. Wenn die christlichen Kaufleute nicht so verschwenderisch lebten und ihre Waren ebenso billig wie die Juden verkauften, würden sie ebenso viele Kunden haben. In dieser Schrift protestierten die Juden auch gegen die Verfügung der christlichen Geistlichkeit, welche sie meistern und ihre neugebauten Synagogen nach kanonischer Anmaßung abbrechen lassen wollte. Sie erklärten, daß sie der königlichen Autorität allein unterworfen wären, unter deren Schutz sie ins Land gekommen wären und es bewohnten.10 Es war damals die Zeit der Streitschriften, wodurch alle Welt auf die öffentliche Meinung einwirken wollte. Die Verteidigung hat ihre Feinde nicht entwaffnet, noch haben die vielfachen Anklagen ihnen wesentlich geschadet.

Über die Zahl der Juden in Polen in dieser Zeit liegt keinerlei Schätzung vor. Es sollen damals 200000 Männer und Frauen dort gelebt haben, obwohl eine Zählung nur 16509 herausgebracht hat,[413] weil sie den Zweck hatte, Kopfgeld von ihnen zu erheben, wobei die Juden ein Interesse hatten, ihre Zahl geringer anzugeben.11 Allzugroß war ihre Zahl nicht. Die Posener Gemeinde zählte damals 3000 Mitglieder, die in achtzig Häusern wohnten12, und wohl ebenso viel die Krakauer, oder vielmehr die in der Vorstadt Kasimierz Wohnenden, wohin sie früher ausgewiesen waren. Die drittgrößte Gemeinde war Lublin. Steuern hatten sie viel zu zahlen unter verschiedenen Titeln. Dazu wurden sie ja im Lande aufgenommen, geduldet und von den Königen und dem Adel geschützt. Sie waren so ziemlich die einzigen, welche in dem geldarmen Lande Geld besaßen. Daher begünstigten die Könige ihre Handelsunternehmungen. Als Sigismund August bald nach seiner Thronbesteigung mit dem russischen Großfürsten oder Zaren Iwan IV. (der Grausame genannt) Unterhandlungen wegen Verlängerung des Friedens pflog, stellte er die Bedingung, daß die Litauischen Juden, wie früher, freie Handelsgeschäfte in Rußland machen dürften. Allein Iwan schlug diese Bedingung rund ab; er wollte keine Juden in seinem Lande sehen. »Wir wollen diese Menschen nicht, welche Gift für Leib und Seele zu uns gebracht; sie haben tödliche Kräuter bei uns verkauft und unsern Herrn und Heiland gelästert.«13 Es hatte sich nämlich etwa siebzig Jahre vorher eine jüdische Sekte in Nowgorod durch einen Juden Zacharias (Scharja) gebildet, welcher auch Popen, ein Metropolitan Zosima, die Fürstin Helena, Schwiegertochter des Großfürsten von Litauen, und mehrere aus dem Volke anhingen. Diese judaisierende Sekte hielt sich bis zum Anfang des sechzehnten Jahrhunderts; ihre Anhänger wurden aber, wenn entdeckt, streng verfolgt.14 Daher wurden die Juden in Rußland gar nicht geduldet. Der König Sigismund August war indes trotz seiner gelehrten Bildung, die er sich im Auslande mit den fremden Sprachen angeeignet hatte, ebenso unselbständig wie sein Vater und daher Einflüssen des Augenblickes zugänglich. Nach seiner Thronbesteigung bestätigte er die Privilegien seines Großvaters Kasimir IV.15 Er verkehrte mit den Dissidenten und selbst mit den christlichen Sektierern, welche von Katholiken und Protestanten in gleicher Weise verdammt wurden. Und dennoch duldete er die Jesuiten im Lande, welche durch ihre Verfolgungssucht dem Lande zwar den katholischen Charakter aufgeprägt haben, aber seine Freiheit und Macht untergruben.

[414] Ein Verdienst dieses Königs war, daß er die schöne und wissenschaftliche Bildung aus Italien, Frankreich und Deutschland in Polen unter dem Adelsstande heimisch machte.

Polnische Edelleute, welche gern Reisen machten, brachten ebenfalls Interesse dafür aus Deutschland und Italien mit und ließen ihre Söhne an den reformierten Universitäten von Wittenberg und Genf studieren. Es entstanden Schulen in Polen, woran jüdische Knaben und Jünglinge mit christlichen gemeinschaftlich teilnahmen.16 Eine jüdische Synode soll sogar an die Gemeinden ein Sendschreiben erlassen haben, worin sie die Juden zur Pflege der Wissenschaft aufgemuntert habe. Dieses Sendschreiben, wenn es echt ist, hat eine sehr interessante Seite. Die Mitglieder der Synode belehrten: »Gott hat verschiedene Sefirot (Ausstrahlungen). Adam gab uns das Vorbild verschiedener Vollkommenheiten. Ein Israelit darf sich daher nicht auf eine einzige Wissenschaft beschränken. Die erste Wissenschaft ist zwar heilig (die Theologie), aber die übrigen Wissenschaften dürfen darum nicht vernachlässigt werden. Die beste Frucht ist der Apfel des Paradieses, aber soll man darum nicht auch andere Früchte kosten? Alle Wissenschaften sind von unsern Vätern erfunden; derjenige, der nicht gottlos ist, wird den Ursprung unseres Wissens in den Büchern Mose finden. Was der Ruhm unserer Väter war, kann jetzt nicht in Unehre verwandelt sein. Es hat Juden an den Höfen der Könige gegeben ... Leget euch auf die Wissenschaften, seid nützlich den Königen und den Herren, und alle Welt wird euch achten. Es gibt so viele Juden auf Erden wie Sterne am Himmel und Sandkörner im Meere, aber bei uns leuchten sie nicht wie die Sterne, sondern alle Welt tritt uns mit Füßen wie den Sand. Unser König, weise wie Salomo und heilig wie David, hat bei sich einen andern Samuel, fast einen Propheten (Samuel Maciejowski, Kanzler). Er betrachtet sein Volk wie einen unermeßlichen Wald. Die Winde streuen die Samen aller Bäume hin, und niemand fragt, woher die schönen Pflanzen kommen. Warum soll sich nicht auch unsere Zeder des Libanon erheben in der Mitte grüner Matten?«17

[415] Auf Wissenschaften haben sich die Juden Polens zwar nicht verlegt, aber so ganz bar derselben, wie die deutschen Juden, waren sie keineswegs. Aristoteles, die in der jüdischen Welt so heimische, dem jüdischen Geiste so verwandte philosophische Autorität, fand auch im jüdisch-polnischen Kreise Verehrer; er zog die Jugend besonders mächtig an.18 Auch Maimunis religiös-philosophische Schriften hatten daselbst einige, wenn auch nicht viele Leser. Die Sternkunde und die Medizin, diese beiden Lieblingswissenschaften der Juden von jeher, wurden auch von polnischen Juden gepflegt.19 Im allgemeinen herrschte unter den Juden polnischer Zunge nicht diese Öde wie unter den jüdischen Bewohnern Deutschlands, wo selbst das Talmudstudium einen schlendrianmäßigen, langweiligen, einschläfernden Charakter hatte. Die deutschen Rabbinen waren daher von ihren polnischen Kollegen vollständig abhängig geworden. Sie bedurften, um in ihren Gemeinden etwas durchzusetzen, der ausdrücklichen Nachhilfe der Autoritäten Polens.20 Hier hatte in der Tat das Talmudstudium einen Aufschwung genommen, wie kaum in Frankreich zur Zeit der Toßafistenschule. Unter allen Juden Europas und Asiens haben die polnischen sich am spätesten mit dem Talmud vertraut gemacht, dafür haben sie ihn mit schwärmerischer Liebe gepflegt, als wollten sie das Versäumte schnell nachholen. Es schien, als wenn die tiefen Falten des Talmuds erst in Polen ihr rechtes Verständnis, ihre vollständige Durchdringung und Würdigung finden sollten; es schien, als wenn sich erst dort die rechten Steuermänner »für das talmudische Meer« bewähren sollten. Umfassende Gelehrsamkeit und erstaunlicher Scharfsinn waren unter den Talmudbeflissenen Polens auf eine überraschende Weise verbunden, und jeder, den die Natur nicht vernachlässigt oder ihm allen Geist vorenthalten hat, verlegte sich auf die Erforschung des Talmuds. Der tote Buchstabe belebte sich förmlich unter der warmen Begeisterung der jüdischen Söhne Polens; hier wirkte er wie eine vollstrotzende Kraft, zündete Geistesblitze und erzeugte übersprudelnde Denkfülle. Die polnisch-talmudischen Hochschulen waren daher seit dieser Zeit die berühmtesten in der ganzen europäischen Judenheit. Wer Gründliches lernen wollte, begab sich dahin. In einem jüdisch-polnischen Lehrhause ausgebildet sein, galt ohne weiteres als Empfehlung, und wer diese nicht hatte, wurde nicht als ebenbürtig angesehen.

Drei Männer waren es, welche nach Jakob Polak den Ruf der polnischen rabbinischen Hochschulen begründet haben, Schalom [416] Schachna, Salomo Lurja und Mose Isserles. Schalom Schachna, der älteste unter ihnen (blühte 1528, gest. 155821), hat die haarspaltende, gesuchte, witzelnde (pilpulistische) Lehrweise Jakob Polaks (o. S. 54) in Polen weiter verpflanzt. Schachnas Lehrhaus füllte sich mit Jüngern, und er erhob es zur ersten, bedeutendsten Hochschule, aus der die meisten Rabbinen der polnischen Gemeinden hervorgingen. Von seiner sonstigen Wirksamkeit wie von seiner Persönlichkeit ist wenig bekannt. Nur der Zug verdient hervorgehoben zu werden, daß Schachna, gleich seinem Lehrer Polak, Scheu trug, ruhmsüchtig seine rabbinischen Auseinandersetzungen und Entscheidungen schriftlich zu hinterlassen, ein hervorstechendes Verdienst gegen die Schreibseligkeit seiner Zeit.

Von einer andern Art war Salomo Lurja (geb. in Posen? um 1510, starb um 1573)22 aus einer eingewanderten deutschen Familie. Er wäre, in einer bessern, kraftvollern Zeit und in einer andern Umgebung geboren, ein Fortbildner des Judentums geworden. Als Sohn einer verkommenen Zeit dagegen wurde er nur ein gründlicher Talmudist in einem höhern Sinne des Wortes, insofern er sich nicht bei dem Gegebenen beruhigte, sondern jedes einzelne prüfte und auf die Goldwage kritischer Genauigkeit legte. Schon in seinem Jugendalter hatte er die Selbständigkeit, auszusprechen, er teile nicht die Schwäche seiner Zeitgenossen, den geschriebenen oder gedruckten Buchstaben von älteren Autoritäten wie unfehlbare Wahrheit zu verehren. Sein Vorbild war die französische Toßafistenschule, welche es mit Wort und Sache haarscharf nahm, die zerstreuten und zersprengten talmudischen Aussprüche einem Kreuzverhör unterwarf, kitzliche Fragen aufstellte und noch kühnere Schlußfolgerungen zog. Lurja war ein Rabbenu Tam des sechzehnten Jahrhunderts. Der gründlichen, haarscharf abwägenden Durchforschung des so umfassenden talmudischen Gebietes war seine ganze Geistestätigkeit gewidmet, und er war mit den besten Anlagen zu einem solchen kritischen Geschäfte versehen. Mit seinem kühnen Forschungssinne, unnachsichtig alles einer strengen Prüfung zu unterwerfen. [417] wäre Lurja zu einer andern Zeit selbst über den Talmud hinausgegangen, wenn ihm die Widersprüche grell entgegengetreten wären. Die so weit auseinandergehende Meinungsverschiedenheit über jeden einzelnen Punkt in dem Wirrwarr der talmudischen und rabbinischen Diskussionen war auch ihm anstößig, aber er legte sie sich durch eine eigene kabbalistische Seelenlehre zurecht. Sämtliche Seelen seien von jeher geschaffen und im Seelenraume vorhanden. Sie alle seien bei der sinaïtischen Offenbarung zugegen gewesen, und je nach dem höhern oder niedern Grade des Verständnisses auf der Stufenleiter der 49 Pforten oder Kanäle (Zinorot) hätten sie das Vernommene schärfer oder schwächer erfaßt. Von dieser Verschiedenheit der ursprünglichen Auffassung stamme die auseinandergehende Auslegung der Thora durch die in die Zeitlichkeit eingetretenen Geister.23 Natürlich galt dem Sohne einer gläubigen Zeit der ganze Talmud als die echte Erweiterung der sinaïtischen Offenbarung, als unanfechtbare Autorität, die nur verstanden sein wolle, an der nur hier und da etwas zu berichtigen sei, die aber im ganzen und großen die Wahrheit enthalte. Aber auf alles, was in der spanischen und deutschen Schule über den Talmud geschrieben war, sah Salomo Lurja von seiner stolzen kritischen Höhe mit Verachtung herab, selbst auf Maimunis Leistungen. Er betrachtete sie als Verkleisterung und oberflächliche Übertünchung, welche einer ernsten Prüfung nicht Stand halte. Ganz besonders war er der Spielerei der nur auf Witz ausgehenden, von Jakob Polak angeregten (pilpulistischen) Lehrweise gram. Er suchte Wahrheit, und daher war ihm die Geistesspielerei auch der Schachnaschen Schule widerwärtig. Lurja war zugleich ein ausgeprägter Charakter mit aller Herbigkeit und Eckigkeit eines solchen. Unrecht, Käuflichkeit, Scheinheiligkeit waren ihm so verhaßt, daß er darüber in einen öfter unklugen Feuereifer geriet. Mit dieser seiner Selbständigkeit und Charakterfestigkeit, die er überall geltend zu machen wünschte, stieß er freilich öfter an und verletzte manche Eitelkeit. In herbem Ton geißelte er die Talmudgelehrten, deren Tun nicht der Lehre entsprach, die nur des Disputierens wegen, oder um sich einen Namen zu machen, dem Studium oblägen. Daher zog er sich viele Feinde zu, namentlich im eigentlichen Polen, wo die Schachnasche Schule tonangebend war. Salomo Lurja war daher zu seiner Zeit mehr gefürchtet als beliebt, und war gezwungen, ein unstätes Leben zu führen. Er eröffnete hier und da eine Schule, noch im kaum beginnenden Mannesalter, sammelte Jünger um sich, verließ sie wieder und siedelte sich erst in seinem vierzigsten Lebensjahre in [418] Ostrog in Wolhynien an.24 Gleich nach seiner Ankunft in diese Gegend geriet er in Streit mit einem Isaak Bezalels, Rabbiner von Wladimir, weil dieser in einem Prozesse über Konkurrenz um Branntweinpacht einer Stadt im Gebiete der Königin Bona sich allein, ohne Hinzuziehung eines Kollegiums, zum Richter aufgeworfen hatte und ein ungerechtes Urteil erlassen haben soll. Lurja behandelte ihn, den Ältern, wie es scheint, wegwerfend.25 So war er in seiner Polemik rücksichtslos, derb ohne Schonung, forderte natürlich Vergeltung heraus, wurde dadurch nur noch mehr gereizt, klagte über Verfolgung, sogar über Undank seiner eigenen Jünger, die sich gegen ihn gekehrt hätten, und sah alles im düstern Lichte. Bald geißelte er die Talmudbeflissenen seiner Zeit, daß der Unwissenden viele, der Kundigen nur wenige wären, die Hochmütigen zunähmen, und keiner sei, der den ihm gebührenden Platz einnehmen wolle. Sobald einer derselben ordiniert sei, geberde er sich als Meister, sammle für Geld eine Schar Jünger um sich, wie die Adligen sich Leibdiener mieten. Es gäbe »ergraute Rabbinen, die vom Talmud wenig verstehen, sich herrschsüchtig gegen Gemeinden und Kundige benehmen, bannen, entbannen, Jünger ordinieren, alles aus Eigennutz«.26 Salomo Lurja überschüttete mit der Lauge seines Spottes diejenigen unter den deutschen Talmudkundigen, welche gegen Reiche und Angesehene eine weitgehende Nachsicht bei Übertretung rabbinischer Satzungen übten, dagegen über wenig bemittelte, fremde Männer, wenn sie auch nur um ein Geringes abwichen, z.B. unbedeckten Hauptes zu gehen, einen bösen Leumund verbreiteten.27

Es stand übrigens nicht so schlimm in diesem Kreise, wie es seine gereizte Stimmung schilderte; das beweist am bündigsten die Anerkennung, welche dieser grämliche Tadler selbst gefunden hat. [419] Jüngere wie ältere Talmudbeflissene waren noch bei seinem Leben voll Bewunderung für seine Leistungen. Selbst derjenige, den Lurja so wegwerfend behandelt hatte, Isaak Bezalels von Wladimir, brachte ihm freiwillige Huldigung entgegen. In der Tat unterschied sich Lurjas Behandlungsweise des Talmud bedeutend von der seiner Zeitgenossen. Er hatte etwas von Maimunis klar ordnendem Geiste. Noch an der Grenze von Jugend und Mannesalter unternahm er sein Hauptwerk28, die talmudische Diskussion zu läutern und zu sichten, um daraus die religiöse Praxis festzustellen, und er arbeitete daran bis an sein Lebensende, ohne es ganz zu vollenden. Er war nämlich mit den bisherigen Ergebnissen höchst unzufrieden, und namentlich mit Karos Religionskodex.29 Salomo Lurja vollzog allerdings diese Aufgabe mit mehr Gründlichkeit, Klarheit und Tiefe, als seine Zeitgenossen und Vorgänger. Aber wenn er glaubte, wie es den Anschein hat, andere Werke derselben Gattung, die verschiedenen Kodizes, vielleicht gar Maimunis (dem Lurja nicht sehr hold war) überflüssig und der Vielköpfigkeit und dem Meinungswirrwarr ein Ende zu machen, so lebte er in demselben Irrtume wie Maimuni und andere. Er hat nur dazu beigetragen, diesen Knäuel noch mehr zu verwickeln. – Alle seine übrigen zahlreichen Schriften tragen denselben Stempel von Gründlichkeit und kritischem Sinne, aber die Schäden vermochte er ebenso wenig wie andere zu heilen; sie lagen zu tief.

Vermöge seines kritischen Sinnes legte Lurja auch Wert auf das, was seine polnischen und deutschen Fachgenossen als zu kleinlich gar nicht beachteten, auf grammatische Richtigkeit und Genauigkeit zur Unterscheidung der hebräischen Sprachformen. Dagegen war er ein abgesagter Feind der scholastischen Philosophie; sie schien ihm gefährlich und vergiftend für den Glauben. Freilich räumte er auch der Kabbala einen hohen Vorzug ein, beschäftigte sich viel mit ihr und wollte manche kabbalistische Schrift erläutern und hat es getan. Aber sein gesunder Sinn bewahrte Salomo Lurja doch vor der Verirrung, den Sohar, diese Ausgeburt des Lügengeistes, über den Talmud zu stellen, wie die zeitgenössische Schule des Isaak Lurja in Palästina.30

Die dritte tonangebende rabbinische Größe in Polen war Mose ben Israel Isserles in Krakau (geb. um 1520, starb 18. Ijar [420] 1572).31 Sohn eines sehr angesehenen, mit dem Vorstandsamte bekleideten Vaters, verwandt mit Meïr Katzenellenbogen in Padua, zeichnete er sich mehr durch Frühreife und umfassende Gelehrsamkeit, als durch eine besondere Eigenart des Geistes aus. Jünger und Schwiegersohn Schachnas war Isserles selbstverständlich für dessen dialektische Lehrweise eingenommen, und dessen Lehrsätze galten ihm als unanfechtbar. Von Haus aus so vermögend, daß er eines seiner Häuser als Bethaus weihte32, konnte Isserles in Behaglichkeit dem Zuge seines Geistes folgen, sich in den Talmud zu vertiefen und sich in dessen Irrgängen heimisch zu machen. Er erlangte bald einen solchen Ruf, daß er, noch halb im Jünglingsalter, zum Rabbinerrichter in Krakau, oder vielmehr in Kasimierz, ernannt wurde.33 Als zwei christliche Handelshäuser Bragadini in Venedig einander Konkurrenz machten, Maimunis Religionskodex zu gleicher Zeit zu drucken, und dadurch der Herausgeber, Meïr Katzenellenbogen in Padua, zu Schaden kommen konnte, wandte sich dieser an Isserles, daß er mit dem Gewichte seiner Stimme den Verkauf des Nachdrucks in Polen verbieten sollte.34 Es wurde mit der Zeit mehr Gewicht auf sein Urteil gelegt als auf das des greisen Mitrabbinen Mose Landau, der aus Prag nach Krakau gewandert war.35 Mit dreißig Jahren umfaßte er das ganze Gebiet der talmudischen und rabbinischen Literatur ebenso gründlich wie der noch einmal so alte Joseph Karo.

Auch Isserles fühlte das Bedürfnis, das weithin zerstreute Material des rabbinischen Judentums zu sammeln und abzuschließen. Da ihm aber Joseph Karo darin mit Abfassung seines Kodex zuvorgekommen war, so blieb ihm nur übrig, Anmerkungen und Berichtigungen daran anzubringen. Denn er vermißte darin manche Elemente, namentlich die Berücksichtigung deutsch-rabbinischer Entscheidungen und Bräuche. Die Ergänzung zu Karos Kodex oder »Tafel« nannte er witzelnd »Mappa« oder »Tafeltuch«. Da die deutsche Judenheit von jeher skrupulöser als die übrige war, so [421] fielen Isserles' Nachträge und Ergänzungen erschwerend aus. Seine Entscheidungen fanden allsogleich völlige Anerkennung und bilden bis auf den heutigen Tag für die deutschen und polnischen Juden – und was dazu gehört – die religiöse Norm, das offizielle Judentum. Man kann nicht gerade sagen, daß er dadurch noch mehr zur Verknöcherung desselben beigetragen hat; denn diese Erschwerungen hat er nicht erfunden und eingeführt, sondern festgehalten und abgeschlossen; er war nur dem allgemeinen Zuge gefolgt. Hätte sie Isserles nicht in den Religionskodex gebracht, so würde es ein anderer getan haben, wie denn auch einer seiner Jünger, Mardochaï Jafa, einen ähnlichen Abschluß anlegte.

Isserles hatte indes auch regen Sinn für anderweitige außertalmudische Fächer, zunächst für Astronomie; er arbeitete einen Kommentar zu Frohbachs astronomischem Werke (Theorica)36 aus. Eine Neigung hatte er auch zur Philosophie und beschäftigte sich mit ihr, so weit sie ihm aus hebräischen Schriften zugänglich war; Maimunis »Führer« war auch sein Führer. Dafür mußte er sich eine derbe Abfertigung von Seiten des stolz redenden Salomo Lurja gefallen lassen, der etwas gegen ihn persönlich oder als Jünger der Schachnaschen Schule hatte. Lurja sagte oder schrieb ihm, daß er sich den Schlingen der Verderbnis so unvorsichtig näherte und ein böses Beispiel gäbe, er möge lieber sich befleißigen, Sprachschnitzer im hebräischen Stile zu vermeiden. Isserles mußte sich rechtfertigen, daß er die Philosophie, Gott behüte, nicht von den Griechen in ihrer Sprache gelernt habe, sondern aus den Schriften rechtgläubiger Juden.37 Er verfaßte eine Art philosophische Schrift38, eine Symbolisierung des Tempels, der Tempelgeräte und der Ritualien, die, so geschmacklos und albern sie uns auch vorkommt, im Geschmacke her Zeit war, und dem gebildeten Asarja deï Rossi sehr gefallen dat. Der Kabbala war Isserles nicht besonders hold.39 Indessen war ihre Zugkraft in dieser Zeit so stark, daß auch er sich ihr nicht entziehen konnte; auch er verfaßte einen Kommentar zum Sohar. Für Geschichte war Isserles auch nicht ohne Sinn, und sobald ihm Zacutos Chronik (Jochasin) zu Händen gekommen war, brachte er Anmerkungen und Ergänzungen dazu an40, wie es seine Art war.

Durch sein Interesse an der Geschichte regte Isserles einen seiner Jünger an, sich ernstlich damit zu beschäftigen. David [422] Gans (geb. in Westfalen 1541, gest. in Prag 161341), war als Jüngling nach Krakau gekommen, um die dortige rabbinische Hochschule zu besuchen; aber unwillkürlich wurde sein angeborener Sinn für wissenschaftliche Fächer, Geschichte, Geographie, Mathematik und Astronomie von Isserles, der ihn erzogen und geleitet hat, lebhaft geweckt. Gans verlegte sich auf diese Studien, machte persönliche Bekanntschaft mit den beiden Größen in Mathematik und Astronomie der damaligen Zeit, mit Kepler und Tycho de Brahe, und arbeitete mehrere Schriften über diese Fächer, natürlich in hebräischer Sprache aus. Berühmt ist seine Chronik (Zemach David)42 geworden, welche aus Jahrbüchern der jüdischen und der allgemeinen Geschichte besteht. Es war viel, sehr viel für einen deutschen Juden, sich diese außerhalb des Bereiches der Alltäglichkeit liegenden Kenntnisse angeeignet zu haben. Aber bedeutend kann man David Gans' Leistungen in der Geschichtsschreibung durchaus nicht nennen. Er führte für jüdische Kreise die nackte, trockene Form der Geschichtserzählung ein, wie sie früher geistlose Mönche gebraucht hatten, und die damals bereits einer künstlerischen Darstellung gewichen war. So waren die Juden, wenigstens die deutschen, gegen die gebildete Welt um mehrere Jahrhunderte zurück. Indessen so gering auch Gans' Chronik ist, so hat sie doch insofern ein Verdienst, daß sie die in den Talmud Versenkten daran erinnerte, daß eine lange Geschichtsreihe ihnen vorangegangen war. Freilich paßte diese Wissenschaft so wenig in den Kreis der alltäglichen Studien, daß sie Gans vor dem gelehrten jüdischen Publikum rechtfertigen und besonders auseinandersetzen mußte, daß ein frommer Jude sich keine Gewissensbisse zu machen brauche, seine Chronik am Sabbat zu lesen. Er berief sich dabei auf seinen Lehrer Isserles, der in diesem Punkte sich allerdings mehr von seiner Vorliebe für Geschichte als von der geltenden rabbinischen Satzung leiten ließ. Die geringe Achtung der Geschichte unter den deutschen Juden zeigt sich auch in der knappen Inschrift, welche Gans' Grabsäule trägt, kaum zwei Zeilen43, während die Lobrednerei keine Grenzen fand, wenn es galt, das Andenken irgend einer rabbinischen Winkelgröße zu verherrlichen. Das Talmudstudium, wenn auch nur gedächtnismäßig betrieben, gab damals mehr Ruhm als jedes auch noch so tief erfaßte Wissensfach.

Diese drei dem Range und der Zeit nach ersten rabbinischen Größen, Schachna, Salomo Lurja und Isserles, mit andern Rabbinern [423] von örtlicher Berühmtheit, haben den Grund zum außerordentlichen Aufschwung der jüdisch-polnischen Gelehrsamkeit gelegt. Jede verwickelte und Aufsehen erregende Frage wurde ihnen, besonders aber dem letztern, aus Deutschland, Mähren, Böhmen, sogar aus Italien und der Türkei zur endgültigen Entscheidung vorgelegt. Die widrigen Gemeinheiten in der Prager Gemeinde, denen gegenüber das dortige Rabbinatskollegium ohnmächtig war, wurden vor die Rabbinen Polens gebracht, und diese schritten kräftig dagegen ein.44 Leidenschaftliche Streitigkeiten in Frankfurt a.M., welche eine Verfolgung oder Ausweisung herbeizuführen drohten, wurden von Polen aus beschwichtigt.45 So begründete dieses rabbinische Triumvirat eine gewisse Suprematie Polens über die europäische Judenheit, die von allen Seiten zugestanden wurde. Die Rabbinen Polens haben sich bis zum Ende des achtzehnten Jahrhunderts und teilweise auch darüber hinaus als tonangebend behauptet.

Es entstanden in diesem Lande durch das Triumvirat, dessen zahlreiche Jünger einen Wetteifer für das Talmudstudium bekundeten, Hochschulen, welchen die meisten Juden Polens als Schüler angehörten, so daß nach und nach fast sämtliche polnische Juden talmudkundig und sogar rabbinatsbefähigt wurden. Selbst in kleinen Gemeinden von nur 50 Mitgliedern gab es mindestens 20 Talmudgelehrte, die wiederum wenigstens 30 Jünger unterrichteten. Überall entstanden Lehrhäuser mit einem vortragenden Rabbinen an der Spitze, und die Funktion eines solchen bestand hauptsächlich darin, Lehrvorträge zu halten; alles übrige war Nebensache für ihn. Die Jugend drängte sich in die Lehrhäuser; sie konnte sorglos leben, da die Gemeindekasse oder vermögende Privatleute für ihre Subsistenz sorgten. Von zarter Jugend an wurden die Kinder – allerdings zum Nachteile der natürlichen Entwicklung des Geistes – zum Talmudstudium angehalten, weil die höchste Ehre darin bestand, ein rabbinisches Lehrhaus zu leiten, und so regte sie den Ehrgeiz an, danach zu streben. Aufseher wurden ernannt, den Fleiß der Studierenden (Bachurim) und der Kinder zu überwachen. Diese hatten die Befugnis, die Trägen und Unwissenden körperlich zu züchtigen. Nach und nach wurde eine Art Lehrplan für die talmudischen Vorträge im Sommer- und Wintersemester mit abwechselnden Themata eingeführt, der sich so ziemlich bis zum Beginn der Neuzeit erhalten hat.

Nach Schluß der Semester zogen sämtliche Talmudlehrer mit ihren zahlreichen Jüngern zu den polnischen Hauptmessen, im Sommer [424] nach Zaslaw und Jaroslaw und im Winter nach Lemberg und Lublin. So kamen mehrere Tausend Talmudjünger zusammen. Dort fand ein lebendiger Austausch der Bemerkungen und Subtilitäten über den talmudisch-rabbinischen Lehrstoff statt. Es wurden öffentliche Disputationen gehalten, an denen sich jedermann beteiligen konnte. Die guten Köpfe erhielten auf diesen Reisen als Lohn für ihre Geistesanstrengung reiche Bräute.46 Denn vermögende und halbvermögende Eltern setzten einen Stolz darein, talmudisch-geschulte Schwiegersöhne zu haben, und suchten solche auf den Messen. Die Juden Polens erhielten durch diesen Feuereifer sozusagen eine talmudische Haltung, die sich in jeder Bewegung und Äußerung, im unschönen Achselzucken, in eigentümlicher Daumenbewegung kund gab. Jedes Gespräch gleichgültiger oder auch geschäftlicher Natur glich einer talmudischen Disputation; talmudische Wörter, Bezeichnungen, Phrasen, Wendungen und Anspielungen gingen in die Volkssprache über und waren selbst Weibern und Kindern verständlich.

Aber diese Übertreibung des Talmudstudiums in Polen hat dem Judentume keinen Nutzen gebracht. Wurde es doch nicht betrieben, um ein rechtes Verständnis desselben zu erzielen, sondern lediglich um etwas ganz Besonderes, Ausgesuchtes, Witziges, Pikantes, den Verstandeskitzel Anregendes zu finden! Bei dem Zusammenströmen so vieler Tausende Talmudkundiger, Meister und Jünger, Lehrer und Schüler, an den Hauptmeßplätzen strengte sich jeder an, etwas Neues, Überraschendes, recht Kniffiges zu finden, auf den Markt zu bringen und die übrigen zu überbieten, unbekümmert, ob es stichhaltig oder auch nur relativ wahr sei, sondern nur, um in den Ruf eines scharfsinnigen Kopfes zu kommen. Das Hauptbestreben der Talmudbeflissenen Polens ging dahin, etwas Neues in der talmudischen Diskussion zutage zu fördern, etwas zu erfinden (Chiddusch). Die Vorträge der Schulhäupter und aller Rabbinen hatten nur dieses eine Ziel im Auge, etwas Unübertroffenes aufzustellen und ein Spinngewebe von sophistisch-talmudischen Sätzen zusammen zu leimen, unfaßliche Haarspaltungen noch mehr zu spalten (Chillukim). Dadurch erhielt die ganze Denkweise der polnischen Juden eine verkehrte Richtung; sie stellten die Dinge auf den Kopf und gerieten von einer Verkehrtheit in die andere. Die Sprache litt besonders dadurch, sie artete zu einem lachenerregenden Kauderwelsch, zu einem Gemisch von deutschen, polnischen und talmudischen Elementen, zu einem häßlichen Gelalle aus, das durch [425] die witzelnde Art nur noch widriger wurde. Die verwilderte Sprache, welche alle Formen verachtete, konnte nur noch von einheimischen Juden verstanden werden. Mit der Sprache büßten die Juden Polens das Wesen ein, was den Menschen erst zum Menschen macht, und setzten sich selbst dem Gespötte und der Verachtung der nichtjüdischen Kreise aus. War die Bibel schon durch den Gang der Entwicklung seit der Maimunischen Zeit nach und nach in den Hintergrund getreten, so schwand ihre Kenntnis in Polen ganz und gar. Wenn man sich mit ihr befaßte, so geschah es auch nur, um Witz oder Aberwitz darin zu finden.

Die Umstände lagen damals derart, daß die Juden Polens gewissermaßen einen eigenen Staat im Staate bilden konnten. Freilich hatte es die kirchlich-reaktionäre katholische Partei, welche unter dem eifervollen Papste Caraffa Paul IV. den Petrusstuhl beherrschte, auch auf die Verfolgung oder wenigstens Knechtung der Juden Polens abgesehen. Der päpstliche Nuntius Alois Lipomano, der in das slavische Königreich gesandt worden war, um das Umsichgreifen der Reformation zu hemmen, begann seine Henkerrolle sofort mit den Juden. Den Dominikanern hatte er es abgesehen, wie man durch erlogene Anschuldigungen die Masse der Bevölkerung fanatisieren könne. Lipomano veranstaltete auch in Polen eine Hostienszene. Ein Mädchen mußte aussagen, daß Juden von Sochaczew (Kreis Rawa in Masovien) eine geweihte Oblate von ihm gekauft, geschändet und zum Wundertun gebracht hätten. Darauf wurden drei Juden von dem für den Plan gewonnenen Palatin Barkow gefesselt, und der Kanzler Przemberz, Bischof von Chelm, hatte den Auftrag, den König Sigismund August zu fanatisieren, daß er den Befehl zur Hinrichtung der Gefesselten erteilen möge. Indessen hatte der Mundschenk Mischkow, ein Protestant, dem Könige die Überzeugung von der Erlogenheit der Hostienschändung beigebracht, und Sigismund August war einsichtsvoll genug, zu erklären, daß er an eine solche abgeschmackte Fabel nicht glaube. Er erteilte dem Starosten von Sochaczew den Befehl, die angeschuldigten Juden in Freiheit zu setzen. Die Gemeinde von Sochaczew hatte auch unter Tränen die Nichtigkeit der Anklage beteuert. Allein der gewissenlose Bischof von Chelm übergab dem Boten, welcher den drei Juden die Freiheit verkünden sollte, ein gefälschtes Schreiben vom Könige aus Wilna mit, daß sie wegen ihres Gottesmordes hingerichtet werden sollten. Und so wurden sie verbrannt (1558). Lipomano, der diese Intrige geleitet hatte, wollte damit Schrecken einflößen. Er hatte sich aber verrechnet. Der König Sigismund August war über diese Untat unter Mißbrauch seines Namens entrüstet und verhehlte keineswegs seinen Unwillen [426] dem Nuntius gegenüber. Er sagte es ihm ins Gesicht: »Ich erzittere über diese Grausamkeit und wünsche nicht für einen solchen Narren zu gelten, der da glaubt, daß aus einer durchstochenen Hostie Blut fließe.« Die ganze reformatorische Bevölkerung nahm Partei für die Juden, beleuchtete die Schändlichkeit des Nuntius und verfolgte ihn mit stachlichen Satiren.47 Mehrere Landboten und besonders der Hetman Tarnowski drangen in den König, die Unheil stiftenden Bischöfe aus dem Staat zu weisen. Aber zu dieser Tatkraft vermochte sich Sigismund August nicht aufzuraffen. Aber er erließ ein Gesetz (1559), daß, wenn in Zukunft ein Jude des Kindermordes oder Hostiendiebstahls beschuldigt werden sollte, der Prozeß nicht vor einem Würdenträger des Reiches, sondern vor dem Reichstag verhandelt werden sollte, und zwar nicht auf Grund einer frivolen Anklage, sondern nur durch glaubwürdige Zeugen und Beweisstücke.48 – Von protestantischer Seite hetzte der Kronmarschall Rey v. Naglowic mit giftigen Schriften gegen die[427] Juden, sie auszurotten.49 Hin und wieder gelang es auch den Judenfeinden, den wankelmütigen König zu bewegen, die den Juden erteilten Privilegien zu brechen, ihnen Beschränkungen aufzulegen und sie dem Brotneid der deutschen Zünftler preiszugeben. Er verbot ihnen auch einmal, goldene Ketten und kostbare Edelsteine an Gürteln und Schwertern zu tragen.50 Er war aber aus Rücksicht auf den jüdischen Herzog von Naxos51 genötigt, den er seinen lieben Freund nannte, ihnen ein freundliches Gesicht zu zeigen und ihre Privilegien mehr zu achten oder neue auszustellen. Der Posener Gemeinde, welche am meisten von den deutschen Zünftlern und Beamten geplagt wurde, erteilte er kurz vor seinem Tode einen sehr günstigen Schutzbrief.52 Aber selbst die Beschränkungen hatten nur Folgen, wenn die Palatine und Woiwoden damit einverstanden waren; diese Adligen waren aber meistens auf Seiten der Juden. Daher fand denn auch der Nuntius Commendoni, klüger und ruhiger als sein Vorgänger Lipomano, zu seinem Erstaunen die Juden in Polen, wenigstens in der Provinz Reußen (Lembergischen), nicht so schmählich behandelt wie in Italien und Deutschland. Im Gegenteil, statt der Abzeichen trugen sie Waffen und Ritterschmuck, und statt der Zurücksetzung verkehrten sie mit allen Christen auf dem Fuße der Gleichheit.53 Den Ohrenbläsereien der fanatisch-kirchlichen Partei am Hofe wirkten die jüdischen Leibärzte entgegen. Salomo Aschkenasi aus Udine stand dem Könige Sigismund August eine Zeitlang als Hofarzt nahe, ehe er in der Türkei eine so weitgreifende diplomatische Rolle spielte. Simon Günzburg (geb. um 1507, gest. 1586)54 hatte eine Zeitlang das Ohr desselben Königs. Er war reich, gelehrt, angesehen, wohltätig und bescheiden, Vorsteher der Posener Gemeinde, von dessen Lob die Zeitgenossen überströmten. Simon Günzburg und andere Günstlinge des Hofkreises oder des Adels konnten drohende Wolken, ehe sie sich noch verdichtet hatten, zerstreuen.

Nach dem Tode dieses Königs (1572) kam das Wahlkönigtum den Juden Polens recht zu statten. Denn jeder neugewählte König brauchte vor allem Geld, und dieses konnten nur Juden herbeischaffen oder er brauchte eine Partei unter den Adligen, und[428] dadurch erlangte dieser im allgemeinen ihnen zugetane Stand das Übergewicht über die engherzige, judenfeindliche deutsche Bürgerschaft. Unter dem ersten Wahlkönige, dem Herzog Heinrich von Anjou, dem die angestrengtesten Ränke seiner Mutter die polnische Dornenkrone aufs Haupt gesetzt hatten, konnten sie sich zwar nicht sehr glücklich fühlen. Obwohl er seine Wahl in letzter Instanz einem Juden, dem Leibarzte Salomo Aschkenasi, zu verdanken hatte55, so hat dieser leichtsinnige, nur den Vergnügungen ergebene König den Juden kein freundliches Gesicht gezeigt. Hat sich doch durch ihn zum ersten Mal die rührige, kühne, katholische Partei gebildet, welche die bisher bestandene Religionsfreiheit in Polen untergrub! Wie sollte oder wie konnte er die Juden begünstigen? Heinrich hat nicht einmal die Privilegien der Juden Polens anerkannt und damit sie gewissermaßen für vogelfrei erklärt. Er soll direkt feindselige Schritte gegen sie beschlossen haben.56 Daher erhob unter ihm und unter Leitung des Jesuitenordens der kirchliche Fanatismus sein Hydrahaupt wieder und klagte einige litauische Juden des Christenkindermordes an. Glücklicherweise regierte dieser gelangweilte König nicht lange (16. Februar bis 18. Juni 1574).

Nach einer Zwischenregierung von dreizehn Monaten und nach langen Wahlverhandlungen und Intrigen gelangte der kluge Fürst von Siebenbürgen, Stephan Bathori, auf den polnischen Thron, wohl auch nicht ohne Mitwirkung des jüdischen Agenten Salomo Aschkenasi, da die Türkei dessen Wahl gefördert hat. Nicht lange nach seiner Thronbesteigung richtete er milde Worte an die Juden, nahm die von Litauen in Schutz gegen die lügenhafte Anschuldigung des Christenkindermordes und sprach die Überzeugung aus, daß die Juden darin gewissenhaft der jüdischen Lehre folgen, Menschenblut nicht zu vergießen.57 Seine fast zwölfjährige Regierung (1575-1586) bildet einen freundlichen Abschnitt in der Geschichte der Juden Polens.

Unter der langen Regierung Sigismunds III., des Schwedenprinzen (1587-1632), dessen Wahl das Vorbild für innere Spaltung und Bürgerkriege gab, erging es den polnischen Juden besser, als man von ihm, dem Jesuitenzögling und eifrigen Katholiken, erwarten sollte. Obwohl er die polnischen Dissidenten so sehr verfolgen ließ, fühlten sich die Juden unter seiner Regierung nicht unbehaglich.58

[429] Auf dem Reichstage zu Warschau (1592) bestätigte er die für günstig geltenden alten Kasimirschen Privilegien der Juden.59 Die bitteren Schmähungen zweier polnischer Schriftsteller gegen sie, Mojezki und Minźiński beweisen eben deren günstige Lage, da diese dieselbe geschmälert wissen wollten. Es gab noch einsichtsvolle Polen, welche Minźyńskis Ausfälle mißbilligten und ihn einen Ruhestörer nannten; freilich viele andere lobten ihn als Apostel der Wahrheit.60 Nur eine gesetzliche Bestimmung führte Sigismund III. zum großen Nachteil der Juden ein, die seinen erzkirchlichen Sinn bekundet. Er verordnete, daß sie zum Bau neuer Synagogen die Erlaubnis von Geistlichen einholen müßten61, eine Befugnis, welche die Religionsübung der Juden von der verfolgungssüchtigen Kirche abhängig machte.

Unter dem Könige Stephan Bathori führte die polnische Judenheit eine Institution ein (um 1580)62, wie sie bisher im Verlaufe der jüdischen Geschichte in dieser Form noch nicht bestand, und sie verlieh den Gemeinden in Polen eine außerordentliche Einigkeit, auch Halt, Stärke und dadurch Ansehen nach innen und außen. Es hatte sich bisher von selbst gemacht, daß bei dem Zusammenströmen von Rabbinen und Schulhäuptern mit ihrem Anhange an den polnischen Hauptmeßplätzen wichtige Fragen daselbst verhandelt, Prozesse geschlichtet und gemeinsame Verabredungen getroffen wurden. Die Nützlichkeit solchen Zusammengehens mag sich augenfällig herausgestellt und die Idee angeregt haben, regelmäßige Zusammenkünfte der Hauptgemeindeführer zu veranstalten, um allgemeine, bindende Beschlüsse zu fassen. Die Führer und die Gemeinden müssen damals von einem guten Geiste beseelt gewesen sein, daß sie auf ein solches Zusammenwirken eingingen. Es einigten sich zunächst die Gemeinden der Hauptländer Kleinpolen, Großpolen und Reußen zu dem Zwecke, regelmäßig wiederkehrende Synoden (Waad) zu veranstalten, die an einem Hauptmeßplatze Lublin und Jaroslaw tagen sollten. Die Hauptgemeinden sandten Deputierte, gelehrte, bewährte Männer, welche Sitz und Stimme in der Synode hatten. Sie wählten einen Vorsitzenden, der die Verhandlungen über die zur Sprache gebrachten Fragen leitete und ein Sitzungsprotokoll führte. Streitigkeiten in den Gemeinden und zwischen einheimischen und fremden Geschäftsleuten, Steuerverhältnisse, religiöse und sittliche Anordnungen, Abwendung von drohenden Gefahren, gemeinsame Unterstützung leidender Brüder, das waren die Punkte, welche von den Synoden [430] verhandelt und bindend verabredet wurden. Auch eine Bücherzensur übte die Synodalversammlung, indem sie für gewisse Bücher die Erlaubnis erteilte, gedruckt und verkauft zu werden, für andere, die ihr schädlich schienen, Druck und Verbreitung untersagte. Die Krone, welche ein Interesse daran hatte, daß Handel und Wandel der Juden keine Störung erleiden und die ihnen auferlegten Steuern ungehemmt eingehen sollten, begünstigte die von der Synode gehandhabte Ordnung. Wahrscheinlich hat Stephan Bathori die Erlaubnis zu den synodalen Versammlungen erteilt. Ihre innere Organisation und Geschäftsordnung ist nicht bekannt, weil die Protokolle später ein Raub der Brände und der Judenschlächtereien wurden, und so bleibt es zweifelhaft, ob schon im Anfang dieselbe Ordnung wie später geherrscht hat; daß die Synode aus mehr denn zehn Männern bestand, nämlich aus mehr als vier Delegierten der Hauptgemeinden Krakau, Posen, Lublin, Lemberg und andern und aus sechs Rabbinen, welche diese dazu beriefen. Vermutlich trat Litauen später hinzu, und davon wurden die Synoden die der Vier-Länder genannt (Waad Arba Arazot). Sehr wohltätig wirkten die Synodalversammlungen. Sie verhüteten tiefgreifende Zwistigkeiten, wehrten Ungerechtigkeiten ab und bestraften sie, hielten den Gemeinsinn wach, lenkten ihn auf die Gesamtheit und arbeiteten solchergestalt der Engherzigkeit und Selbstsucht örtlicher Interessen entgegen, welche die Zersplitterung und Vereinzelung der Gemeinden so sehr nährte, wie sie namentlich in Deutschland heimisch war, wo auch unter den Juden das Pfahlbürgertum mit beschränktem Gesichtskreise herrschte. Aus diesem Grunde war die polnisch-jüdische Synode auch auswärts angesehen; entfernte deutsche Gemeinden oder Privatpersonen, die sich über Unbill zu beklagen hatten, wendeten sich an diese höchste Behörde in der Gewißheit, von ihr Abhilfe ihrer Beschwerden zu erlangen. Es gereicht den Männern, welche eine geraume Zeit von fast zwei Jahrhunderten die Synoden leiteten, zum Ruhme, daß ihre Namen, die würdig gewesen wären, der Nachwelt bekannt zu werden, dunkel geblieben sind, als hätten sie geflissentlich ihre persönliche Bedeutung vor dem Allgemeinen zurückgedrängt. Ebensowenig ist der oder sind die ersten Urheber bekannt, die das gewiß mühsame Werk durchgesetzt haben, den doppelt anarchischen Sinn von Juden und Polen zu überwinden und zu bewegen, sich einem großen Ganzen unterzuordnen. Nur vermuten kann man, daß Mardochaï Jafa, ein aus Böhmen stammender Rabbiner (geb. um 1530, starb 1612)63, der viele Wanderungen und Leiden durchgemacht, diese regelmäßigen Synodalversammlungen organisiert [431] hat. In seiner Jugend war er nach Polen gekommen, um zu den Füßen Salomo Lurjas und Mose Isserles' das Talmudstudium zu betreiben. Nebenher lernte er auch etwas von Philosophie und Astronomie und vertiefte sich in die Mystik. In seine Geburtsstadt Prag zurückgekehrt, sammelten sich Jünger um Jafa, um von ihm die aus Polen mitgebrachte talmudische Weisheit zu hören; aber er konnte sich dort nicht lange halten, da er durch die Ausweisung der Juden aus dem ganzen Lande64 gezwungen war, zum Wanderstab zu greifen. So kam Jafa nach Venedig und von Italien wieder nach Polen. Dort hatte er als Rabbiner zuerst in Grodno, dann in Lublin und Kremnitz (um 1575 bis Frühjahr 1592) gelehrt. In Lublin, als Hauptmeßplatz, strömten, wie gesagt, viele Tausend Juden zusammen, und es gab daselbst immer schwebende Prozesse und Streitigkeiten zu schlichten. Dadurch mag Mardochaï Jafa auf den Gedanken gekommen sein, die zufälligen Synoden in regelmäßige zu verwandeln und Statuten dafür auszuarbeiten. Er hatte in Venedig von den italienischen Juden Sinn für Ordnung empfangen. Seine Autorität war auch gewichtig genug, um seinen Vorschlägen, die zugleich einem Bedürfnis entsprachen, Eingang zu verschaffen. Als er wieder im Alter nach Prag zurückkehrte, um das dortige Rabbinat zu übernehmen, scheint den Vorsitz bei den Synoden Josua Falk Kohen65, Schulhaupt von Lemberg (1592-1616), geführt zu haben, dessen großes Lehrhaus sein reicher und angesehener Schwiegervater unterhielt. Die häufigen Synoden der Dissidenten in Polen, der Lutheraner und Antitrinitarier mit ihren Nebensekten in verschiedenen Städten, scheinen den jüdischen zum Muster gedient zu haben. Nur wurden hier nicht wie dort haarspaltende Dogmen verhandelt, sondern praktische, ins Leben eingreifende Fragen entschieden.

Denn äußerlich betrachtet, boten Polen und Litauen in dieser Zeit das Bild eines von religiösen Streitigkeiten durchwühlten Landes, aus dem sich eine neue Gestaltung des Christentums emporarbeiten sollte. Als in Deutschland die reformatorische und gegenreformatorische Bewegung sich bereits gelegt, die titanischen Himmelstürmer sich in alltägliche Pastoren verwandelt hatten, die neue Kirche ihrerseits einem Verknöcherungsprozeß entgegen ging und nach kurzem Jugendrausche in Altersschwäche verfiel, gingen in den polnischen Landesteilen die Wogen religiöser und sektiererischer Spaltung erst recht hoch und drohten, eine allgemeine Überflutung herbeizuführen. Die deutschen Kolonien in Polen hatten die [432] Reformation dahin verpflanzt, und der polnische Adel, nachahmungssüchtig und ohne eigene Überzeugung, betrachtete es als eine gebietende Modesache, der gegenpäpstlichen Neuerung zu huldigen. Dieser nahm die Reformation an, die Kleinbürger und Bauern dagegen, d.h. die Leibeigenen, waren zu stumpf, um für oder gegen den Papst und die Messe Partei zu nehmen. Das Christentum war in Polen und Litauen überhaupt noch zu jung, um feste Wurzeln zu haben. So drang die Reformation, weil sie wenig Widerstand fand, in Adel- und Bürgerkreise schnell und sich fast überstürzend ein. Im allgemeinen war die Genfer Lehre Calvins von dem polnischen Adel, das Luthertum von den deutschen Bürgern bevorzugt. Neben diesen zwei Bekenntnissen, die auf polnischem Boden einander ebenso feindlich gegenüber standen, wie in Westeuropa, gab es noch Hussiten aus der Bewegung der vorangegangenen Jahrhunderte, erbärmliche Zeichen eines vor seinen eigenen Konsequenzen zurückschreckenden Denkens. Mit diesen liebäugelten beide Bekenntnisse, um ihre Zahl zu vergrößern. Die Könige Sigismund I. und Sigismund August hatten diese Bewegung gewähren lassen, ja von den Radziwills in Litauen, die seinem Throne nahe standen, beherrscht, war der letztere nahe daran, dem Papsttum untreu zu werden. So wurde Polen in weitester Ausdehnung ein Freistaat und ein Tummelplatz für die von dem Augustinermönch zu Wittenberg ausgegangene neue Lehre. Auf einem Reichstage zu Warschau (1566) wurde ein Gesetz angenommen, daß es jedem Edelmann frei stünde, in seinem Bereich den von ihm gewählten Gottesdienst einzuführen, nur müsse sein Bekenntnis auf der Grundlage der heiligen Schrift beruhen. Wie verachtet der Vertreter des Katholizismus in Polen war, zeigte sich darin, daß, als der Nuntius Lipomano in diesem Reichstage erschienen war, er von den Landboten mit den Worten »Willkommen, du Viperbrut« empfangen wurde.66 Selbst die in Italien, der Schweiz oder Deutschland von katholischer oder reformatorischer Seite verfolgten Denker oder Schwärmer, welche die religiöse Bewegung weiter treiben wollten, fanden unter dem Schutz der auf ihrem Gebiete selbständigen polnischen Adligen zuvorkommende Aufnahme und Schutz.

So konnte sich in Polen eine Sekte bilden, welche folgerichtig fortgesetzt, dem Christentum überhaupt vernichtende Stöße, die anfangs nur dem Katholizismus zugedacht waren, hätte beibringen können. Die Asche des auf dem Scheiterhaufen zu Genf verbrannten [433] Aragoniers Servet, der »über die Irrtümer der Dreieinigkeit« geschrieben hatte, schien einen neuen Keim kirchlicher Spaltung befruchtet zu haben. Eine Reihe seiner Jünger, Socin, Blandrata, Paruta, Italiener von kühnen Gedanken, die an dem Grundgebäude des Christentums rüttelten, in katholischem und reformatorischem Lager geächtet, trat über die polnische Grenze und durfte dort nicht nur frei leben, sondern auch frei sprechen. Die Hauptangriffe der Socinianer und Pinczowianer (wie diese in Polen wuchernde Sekte genannt wurde) war gegen die Dreieinigkeit als eine Art Vielgötterei gerichtet, freilich ohne folgerichtige Gedankenschärfe. Davon erhielten sie den Namen Unitarier oder Antitrinitarier.67 Einer dieser Sekte, Georg Paul, ein Pole, eine Zeitlang Prediger in Krakau, erkannte und bezeichnete richtig die Halbheit der lutherschen Reformation. »Mit Luther fing Gott an, die Kirche des Antichrist vom Dache abzutragen, nicht vom Grund aus, damit das morsche Gebäude ihn nicht verschütte.« Es entstand infolgedessen in Polen ein Gewimmel von Sekten, welche auf synodalen Versammlungen zusammenkamen, um sich zu einigen, aber stets noch weiter getrennt und zerklüftet auseinander gingen.

Die Schwärmerei, welche damals in Polen überhand nahm, macht es glaublich, daß manche Christen, von der Bibel geleitet, in der Verwerfung der katholischen Satzungen über das Christentum selbst hinausgingen und sich dem Judentum näherten. Die Tochter des Fürsten Nikolaus Radziwill empfand große Vor liebe für die Lehre Moses. Die Witwe eines Krakauer Ratsherrn, Katharina Zelazewska, bekehrte sich geradezu zum Judentum, wurde selbstverständlich in Krakau verbrannt, ging aber in den Tod mit froher Seele, wie zu einer Hochzeit. – Die Verbindung der reformatorischen Bewegung in Polen mit der Sektiererei der Scharajiten in Nowgorod erzeugte in Rußland eine halbjüdische Sekte, die Subotniks. Die Anhänger des Scharja (S. 414) waren ebenfalls Unitarier, leugneten Jesu Gottheit und verwarfen die Verehrung des Kreuzes, der Heiligenbilder und das [434] Mönchtum. Der Metropolitan Zosima, der Apostel dieser Sekte, äußerte sich öffentlich: »Wer ist denn dieser Jesus Christus? Er sollte doch zum zweiten Male erscheinen? Wo bleibt die Auferstehung der Toten?« Nachdem die Scharajiten Gunst und Ungunst bei den russischen Großfürsten gefunden hatten und zuletzt durch den Verfolgungseifer eines Bischofs Genadji und anderer orthodoxer Geistlichen in Nowgorod verbrannt worden waren, trat ein zu dieser Sekte Bekehrter, Theodosius Kosoj aus Moskau, mit Feuereifer für die Verbreitung derselben auf – er soll gar eine Jüdin geheiratet haben – und gewann Anhänger in Weißrußland, in Witebsk und Moskau, selbst unter den Mönchen. Kosoj und sein Anhang erkannten nur das Fünfbuch Moses als heilige Schrift an und verwarfen demzufolge die Dreieinigkeit und Vieles aus dem Ritus der griechischen Kirche. Sie wurden natürlich verfolgt und mußten ihr ketzerisches Bekenntnis verheimlichen. Kosojs Anhänger, durch die Verfolgung zersprengt, zerfielen in Untersekten, von denen sich die Molokani (»Milchzehrer«) bis auf den heutigen Tag erhalten haben. Sie feierten den Sabbat statt des Sonntags, und deshalb bezeichnete sie der Volksmund als »Subotniks« (Sabbatfeirer); sie haben auch sonst Manches vom Judentum beibehalten und gelten daher in Rußland für judaisierende Christen.68

Unter den Unitariern oder den Gegnern der Dreieinigkeit wurden diejenigen, welche sich halb und halb dem Judentume näherten und namentlich die Anrufung und Verehrung Jesu als eine göttliche Person verwarfen, von ihren verschiedenen Gegnern als Halbjuden (Semi-judaizantes) verlästert. Zu den konsequentesten Unitariern in Polen gehörte Simon Budny aus Masovien, Pastor des Calvinschen Bekenntnisses in Klezk (gest. nach 1584), der eine eigene Sekte, die Budnier, stiftete. Er war gelehrter als die übrigen Sektenhäupter, verstand Griechisch und war auch des Hebräischen ein wenig kundig, das er wohl von Juden erlernt hatte. Simon Budny hat sich durch seine einfache Übersetzung des alten und neuen Testamentes ins Polnische (Zaslaw 1572) berühmt gemacht. Seinen Umgang mit Juden bekundete er auch durch seine Hochachtung vor dem sonst von aller Welt geschmähten Talmud69. Eine eigene Stellung zu diesem wuchernden Sektenwesen nahm Martin Seidel ein, der zwar ein Schlesier (aus Ohlau) war, aber sich an den Grenzen Polens, wo mehr Gedanken- und Schwärmereifreiheit herrschte, aufhielt. Seidel verwarf Jesus ganz und gar und wollte ihn nicht einmal als Messias [435] und noch weniger als Gott anerkennen. Nach Seidels Ansicht sei der Messias nur den Juden wie das Land Kanaan verheißen, aber nicht als außerordentlich übermenschliches Wesen, sondern als menschlicher König wie David. Das Gesetz des Judentums sei nur für die Juden Norm, für die übrigen Menschen aber seien lediglich die Zehngebote verbindlich.70

Wiewohl die reformatorisch-sektiererische Bewegung in Polen und Rußland ungeachtet der häufigen Synoden, Disputationen, Protestationen im ganzen nicht tief eingreifend war, weil der größte Teil der Bevölkerung sich gleichgültig dazu verhielt, und der Adel selbst, der Beschützer derselben, nur oberflächlich davon berührt war, und daher viele Glieder desselben mit einem Sprunge zum Katholizismus zurückkehrten71, so ging sie an den Juden doch nicht ganz spurlos vorüber. Sie ließen sich gern mit den Sektenhäuptern oder Anhängern in Disputationen ein, wenn auch nicht gerade um sie zum Judentum zu bekehren, so doch um ihre Überlegenheit in Bibelfestigkeit zu zeigen. Religionsgespräche zwischen ihnen und den Dissidenten (wie man sämtliche vom Katholizismus abgefallenen Polen nannte) kamen daher nicht selten vor.72 Ein Unitarier Martin Czechowic (geb. 1530, gest. 1613) aus Großpolen, ein unklarer Kopf, der alle Wandlungen der religiösen Bewegungen durchgemacht – als katholischer Priester (in Kurnik) sich zuerst den Hussiten zuneigte, dann sich abwechselnd zu Luthers, Calvins und Zwinglis Lehre hielt, endlich Schismatiker wurde, die Kindertaufe verwarf und behauptete, ein Christ dürfe kein Staatsamt annehmen – dieser Martin Czechowic hatte in einem Werke die Einwürfe der Juden gegen Jesu Messianität zu widerlegen gesucht und die fortdauernde Verbindlichkeit des Judentums mit alten, rostigen Waffen bekämpft. Gegen diese Beweisführung schrieb, wie es scheint, ein rabbinitischer Jude Jakob (Nachman) von Belźyce73 in Lublin (1581) eine Widerlegung, die so[436] scharf gewesen sein muß, daß sich Czechowic herausgefordert sah, seine Behauptung in einer Gegenschrift zu rechtfertigen.

Mehr noch als Jakob von Belźyce ließ sich ein Karäer Isaak ben Abraham Troki (aus Trok bei Wilna, geb. um 1533, gest. 159474) in Disputation mit polnischen und litauischen Anhängern verschiedener Bekenntnisse ein. Er hatte Zutritt zu Adligen, Kirchenfürsten und andern christlichen Kreisen, war bibelfest und auch im neuen Testamente, sowie in rabbinischen und in den verschiedenen religiös-polemischen Schriften seiner Zeit belesen und solchergestalt ausgerüstet, gründlichen Bescheid zu geben. Die Ergebnisse seiner ruhig gehaltenen Religionsgespräche sammelte Isaak Troki kurz vor seinem Tode (1593) zu einem Werke, das später berufen war, als Arsenal für die niederschmetternden Geschosse gegen das Christentum zu dienen. »Befestigung des Glaubens« (Chisuk Emuna) nannte er sein Werk; aber er entkräftete nicht bloß die vielfachen Angriffe von christlicher Seite gegen das Judentum, sondern ging auch dem Christentume zu Leibe und hob recht geschickt und mit Sachkenntnis die Widersprüche und unhaltbaren Behauptungen hervor, welche in den Evangelien und andern christlichen Urschriften vorkommen. Es ist das einzige Buch eines karäischen Schriftstellers, das sich einigermaßen lesen läßt. Besonders Neues enthält es zwar nicht; alles was darin zur Verteidigung des Judentums und zur Bekämpfung des Christentums vorgebracht wird, ist bereits von [437] jüdisch-spanischen Schriftstellern früherer Zeit, namentlich von dem geistvollen Profiat Duran75 in schönerer und überzeugenderer Weise gesagt worden. Und doch machte Trokis Werk mehr Glück – so haben auch Schriften ihr eigenes Geschick. Es wurde in die spanische, lateinische, deutsche und französische Sprache übersetzt und erhielt durch das Ankämpfen gegen dasselbe christlicherseits noch mehr Ruf. Ein Herzog von Orleans76 machte sich daran, des polnischen Karäers Angriffe auf das Christentum zu widerlegen. Und als die erwachte und gekräftigte Vernunft sich die Aufgabe stellte, die Hebel anzulegen, um die Grundfesten des Christentums zu erschüttern und das ganze Gebäude abzutragen, holte sie auch aus dieser Waffenkammer ihre Werkzeuge.


Fußnoten

1 Czacki, o Zydach p. 44. J. M. Zünz, Geschichte der Krakauer Rabbinate (קדצה ריע) Berichtigungen S. 14, (o. S. 56 f.).


2 Zünz das.


3 Ad. Kraushaar, Historia Źydach II. 198 fg. Zünz das.


4 Über die Königin Bona s. Responsen Salomo Lurja Nr. 35 vom Jahre 1547 und über Kmita Czacki, Rosprava o Źydach p. 82 Note, auch p. 81. Note m. Judaeos deplumabat (Kmita) commotis et concitatis in eos clamoribus nuntiorum terrestrium, vel ad restringendam eis mercaturae licentiam, vel ad futura inhibenda ... Ad haec avertenda Judaei collata in commune pecunia, ei munera offerebant. Haec eadem ratione mercatores Cracovienses emulgebat proposito, ac promulgato rumore de permittenda ex totius Conventus decreto libera Judaeis omnis generis mercatura. ....


5 Reichstagsverhandlungen von 1532-34. Czacki, das. 82.


6 Petition von 1536 bei Lukaszewicz, angeführt bei Perles, Geschichte der Juden in Posen S. 18 fg.

7 Czacki, a.a.O. p. 83.


8 Bei Sternberg, Geschichte der J. in Polen 130 f. Note, vom Jahr 1536.


9 Das. S. 135. Note, vom Jahre 1538.


10 Ad querelam mercatorum Cracoviensium responsum Judaeorum de mercatura 1530 bei Czacki p. 84.


11 Schätzung von 1451-53 das. bei Czacki p. 80. Vgl. Sternberg S. 144.


12 Lukaszewicz bei Perles das. S. 20. Schätzung vom Jahre 1549.


13 Karamsin, Geschichte des russischen Reichs, deutsche Übersetz., VII S. 281 vom Jahre 1549.


14 Das. VI, S. 153 fg.


15 Bei Sternberg 138, bei Perles 144.


16 Worüber der Primas von Polen, Pater Gamrat, im Jahre 1542 bittere Klage führte, bei Czacki das. p. 180, Note b.


17 Das Fragment auf einem Papierstreifen, das Czacki in einem Archiv gesunden, und woraus er das Obige mitgeteilt hat (das. p. 178 fg), erscheint höchst apokryph. Wer waren die Mitglieder der Synode, welche diesen Hirtenbrief zur eifrigen Pflege der Wissen schaft erlassen haben? Doch wohl auch Rabbiner. Aber es ist keiner aus dieser Zeit bekannt, der ein so warmes Herz für die Wissenschaften gehabt hätte. Man erfährt auch nicht aus Czacki, ob der Papierstreifen hebräische, lateinische oder polnische Buchstaben enthielt. Manche stilistische Wendungen klingen gar nicht hebräisch oder rabbinisch.


18 Vergl. Respp. Mose Isserles' Nr. 6 von Salomon Lurja: םירודסבו תוליפתב בותכ יתיאר רבגה יננה התעו וטסרא תלפת ןהב םושר םירוחבה; auch das. Nr. 7.


19 Commendoni, o. S. 57, Note.


20 Folgt aus mehreren Responsen Mose Isserles'.


21 Seine Funktionsdauer und sein Todesjahr sind bekannt durch seine Grabschrift auf dem Begräbnisplatze in Lublin, mitgeteilt von Halberstamm in der Zeitschrift Jeschurun von Kobak Jahrg. V, 194.


22 Sein Geburtsjahr läßt sich jetzt besser ermitteln. In seinen Responsen Nr. 64 gibt er an, daß er in seiner Jugend von seinem Großvater, Isaak Klauber aus Worms, nur Talmud gelernt, und daß dessen Bibliothek bei dem großen Brande in Posen untergegangen sei. Dieser Brand fand statt am 2. Mai 1535, Perles a.a.O. S. 18 fg. nach Lukaszewicz. Damals war S. Lurja noch jung. Auch im Jahre 1547 nennt er sich noch םינשב ריעצ רומג רומלת Respp. Nr. 35. Sein Todesjahr wird von David Gans 1573 angesetzt, es spricht aber manches dagegen.


23 Einleitung zu sämtlichen Traktaten seines לש םי המלש.


24 Vergl. Respp. Nr. 10 gegen Ende, Nr. 8 vom Sept. 1553, datiert aus Ostrog. In Nr. 66 klagt er: םידימלת ןואגה ונבו ןקזה תרובג לע ןיחטובו ןיכמוס יב םיעשופנ םידרומה 'ה לעגו סאמ אל םדי תחת יופכו יביוא ץראב יתויהב ףאו ... ץרא יוצק לכמ םינוגה םידימלתב ילובג הברהו יתא תירב רפהל. »Der Greis und sein Sohn« scheinen Schachna und sein Sohn Israel zu sein, und »das Land seiner Feinde« das eigentliche Polen, verschieden von Litauen, wo er dauernd geweilt hat; denn Isserles nennt ihn 'ר אטילמ המלש in seinen Respp. Nr. 132, 10.


25 Lurja, Respp. Nr. 35, 36; die Kompromißurkunde das. ausgestellt im Laufe 1546. Aus Respp. des Joseph Kaz (ףסוי תיראש Nr. 17) ergibt sich, daß der Prozeß in Litauen gespielt, und daß der von S. Lurja wegwerfend behandelte Rabbiner Isaak Bezalels war, von dem es öfter heißt רימדאלוב רדה. Damals um 1546 war S. Lurja bereits in dieser Gegend; im Respp. Nr. 95 sagt er: לילגב רשא ללחל בורק ינא יכ, d.h. Litauen.


26 Kommentar המלש לש םי zu Baba Kama III, Nr. 58.


27 Lurja, Respp. Nr. 72.


28 Praktischer Kommentar zum ganzen Talmud unter dem Titel המלש לש םי begonnen 1546, nur zu sechs Traktaten vorhanden.


29 Einleitung zu Chulin.


30 Vergl. darüber die bittersüße Polemik zwischen S. Lurja und Isserles in des letzteren Respp. Nr. 6 fg. und Respp. Lurja Nr. 98 und 73.


31 Über beide Data ist viel gestritten worden. Das Gewisse ist, daß er 1572 gestorben ist. Wenn Asulais Sohn das Datum 1573 auf seinem Grabstein in Krakau gelesen hat (Asulai s.v.): תנש רמועל ג"ל םויב תמ הנש ג"ל ןכ ג"לש, so hat er falsch gelesen. Der Grabstein ist gegenwärtig gefunden und die Schrift aufgefrischt worden. Da lautet sie: ב"לש תנש ... ל"ג םויב. Vergl. J. M. Zünz, Geschichte der Krakauer Rabbinate (קדצה ריע) S. 171, ferner S. 3 fg. und Berichtigungen S. 18. Auf Isserles' Grabschrift bei Wolf IV, Ende fehlt das Datum.


32 Asulai s.v.


33 Vielleicht schon vor 1550, vergl. Isserles, Respp. Nr. 10.


34 Respp. das.


35 S. über denselben J. M. Zünz, a.a.O. Text S. 4 fg.


36 Siehe die Bibliographien.


37 Respp. Isserles, Nr. 6 fg. Vergl. auch seine Anmerkung zu Jochasin gegen Ende.


38 הלועה תרוה, gedruckt 1570, noch bei seinem Leben.


39 Das. III, 4; Respp. Nr. 6.


40 Gedruckt Krakau 1580-81 mit Weglassung der Stelle, die den Sohar verdächtigt.


41 Zunz zu Ashers Edition des Itinerarium von Benjamin von Tudela; Hook zu Liebens Prager Grabsteininschriften.


42 Gedruckt zuerst Prag 1592.


43 Lieben, Prager Grabsteininschriften Nr. 9.


44 Respp. Isserles' Nr. 11, 15 fg., 55, 66, 82 fg., 90 fg. Respp. Lurja Nr. 33.


45 Mehrere Respp. Isserles.


46 Die Schilderung aus Nathan Hannovers הלוצמ ןוי Ende; sie stammt zwar vom Jahre 1648, aber der Grund zu diesem leidenschaftlichen Talmudstudium war früher gelegt.


47 Ausführlich erzählt diese Geschichte mit ihrem Hintergrunde Lubienec, historia reformationis II, 4. p. 76 fg. Polnische Quellen bei Czacki a.a.O. p. 87. In einer seltenen polemischen Schrift, die in demselben Jahre in Königsberg erschienen ist: Duae epistolae altera.. Lipomani Legati.. altera Radzivili, sind zum Schluß einige Satiren gegen Lipomano wegen der Hostiengeschichte beigegeben: De.. Lipomano.. pontifico, quod Judaeos Sochacoviae ... exurere jusserit:


Judaeos ferro violantes corpora panis,

Plebs addicta Papae quem putat esse Deum,

Lippomanus flammis, tanquam illi idcirco fecissent

Haeretici, perdens, Haeresiarcha fuit.

An parva est, panem esse Deum, Christumque putare,

Haeresis? et verus quod fluat inde cruor?

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .


Aliud epigramma ironicum.

Illapsam caelo Christi concindere carnem

Quod ferro auderent denuo grande nefas

Vindicibus flammis Judaeos urere jussit

Legatus, praesul summe Carapha, tuus.

Res mira, et saeclis merito memoranda futuris,

Denuo sic Christum vulnera posse pati!


Vier Satiren dieses Genre sind von Andreas Tricesius, eques Polonus, gedichtet.


48 Urkunde bei Perles, a.a.O. S. 147. Auffallend ist die Aufschrift zu diesem Gesetze: »Sigismund August dekretiert, daß die Juden in Szochaczewo, der Ermordung eines christlichen Knaben angeklagt ... von der Anklage freizusprechen seien«. In allen Quellen dagegen lautet die Anklage lediglich wegen Hostienschändung.


49 Czacki a.a.O. p. 88. Sternberg 144.


50 Das. p. 89-91.


51 Siehe Note 5, Ende.


52 Bei Perles 24.


53 Siehe oben S. 58, Anm. 2.


54 Über diesen Simon, David Gans Zemach David I zum J. 5346. Czacki das. p. 93 Note k zitiert einen handschriftlichen Brief Commendonis, worin von dem bedeutenden Gewichte eines jüdischen Arztes beim König und dem Adel die Rede ist und er glaubte, er spielte auf Szymoniez Gintzburga, przelozonym Poznanskim (Posener Vorsteher) an. Er soll gar Feldmesser und Architekt gewesen sein. Bei Sternberg 148.


55 Oben S. 370 ff.


56 Fortsetzer von Joseph Kohens Emek ha-Bacha p. 149.


57 Czacki das. p. 94, Fortsetzer des Emek ha-Bacha p. 150.


58 Isaak Troki schreibt von dessen Regierungszeit in Chisuk Emuna I c. 46: םה .. םהירשו תוצראה ולא יכלמ יכ .םידוהיל םמחו לוע םישוע םניא ךכיפל דסח יבהא


59 Perles a.a.O., S. 12, 130.


60 Czacki das. p. 95.


61 Das.


62 Vergl. Note 10.


63 Vergl. über ihn Perles a.a.O. 42 f.


64 O. S. 348.


65 S. Note 10.


66 Bei Sternberg 139: Hunc (Lippomanum) quamprimum nuntii terrarum in Comitio viderent, extemplum compellarunt: salve, progenies viperarum!


67 Die Geschichtsliteratur über die polnischen Trinitarier ist sehr reich. Die erste Quelle: Sand, Bibliotheca Antitrinitariorum ist vielfach ergänzt und bereichert: Lubienec, historia reformationis; Bock, historia Antitrinitariorum, Mosheim, Kirchengeschichte des sechzehnten Jahrhunderts, Valerian Krasinski, Geschichte der Reformation in Polen 1848, auch bei Lukaszewicz, Geschichte der reformierten Kirche in Lithauen 1848, Marheinecke, theologische Vorlesungen 1848 B. III, Fischer, Geschichte der Reformation in Polen 1855. Die letzte Sekundärquelle enthält viele wichtige Urkunden, ist aber polemisch und verworren.


68 Bei Sternberg 116f. aus Rudnjews Abhandlung über die russischen Sekten.


69 Budnys Urteil über den Talmud bei Bolafio: ןב םינוקז p. 32 a:וחבשמ ונידוב ןומיס ארקנה דחא םכח שי דוע .תומואה ירפס לכמ רתוי ובשוחו (דומלתה) דואמ


70 Über Seidel, Lukaszewicz a.a.O. II p. 829 fg.


71 Vergl. Lukaszewicz a.a.O. S. 11, Note 13.


72 Martin Czechowic, Rozmowy Christianskie (christliche Dialoge): Lehrer: »Warum hast du mich nicht besucht? Schüler: »Zufällig traf ich gestern Juden, so bald ich nur mit ihnen zu sprechen anfing, gingen sie auf die Sache (Religionsdogmen) ein, empfahlen mir ihre Religion und tadelten alle übrigen, besonders die christliche und türkische. Es ist eine schwere Sache, daß ein Christ einen Juden bekehre.« Das Vorkommen häufiger Disputationen geht auch aus Chisuk Emuna hervor: ימכחמ דחא םכח ינלאש ילא ןעט – (איסור) איצרג תומואמ דחא שיא ילא ןעט – םירצונה ימכחמ דחא םכח ילא השקה – רטול ןיטרמ תכמ דחא רש םירצונה (I, 1; 4-6; 8 f., 40 f.).


73 Bei Sand und Bock (o. S. 434, Anm. 1) wird eine Schrift angeführt: Odpis Jakuba Źyda z Belźyce na Dialogi Marćina Czechowica. Lublin 1581 d.h. Responsio Jacobi Judaei a Bel. ad Dialogos Czechowici. In demselben Jahre schrieb Czechowic dagegen: Vindiciae duorum dialogorum contra Jacobum Judaeum de Belźyce, wahrscheinlich untergegangen. Ferner hat ein Ms. des Chisuk Emuna von Unger (bei Wolf IV. p. 760) zum Schluß die Worte: ןמחנ ברל דחא ירצונ ןעט יכ זומר םכתרוה תלחתהב הנה רמאו ץיש לעבמ בקעי הנוכמה הז םזמור 'א'ר'ב תויתוא יכ שדקה חורו ןבו בא אוה םיהלא 'וכו ול בישה אוהו .ערפמל Es ist derselbe Notarikon-Unsinn, den auch Reuchlin aufgestellt hat (o. S. 80). Aus dem Umstand, daß Nachman Jakob von Belźyce in einer karäischen Schrift zitiert wird, zu schließen, er sei selbst Karäer gewesen, ist sehr übereilt. Aus seiner Abstammung aus Belźyce und seinem Aufenthalt in Lublin möchte im Gegenteil geschlossen werden können, er sei Rabbinit gewesen; denn daselbst gab es keine Karäer.


74 Über ihn Geiger, in Liebermanns Kalender-Jahrbuch Jahrg. 1854, S. 21fg. Schon de Rossi hat bewiesen, daß der Verf. des הנומא קוזח Karäer war. Es bedurfte um so weniger des weitläufigen Gelehrtenapparats im genannten Jahrbuche, um diese Tatsache zu beweisen, als der Verf. im Memoriale der Karäer als erster in der Reihe der Litauischen Karäer aufgeführt wird: הנומא קוזח לעב קהבומה םכחה... קחצי 'הכ רכז. Dieses polemisch-apologetische Werk wurde zuerst von Wagenseil ediert 1681 in Tela ignea Satanae mit lateinischer Übersetzung, aber nach einem fehlerhaften Texte, den Wagenseil in Afrika erworben hatte. Korrekt ist die neueste Edition vom Rabbiner M. Deutsch, Sorau 1865 und 1873, mit Benutzung der Verbesserungen aus Ungers Kodex.


75 B. VIII3 S. 87.


76 De Rossi, Bibliotheca Antichristiana p. 45.



Quelle:
Geschichte der Juden von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart. Leipzig 1907, Band 9, S. 439.
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