10. Kapitel. Allgemeine Verwilderung in der Judenheit. (1700-1725.)

[294] Armseligkeit der Zeit; Haltung der Rabbinen; Bachrach, Chiskija da Silva, David Nieto, Leon Brieli. Geisterbeschwörungen. Die Geschichtsschreiber Conforte, de Barrios, Heilperin. Die Dichter Laguna, Luzzatto. Hochmut der Reichen, Niedrigkeit der Armen. Gemeinheit bei dem Druck der jüdisch-deutschen Übersetzung der Bibel; Blitz und Witzenhausen. Mose Chagis, sein Leben, Charakter und seine Verfolgung. Neue Regung der Sabbatianer. Daniel Israel, Mardochaï von Eisenstadt, Jakob Querido, Übertritt vieler Sabbatianer zum Islam in Salonichi, die Donmäh; Berechja, ihr Führer. Abraham Cuenqui. Die sabbatianischen Chaßidäer in Polen; Juda Chaßid und Chajim Malach. Salomon Ayllon, Nehemia Chajon. David Oppenheim und seine Bibliothek. Naphtali Kohen. Löbele Prosnitz, der sabbatianische Schwindler von Mähren. Chajons Ketzereien. Chacham Zewi. Beginnender Streit in Amsterdam wegen Chajons und seines ketzerischen Buches. Zerwürfnisse. Bannstrahlen gegen Chajon. Ausweisung Chajam Zewis und Chagis' aus Amsterdam. Chajons Rückreise nach dem Morgenlande und Rückkehr. Die podolischen Sabbatianer. Mose Meïr Kamenker. Bannspruch gegen die Sabbatianer in Deutschland und Polen. Chajon gerichtet. Sein Sohn als Ankläger gegen die Juden.


Gerade zur Zeit, als die Augen der gebildeten Welt auf den jüdischen Stamm mit einem gewissen Mitgefühl und zum Teil mit Bewunderung gerichtet waren, und als beim Anbruch der Aufklärung in dem sogenannten philosophischen Jahrhundert die kirchlichen Vorurteile allmählich zu schwinden begannen, machten die Glieder dieses Stammes innerlich und äußerlich nicht den vorteilhaftesten Eindruck auf diejenigen, welche mit ihnen in Berührung traten. Als sie gewogen und vollwiegend gewünscht wurden, sind sie gar zu leicht gefunden worden. Die Juden boten zu keiner Zeit eine so klägliche Haltung, wie am Ende des siebzehnten Jahrhunderts. Mehrere Umstände hatten dazu beigetragen, sie förmlich verwildert und verächtlich zu machen. Die ehemaligen Lehrer Europas waren durch den traurigen Gang der Jahrhunderte kindisch oder noch schlimmer, [294] kindische Greise geworden. Alles, was die Gesamtheit Öffentliches, sozusagen Geschichtliches geleistet hat, trägt diesen Charakter der Albernheit, wenn nicht gar der Verächtlichkeit. Nicht eine einzige erfreuliche Erscheinung, kaum eine achtunggebietende Persönlichkeit, die das Judentum würdig vertreten und zur Geltung bringen konnte. Aus der vorhergehenden Zeit ragte noch der geistesstarke, ganze Mann, Isaak Orobio de Castro hinüber (st. 1687), der ehemalige Sträfling der Inquisition, dessen Überzeugungstreue, innere und äußere Haltung und scharfgeschliffene Dialektik, die er gegen das Christentum kehrte, hervorragenden Gegnern des Judentums Achtung geboten hat. Er hat keinen ebenbürtigen Nachfolger in Amsterdam, der gebildetsten Gemeinde, und um so weniger außerhalb derselben gefunden, wo die Bedingungen zu einer selbständigen, von der Kultur getragenen jüdischen Persönlichkeit gänzlich fehlten. Die Führer der Gemeinde waren meistens irre geleitet, wandelten wie im Traume und strauchelten bei jedem Schritte; nur wenige Rabbinen befaßten sich mit anderweitigem Wissen neben dem Talmud oder betraten selbst in diesem Studium eine neue Bahn; die Ausnahmen lassen sich zählen. Es gehörten allenfalls dazu der deutsche Rabbiner Jaïr Chajim Bachrach in Worms und Frankfurt a.M. (geb. 1628 st. 1702)1, der Mathematik verstanden und den Talmud nicht schlendrianmäßig behandelt hat. Eine selbständige, die blinde Autorität verachtende Persönlichkeit war ferner der aus Italien nach Jerusalem gewanderte portugiesische Rabbiner Chiskija da Silva (geb. um 1659 st. um 1698)2. Ein junger Stürmer, der kaum vierzig Jahre alt wurde, von [295] erstaunlicher Gelehrsamkeit und großem Scharfsinn, kämpfte er, Salomon Lurja ähnlich, gegen übertriebene, nicht im Talmud begründete Erschwerungen späterer Autoritäten mit vielem Freimut. Er verletzte dadurch die Alltagsrabbinen, welche über den Ursprung des Herkömmlichen lieber gar nicht nachdenken wollten, und seine rabbinischen Schriften wurden in Kairo in den Bann getan und vernichtet. Ein gebildeter Rabbiner war David Nieto in London (geb. Venedig 1654 st. 1728)3. Er war auch Arzt, verstand Mathematik, war geschickt [296] genug, das Judentum gegen Verunglimpfungen in Schutz zu nehmen, und schrieb neben vielen Plattheiten auch manches Vernünftige. Eine sehr bedeutende Erscheinung war endlich der italienische Rabbiner Jehuda Leon Brieli in Mantua (geb. um 1643 st. 1722)4, ein Mann von sehr gesunden Ansichten und von gediegenen, auch philosophischen Kenntnissen, der sich der Landessprache in gebildeter Form zu bedienen wußte und das Judentum gegen christliche Zudringlichkeit in Schutz nahm. Brieli hatte den Mut, sich über zwei Dinge hinwegzusetzen, welche in den Augen des damaligen Geschlechtes schwerer als Verbrechen wogen; er blieb sein Lebelang unverheiratet und trug, als Rabbiner, keinen Bart. Dem Schriftsteller Isaak Cardoso widmete er beim Erscheinen seiner beredten Verteidigung des Judentums und der Juden ein schönes hebräisches Sonett. Sie war ihm aus der Seele geschrieben. Aber Brielis Einfluß auf seine jüdischen Zeitgenossen war sehr gering. Er hat sehr gut die Schwächen des Christentums erkannt, aber für die Schäden des Judentums und der Judenheit hatte er nicht denselben scharfen Blick. Von der Schädlichkeit des Lügenbuches Sohar und der Kabbala überhaupt war Brieli allerdings tief durchdrungen und wünschte, sie hätten nicht das Tageslicht geschichtlicher Geburt erblickt; aber weiter reichte seine kritische Erkenntnis nicht.

Sonst waren die Rabbiner dieser Zeit im allgemeinen keine Muster, die polnischen und deutschen meistens Jammergestalten, deren Köpfe erfüllt waren von unfruchtbarem Wissen und die sonst unwissend und unbeholfen waren, wie kleine Kinder. Die portugiesischen Rabbinen traten wenigstens äußerlich würdig und imponierend auf, aber innerlich waren auch sie hohl; die italienischen hatten mehr Ähnlichkeit mit den deutschen, besaßen aber nicht deren Gelehrsamkeit. So, ohne des Wegeskundige Führer, in Unwissenheit oder Wissensdünkel versunken, von Phantomen umschwärmt, taumelte die Gesamtjudenheit in allen Erdteilen ohne Ausnahme von Torheit zu Torheit und ließ sich von Betrügern und Phantasten am Narrenseil leiten. Eine Albernheit, mochte sie noch so augenfällig sein, wenn sie nur mit scheinreligiösem Ernste geltend gemacht und in verrenkte Schriftverse oder talmudische Sprüche in gekünstelter Auslegung eingefügt oder mit kabbalistischen Floskeln belegt war, wurde zähe geglaubt und verbreitet. »Die Köpfe, dem Leben und wahrer Wissenschaft entfremdet, erschöpften ihre [297] übrigens nicht gemeinen Kräfte in Spitzfindigkeiten und abergläubischen Verirrungen der Kabbala. Die Lehrer sprachen selten oder nur talmudisch zu den Schülern; auf den Vortrag selbst wurde keinerlei Sorgfalt verwendet, da es keine Sprache und keine Beredsamkeit gab«5. Der Höhepunkt des Mittelalters stellte sich in der jüdischen Geschichte zur Zeit ein, als er im westlichen Europa größtenteils geschwunden war. Abergläubischen Bräuchen mit religiösem Anstrich war Tür und Tor geöffnet. Für Krankheiten Amulette (Kamea) zu schreiben und sie dadurch zu bannen, wurde von jedem Rabbiner verlangt, und sie gaben sich dazu her; manche wollten als Geisterbeschwörer gelten. Ein Rabbiner Simson Baki in Casale (Italien) beklagte sich bei seinem Lehrer, dem Kabbalisten Mose Zacut in Venedig, daß er für eine angeblich besessene Frau in Turin Beschwörungsformeln nach Vorschrift angewendet habe, ohne daß sie angeschlagen hätten. Darauf gab ihm dieser wirksamere Mittel an, nebst Gebetformeln mit Anwendung von Gottesnamen, auch brennenden Schwefel an die Nase der Besessenen zu halten. Je empfindlicher sie dagegen wäre und sich dagegen sträubte, um so mehr könne er überzeugt sein, daß sie von einem bösen Geiste besessen wäre6. Allen Ernstes prahlte einst ein unterrichteter Jude aus der Kabbalistenschu le von Damaskus vor dem freien Kritiker Richard Simon, er sei imstande, einen höhern Genius herbeizurufen und machte bereits Anstalten dazu. Als der ungläubige Pater aber dessen Bewegungen mit einem satirischen Lächeln folgte, zog sich der Beschwörer mit der Bemerkung aus der Schlinge, der Boden Frankreichs sei für Geistererscheinungen nicht geeignet7.

Das Judentum in den Augen der Völker zu heben und achtungswert darzustellen, vermochten die Juden dieser Zeit nicht, wohl aber es zu entwürdigen und verächtlich zu machen. Denkende Christen standen staunend vor diesem Wunderdenkmal der Geschichte, vor diesem Volke mit seiner Lehre und seinem wechselvollen glorreichen und tragischen Geschicke; die eigenen Söhne waren stumpf für die eigene Größe oder suchten sie in albernen Märchen und blödsinnigen Handlungen. Christen durchforschten mit Emsigkeit und einem Gefühle von staunender Bewunderung die dreitausendjährige jüdische Geschichte, die Juden selbst hatten keinen Sinn dafür, auch nicht die gebildeten portugiesischen Juden. Manasse ben Israel hatte allerdings ein Buch [298] für die jüdische Geschichte angelegt8 und hat wohl Basnages Arbeit angeregt, aber er brachte sie nicht zustande. Aus dieser Zeit werden zwar drei Geschichtsschreiber genannt, der Wanderrabbiner David Conforte (geb. 1619 st. nach 1671)9, ferner Miguel (Daniel) de Barrios, der in Portugal geborene (um 1620 st. 1701)10 und zuletzt in Amsterdam zum Judentum zurückgekehrte Marrane, und endlich der polnische Rabbiner Jechiel Heilperin in Minsk (schrieb um 1725)11. Aber alle drei gleichen eher den chronikschreibenden Mönchen in der barbarischen Zeit, und ihre Darstellungsweise ist mehr abstoßend als anziehend.

Wenn die Literatur das photographisch treue Abbild der Denkweise und der Bestrebungen einer Zeitepoche ist, so muß das Jahrhundert, welches zwischen Spinoza und Mendelssohn liegt, nach den literarischen Erzeugnissen beurteilt, sehr häßliche Züge getragen haben. Es ist zwar sehr viel geschrieben und veröffentlicht worden; jeder Winkelrabbiner wollte durch einen neuen Beitrag, eine neue Anhäufung des ohnehin schon unübersehbaren rabbinischen Stoffes seinen Namen verewigen, seine Seligkeit sichern und nebenher auch etwas damit verdienen. Spitzfindig-rabbinische Kommentare, abgeschmackte Predigten und Erbauungsbücher, geifervolle Streitschriften, das waren die Ablagerungen des jüdischen Geistes oder der Geistlosigkeit dieser Zeit. Die Blume der Poesie hatte keinen Boden in diesem Sumpf. Nur zwei jüdische Dichter erzeugte diese Zeit und zwar echte Söhne der jüdischen Muse, zonenweit voneinander getrennt, den einen auf der Insel Jamaika und den andern in Italien, Lopez Laguna und Luzzatto, gleichsam als hätte der alte kronen- und laublose, halb [299] abgestorbene jüdische Stamm das in seinem Innern fortpulsierende Leben und seine Verjüngungsfähigkeit auch in den allerungünstigsten Lagen damit bekunden wollen. Lopez Laguna, als Marrane in Frankreich geboren (um 1660 st. nach 1720), als Jüngling nach Spanien gekommen, lernte daselbst die schauerlichen Inquisitionskerker kennen. In der Nacht des Leidens brachten ihm wie so vielen Schmerzensgenossen die seelenvollen Psalmen Licht und Hoffnung. Aus dem Kerker befreit und nach Jamaika entkommen, schlug Laguna unter dem jüdischen Namen Daniel Israel die Harfe zu den heiligen Liedern, die sein Gemüt erquickt hatten. Um auch andern, namentlich den des Hebräischen unkundigen Marranen die Psalmen zugänglich zu machen, übersetzte er sie treu nach dem Original in wohlklingenden und anziehenden Versen, ganz anders als Abenatar Melo (o. S. 4), der sie gewissermaßen nur als Text für seine elegischen Ergüsse gebraucht hatte. Diesen Psalter, »einen Spiegel des Lebens«, in verschiedenen spanischen Versmaßen umgearbeitet, brachte Daniel Israel-Lopez Laguna nach London, wofür ihm mehrere Dichterlinge, auch drei jüdische Dichterinnen, Sara de Fonseca Pinto y Pimentel, Manuela Nuñez de Almeyda und Bienvenida Cohen Belmonte in lateinischen, englischen, portugiesischen und spanischen Versen entgegenjauchzten12. – Mose Chajim Luzzatto, in die trübseligen Verirrungen dieser Zeit hineingerissen, hat zwei hebräische Dramen voller Schönheit und Jugendfrische gedichtet. Außer diesen poetischen Blüten zeigt diese lange Zeitepoche nur eine farblose Öde. Daniel de Barrios, den Kapitän, Geschichtsschreiber und Bettler, kann man nicht zu den Dichtern zählen, obwohl er eine erstaunliche Menge spanischer, und auch einige hebräische Verse, sogar mehrere spanische Dramen gereimt und sozusagen jeden jüdischen und christlichen Großen, der eine volle Börse besaß, ohne Schamgefühl angesungen und angebettelt hat13.

Nicht bloß der wissenschaftliche und künstlerische Sinn, sondern auch das sittliche Gefühl war in dieser allgemeinen Verwilderung abhanden gekommen oder mindestens abgestumpft. Die Grundtugenden des jüdischen Stammes blieben allerdings auch in dieser Zeit in ihrer ganzen Kraft bestehen, idyllische Familienliebe, brüderliche Teilnahme untereinander und keuscher Sinn. Grobe Laster und Verbrechen kamen auch damals in Jakobs Zelten wenig vor. Grundverdorbene [300] Auswürflinge waren so rücksichtsvoll, sie zu verlassen und mit ihrem unsittlichen Wandel lieber die Kirche oder die Moschee zu beflecken. Aber das Rechts- und Ehrgefühl der Juden war im Durchschnitt geschwächt, jenes zarte Gewissen, welches mit einer gewissen jungfräulichen Schamhaftigkeit auch das meidet, was die Vorschriften der Religion und die Paragraphen des bürgerlichen Gesetzbuches bei Seite lassen. Verdienen, Geld erwerben war eine so gebieterische Notwendigkeit, daß die Art und Weise des Erwerbes gleichgültig und dem Tadel nicht ausgesetzt war. Übervorteilen und überlisten nicht bloß die feindlich gegenüberstehende Bevölkerung, sondern auch die eigenen Religionsgenossen galt meistens nicht als Schande, vielmehr als eine Art Heldentat. Daraus entsprang eine Anbetung des Mammons, nicht bloß Liebe zum Golde, sondern auch Respekt vor ihm, mochte es aus noch so unreiner Quelle geflossen sein. Die bis dahin noch so ziemlich behauptete demokratische Gleichheit unter den Juden, welche den Unterschied des Standes und der Kaste nicht anerkennen mochte, verlor sich bei dem rasenden Tanz um das goldene Kalb. Der Reiche galt auch als ehrenwert, zu dem die minder Begüterten wie zu etwas Höherem hinaufblickten, und dem sie daher vieles nachsahen. Die Reichsten, nicht die Würdigsten, kamen an die Spitze der Gemeindeverwaltung und erhielten dadurch einen Freibrief auf Willkür und Übermut. Eine Satire aus dieser Zeit geißelt recht drastisch die Allmacht des Geldes, der sich alle unterworfen: »Der Gulden bindet und löset, er erhebt Unwissende zu Gemeindebeamten«14.

Die zunehmende Verarmung unter den Juden war Mitursache dieser Erscheinung. Nur unter der geringen Zahl der portugiesischen Juden in Amsterdam, Hamburg, Livorno, Florenz und London gab es bedeutende Geldmänner. Isaak (Antonio) Suasso, von Karl II. von Spanien zum Baron Alvernes de Gras ernannt, konnte Wilhelm III. zu seinem halbabenteuerlichen Zuge nach London wegen der englischen Krone zwei Millionen Gulden unverzinsbar mit den einfachen Worten vorschießen: »Sind Sie glücklich, so werden Sie [301] sie mir zurückerstatten, wo nicht, so will ich auch das verlieren«15. Millionäre waren in Amsterdam die Pintos, die Belmontes (Schonenberg), David Bueno de Mesquita und Francisco Melo, welcher mit seinem Vermögen dem holländischen Staate große Dienste geleistet hat16. Ein de Pinto hinterließ mehrere Millionen zu edlen Zwecken und bedachte damit die jüdischen Gemeinden, den Staat, christliche Waisenhäuser, Geistliche, Küster und Glöckner17. In Hamburg waren es die Texeiras, die mit Suasso verschwägert waren, und Daniel Abensur, welcher der armen polnischen Krone große Vorschüsse machen konnte18. Dagegen waren die polnischen, deutschen, auch zum Teil die italienischen und die morgenländischen Juden sehr verarmt. Die Wandelung, welche der Welthandel erfahren hatte, brachte diese Veränderung hervor. Die Juden konnten nicht mehr Wucher treiben, sie hatten keine Kapitalien, oder vielmehr, die christlichen Kapitalisten machten ihnen Konkurrenz. Am meisten verarmt waren die polnischen Juden, sie, welche die europäische Judenheit geistig beherrschten. Von den Wunden, die ihnen die kosakischen Aufstände geschlagen, konnten sie sich nicht mehr erholen, und die darauffolgende Zerrüttung des polnischen Reiches brachte ihnen noch neue bei. Die überhandnehmende Armut der polnischen Juden warf jedes Jahr Scharen von Bettlern nach dem europäischen Westen und Süden, welche ihren Weg zu den großen Gemeinden nahmen, um sich von ihren reichen Brüdern unterbringen und ernähren zu lassen. Meistens gelangten polnische Talmudbeflissene zu den großen Rabbinatssitzen in Prag, Nikolsburg, Frankfurt a.M., Amsterdam und Hamburg (für die deutschen Gemeinden) und selbst in italienischen Gemeinden, weil sie an Talmudkenntnis allen übrigen Juden weit, weit überlegen waren. Aber jeder polnische Auswanderer war Rabbiner oder Prediger, gab sich dafür aus und wurde dafür gehalten. Von diesen schändeten manche das Rabbineramt, zu dem sie keinerlei Beruf und keinen sittlichen Halt hatten19. Diese waren es, welche aus Not und Gewohnheit [302] den Reichen schmeichelten. Von ihnen stammt die immer mehr zunehmende Verwilderung unter den Juden. Ihrer Erziehung oder vielmehr ihrer Verwahrlosung wurde die jüdische Jugend anvertraut, die, sobald sie nur sprechen konnte, von ihnen in den Talmud eingeführt wurde, und zwar nach der kniffigen, witzelnden Methode. Durch diese Verkehrtheit artete die Sprache der deutschen Juden wie die der polnischen in ein widriges Lallen und Stammeln, und ihr Denken in eine verdrehende, aller Logik spottende Rechthaberei und Disputierlust aus. Auch ihnen ging der Sinn für das Einfache und Wahre verloren, und selbst die portugiesischen Juden, welche sich von dem häßlichen Mauscheln fernhielten, blieben von dem verkehrten Denken, welches die Zeit beherrschte, nicht unangesteckt.

Diesen Charakter der formellen, logischen und sittlichen Verwilderung tragen alle Vorgänge dieser Zeit, welche zur öffentlichen Kenntnis gekommen sind. Uri Febes Levi, Druckereibesitzer in Amsterdam, ein Enkel des Mannes, welcher die erste marranische Kolonie in Amsterdam so kräftig leitete (IX4 S. 460), ließ eine einfache jüdisch-deutsche Übersetzung der Bibel anfertigen und drucken. Verleger und Übersetzer (Jekutiel Blitz aus Witmund) schlugen ihr Verdienst sehr hoch an, daß sie von der deutschen und polnischen Judenheit die Schmach, in den eigenen heiligen Urkunden unwissend zu sein, abwälzen wollten. Um ihre Arbeit gegen Nachdruck zu schützen, ließ sich Uri Febes von der jüdisch-polnischen Behörde, der Vier-Länder-Synode, das Privilegium erteilen, daß diese oder eine andere ähnliche Übersetzung innerhalb zehn Jahren nicht gedruckt werden dürfe. Die Synode hatte es ihm nicht umsonst erteilt. Infolge dieses Schutzes erhielt der Unternehmer eine Bestätigung desselben vom Rabbinate und Vorstande der portugiesischen und deutschen Gemeinde von Amsterdam und auch von anderen deutschen Rabbinen; darunter auch von Meïr Stern, Rabbiner von Frankfurt a.M., dem Lehrer Knorrs von Rosenroth in der Kabbala (o. S. 271). Stern hatte für Honorarzahlung die Korrektur der Übersetzung übernommen. Sein ganzes Vermögen steckte Levi Febes in diese Unternehmung und mußte, um nicht stecken zu bleiben, zwei christliche Teilnehmer in Amsterdam hinzuziehen, den Schöppen Wilhelm Blau und den Rechtsgelehrten Laurenz Boll. Beide haben vermöge ihrer Verbindungen vom[303] Könige von Polen Johann III. Sobiesky ein Privilegium erwirkt, daß diese jüdisch-deutsche Übersetzung innerhalb zwanzig Jahren vor Konkurrenz, in Polen wenigstens, gesichert sein sollte. Aber ehe noch der Druck vollendet war, hatte der Brotneid und die Gemeinheit dem Unternehmer den Lohn seiner Arbeit verkümmert. Ein Setzer Joßel (Joseph) Witzenhausen verfertigte ebenfalls eine solche Übersetzung und gewann einen Teilnehmer für den Druck derselben, den reichen portugiesischen Druckereibesitzer Joseph Athias (o. S. 248), der von den niederländischen Generalstaaten für seine schönen und korrekten hebräischen Druckwerke eine goldene Kette erhalten hatte. Athias konnte die Sache mit größeren Mitteln betreiben. Er ließ sich vor allem von den Staaten von Holland und Seeland ein Privilegium dazu erteilen. Vergebens wurde Witzenhausen von einigen deutschen Rabbinen vorgeladen und vor dem Eingriff in die wohlerworbenen Rechte eines andern gewarnt, vergebens auch mit dem darüber ausgesprochenen Bann bedroht. Auf Athias' Reichtum und Schutz gestützt, fügte er dem Unrecht frechen Hohn hinzu. Das portugiesische Rabbinatskollegium Isaak Aboab, Jakob Sasportas und de Aguilar schwiegen dazu. Der kabbalistische Rabbiner Meïr Stern, welcher inzwischen nach Amsterdam übergesiedelt war, bot sogar die Hand zu dieser Ungerechtigkeit und übernahm für mehr Geld auch die Korrektur der Witzenhausen-Athiasschen Bibelübersetzung. Auf Betrieb eines jüdischen Agenten der polnischen Krone in Holland, Simon de Polonia, erhielt Athias noch dazu von der Synode der Vier-Länder ein noch günstigeres Schutzprivilegium, unterschrieben von sämtlichen Synodalmitgliedern, Laien wie Rabbinen, in zwei offiziellen Sitzungen in Jaroslaw und Lublin ausgestellt. Einer der Rabbinen, welcher den Synodalbeschluß zugunsten des Uri Febes im Namen der Versammlung unterschrieben und den Bann über Konkurrenten ausgesprochen hatte, Hirsch ben Zacharia von Lemberg, scheute sich nicht, dieselben Formeln und Androhungen zum Schutze der Athiasschen Übersetzung zu unterzeichnen20. Gewinnsucht und Brotneid [304] aus Armut förderten solche Erscheinungen zutage und führten weiter zu Gewissenlosigkeit, Schmähsucht, Verunglimpfung, Verketzerung und Verfolgung.

Eine solche aus Brotneid entsprungene gemeine Gehässigkeit heftete sich an den zu seiner Zeit vielgenannten Mose Chagis und an seinen älteren Schwager Chiskija da Silva. Dieser wurde aber nur einfach in Kairo verketzert und seine scharfsinnige, freier sich bewegende Auslegung der Ritualgesetze vernichtet (o. S. 295). Da da Silva zurzeit als Jerusalemitischer Sendbote in Amsterdam, London und Hamburg sich aufhielt (1690 bis 1698) und nicht lange darauf starb, so konnte die Gemeinheit ihm das Leben nicht verkümmern. Mose Chagis dagegen (geb. 1670, gest. um 1744)21 litt sehr viel dadurch. Dabei war er selbst nicht frei von den Grundfehlern dieser Zeit. Nach dem Tode seines Vaters, Jakob Chagis, wurde er von seinem Großvater mütterlicherseits Mose Galante im Schlendrian erzogen, im Talmud und Kabbala unterrichtet. Im achtzehnten Jahre verheiratet und um sein Vermögen betrogen, welches seine Mutter nacheinander einem Geschäftsmanne und der Gemeinde von Safet vorgeschossen hatte, war der junge Chagis gezwungen, Palästina zu verlassen. Er begab sich nach Livorno, um dort die ehemaligen Sympathien für seinen Vater auszubeuten. Von dem Jerusalemiter Rabbinat und anderen Freunden empfohlen, sollte er in Livorno daran arbeiten, die seit dem Tode seines Vaters versiegte Quelle zur Unterhaltung einer Klaus wieder flüssig zu machen. Schon glaubte er dem Ziele nahe zu sein, als von Jerusalem aus, von vier unbekannten neidischen Männern, die sich als Rabbinatskollegium gebärdeten, ein Sendschreiben an den Vorstand in Livorno einlief, welches die niedrigsten Anschuldigungen über Mose Chagis, seine Unbescheidenheit, Schmähsucht und Unverträglichkeit enthielt. Durch ihn sei über die Gemeinde in Safet Unheil gebracht worden; seine Überhebung gleiche nur seiner Unwissenheit. Sie klagten ihn an, er wolle Livorno ebenso in Verwirrung [305] bringen, wie er es mit Safet gemacht und legten ihn fast in den Bann. Es war aber nur darauf abgesehen, aus Brotneid das Zustandekommen einer Klaus für ihn zu vereiteln. Obwohl ein Schreiben von andern Männern aus Jerusalem zu Chagis' Gunsten jene vier Männer Lügen strafte, so blieb von der Verleumdung doch etwas hängen, und Chagis erreichte sein Ziel nicht. Ohnehin aufgeblasen, auf Grund seiner Geburt in Jerusalem eine besondere Bevorzugung beanspruchend und von rechthaberischer Natur, wurde er durch das Scheitern seines Planes und die geringe Beachtung, die er in Livorno gefunden, verstimmt und verbittert, überwarf sich mit dem Vorstande und Rabbinate und konnte sich dort nicht länger behaupten. Chagis mußte von neuem ein Wanderleben antreten und seine Hoffnungen herabstimmen. Er fand erst in Amsterdam einen Ruhepunkt, halb als jerusalemischer Sendbote und halb als Lehrer für erwachsene Talmudjünger und als Schützling reicher Wohltäter der portugiesischen Gemeinde. Seine Verbitterung gegen die Livornesen konnte er nicht loswerden und machte sich in einem Werke, neue Zusätze zum Religionskodex in überstrengem Sinne enthaltend, Luft durch halbverdeckte Anspielungen. Seine persönliche Gereiztheit verbarg er hinter der Hülle der Religiosität. Die Livornesen fühlten sich getroffen, beklagten sich über ihn bei dem Amsterdamer Rabbinat und sandten jene Schmähschrift der vier Jerusalemer gegen ihn ein, in der Absicht, ihn, den sie selbst so lange gehegt hatten, zu brandmarken. Das Amsterdamer Rabbinat nahm sich zwar anfangs seiner an, aber ehe ein halbes Jahrzehnt abgelaufen war, geriet es mit Chagis in ein tiefgreifendes Zerwürfnis, welches durch den noch immer spukenden sabbatäisch-messianischen Schwindel eine große Tragweite erhielt und fast die ganze Judenheit ergriff.

Denn die Schlammfluten der sabbatianischen Schwärmerei ergossen sich von neuem, besudelten alle, die damit in Berührung kamen, galten aber nichtsdestoweniger als eine Quelle lautern Wassers aus dem Borne der Gottheit. Sie hatte indes das Gute, den stehenden Sumpf aufzuwühlen und in Bewegung zu setzen oder, um ohne Bild zu sprechen, die dumpfe Alltäglichkeit in jüdischen Kreisen aufzurütteln und die vor lauter unfruchtbarer Gelehrsamkeit stumpf und träge gewordenen Rabbinen in eine gewisse Leidenschaftlichkeit und Rührigkeit zu versetzen. Nach Sabbataïs Tod hatte einer seiner Anhänger, Daniel Israel Bonafoux22, ein unwissender Vorbeter in Smyrna, den Glauben an den verstorbenen Messias durch allerlei Blendwerk unterhalten. [306] Bald wollte er eine sich bewegende Feuerkugel gesehen, bald eine Stimme gehört haben, daß Sabbataï noch am Leben sei und auf ewig regieren werde. Die Smyrnaer Gemeinde setzte zwar beim Kadi für Geld dessen Verbannung aus der Stadt durch; aber Daniel Israel nahm seinen Aufenthalt in der Nähe von Smyrna (in einer kleinen Stadt, Kasaba) und ermutigte die Sekte zum Ausharren in ihrem Glauben. Sein Helfer war Abraham Michael Cardoso aus Tripolis, der auf diesem Schauplatze wieder zum Vorschein kam. Er war wegen seiner Wühlereien aus Tripolis verjagt worden und konnte in Italien, wo er früher gelebt hatte, nicht festen Fuß fassen. Die Vorsteher der Livorner Gemeinde hatten ihn förmlich in Haft gebracht, damit er nicht mit Juden verkehren und sie nicht mit seinem Schwindelgeiste verführen sollte – bis das nächste Schiff nach der Levante abging. Cardoso wurde gezwungen, sich mit den Seinigen einzuschiffen und hatte sich nach Smyrna begeben. Hier fand er einen ganzen Konventikel von sabbatianischen Gesinnungsgenossen, die sich um ihn scharten, weil er, wissenschaftlich geschult, gebildet und redegewandt, ihnen bei weitem überlegen war. Zu seinen Anhängern gehörten nächst Daniel Bonafoux ein Bruder des Abraham Jachini (o. S. 193), namens Eleasar aus Damaskus, ferner Isaak Aschkenasi, Mardochaï Aschkenasi (aus Eisenstadt?) und mehrere andere. Cardoso verkündete ihnen Träume und Gesichte, gab sich als Fortsetzer Sabbataï Zewis, als den Ephraimitischen Messias aus, trieb Schwindeleien unglaublicher Art, besuchte Gräber, um sich durch die abgeschiedenen Geister inspirieren und von ihnen seine Theorie verkünden zu lassen. Diese bestand, wie schon gesagt, in der gotteslästerlichen Annahme, daß es zwei Götter gebe, den einen, die erste Ursache, unbegreiflich, ohne Willen und Einfluß auf das Weltall, und den andern, den Gott Israels, von jenem emaniert, den eigentlichen Weltenschöpfer und Gesetzgeber des israelitischen Volkes, der allein angebetet werden müsse. Indessen steuerten die Rabbiner Smyrnas seinem Unwesen, bedrohten ihn mit dem Tode und zwangen ihn, die Geburtsstadt Sabbataï Zewis zu verlassen. Er begab sich von da nach Konstantinopel und seine Smyrnaer Anhänger mit ihm, wurde dort von dem phantastischen Sohne eines reichen Mannes hinter dem Rücken des Vaters unterhalten, trieb seinen Unfug weiter, veranstaltete sogar auf dem Grabe des mohammedanischen Heiligen Ajub Annazar eine kabbalistische Zeremonie von Gebeten und Totenbeschwörungen (Tikkun) und auch auf dem Grabe des Sultans Ibrahim, damit er seinem Sohne, dem regierenden Großherrn [307] Mohammed IV. im Traume erscheine und ihm gebiete, Cardoso und seinen Anhang zu beschützen23. Indessen konnte er sich in Konstantinopel nicht halten, als sein Spender Samuel, der sich seinetwegen in Schulden gestürzt hatte, den Prophezeiungen zum Trotz gestorben war. So trieb sich Cardoso in Adrianopel, in Rodosto, in Ägypten, auf den griechischen Inseln und in Candia umher, bald als Messias, bald als Arzt, schrieb zahlreiche Abhandlungen über die Nähe des Messiasreiches und seine theosophisch-dualistische Theorie zusammen, machte Schulden, zog Frauen in seinen kabbalistischen Konventikel und soll bis ins Alter unkeusch gelebt haben. Zuletzt wollte er sich in der Kabbalistenstadt Safet in Palästina niederlassen; aber die Führer der jüdischen Gemeinde verboten ihm den Eintritt. Darauf begab er sich zum zweiten Male, bereits hochbetagt, nach Ägypten, fand Gunst bei dem Pascha Kara Mohammed, dessen Leibarzt er wurde, und wurde zuletzt von seinem Neffen, der sich von ihm übervorteilt glaubte, mit einem Messer erstochen (1706). Mit seinem Tode hörte sein Schwindel nicht auf; denn seine Schriften, ein Gemisch von Unsinn und Vernünftigkeit, wurden gierig gelesen und entzündeten die Gemüter. Abraham Michael Cardoso blieb wenigstens dem Judentum treu, verehrte Sabbataï Zewi nicht als Gottmenschen, bekämpfte sogar energisch diese Gotteslästerung und trat nicht zum Mohammedanismus über. Sein Prophet Daniel Israel Bonafoux dagegen nahm, wahrscheinlich wegen erlittener Verfolgung von seiten des Smyrnaer Rabbinats, den Turban24.

Weit eingreifender noch war die von einem sabbatianischen Wanderprediger ausgegangene kabbalistische Schwärmerei (1679 bis 1682), die sich nach Polen verpflanzte, wo sie mehr Nahrung fand und zäher festgehalten wurde. Mardochaï aus Eisenstadt (Mochiach)25 blieb auch nach dem Tode des Renegaten sein treuer Anhänger. Er, ein Jünger Nathans und Parteigänger Cardosos, der aus dem Orient nach seiner Heimat zurückkehrte, war zugleich ein Mann von einnehmender [308] Gestalt und Ehrfurcht einflößenden Gesichtszügen, kasteite sich viel, fastete bis elf Tage hintereinander, predigte in Ungarn, Mähren und Böhmen mit vieler Eindringlichkeit von Buße und Zerknirschung, ein jüdischer Vicente Ferrer. Der Beifall, den seine Predigten fanden, erweckte sein Selbstvertrauen, und er gab sich als Propheten aus. In Wort und Schrift behauptete der Prediger von Eisenstadt, daß Sabbataï Zewi der wahre Messias gewesen sei, der aus hoher mystischer Fügung notwendigerweise habe Türke werden müssen. Dieses Stichwort, welches die sabbatianischen Führer Nathan und Cardoso gangbar gemacht hatten, gebrauchte auch er. Sabbataï werde drei Jahre nach seinem angeblichen Tode – denn wirklich gestorben sei er gar nicht – sich offenbaren und die Erlösung vollbringen. Vorzeichen seien die Verfolgungen, welche die Juden kurz nacheinander in Spanien (Oran), dem Kaiserreich und Frankreich erlitten hätten26. Auch die damals wütende Seuche in Deutschland stellte Mardochaï als Vorzeichen auf. Die ungarischen, mährischen und böhmischen Juden hörten diesen sabbatianischen Predigten und Prophezeiungen mit vieler Andacht zu. Der kabbalistische Taumel hatte ihr Denkvermögen so sehr abgestumpft, daß sie an einem vom Judentum abgefallenen Messias keinen Anstoß nahmen. Mardochaï ging aber in seiner Narrheit noch weiter, gab sich selbst für den wahren Messias vom Hause Davids aus und behauptete, er sei der auferstandene Sabbataï Zewi. Dieser habe das Erlösungswerk nicht vollbringen können, weil er reich gewesen sei. Der Messias müsse aber arm sein; daher sei er, der Arme und Geplagte, der wahre Erlöser. Alle diese Narrheiten wurden mit gläubiger Andacht aufgenommen. Italienische Juden luden den ungarischen Messias förmlich ein, zu ihnen zu kommen, und er folgte diesem Rufe. Die italienischen Kabbalisten aus der Schule Zacuts, Abraham Rovigo und Benjamin Kohen, Rabbiner in Reggio, schwärmten für ihn. In Modena und Reggio wurde er mit Enthusiasmus empfangen. Er faselte von seiner Aufgabe, nach Rom zu gehen, um in der sündhaften Stadt messianische Vorbereitungen zu treffen. Er deutete auch verschmitzt an, er werde sich vielleicht äußerlich in christliche Vermummung kleiden müssen, wie sich Sabbataï Zewi in türkische Kleidung habe hüllen müssen, d.h. er werde sich im Notfalle zum Scheine der Taufe unterwerfen. Die bedächtigen Juden in Italien wurden indes wegen dieser zugleich das Bekenntnis und die Bekenner des Judentums gefährdenden Phantasterei bedenklich; sie hielten ihn für verrückt,[309] wurden aber von den Gläubigen verhindert, etwas gegen ihn zu unternehmen. Indessen scheinen einige Juden sein Treiben der römischen Inquisition verraten zu haben; daher rieten ihm seine italienischen Anhänger selbst, Italien zu verlassen. So kam er abermals nach Böhmen, konnte sich aber auch da nicht halten und wanderte nach Polen aus. Hier, wohin nur eine sehr dunkle Kunde von Sabbataï und den Sabbatianern gedrungen war, fand er, wie es scheint, zahlreiche Anhänger. Man erzählte sich aber, er sei dort in völligen Wahnsinn verfallen. Dieser Wahnsinn war aber ansteckend in Polen, denn seit dieser Zeit bildete sich dort eine Sekte, welche bis zum Beginn der Mendelssohnschen Epoche und noch darüber hinaus ihr Unwesen immer frecher trieb.

Zu gleicher Zeit brachte derselbe Schwindel in der Türkei neue Erscheinungen zutage. Sabbataï Zewi hatte eine Witwe hinterlassen, die Tochter eines Talmudkundigen, namens Joseph Philosoph aus Salonichi, welcher ein Parteigänger des Schwindelpropheten Nathan Ghazati gewesen war27. Diese soll, sei es aus Ehrgeiz oder, wie die Gegner sagten, aus Geilheit, durch Blendwerk die Sabbatianer zu neuer Raserei aufgestachelt haben. Nach Salonichi zurückgekehrt, soll sie ihren Bruder Jakob Querido für ihren eigenen, von Sabbataï Zewi empfangenen Sohn ausgegeben haben. Dieser Knabe, welcher den Namen Jakob Zewi angenommen hat, wurde daher ein Gegenstand andächtiger Verehrung für die Sabbatianer. Sie glaubten, daß in ihm die Seelen zweier Messiasse aus dem Hause Joseph und David vereinigt wiedergeboren seien; er sei daher als der wahre Erlöser, als der echte Fortsetzer Sabbataïs zu betrachten. Diese neue Phantasterei fand in Salonichi um so mehr Anhänger, als der eigene Vater Queridos, Joseph Philosoph, ein Tal mudkundiger war, und ein anderer gelehrter Talmudist Salomo Florentin, der bereits als Verfasser eines rabbinischen Buches eine gewisse Autorität erlangt hatte, sich zu den Gläubigen gesellten und ihn auf den Schild erhoben. Die Messiaswitwe und ihr Bruder Querido sollen geradezu geschlechtliche Unzucht als Beförderungsmittel für das Erlösungswerk empfohlen und getrieben haben. Die Sündhaftigkeit der Welt könne nur durch ein Übermaß von Sünde, durch den äußersten Grad unkeuschen Wandels überwunden werden. In diesem Salonicher Kreise soll daher schamlose Unzucht und sogar Blutschande ganz offen getrieben worden sein – so erzählen die Gegner. Sicher ist nur das eine, daß [310] die Ehe in diesem Kreise nicht als heilig geachtet war. Nach der lurjanisch-kabbalistischen Verirrung sollten Ehefrauen, an denen ihre Gatten keinen Gefallen fanden, als das Hindernis einer harmonisch-mystischen Ehe ohne weiteres entlassen und anderen, die sich zu ihnen hingezogen fühlten, überlassen werden. Diese Vorschrift wurde in diesem mystischen Kreise nur zu eifrig befolgt; es war eine eigene Art Wahlverwandtschaft. Mehrere hundert Salonicher gehörten dieser sabbatianischen Sekte an, meistens junge Leute. Unter ihnen bewegte sich ein junger Mann, Salomo Ayllon, der später Rabbiner von London und Amsterdam wurde; er machte ebenfalls die geschlechtlichen Verirrungen mit. Er führte eine Frau, als eine ihm vom Himmel bestimmte, heim, die ein anderer ohne förmliche Scheidung verlassen hatte, und diese entführte ihm wieder ein Dritter28. Die Salonicher Sabbatianer standen mit dem Rest derselben in Adrianopel und Smyrna in Verbindung. Die Rabbinen durften diesen Unfug nicht gleichgültig mit ansehen und denunzierten sie bei der türkischen Behörde. Diese stellte Untersuchungen an und verhängte strenge Strafen über sie. Die Sabbatianer hatten aber von ihrem Urmeister ein Mittel gelernt, den Zorn der türkischen Machthaber zu beschwichtigen. Sie nahmen sämtlich – man sagt bis auf vierhundert – den weißen Turban (um 1687). Sie machten aber mehr Ernst mit ihrem neuangenommenen, mohammedanischen Bekenntnisse. Ihr Messias Jakob Zewi Querido machte mit vielen seiner Anhänger eine Wallfahrt nach Mekka, um am Grabe des Propheten Mohammed zu beten. Auf der Rückkehr starb er in Alexandrien. Die Führerschaft über die jüdischtürkische Sekte in Salonichi übernahm später sein Sohn Berechja oder Barochja (um 1695-1740). Auch er galt ihnen als Fortsetzer Sabbataï Zewis, als Verkörperung der Urseele des Messias, als Fleisch gewordene Gottheit29. Seine Anhänger lebten unter dem Namen Dolmäh (richtig Donmäh) d.h. vom Judentum Abtrünnige für sich, von Juden und Türken getrennt, heirateten nur untereinander, besuchten zwar hin und wieder die Moschee, kamen aber öfter zu ihrem eigenen mystischen Gottesdienst heimlich zusammen, um ihren Erlöser und Gottmenschen anzubeten. Noch heute gibt es Nachkommen der Sekte Sabbataï-Querido-Barochjas, welche ein [311] Gemisch von kabbalistischen und türkischen Gebräuchen haben. Vom Judentum behielten sie nur die Beschneidung am achten Tage und das hohe Lied bei, dessen Liebesdialoge und Monologe ihnen freien Spielraum für mystische und unzüchtige Deutungen ließen. Vor einigen Jahrzehnten ist den Donmäh, welche gegenwärtig nicht viel mehr als 4000 Mitglieder zählen sollen, vom Sultan die Freiheit ihres eigenen Bekenntnisses gestattet worden.

Trotz dieses dem Judenthum und der Sittlichkeit in gleicher Weise hohnsprechenden Unwesens der Salonicher Sabbatianer oder gerade deswegen fanden sie stets neue Anhänger, die mit zäher Beharrlichkeit an dem Wahne festhielten, sich und andere betörten und Betrügern Gelegenheit gaben, diese schwärmerische Stimmung auszubeuten. Vom Orient und Polen aus kreuzten sich miteinander geheime Sabbatianer, von hier als wandernde Prediger und von dort als angebliche Sendboten des heiligen Landes und regten immer neue Verirrungen an. Der Sendbote Abraham Cuenqui aus Hebron, der in Polen und Deutschland die Mildtätigkeit für die Armen dieser Stadt in Anspruch nahm, lieferte auf Ansuchen eines Mystikers (um 1689), eine fast vergötternde Lebensbeschreibung Sabbataïs, den er in seiner Jugend gesehen und bewundert hatte. Diese Biographie, eine Art sabbatianisches Evangelium, gibt die beste Anleitung, wie sich auf religiösem Gebiete Geschichte in Fabel und diese wieder in Geschichte umbildet. In Polen entstand, wahrscheinlich von dem wahnwitzigen Mardochaï aus Eisenstadt angeregt, eine sabbatianische Sekte, die durch strenge Buße das Herannahen des Himmelreiches zu befördern vermeinte. An ihrer Spitze standen zwei Männer, Juda Chaßid (der Fromme) aus Dubno, eine beschränkte Einfalt, und Chajim Malach30, ein verschmitzter Talmudist. Beide wühlten durch aufregende Predigten und fanden eine zujauchzende Zuhörerschaft, die sich ihnen zur Buße und zu kabbalistischen Extravaganzen anschloß. Diese Verbindung nannte sich Chaßidäer (Chassidim). In Polen war aber die Unwissenheit so groß, daß die Rabbinen selbst die Tragweite und Schädlichkeit dieser sabbatianischen Schwärmerei nicht erkannten. Saul, Rabbiner von Krakau, mußte erst Erkundigungen bei Zewi Aschkenasi, Klausrabbiner in Altona (später als Rabbiner von Amsterdam Chacham Zewi genannt) über das Wesen der Sabbatianer einziehen. Als dieser, welcher einen großen Teil von Europa durchwandert hatte und ihr Treiben gut kannte, dem Rabbiner von Krakau die Augen [312] öffnete und ganz besonders vor Chajim Malach warnte, stellte das Rabbinat gegen die Chaßidäer Verfolgungen an. Infolgedessen wanderten etwa 1300 bis 1500 Personen dieser Sekte unter Juda Chaßid aus Polen aus (Anf. 1700), mit dem Entschlusse nach dem heiligen Lande zu reisen, um dort die Erlösung zu erwarten. Wie ehemals die christlichen Geißlerbrüder, so zeichneten sich diese sogenannten Frommen durch vieltägiges Fasten und durch Kasteiungen aller Art aus. Ihre Anführer trugen am Sonnabend weiße Kleider von Atlas oder Zeug, womit sie die Gnadenzeit andeuten wollten. Überall wo sie durch Deutschland zogen, predigten sie und ermahnten zu strenger Buße. Juda Chaßid riß durch seine gewaltige Stimme, seine Gebärden und heißen Tränen die Zuhörer zur Wehmut hin. Namentlich wirkte er auf die weichen Frauengemüter, für die er – ein ganz ungewöhnlicher Vorgang – mit einer Thorarolle im Arme in ihrer Abteilung im Synagogenraume zu predigen pflegte. Während sich der größte Teil dieser Sekte in Mähren und Ungarn sammelte, durchstreifte Juda Chaßid mit etwa 150 Personen Deutschland von Altona bis Frankfurt a.M. und Wien, überall predigend, jammernd und ermahnend. Die Sekte wurde überall und namentlich in den größeren Gemeinden reichlich unterstützt. Wegen des Zulaufes, den diese Sektierer von Männern und Frauen erhielten, wagten die Rabbiner nicht, deren Treiben entgegenzutreten. Samuel Oppenheim, der reiche Hofjude in Wien (o. S. 282), unterstützte die Chaßidäer reichlich, verschaffte ihnen Pässe nach dem Morgenlande und stellte ihnen zwei Schiffe, die sie auf der Donau zunächst nach Konstantinopel bringen sollten. Indessen begab sich nur ein kleiner Teil derselben unter Chajim Malach auf diesem Wege dahin. Die meisten dagegen unter Juda Chaßid traten den Weg zu Lande über Venedig nach Jerusalem an; 500 von ihnen kamen unterwegs um.

Die Schwärmerei dieser Sekte hatte bald ein Ende. Am ersten Tage nach ihrer Ankunft in Jerusalem starb ihr Hauptführer Juda Chaßid (Okt. 1700); seine Anhänger wurden ratlos, fanden statt baldiger Erlösung nur entsetzliches Elend. Ein Teil dieser Chaßidäer ging daher wegen der plötzlichen Enttäuschung aus Verzweiflung zum Islam über. Die Reste derselben zerstreuten sich überallhin, und viele nahmen die Taufe, darunter Juda Chaßids Neffe, Wolf Levi aus Lublin, der den Namen Franz Lothar Philippi annahm und Chirurg wurde; ein anderer Neffe Jesaja Chaßid aus Zbaraz hat später neue sabbatianische Wirren veranlaßt. Chajim Malach aber, welcher noch mit dem greisen Samuel Primo, Sabbataï Zewis [313] Geheimschreiber und Geheimrat, Bekanntschaft machte, blieb mehrere Jahre in Jerusalem und stand einer kleinen sabbatianischen Sekte vor. Auch er lehrte das Zwei- oder Dreigöttertum und die Fleischwerdung Gottes, zollte Sabbataï Zewi göttliche Verehrung und soll dessen Abbild, in Holz geschnitzt, in der Synagoge seiner Sekte zur Anbetung herumgetragen haben, das seine Anhänger umtanzt haben sollen. Auf die Zertrümmerung des rabbinischen Judentums oder des Judentums überhaupt hat Chajim Malach entschieden hingearbeitet. Unverständlich bleibt es, wie die Jerusalemer Gemeinde sein Treiben mehrere Jahre (1701-1705) mit ansah, ohne ihm zu steuern; es müßte denn sein, daß die dortigen Rabbinen ebenfalls dem sabbatianischen Götzendienste huldigten oder ihn ausbeuteten. Nur einige deutsche Juden daselbst richteten schüchtern ein Schreiben an die Vier-Länder-Synode in Polen (April 1705) mit der flehentlichen Bitte – verkehrt genug – von dort aus Malachs Unfug ein Ende zu machen – vielleicht ihm und den Seinigen die Unterstützungen zu entziehen. Wer weiß, ob dieses Schreiben den polnischen Gemeinden zugekommen ist; und wenn es ihnen zugekommen ist, waren sie nicht imstande, etwas zu unternehmen. Polen war damals durch den Kriegsgott, in der Gestalt des Schwedenkönigs Karl XII., in ein großes Schlachtfeld verwandelt, und jedermann dachte nur an sich. Indessen scheint Chajim Malach doch endlich aus Jerusalem ausgewiesen worden zu sein. Er begab sich darauf zu den mohammedanischen Sabbatianern nach Salonichi, den Donmäh, machte ihre ausschweifenden Tollheiten mit, zog dann in mehreren türkischen Gemeinden predigend umher und lehrte offen den sabbatianischen Schwindel. In Konstantinopel wurde er jedoch in den Bann getan und bei seinem zweiten Aufenthalt in dieser Gemeinde vom Chacham Baschi ausgewiesen (um 1709). Er kehrte darauf über Deutschland nach Polen zurück und streute dort den Samen sabbatianischer Ketzerei aus, die das Judentum später tief unterwühlen sollte. Er soll in Trunksucht seinen Tod gefunden haben.

In derselben Zeit, als Malach Keimkörner zu einem Auflösungsprozesse in Polen auswarf, wurde durch zwei versteckte Sabbatianer die Fackel der Zwietracht in das jüdische Lager geschleudert, durch Chajon und Ayllon, von dem einen durch Schwindeleien und von dem andern durch Eigensinn und Rechthaberei. Sie erzeugten eine nicht sehr erfreuliche Bewegung. Salomon Ayllon (geb. um 1664, st. 1728)31 in Safet von spanischen Eltern geboren, hatte [314] das Gehirn vom Nebel der Kabbala erfüllt. In seiner Jugend war er in den Kreis der Salonicher Sabbatianer geraten und hatte ihren Unfug zum Teil wenigstens mitgemacht (o. S. 311). Später war er nach Livorno gekommen und nach dem Tode des würdigen und gebildeten Rabbiners Jakob Abendana an dessen Stelle nach London berufen worden (1696-1701). Ayllon hatte in London Gegner, welche, als sie von seiner nicht ganz fleckenlosen Jugend vernommen hatten, sich an diesen oder jenen Rabbinen wandten, um seine Amtsentsetzung zu erwirken. Aber aus Scheu vor einem öffentlichen Ärgernis, daß ein ehemaliger Anhänger der verrufenen Salonicher als Rabbiner fungieren sollte, rieten die Befragten, die häßliche Geschichte der Vergessenheit zu übergeben. Bedeutend war Ayllon in keinem Fache, nicht einmal in der Talmudkunde, gebärdete sich aber gerne als edler Beschützer dürftiger Rabbinen, die nicht verfehlten, dafür seinen Namen hochtönend zu verherrlichen. Von allzugroßer Gewissenhaftigkeit muß er auch nicht gewesen sein. Als er wegen Übernahme einer Rabbinerstelle im Amsterdamer Kollegium unterhandelte, und die Londoner Gemeinde ihn nicht verlieren mochte, schwor er einen feierlichen Eid, die ihm angetragene Stelle nicht annehmen zu wollen, während er bereits dem Amsterdamer Vorstande Zusage gemacht hatte und das Amt auch übernahm. Er beschönigte sein Verfahren auf eine, gelinde gesagt, sophistisch-jesuitische Weise. Seine Jugendliebe zu den sabbatianischen Verirrungen, die er auch als Rabbiner von Amsterdam nicht ganz aufgegeben zu haben scheint, hat Ayllon dahin gebracht, einem abgefeimtem Schwindler die Hand zu bieten und dadurch eine tiefgehende Zerwürfnis in der Judenheit erzeugen zu helfen.

Dieser Erzbetrüger, welcher an Schlauheit, Heuchelei, Frechheit und Gewissenlosigkeit nur wenige seinesgleichen in dem an Betrügern reichen achtzehnten Jahrhundert hatte, war Nehemia Chija Chajon (geb. um 1650, st. nach 1726)32. Er hatte eine besondere Freude an Mystifikationen und Schwindeleien und führte von seiner Jugend bis in sein Greisenalter ein abenteuerliches, lustiges, verstellungsreiches Leben. Der Lebensgang dieses kabbalistischen Abenteurers, der die Verwilderung der Zeit nach vielen Seiten hin charakterisiert, darf nicht übergangen werden. Seine Eltern waren von sefardischer Abkunft und wohnten in der türkisch-bosnischen Stadt Bosna-Seraï (Serajewo), wo Chajon wahrscheinlich geboren[315] wurde; er fand es aber später für seine Zwecke dienlicher, seine Geburtsstadt zu verleugnen und sich als Safetaner auszugeben oder zu behaupten, daß er auf der Reise seiner Eltern nach dem heiligen Lande in Alexandrien das Licht der Welt erblickt habe. Chajon erhielt seine talmudische Ausbildung in Hebron, wo der sabbatianische Taumelgeist viele Anhänger hatte. Sein Verstand hatte eine bedeutende logische Schärfe, um Widersprüche und Ungereimtheit mit Leichtigkeit aufzudecken; aber sein Schwindelkopf, sein kaltes Herz und sein auf Befriedigung niedriger Begierden gerichteter Sinn bewogen ihn, einen verderblichen Gebrauch davon zu machen. Vom Talmud und der rabbinischen Literatur verstand er nur so viel, um sich darin heimisch zeigen zu können, hatte aber keinen innern Beruf dazu, wie er denn überhaupt keine Religiosität besaß. Er machte alles nur aus Heuchelei mit; unbewacht hingegen setzte er sich über alles, Religion und Sittlichkeit, hinweg. Als achtzehnjähriger Jüngling kehrte er nach Bosna-Seraï zurück, heiratete, wurde Rabbiner in Uskupia (fünf Tagereisen von Salonichi) auf besondere Empfehlung des Rabbiners Aaron Perachia von Salonichi, muß sich aber so anstößig betragen haben, daß er nur kurze Zeit das Rabbinat behielt. Von dieser Zeit an begann Chajons Abenteurerleben; er war bald wieder in Bosna-Seraï, bald in Belgrad, bald in Adrianopel, bald in Livorno und Salonichi, als Hauslehrer, Prediger, Kaufmann. Überall erzählte man sich von seinen schlechten Streichen. Dabei konnte er ernste, Ehrfurcht einflößende Mienen annehmen und fesselte durch seine einnehmende Gestalt, seine kabbalistischen Floskeln und sein mysteriöses Wesen. Er spielte meistens den Heiligen, sang aber dabei Liebeslieder und lief Frauenzimmern nach. Einmal soll Chajon eine Sklavin aus der Familie, bei der er Hauslehrer war, entführt haben und zwar am Sabbat, wozu er zwei Pferde in Bereitschaft hatte. Er soll aber eingeholt und durchgebläut worden sein. Mit den Sabbatianern in Salonichi hatte er, wie er selbst eingestand, nähere Bekanntschaft, er hatte sich Mühe gegeben, ihrer Schriften habhaft zu werden. Auch mit dem Haupte derselben, mit Samuel Primo, hatte er öfter Unterredung über kabbalistische Schwindeleien. Schon damals wollte er jenem gegenüber eine neue Dreieinigkeit aufgestellt haben.

Indes scheint Chajon seinen Vorteil in Europa nicht gefunden zu haben; denn er begab sich wieder nach Palästina, wohnte in Nablus (Sichem), machte Abstecher nach Ägypten (zwischen 1702-1707), wurde aber dort als Schwindler oder als Zauberer gemieden. Da ihm bisher kein Unternehmen gelungen war, verlegte er sich auf [316] kabbalistische Gaukeleien, um die Welt zu betrügen. Er arbeitete eine Schrift aus, worin er die Behauptung durchführte, daß das Judentum (allerdings das Judentum mit kabbalistischem Vorder- und Hintergrunde) einen dreieinigen Gott zum Bekenntnis habe. Mit dieser Schrift im leeren Sacke kam er nach Smyrna (Frühjahr 1708) in der Absicht, entweder bei den Sabbatianern oder bei deren Gegnern sein Glück zu versuchen. Es gelang ihm in der Tat, einige reiche Smyrnaer zu bezaubern. Seine Gönner verpflichteten sich untereinander und gegen Chajon, ihn kräftig zu unterstützen, damit er in den Stand gesetzt sei, jene grundketzerische Schrift zu veröffentlichen und in einer pälastinensischen Stadt eine Art Lehrhaus oder Klaus zu gründen und dazu auch einige Genossen hinzuzuziehen. Nur einer der Smyrnaer Rabbiner, Benjamin Levi, erkannte Chajons Schwindeleien und die Schädlichkeit seiner Schrift, wollte sie auch, noch ehe sie das Tageslicht erblickte, durch eine Gegenschrift brandmarken, unterließ es aber aus Trägheit und trat überhaupt dem Heuchler nicht mutig und offen entgegen, sondern lud auf sich den Schein, als suchte er aus hämischem Neide den Kabbalisten von Palästina zu verkleinern. Daher kam es, daß der Erzschelm in Smyrna wie ein heiliger Prophet behandelt und von fast der ganzen Gemeinde zu Schiff geleitet wurde, das ihn nach Palästina zurückführen sollte. Seine Schwindeleien waren für den Augenblick von Erfolg gekrönt. Aber Benjamin Levi und seine Freunde hatten mit demselben Schiff einen Eilboten an das Rabbinat von Jerusalem abgehen lassen, um auf den Mann und dessen gefährliche Ketzerei aufmerksam zu machen. Die Seele des Jerusalemer Rabbinatskollegiums war damals Abraham Jizchaki, ein Talmudist mittlern Schlages, wie fast sämtliche Rabbinen in dieser Zeit, von der Kabbala eingenommen, aber ein heftiger Gegner der Sabbatianer. Aus diesem Grunde und vielleicht auch aus Eigennutz, um nicht einen begünstigten Nebenbuhler in Palästina zu haben, der den Jerusalemern die Spenden der auswärtigen Gemeinden leicht hätte wegschnappen können, war Jizchaki gleich bereit, den ihm von Smyrna aus zugekommenen Wink zu benutzen. Ehe sich noch Chajon ansiedeln konnte, schleuderte das Rabbinat von Jerusalem den Bannstrahl gegen ihn und verurteilte seine Schrift, die es doch nicht durch den Augenschein kannte, ohne den Verfasser verhört zu haben, zum Feuer (Juni 1708). Dieser grobe Formfehler hat sich später gerächt. Für den Augenblick unterlag Chajon allerdings. Als ein von dem Hauptkollegium in Palästina Gebannter konnte er sich nirgends festsetzen. Der Enthusiasmus seiner Smyrnaer Gönner verrauchte [317] eben so schnell, wie er aufgelodert war. Menschengunst ist so wandelbar.

So war Chajon nach wenigen glücklichen Tagen abermals auf Bettelfahrten angewiesen. In Italien, wohin er von Ägypten aus gekommen war und einige Jahre weilte (1709-1711), fanden seine Schwindeleien wenig Anklang. Manche erinnerten sich noch seiner Streiche aus seinem früheren Aufenthalte in diesem Lande. Ein Kabbalist, Joseph Ergas in Livorno, der, obwohl ein Schwager des Erzsabbatianers Mose Pinheiro33, doch wenigstens in diesem Punkte dessen Gesinnung nicht teilte, erkannte die Schrift, die ihm Chajon vorgelegt hatte, sofort als eine sabbatianische, die verdammenswert sei. Chajon war darüber betroffen; er hatte in Ergas einen Anhänger des Lügenmessias vermutet, verließ eilig Livorno und bettelte in Ancona, Rom und anderen italienischen Städten. Nur in Venedig fand er bei Rabbinen und Laien einige Beachtung. Hier ließ er ein kleines Schriftchen, einen Auszug aus seiner größern Schrift drucken, worin er ganz offen die Dreieinigkeit als Glaubensartikel des Judentums aufstellte, allerdings nicht die christliche Dreieinigkeit, sondern drei Personen (Parzufim) in der Gottheit, den heiligen Uralten oder die Seele aller Seelen, den heiligen König, oder die Verkörperung Gottes und eine dazu gehörige weibliche Person (die Schechina). Diesen, das Judentum und seinen Gottesbegriff fälschenden Qualm wiederholte Chajon in schlechten Versen, welche er als Erbauungsgebete für besonders Fromme empfahl. Keck und mit der Gefahr spielend, verwebte er in die Anfangsverse Worte eines zotigen italienischen Liedes »Die schöne Margarete«. Und dieses lästerliche Schriftchen (Geheimnis der Dreieinigkeit, Raza di-Jichuda) billigte und empfahl das Venetianer Rabbinat, entweder weil es gar nicht vor dem Drucke Einsicht davon genommen hatte, oder weil es in kabbalistischem Stumpfsinn die Tragweite desselben nicht erkannte. Indessen hielt sich Chajon nicht lange in Venedig auf, sondern begab sich bald darauf nach Prag, anfangs mit dem Vorgeben, nur kurze Zeit weilen zu wollen. Als er aber dort unerwartet viele Gönner und Bewunderer fand und sich in diesem Pfuhl wohlfühlte, dehnte er seinen Aufenthalt auf ein ganzes Jahr aus (1711-12). In Prag fand Chajon einen Wunderglauben, wie er ihn für sein Blendwerk nicht günstiger zu wünschen brauchte. Die Führer der Gemeinde, ältere und jüngere Rabbiner und Talmudjünger, alle waren davon erfüllt. [318] David Oppenheim, Oberrabbiner34 von Prag (geb. 1664 st. 1736), mehr berühmt wegen seiner reichen Büchersammlung, als wegen seiner Taten und seiner literarischen Leistungen, war ein eingefleischter Kabbalist und von ihrem Dusel benebelt. Er hatte zwar keine Zeit, sich mit dem Wanderprediger Chajon zu beschäftigen, noch überhaupt [319] sich um Gemeindeangelegenheiten und Interessen des Judentums viel zu kümmern. Er brauchte seine Zeit für großartige Geldgeschäfte mit den Summen, welche ihm sein reicher Wiener Oheim, Samuel Oppenheim, nebst einer bedeutenden Bibliothek hinterlassen hatte. Wenn etwas Wichtiges in Prag vorging, war David Oppenheim in der Regel abwesend, um sein Vermögen oder seinen Bücherschatz zu vermehren. Er spendete von seinem Reichtum mit offenen Händen, den zehnten Teil seines Vermögens – über 150,000 Mark – verteilte er an Hilfsbedürftige, aber das Rabbinat vernachlässigte er. David Oppenheim kam daher wenig mit Chajon zusammen, desto mehr sein Sohn Joseph, der von dessen kabbalistischer Aufschneiderei bezaubert war und ihn ins Haus nahm35. Ebenso viel Wesen machte mit ihm der in Prag damals lebende kabbalistische Rabbiner Naphtali Kohen, dem seine Wundertuerei teuer zu stehen gekommen war. Dieser aus Polen eingewanderte, zuerst in Posen und dann in Frankfurt a.M. fungierende Rabbiner (geb. um 1660 st. 1719) war ganz besonders in die Kabbala vernarrt und trieb sie auch praktisch, d.h. die Beschwörungskabbala. Er glaubte einen Talisman gegen Feuersgefahr gefunden zu haben, womit er den der Menschenkunst spottenden Feuergeist bannen könne. Aber gerade in seinem Hause in Frankfurt brach ein Brand aus, welcher die ganze Judengasse in Asche legte, man sagte, bei einer Probe, die er mit seinen Beschwörungsversuchen angestellt hatte. Er wurde als Brandstifter eingezogen und längere Zeit in Haft gehalten. Von diesem Verbrechen freigesprochen, mußte Naphtali Kohen die Mainstadt verlassen und begab sich nach Prag (1711) unter den Schutz David Oppenheims. Auch ihm imponierte Chajon außerordentlich und wurde von ihm auf den Schild gehoben. Wer sollte sich nicht um den angeblichen Prediger oder Sendboten Palästinas (wofür sich Chajon ausgab) bewerben, wenn das Oppenheimsche Haus und Naphtali Kohen ihm huldigten? Kein Wunder, wenn die talmudbeflissene Jugend, die wißbegierigen Söhne des Lehrhauses sich um Chajon drängten. Unter diesen befand sich auch der [320] wegen seines Scharfsinnes später so berühmt und berüchtigt gewordene Jonathan Eibeschütz, welcher zur selben Zeit in Prag weilte. Chajon hielt in Prag Predigten, bezauberte die Zuhörer mit seiner sophistisch witzelnden Manier, welche das Ungereimteste zusammenreimte. Hin und wieder ließ er die Irrlehren der Salonicher Sabbatianer durchschimmern, daß die Sünde nur durch das Übermaß der Sündhaftigkeit, durch die Befriedigung aller, auch der häßlichsten Begierden, durch die Übertretung der Thora überwunden werden könne. Er band den Pragern auf, oder ließ es durch seinen Begleiter aus Venedig verbreiten, daß er mit dem Propheten Elia verkehre, daß er die Gottheit zwingen könne, sich ihm zu offenbaren, daß er Tote zu erwecken, neue Welten zu schaffen vermöge – das alles fand Glauben. Er schrieb Amulette, um die man sich riß, führte aber dabei heimlich ein Lotterleben. Das Geld, das ihm der heilige Schwindel einbrachte, verbrauchte er im Kartenspiel. Endlich wagte er es, seine ketzerische Schrift, sein sabbatianisches Glaubensbekenntnis von der Dreieinigkeit Naphtali Kohen zur Begutachtung vorzulegen und zeigte ihm gefälschte Leumundszeugnisse von italienischen Rabbinen vor. Vor lauter Bewunderung für Chajons Person erteilte ihm, ohne auch nur die Schrift einer genauen Prüfung unterzogen zu haben, Naphtali Kohen nicht nur eine einfache Billigung, sondern eine glutvolle Empfehlung derselben, – eine leichtsinnige Art, welche den damaligen Rabbinen durchschnittlich eigen war, sich aber dieses Mal bitter rächen sollte. Nach und nach erfuhr Naphtali Kohen zu seinem Schrecken, daß der von ihm so sehr bewunderte und ausgezeichnete Jerusalemer ein Erzschelm war, dessen Trachten nur auf Betrügereien ausging. Er wollte ihm daher das ihm erteilte Empfehlungsschreiben entziehen, aber Chajon ließ sich nicht leicht etwas entreißen. Er saß bereits in Prag so fest, daß er Naphtali Kohens Feindschaft verachten konnte.

Mit gefälschten und erschlichenen Empfehlungen versehen, berückte Chajon noch andere Gemeinden, Wien, Nikolsburg, Proßnitz, Breslau, Glogau und Berlin; es gelang ihm, sich den dummgläubigen deutschen Juden gegenüber als Prophet zu gebärden und sich von ihnen ernähren zu lassen. Heimlich war er aber mit einem sabbatianischen Schwärmer oder Betrüger Löbele Proßnitz36 in Verbindung getreten, wahrscheinlich einem Parteigänger des Mardochaï von Eisenstadt, der vor den geblendeten Augen Leichtgläubiger den Gottesnamen, vier hebräische Buchstaben aus Rauschgold ausgeschnitten und auf seine [321] Brust geklebt, vermittelst Alkohol und Terpentinflammen erglänzen machte. Wie die Wilden staunten damals mährische Juden Löbele Proßnitz' Spirituswunder an. In Berlin, wo Chajon mehrere Monate (1713) weilte, hatte er die beste Gelegenheit im Trüben zu fischen. Die bereits auf mehr denn hundert Familien angewachsene Berliner Gemeinde, welche aus Schutzjuden und aus den auf Kündigung Geduldeten bestand37, war in Spaltung geraten, wie es scheint durch zwei mit dem Hofe verkehrende, einander feindliche Familien. Die Witwe des Hofjuweliers Liebmann, welche bei König Friedrich I. eine wohlgelittene Person war (o. S. 284), wurde gerade deswegen vom Kronprinzen (später Friedrich Wilhelm I.) verabscheut. Dieser hatte seinen eignen Leibjuden Marcus Magnus, welcher nicht bloß aus Gefälligkeit gegen den Thronfolger Todfeind des Liebmannschen Hauses war. Die Feindschaft der zwei Häuser des Berliner Israels teilte sich der ganzen Gemeinde mit, spaltete sie in zwei Parteien und berührte auch die Synagoge. Marcus Magnus wollte das Liebmannsche Bethaus zum Schließen bringen und warb abwechselnd durch süße Worte und Drohung Gemeindemitglieder, sein Gesuch zu unterstützen, eine große gemeinschaftliche Synagoge zu bauen und die zwei bestehenden Bethäuser zu verbieten. Die Minister und Behörden waren für den Neubau, der König selbst aber aus Rücksicht für die Witwe Liebmann dagegen, wenigstens gegen das Schließen der Liebmannschen Synagoge38. Persönliche Erbitterung und Gemeinheiten versteckten sich hinter dem Synagogenbau. Gerade als die Parteileidenschaft am heftigsten entbrannt war, kam Chajon nach Berlin und wußte aus der Spaltung Nutzen zu ziehen. Er hielt sich an die zwar schwächere, aber reiche und um so opferwilligere Liebmannsche Partei. Der damalige Rabbiner von Berlin Aaron Benjamin Wolf, Schwiegersohn der Hofjüdin Liebmann, ein Schwachkopf, behandelte ihn mit verehrungsvoller Auszeichnung. Naphtali Kohen, der damals nach Berlin gekommen war, hätte zwar Chajon entlarven können, scheute sich aber, wie er sagte, die Zwietracht in Berlin noch mehr zu entzünden. So konnte der Schelm unangefochten seine ketzerische Schrift, womit er sein Unwesen fünf Jahre vorher in Smyrna begonnen hatte, in Berlin drucken lassen. »Der Glaube des All« (Mehemenuta de Cola), so lautet der verfängliche Titel. Der Haupttext, die Ausgeburt eines Sabbatianers (einige meinten des Sabbataï Zewi selbst), [322] empfiehlt den »heiligen König«, den Messias, die in Fleisch eingegangene Gottheit ganz allein als Gott Israels der Verehrung und Anbetung (o. S. 211). Dazu lieferte Chajon zwei sophistische Kommentare, worin er in vielfachen Wendungen durchführte, daß der Gott des Judentums die Dreifaltigkeit sei. Beim Gebete »Höre Israel, der Ewige, unser Gott, Gott ist einzig« müsse jeder Jude an diese Dreieinigkeit denken; sonst könne er die Seligkeit nicht erlangen, selbst wenn er sämtliche religiöse und sittliche Pflichten erfülle. Dieser Glaube allein mache selig. Belegt war diese neue Ketzerei mit Stellen aus dem Sohar und anderen kabbalistischen Schriften in empörend sophistischer Deutelei. Schlau wie Chajon war, verwahrte er sich vor einer etwaigen Entlarvung mit der Bemerkung, man dürfe auch von verworfenen Menschen solche Lehren annehmen, die sich auf die Theologie, den Gottesbegriff, bezögen. – So weit war das Judentum gesunken, daß eine solche Lästerung unter den Augen und mit Zustimmung eines Rabbiners, des Aaron Benjamin Wolf in Berlin (und wohl mit dem Gelde der Liebmannschen Partei), gedruckt werden durfte! Chajon hatte die Frechheit, gefälschte Zeugnisse von Rabbinen vordrucken zu lassen, als wenn sie das Buch gelesen und als hochheilig empfohlen hätten. Mit diesem Werke eilte er über Hamburg nach Amsterdam, um in diesem jüdischen Eldorado sein Glück zu machen. Damit begann eine zerrüttende Spaltung in der Judenheit.

Die Gemeinde von Amsterdam war vor den Umtrieben der Sabbatianer genügend gewarnt worden. Der Jerusalemer Rabbiner Abraham Jizchaki (o. S. 317), welcher als Sendbote für Spendensammlung abgeordnet war, benahm sich wie ein päpstlicher Legat, dem die Oberhoheit über alles Religiöse zukäme, und wie ein Großinquisitor, um die eingerissene Ketzerei zu vertilgen. In Smyrna gab es noch in den Händen einzelner geheimer Sabbatianer ketzerische Schriften des Schwärmers Abraham Michael Cardoso. Auf Jizchakis Veranlassung mußten sie unter Androhung des Bannes und weltlicher schwerer Strafen von den Besitzern ausgeliefert werden und wurden verbrannt. Die Smyrnaer Gemeinde fühlte sich dadurch wie von einem Alpdrucke befreit und war dem Anreger dafür dankbar. Jizchaki war auch nach Amsterdam gekommen und hatte die Rabbinen und Vorstände vor sabbatianischen Sendlingen gewarnt und auf den Wink des Smyrnaer Rabbinats hingewiesen, daß ein heimlicher Sabbatianer unterwegs sei, um Cardosos Schriften drucken zu lassen. In der Tat kam ein sabbatianischer Sendling in Amsterdam an und suchte die Druckerlaubnis nach. Der portugiesische Vorstand übergab vorher diese [323] Schriften dem Rabbiner Salomo Ayllon zur Prüfung, und dieser, verblendet oder aus alter Liebe zu kabbalistischer Schwärmerei, erklärte sie für unverfänglich, gegen das Judentum nicht verstoßend und zum Drucke zulässig. Der portugiesische Vorstand aber begnügte sich mit dem Gutachten seines Rabbiners nicht, sondern ließ weitere Prüfungen anstellen, und das Urteil der unparteiischen Sachverständigen lautete, Cardosos Schriften verdienten verbrannt zu werden, was auch in Amsterdam geschehen ist. Kurz darauf traf Chajon dort ein. Er hielt sich anfangs bescheiden zu den Portugiesen und überreichte dem Vorstande ein Exemplar seiner in Berlin gedruckten Schrift vom dreieinigen Glauben, um von ihm die Erlaubnis zum Absatz zu erwirken. Er scheint sich als palästinensischer Sendbote ausgegeben zu haben. Dadurch entstanden sofort Reibungen, die mit persönlicher Empfindlichkeit begannen und mit einem weittragenden Zerwürfnis endeten.

Der Rabbiner der deutschen Gemeinde, Zewi Aschkenasi, Chacham Zewi genannt, geriet nämlich bei der Nachricht von Chajons Anwesenheit in Amsterdam in große Aufregung. Dieser Mann, dessen Vater zu den eifrigsten Sabbatianern gehört hatte (o. S. 218), während es ihm selbst und seinem Sohne Jakob Emden beschieden war, dieselben mit allzueifriger Heftigkeit zu bekämpfen, hatte einen eigenartigen Lebensgang. Zewi Aschkenasi (geb. 1656, st. 1718) war der Sohn jenes Jakob Aschkenasi, welcher fast durch ein Wunder beim Kosakenaufstande gegen die Juden dem Tode entgangen war und seine junge Frau in Mähren wiedergefunden hatte (o. S. 75). Schön von Gestalt, mit einem hellen Kopf begabt und in Salonichi in der sefardisch-talmudischen Lehrmethode geschult, verband er im Talmudfache Gründlichkeit und Scharfsinn. In seinem achtzehnten Jahre wurde er als reifer Talmudkenner zu Rate gezogen. Verhätschelt, gesucht, mit der Tochter eines reichen Mannes in Ofen jung verheiratet und dadurch unabhängig, entwickelte sich in ihm ein Unabhängigkeitsgefühl, ein stolzes Bewußtsein und auch eine gewisse Eitelkeit auf sein talmudisches Wissen. Infolge der Belagerung von Ofen, die ihm seine junge Frau und ein Töchterchen geraubt hatte, war er genötigt, eine Rabbinerstelle in Bosna-Seraï anzunehmen. Aber er konnte sich daselbst nicht lange behaupten; sein stolzer Sinn vertrug sich nicht mit einer abhängigen Stellung. Ein gewisser Chajon (mit dem Beinamen der Lange) soll ihn aus Bosna-Seraï ausgewiesen haben. Chacham Zewi Aschkenasi mußte daher nach Europa wandern; seine Eltern und Verwandten waren indes in Gefangenschaft geraten. Aber sein Stolz konnte sich nicht dazu herbeilassen. [324] auch in der größten Verlegenheit eine Unterstützung anzunehmen. So kam er nach Altona, verheiratete sich zum zweiten Male mit der Tochter des Rabbiners der Drei-Gemeinden (Hamburg, Altona, Wandsbeck), wurde Vorsteher einer Klaus, zog aber seinen Lebensunterhalt aus Geschäften. Nach dem Tode seines Schwiegervaters wählte ihn eine Partei zu dessen Nachfolger, eine andere klammerte sich an einen anderen. Es entstanden kleinliche Streitigkeiten, wie fast in jeder Gemeinde damals bei der Wahl eines neuen Rabbiners. Tief gekränkt zog sich Chacham Zewi in seine Klaus zurück und verdüsterte sich. Wegen seiner Gelehrsamkeit und seines, insofern er nicht von Hochmut geblendet war, lauteren Charakters genoß er, wenn auch nicht Liebe, so doch hohe Achtung, selbst bei den Portugiesen, die ihn, den deutschen Rabbinen (was sonst selten geschah), zum Schiedsrichter nahmen. In London waren nämlich in einer Gemeindegruppe – denn auch hier bestanden mehrere – infolge einer Predigt ihres Rabbiners David Nieto Streitigkeiten ausgebrochen. Dieser Prediger hatte auseinandergesetzt, daß Gott und das, was man die allgemeine Natur nenne (natura naturans), ein und dasselbe sei. Daran hatten einige Gemeindeglieder – es ist zweifelhaft, ob aus ehrlicher Überzeugung, oder nur in der Absicht, Nieto Kränkungen zuzufügen – Anstoß genommen, weil es nach der Spinozistischen Lehre klang. Diese hatten den Vorstand gedrängt, einen Rabbinen von Autorität um ein Gutachten anzugehen, ob diese Ansicht rechtgläubig sei. Der Vorstand dieser Gemeinde hatte dazu Chacham Zewi auserkoren, mit Übergehung der ihm näher stehenden portugiesischen Rabbinen von Hamburg und Amsterdam. Chacham Zewis Bescheid (1705) fiel zugunsten Nietos aus39. Sein Gutachten ist verständig gehalten, wenn auch ohne Spur von philosophischer Kenntnis, welche bei der Beantwortung einer solchen Frage am Platze gewesen wäre. Vermöge seiner Autorität wurde Zewi Aschkenasi nach Amsterdam zum ersten Rabbinen der deutschen Gemeinde berufen (1710); er wollte sich aber lieber Chacham genannt wissen. Hier sah er mit einer großen Verachtung auf seine portugiesischen Kollegen, namentlich auf Salomo Ayllon herab und mochte diesen nie als einen Ebenbürtigen ansehen. Und dieser tadelte dessen Stolz: »Chacham Zewi will fast noch mehr als Prophet Mose gelten«, urteilte er von ihm.

[325] Sobald der Name Chajon an das Ohr des deutschen Chacham schlug, hielt er ihn für seinen ehemaligen Feind aus Bosna-Seraï und bedeutete sofort den portugiesischen Vorstand, dem Fremden keinerlei Gunst zu erweisen, da er übelberüchtigt sei. Nehemia Chajon konnte aber die Verwechselung der Person durch die Namensgleichheit berichtigen, und stellte sich überhaupt sehr demütig Chacham Zewi gegenüber, so daß dieser dem Vorstande bald darauf erklärte, er habe nun nichts mehr gegen den von ihm verkannten Fremden. Schon schien Chajon freie Bahn in Amsterdam gefunden zu haben, als der noch immer in Amsterdam weilende Mose Chagis Lärm gegen ihn schlug, vielleicht aus Berechnung, um an ihm nicht einen jerusalemischen Nebenbuhler zu haben. Ihm war nämlich die in Berlin gedruckte ketzerische Schrift zur Prüfung vorgelegt worden, weil einige Vorstandsmitglieder ihrem Chacham Ayllon nicht trauten. Kaum hatte er Einblick davon genommen, als er über Ketzerei schrie; er berief sich dabei auf die von Abraham Jizchaki an den Amsterdamer Vorstand gerichtete Warnung. In der Tat brauchte man nicht lange in der Schrift zu suchen, um eine plumpe Dreieinigkeitslehre darin zu finden. Der deutsche Chacham, von Mose Chagis auf die verdächtige Lehre Chajons aufmerksam gemacht, bedeutete abermals den portugiesischen Vorstand, ja dekretierte ihm beinahe, den Fremden nicht zu begünstigen, ihn vielmehr auszuweisen. Dieser mochte sich aber nicht so ohne weiteres Vorschriften machen lassen und stellte an Chacham Zewi das Verlangen, entweder ihm die ketzerisch klingenden Stellen in Chajons Buch genau zu bezeichnen oder mit einigen vom Vorstande ernannten Mitgliedern zu einer Prüfungskommission zusammenzutreten. Beides schlug Chacham Zewi auf Chagis' Rat rundweg ab, als Rabbiner habe er nicht die Pflicht, Beweise zu führen, sondern lediglich ein endgültiges Urteil auszusprechen. Mit Ayllon zusammenberaten mochte er noch weniger, um ihn nicht als ebenbürtigen Talmudisten anzuerkennen. Dieses hochmütige Benehmen Chacham Zewis auf der einen Seite, und Ayllons Empfindlichkeit auf der anderen haben einen Funken zu einer hellen Flamme angefacht.

Der portugiesische Chacham hatte nämlich Grund, sich verletzt zu fühlen und zu beklagen. Sein eigener Vorstand hatte ihn bei dieser Sache übergangen, Mißtrauen gegen ihn gezeigt und seinen Gegner gewissermaßen als höhere Instanz über ihn gesetzt. Außerdem scheint er den schlangenklugen Abenteurer gefürchtet zu haben, wenn er zu dessen Verfolgung die Hand böte, weil dieser von Ayllons Vergangenheit und Beziehungen zu den Salonicher Donmäh mehr gewußt haben [326] mag, als ihm lieb war. Er hatte demnach ein Interesse, dem Ketzer zur Seite zu stehen und ihn vor der ihm drohenden Ausweisung aus Amsterdam zu schützen. Nicht gar schwer wurde es ihm, ein Mitglied des portugiesischen Vorstandes, den entschiedenen, unbeugsamen, harten, für innere Fragen gleichgültigen Ahron de Pinto gegen den deutschen Chacham einzunehmen, ihm beizubringen, daß es sich darum handle, die Unabhängigkeit der alten, angesehenen, überlegenen, portugiesischen Gemeinde gegenüber der Anmaßung der bisher untergeordneten deutschen zu wahren, mit einem Worte, die wichtige Frage über Rechtgläubigkeit und Ketzerei in eine Rangfrage zwischen den verschiedenen Gemeindegruppen umzukehren. Fußfällig soll der Chacham Ayllon diesen Vorsteher angefleht haben, ihm gegen die ihm und mit ihm zugleich seiner Gemeinde zugefügte Schmach beizustehen. De Pinto behandelte diese Angelegenheit auch in diesem Sinne, und die übrigen Vorstandsmitglieder fügten sich seinem entschiedenen Willen. Fest und stramm wies er sofort jede Einmischung des deutschen Chacham in diese scheinbar portugiesische Gemeindeangelegenheit ab, brach jede Unterhandlung mit ihm ab und beauftragte Ayllon, eine Prüfungskommisson aus Portugiesen zusammen zu setzen, die über Chajons Schrift ein offizielles Gutachten abzugeben habe. Ayllon zog zu dem Rabbinatskollegium (nächst ihm selbst der greise David Aben-Atar Melo und Samuel Zarfati) noch vier Personen hinzu, David Israel Athias, Salomo Abrabanel Sousa, Salomo de Mesa, einen talmudkundigen Arzt, und David Mendes da Silva. Nur ein einziger von diesen zugezogenen Mitgliedern (de Mesa?) verstand etwas von dieser Frage und überhaupt von der Kabbala, und dieser weigerte sich anfangs beizutreten und mußte förmlich dazu gezwungen werden. Die übrigen dagegen waren in der Theologie vollständig unwissend und demgemäß von Ayllons Urteil abhängig. Der Vorstand, d.h. de Pinto, vereidete gemeinschaftlich mit Ayllon die Kommissionsmitglieder, die ihnen zur Prüfung übergebenen Exemplare der Chajonschen Schrift niemandem sehen zu lassen und überhaupt bis zum Schlußurteil alles geheim zu halten. Die kleinliche Streitfrage über Zulassung oder Ausweisung eines abenteuernden Bettlers erhielt dadurch eine große Wichtigkeit40.

Während die portugiesische Kommission scheinbar noch dem Prüfungsgeschäft oblag, beeilte sich Chacham Zewi im Verein mit Mose [327] Chagis (Ende Tammus = 23. Juli 1713) den Bann über Chajon und sein ketzerisches Buch auszusprechen, »weil er Israel von seinem Gotte abzuziehen und fremde Götter (Dreieinigkeit) einzuführen versuche«. Niemand dürfe mit dem Verfasser verkehren, bis er seine Irrlehre widerrufen habe; seine Schrift sollte jedenfalls dem Feuer übergeben werden. Dieses Verdammungsurteil ließen sie in hebräischer und portugiesischer Sprache drucken und als Flugblatt verbreiten. Vieles, was diese beiden Eiferer an Chajons Schriften auszusetzen hatten, ließ sich eben so gut gegen den Sohar und andere kabbalistische Schriften geltend machen; aber kurzsichtig, wie sie waren, sahen sie nur die bösen Folgen der kabbalistischen Afterlehre, aber nicht ihre erste Ursache.

Groß war die Aufregung der Amsterdamer Judenheit infolge dieses Schrittes. Chacham Zewi und Mose Chagis wurden auf den Straßen von Portugiesen beleidigt und beschimpft – man behauptete, Ayllon habe ehrlose Leute dazu bestellt. In der Tat hat dieser gleich darauf in einer Predigt verdeckte, beleidigende Anspielungen gegen Chagis vorgebracht, die ihm dieser an demselben Tage in einer Nachmittagspredigt heimzahlte. Die Erbitterung wurde dadurch nur noch größer. Die Menge rief einander bei Chagis' Anblick zu: »Steinigen wir ihn, töten wir ihn.« Versöhnungsversuche scheiterten teils an Ayllons Rechthaberei, der nicht fehlbar erscheinen mochte, teils an de Pintos Härte, der einzig und allein das Ansehen der portugiesischen Gemeinde im Auge hatte. Flugblätter steigerten die Erbitterung. Auch nach außen machte die Streitigkeit innerhalb der Amsterdamer Judenheit viel Aufsehen und veranlaßte Parteinahme für und wider. Ayllon und de Pinto verboten daher ihren Gemeindegliedern unter Androhung der Ausschließung aus der Gemeinschaft, Flugblätter zu lesen und überhaupt sich mündlich oder schriftlich darüber zu äußern. Sie betrieben auch den Abschluß des Urteils, das aber von Ayllon allein ausgearbeitet war. Es lautete im geraden Gegensatze zu Chacham Zewis und Chagis' Entscheidung, in Chajons Schrift fände sich nichts Anstößiges oder Verfängliches gegen das Judentum; es seien darin nur dieselben Lehren enthalten, die auch in anderen kabbalistischen Schriften vorkämen. Vergebens hatte ein greises Mitglied der portugiesischen Gemeinde den Vorstand beschworen, dieses falsche Urteil nicht anzunehmen, weil Chajons Schrift tatsächlich von den sabbatianischen Ketzereien Cardosos voll sei, welche in fast der ganzen Judenheit und auch in derselben Gemeinde verdammt worden wären. Vergebens hatte sein Sohn, ein Mitglied der Prüfungskommission, seine [328] Unterschrift unter dieses ungerechte Urteil zu setzen verweigert. Er wurde dazu gezwungen und hatte nicht den Mut des Widerstandes. So wurde denn offiziell in den Synagogen bekannt gemacht (7. August 1713), daß Chajon von der angeschuldigten Ketzerei freizusprechen, und er ein unschuldig Verfolgter sei. Tages darauf wurde der Urheber dieses Zerwürfnisses im Triumph in die portugiesische Hauptsynagoge geführt, und dort wurde mit ihm zur Kränkung der Gegner wahre Abgötterei getrieben. Der falsche Prophet, welcher offen ausgesprochen hatte: »Kommt, lasset uns fremden Göttern dienen,« er wurde von den Portugiesen, welche für die Einheit Gottes Gut und Leben eingesetzt hatten, mit Huldigungen überhäuft. Sie riefen in der Synagoge Chajon ein »Lebehoch« und den Gegnern ein »Untergang« zu. Chajon mochte im Stillen über die Mystifikationen, die er angestiftet, und die Leichtgläubigkeit der Menge am meisten gelacht haben. De Pinto sorgte dafür, daß Chacham Zewi von seiner eigenen deutschen Gemeinde nicht unterstützt, ja der Mißhandlung seiner Gegner schutzlos überlassen wurde. Er befand sich wie ein Vereinsamter, fast wie ein Gebannter.

Aber von auswärts traf Hilfe für Chacham Zewi ein. Diejenigen Rabbinen, deren angebliche Empfehlungsschreiben Chajon seiner Schrift vorgedruckt hatte, erklärten dieselben geradezu als gefälscht. Das Nikolsburger Rabbinat (Mähren) legte ihn in den Bann. Naphtali Kohen setzte in einem Sendschreiben Chajons Schliche, Spiegelfechtereien, Gemeinheiten und Unsittlichkeiten auseinander. Den tiefsten Eindruck machten die Sendschreiben des allverehrten greisen Rabbiners von Mantua, Leon Brieli (o. S. 297), der die häßliche Vergangenheit des Schwindlers nur zu gut kannte, ihn unumwunden entlarvte und dem Verdammungsurteil über dessen ketzerische Schrift beitrat. Innig und dringend schrieb Brieli an den Amsterdamer Vorstand und an Ayllon (italienisch und hebräisch) und beschwor sie, einer so schlechten Sache nicht ihre Autorität zu leihen. Diese blieben aber bei ihrem Trotze, antworteten ihm höflich, aber ablehnend. Indessen wuchs der Streit in der Amsterdamer Gemeinde mit jedem Tage mehr, jedermann nahm Partei für und wider und verteidigte seine Ansicht mit Erbitterung, Leidenschaftlichkeit und nicht selten Tätlichkeit. Der Friede war aus dieser musterhaften Gemeinde gewichen, und die Zwietracht pflanzte sich in das Familienleben fort. Es war so weit gekommen, daß die Hauptgegner gar nicht mehr nachgeben konnten. Ayllon und de Pinto gingen aber in ihrer Halsstarrigkeit immer weiter. Auf ihre Veranlassung lud der portugiesische Vorstand [329] Chacham Zewi, den Rabbiner der deutschen Gemeinde, über den ihm gar keine Befugnis zustand, vor seine Schranken, in der Absicht, ihn zu beschämen oder zum Widerruf zu bewegen. Er hatte nichts weniger im Sinne, als ihn zu zwingen, Chajon Abbitte zu tun und ihm für dessen Weiterreise warme Empfehlungsbriefe an Gemeinden und Rabbinate einzuhändigen. Cha cham Zewi hatte aber Wind von diesem Anschlag gegen ihn und lehnte daher jede Zusammenkunft ab. Die portugiesischen Vorsteher luden ihn daher nochmals durch einen christlichen Anwalt offiziell vor (9. Nov. 1713), und als er auch darauf nicht erschien, legten sie ihn und Mose Chagis förmlich in den Bann (Anf. Dez.), d.h. sie verboten den Gemeindegliedern aufs strengste, mit ihnen zu verkehren, sie in Schutz zu nehmen oder für sie bei den städtischen Behörden ein günstiges Wort einzulegen.

Als wenn Vorstand und Rabbinat von Chajons niedriger Gesinnung angesteckt worden wären, begingen sie Gemeinheit über Gemeinheit. In einer Rechtfertigung ihres Schrittes vor der Öffentsichkeit verdrehten sie den Sachverhalt und bedienten sich geradezu offenkundiger Lügen. Sie ermunterten Chajon oder ließen es wenigstens zu, daß er seine Gegner mit den gröbsten, empörendsten Schmähungen begeiferte, nicht bloß Chacham Zewi, Chagis und Naphtali Kohen, sondern auch den ehrwürdigen weisen und greisen Rabbiner Leon Brieli. Alle seine Frechheiten unterstützten sie. Ayllon lieferte ihm geheime Schriftstücke aus, welche mehrere Jahre vorher von Jerusalem und Livorno aus gegen Mose Chagis erlassen worden waren41, und deren grundlose Anklagen Ayllon selbst anerkannt und besiegelt hatte. Alle diese Schriftstücke wurden zu Chagis' Verunglimpfung veröffentlicht. In einer vom Rabbinate und vom Vorstande gutgeheißenen Schmähschrift beschimpfte Chajon Brieli wie einen gemeinen Buben, rückte ihm vor, daß er dem Unglauben verfallen sei, weil er sich mit Philosophie beschäftigt und das Lügenbuch Sohar als böse Quelle aller Wirren bezeichnet habe, daß er keinen Bart trüge, und daß er unverehelicht geblieben sei. Aber dabei blieb es noch lange nicht. Der portugiesische Vorstand und das Rabbinat – oder richtiger de Pinto und Ayllon; denn ihre Kollegen waren nur zunickende Figuranten – verfolgten Chajons Gegner, als wenn ihnen alles Gefühl für Recht abhanden gekommen wäre. Gegen Moses Chagis hatten sie leichtes Spiel. Er lebte von der Unterstützung der portugiesischen Gemeinde; sie entzogen ihm die Nahrungsquelle, und er war gezwungen. [330] mit seiner hilflosen Familie Amsterdam zu verlassen und nach Altona zu wandern. Aber auch Chacham Zewi setzten sie sehr arg zu, belangten ihn bei den Behörden und verhinderten jedermann, ihm beizustehen. Die Portugiesen, auch diejenigen, welche das Verfahren tadelnswert fanden, waren durch den Bann gehindert, sich seiner anzunehmen, und auch die deutsche Gemeinde verließ feigerweise ihren bis dahin verehrten Rabbinen. So kam es, daß auch er Amsterdam den Rücken kehrte, sei es, daß de Pinto seine Verbannung bei dem Magistrat durchgesetzt hatte, oder daß Chacham Zewi, um einer skandalösen Ausweisung zuvorzukommen, sich selbst verbannte (Anf. 1714). Er begab sich zuerst nach London, dann über Breslau nach Polen und wurde überall ehrenvoll empfangen und behandelt.

Indessen konnten seine Gegner, Chajon, Ayllon und de Pinto ihres Sieges nicht froh werden. Der geringfügig scheinende Streit hatte eine große Ausdehnung genommen. Fast sämtliche deutsche, italienische, polnische und auch einige afrikanische Gemeinden mit ihren Rabbinen nahmen für den verfolgten Chacham Zewi Partei und schleuderten Bannstrahlen gegen den gewissenlosen Ketzer. Alle diese Bannbullen wurden nach und nach veröffentlicht und verbreitet. Für Chajon und seine Gönner erklärte sich nur ein einziger deutscher Rabbiner, Löb ben Simon Frankfurter in Mainz, ein närrischer Mensch, der sich ruhmredig anheischig machte, mit dem Gewichte seiner Autorität die deutsche Judenheit günstig für ihn zu stimmen. Nicht sehr würdig benahm sich bei dieser Gelegenheit David Oppenheim. Er strafte allerdings Chajon Lügen, als ob er dessen ketzerische Schrift gebilligt hätte; aber aus Familienrücksichten tadelte er auch Chacham Zewi, was die Chajonisten in Amsterdam gierig ausbeuteten und zu ihren Gunsten übertrieben; er war für sie der Strohhalm, an den sie sich mit ihrer verlorenen Sache anklammerten. Denn es liefen mit der Zeit Sendschreiben mit Bannbullen aus dem Morgenland, Smyrna, Konstantinopel, Aleppo, gegen Chajon ein, welche seine Verworfenheit schonungslos aufdeckten und den mehrere Jahre vorher über ihn in Jerusalem verhängten Bann in frische Erinnerung brachten. Seine Entlarvung durch Zeugen aus den Ländern, wo seine Vergangenheit nur zu gut bekannt war, trug am meisten dazu bei, den betrügerischen Propheten einer neuen Dreieinigkeit vollends zu richten.

Aber die Amsterdamer Portugiesen, wenigstens ihre Führer, ließen ihn noch immer nicht fallen, entweder weil sie seinen frechen Lügen Glauben schenkten, daß alle diese Verdammungsurteile gegen ihn von mehr denn hundert Rabbinen nur auf Verleumdung seiner wenigen [331] Feinde beruhten, oder aus Schamgefühl und Rechthaberei, weil sie sich einmal mit ihm so eng verbunden hatten. Sie sahen indes wohl ein, daß Chajon etwas unternehmen müsse, um den gegen ihn sich erhebenden Sturm zu beschwören. Sie begünstigten daher seine Abreise nach dem Morgenlande und versahen ihn mit Geld und Empfehlungen an einflußreiche Juden und Christen, die ihn unterstützen sollten, den über ihn in der türkischen Hauptstadt verhängten Bann zu lösen. Die Reise war aber für Chajon dornenvoll; kein Jude ließ ihn in sein Haus oder reichte ihm eine Labung. Wie Kain mußte er fluchbeladen von Ort zu Ort durch Europa flüchten. Im Toskanischen wollten ihm einige Anhänger (Sabbatianer?) einen freundlichen Empfang bereiten. Aber der Vorstand der Livorner Gemeinde setzte es beim Herzog durch, daß er das Land nicht betreten durfte (Juli 1714). So mußte er sich eiligst nach Konstantinopel einschiffen. Ihm folgten neue Verketzerungsschriften nach, nicht nur von Chagis und Naphtali Kohen, sondern auch von dem geachteten Kabbalisten Joseph Ergas und von dem Londoner Prediger David Nieto, der in hebräischer und spanischer Sprache in ruhigem Tone die Ketzerei, Verlogenheit und Verworfenheit dieses heuchlerischen Sabbatianers auseinandersetzte.

In Konstantinopel wurde Chajon, sobald er sich blicken ließ, von den Juden gemieden und wie ein Ausgestoßener behandelt; aber die Amsterdamer Empfehlungsbriefe bahnten ihm den Weg zu einem der Wesire, der seinen jüdischen Agenten befahl, ihm Unterstützung zukommen zu lassen. Aber trotz seiner Ränke mochte das Rabbinat von Konstantinopel nicht den Bann von seinem Haupt lösen, sondern wies ihn an das Jerusalemer Kollegium, von dem seine Ächtung zuerst ausgegangen war. Hier, wo sein Feind Abraham Jizchaki eine gewichtige Stimme hatte, konnte er die Lösung des Bannes noch weniger durchsetzen. Es scheint ihm aber gelungen zu sein, von einigen Winkelrabbinen in Hebron, wo der Sabbatianer Abraham Cuenqui Einfluß hatte, seinen Wunsch erfüllt zu sehen (Okt. 1715). Damit hatte er aber noch wenig gewonnen, wanderte abermals abenteuernd umher, wollte sich den Salonicher sabbatianischen Donmäh anschließen und buhlte, von diesen abgewiesen, wieder um die Gunst der Rabbinen. Endlich kam er wieder nach Konstantinopel, und hier fand er diesesmal eine kräftigere Unterstützung bei dem Großwesir, welcher dem Chacham Baschi den Befehl zugehen ließ, Chajon vom Banne zu lösen. Sogar einer der Rabbiner, welcher den Bann mit unterzeichnet hatte, Chajim Alfandari, gab sich viele Mühe für ihn und wollte ihn noch dazu mit Naphtali Kohen aussöhnen, der nach Vereitlung seiner Hoffnung, [332] das Rabbinat von Posen wieder zu erlangen, über Polen nach Palästina gehen wollte und eine Zeitlang in Konstantinopel weilte. Aber dieser konnte es nicht über sich gewinnen, in die Hand des Schelmen und Ketzers einzuschlagen. Auch das Konstantinopler Rabbinat war nicht so leicht dazu zu bewegen, ihn wieder in die Gemeinschaft aufzunehmen. Es vergingen mehrere Jahre, bis sich drei, wahrscheinlich durch den Wesir eingeschüchterte Rabbinen bereit finden ließen, Chajon vom Banne zu befreien. Diese drei – darunter auch die letzte rabbinische Autorität im Morgenlande, Jehuda Rosanes42 – knüpften aber ausdrücklich die Bedingung daran, daß er sich nimmermehr über kabbalistische Punkte lehrend, predigend oder veröffentlichend auslassen dürfe, und Chajon verpflichtete sich dazu mit einem feierlichen Eide (Aug. 1724) – freilich um ihn gelegentlich zu brechen. Mit einem Schreiben, welches seine Wiederaufnahme in die jüdische Gemeinschaft bezeugte, eilte er nach Europa zu neuen Abenteuern und Schwindeleien.

Inzwischen war der sabbatianische Taumelgeist in Polen erwacht. In Podolien und in der Umgegend von Lemberg, in Zolkiew, Zloczow, Rohatyn, Podhayce, Horodenka und andern Städtchen war die Giftsaat aufgeschossen, welche der polnische Abenteurer Chajim Malach seit seiner Rückkehr aus der Türkei ausgestreut hatte. Die Führer der polnischen oder podolischen Sabbatianer waren zum Teil ehemalige Genossen des Wanderpredigers Juda Chaßid (o. S. 312), wie Mose Woydaslaw, der gleich seinem Meister das Himmelreich noch immer durch strenge Kasteiung fördern zu können meinte. Andere folgten einer ganz entgegengesetzten Lehre; nicht durch Fasten und Askese könne die Erlösung eintreten, sondern gerade durch Aufhebung sämtlicher Gesetze des Judentums und auch der Sittlichkeit, mit einem Worte durch die äußerste Zügellosigkeit und Befreiung von jeder religiösen und moralischen Schranke. Unter diesen sabbatianischen oder Malachschen Lehrern der Zuchtlosigkeit waren geschulte Talmudkundige Feischel Zloczow, ein verwegener Mann, der äußerlich den Strengfrommen spielte, Stunden lang im Gebet zubrachte, heimlich aber an der Auflösung des Judentums arbeitete. Von seinen Gesinnungsgenossen sind nur noch bekannt geworden sein Schwager Mose Meïr Kamenker aus Zolkiew, Isaak Kaidaner und Elisa Rohatin Schor, Nachkomme [333] einer polnisch-rabbinischen Autorität, der später mit seiner ganzen Familie offen und erbittert das Judentum bekämpfte. Es liegen haarsträubende Zeugnisse von dem Treiben dieser podolischen Sabbatianer vor, die sich im Pfuhl schamloser Lüsternheit, und zwar mit frommer welterlösender Miene, gewälzt haben sollen. Ihre Übertretung und Verachtung des talmudischen Judentums und der Sittlichkeit betrieben sie lange Zeit heimlich, warben aber um Anhänger, predigten und legten zur Deckung ihrer zuchtlosen Theorien den Sohar aus. Als ihre Sekte sich vergrößerte, lüfteten sie ein wenig ihre fromme Maske, traten kecker auf und wurden vom Lemberger Rabbinat feierlich in der Synagoge bei ausgelöschten Kerzen in den Bann getan (2. Juli 1722)43. Die beim sabbatianischen Unfug und bei Übertretung von Geboten des Judentums Ertappten mußten ein öffentliches Bekenntnis ablegen, sich Bußen unterwerfen und eine Zeitlang Trauerkleider anlegen. Die Unbußfertigen wurden der Züchtigung roher Edelleute überwiesen. Dasselbe Verfahren wurde auch in anderen Gemeinden gegen die Sabbatianer eingeschlagen. Aber durch solche Mittel konnte diese Sekte nicht unterdrückt werden. Ihre Glieder waren von einer fanatischen Begeisterung getrieben, den Talmud, gewissermaßen den Lebensodem der polnischen Juden, zu verhöhnen und die Kabbala mit ihrer eigenen Bibel, dem Sohar, an dessen Stelle zu setzen; sie arbeiteten daran, diesen Plan in Vollzug zu setzen.

Heimlich schickten ihre Führer (1725) als Sendling Mose Meïr Kamenker nach Mähren, Böhmen und Deutschland, um sich mit den geheimen Sabbatianern dieser Länder in Verbindung zu setzen, vielleicht auch um Geld für ihr Unternehmen zusammen zu betteln. Unentdeckt durchreiste er viele Gemeinden. Wer konnte es diesem polnischen Bettelrabbinen ansehen, der talmudisch zu disputieren verstand und überfromm scheinheilig die Augen verdrehte, welche Gesinnung er im Innern hegte? In Proßnitz kam Mose Meïr mit Löbele zusammen, jenem plumpen Schwindler, welcher die eigene Theorie hatte, Gott habe seine Weltregierung dem Frömmsten, d.h. dem in die Kabbala am tiefsten Eingeweihten, vollständig überlassen. Ein solcher sei Gottes Stellvertreter auf Erden44. Zuerst sei es Sabbataï Zewi gewesen, dann sei dessen Seele in andere Fromme eingezogen, in Jonathan Eibeschütz und auch in ihn selbst. Mose Meïr trat auch [334] in Verbindung mit Jonathan Eibeschütz in Prag, der, obwohl noch jung, als der gründlichste und scharfsinnigste Talmudist galt, aber auch von der sabbatianischen Kabbala umgarnt war45. Mose Meïr drang unerkannt bis Mannheim vor, wo ein heimlicher Sabbatianer von Juda Chaßids Gesindel, sein Schwager Jesaia Chaßid aus Zbaraž, hauste, der zwar seinen sabbatianischen Glauben öffentlich abgeschworen hatte, aber nichtsdestoweniger sich unter seinen Genossen für den wiedergeborenen Messias ausgab. Von Mannheim aus warfen diese beiden polnischen Sabbatianer ihre Netze aus und betörten die Einfältigen mit soharistischem Phrasengeklingel. Ihre Hauptlehre bestand darin, die an dem Talmud hangenden Juden hätten nicht den rechten Glauben, der lediglich in der Kabbala wurzele. Von Prag aus wurde in derselben Zeit eine scheinbar kabbalistische Schrift verbreitet, welche an Blödsinn, Verkehrtheit und Gotteslästerung kaum ihresgleichen haben dürfte; die allerunflätigsten Dinge werden darin in talmudischen und soharistischen Redewendungen mit der Gottheit in Verbindung gebracht. Auch diese Schrift entwickelt die Lehre von den Personen in der Gottheit, dem Uralten und dem Gotte Israels und deutet darauf hin, daß auf einem höheren Standpunkte die Thora und die Gesetze keine Bedeutung hätten. Es verlautete damals, daß Jonathan Eibeschütz Verfasser dieser eben so empörenden wie abgeschmackten Schrift gewesen sei46.

Der Zufall brachte dieses unsaubere, geheime Treiben an den Tag. Mose Meïr, der polnische Sendling, hatte sich in Mannheim einem anderen Bettelrabbiner anvertraut und seine geheime Gesinnung offenbart. Dieser verrieth ihn einem Vorsteher und einem Rabbinatsbeisitzer aus Frankfurt a.M., die zurzeit in Mannheim waren. Mose Meïr wurde darauf durch Versprechungen nach Frankfurt gelockt und im Hause des Rabbiners Jakob ha-Cohen Popers entlarvt. Man fand bei ihm viele ketzerische Schriften und Briefe der Sabbatianer untereinander, darunter auch solche von und an Eibeschütz. Darauf wurde von drei Rabbinen ein Zeugenverhör47 aufgenommen (10. und 11. Tammus = 20. und 21. Juli 1725). Mehrere Zeugen gaben Mose Meïr, Jesaia Chaßid und Löbele Proßnitz als engverbündete [335] fanatische Sabbatianer an, zu deren Bunde auch Eibeschütz gehört habe. Ihn gerade hätten diese drei für Sabbataïs Nachfolger, für den echten Messias gehalten. Die Zeugen beteuerten, kabbalistisch-ketzerische Schriften über das Hohelied und andere, welche Eibeschütz und Löbele verfaßt hätten, von Mose Meïr empfangen zu haben. Sie wollten auch so viele Lästerungen vernommen haben, daß sie dieselben nicht über ihre Lippen zu bringen vermöchten. Auf Grund der bei Mose Meïr Kamenker gefundenen Schriften und der Zeugenaussage sprach das Rabbinat von Frankfurt den allerschärfsten Bann über denselben, seine Genossen und sämtliche Sabbatianer aus, daß niemand mit ihnen unter irgendwelcher Form verkehren dürfe, und daß jeder Jude verpflichtet sei, die geheimen Sabbatianer bei den Rabbinen anzugeben und ihr Unwesen ohne Rücksichtnahme aufzudecken. Diesem Banne schlossen sich die Rabbinen der deutschen Gemeinden von Altona-Hamburg und Amsterdam an; sie ließen die Bannformel zu jedermanns Kunde in den Synagogen verlesen und durch den Druck verbreiten48. Dasselbe geschah in Frankfurt a.O. zur Meßzeit in Beisein vieler fremder Juden. Mehrere polnische Rabbinen taten dasselbe. Sie hatten endlich eingesehen, daß sie nur mit vereinten Kräften ohne Schlaffheit dem heimlichen Unwesen der Sabbatianer ein Ende machen könnten. Einige deutsche und polnische Rabbinen hatten es damals darauf abgesehen, Jonathan Eibeschütz, dessen Verbindung mit Löbele Proßnitz und Mose Meïr erwiesen war, in den Bann hineinzuziehen. Es gehörte aber ein gewisser Mut dazu, weil dieser junge Talmudist bereits einen ausgebreiteten Ruf genoß und durch zahlreiche Jünger einen Anhang hatte. Und eben aus Rücksicht auf seinen Anhang und seine geachtete Familie in Polen unterblieb seine Ächtung. Jonathan Eibeschütz, um jeden Verdacht abzuwälzen, sprach selbst in der Synagoge am Vorabend des Versöhnungstages (16. Sept. 1725) den Bann über die Sabbatianer im Verein mit mehreren Rabbinen und Vorstehern Prags aus. Nur David Oppenheim, Oberrabbiner von Böhmen, dem die erste Stimme dabei gebührt hätte, mochte sich nicht dabei beteiligen, vielleicht weil er mit Eibeschütz in Feindschaft lebte und von der Überzeugung durchdrungen war, daß dieser nur aus Heuchelei über die Sabbatianer, deren verderblichen Grundsätzen er vielmehr huldigte, den Stab gebrochen habe49.

[336] Gerade in dieser Zeit war Chajon wieder in Europa eingetroffen und hatte den Schwindel noch vermehrt. Er scheint anfangs den Plan verfolgt zu haben, die Sabbatianer um sich zu sammeln und ihr Oberhaupt zu werden. Er trat daher mit Löbele Proßnitz und auch mit Eibeschütz in Verbindung. Um sich vor Verfolgungen zu sichern, näherte er sich heimlich den Christen, erlangte Zutritt in die Hofburg in Wien, sagte sich halb von den Juden los, verlästerte sie als Verblendete, die den rechten Glauben verschmähten, gab zu verstehen, daß auch er die Dreieinigkeit lehre, und daß er die Juden dazu herüberzuziehen vermöge. Mit einem Schutzbriefe vom Hofe versehen, trat er von Wien seine Weiterreise an, spielte abermals sein Doppelspiel heimlich als Sabbatianer und öffentlich als rechtgläubiger Jude, der von dem Bann gelöst sei. Es ist kaum glaublich, was Zeitgenossen von Chajon erzählen, daß er, der beinahe Achtzigjährige noch eine öffentliche Buhlerin, die er in Ungarn angetroffen, mit sich als seine Frau herumgeführt habe. Indessen fand er dieses Mal nicht mehr eine so gute Aufnahme. Das Mißtrauen gegen geheime Sabbatianer war erregt und gegen ihn ganz besonders. In Prag ließ man ihn nicht in die Stadt, nur Eibeschützens Frau und Schwiegermutter brachten ihm Speisen vor das Tor, um ihn nicht dem Verhungern auszusetzen. Eibeschütz selbst, von dem er verlangt hatte, seine Aussöhnung mit der Judenheit, von dem Konstantinopler Rabbinat bescheinigt, seinerseits zu bekräftigen, riet ihm, als Greis sein Wanderleben einzustellen. In Berlin schrieb Chajon an einen ehemaligen Bekannten, wenn ihm nicht ein Zehrpfennig zugeschickt würde, sei er entschlossen, zur Schande der Juden sich taufen zu lassen. In Hannover wurden ihm seine Papiere abgenommen, welche ihn noch mehr entlarvten. So schleppte sich der arme Schelm bis Amsterdam in der Hoffnung, dort seine enthusiastischen Freunde von ehemals wiederzufinden, aber er hatte sich getäuscht. Ayllon, der noch lebte, mochte nichts mehr von ihm wissen; er soll es bereut haben, diesen Schwindler je begünstigt und Chacham Zewi so leidenschaftlich verfolgt zu haben. Chajon konnte sich nur so lange in Amsterdam behaupten, bis er neue Lügen drucken lassen konnte, als ob viele Rabbinen Hebrons, Salonichis und Konstantinopels seine Unschuld anerkannt, den Bann von ihm genommen und ihm ein gutes Leumundszeugnis ausgestellt hätten. Aber alle seine Schwindeleien kamen an den Tag; er wurde in die Ächtung gegen Mose Meïr und seine Genossen mit einbegriffen und in Frankfurt und Hamburg-Altona neuerdings in den Bann getan (April 1726). Mose Chagis, der früher von ihm [337] Verfolgte, welcher in Altona in einer geachteten Stellung lebte und gewissermaßen als Oberketzerrichter galt, gab ihm noch den letzten Stoß. Chajon konnte sich in Europa nicht mehr behaupten, im Morgenlande war er ebenfalls geächtet; darum begab er sich nach Nordafrika und starb daselbst. Sein Sohn50 trat später als sein Rächer auf; er war zum Christentum übergetreten und zog in Rom die altjüdische Literatur, als feindselig gegen das Christentum, vor das Tribunal der Inquisition, mit erlogenen und halbwahren Anschuldigungen, eine trübselige Zeit der Selbstzerfleischung.


Fußnoten

1 Vgl. über Bachrach: L. Lewysohn, Epitaphien von Worms Nr. 38 [und jetzt D. Kaufmanns Buch »R. Jaïr Chajim Bachrach und seine Ahnen«, Trier 1894 (VIII und 139, S. 8).]


2 Geburts- und Todesjahr da Silvas sind bisher nicht ermittelt; vgl. seine Biographie von Fränkel, Orient. Ltbl. 1848 col. 492 f. und Berichtigungen von Zipser das. col. 667 ff. Beides ergibt sich aus folgender Kombination. Da Silvas Sohn, David d.S., sagt im Vorwort zur ersten Edition des ח"א שדח ירפ (Konstantinopel 1706), daß kurz nach dem Tode seines Vaters auch sein Großvater mütterlicherseits Mardochaï Maleachi gestorben sei. In N. Chajons, des sabbatianischen Ketzers, polemischer Schrift (הבר אעדומ) ist ein Schreiben einiger Jerusalemer gegen Mose Chagis abgedruckt (s. Note 6), d.d. ח"נת 'ה ןסינ ח"ר = 1698. Darin wird Chiskija da Silva als bereits verstorben, sein Schwiegervater dagegen als noch lebend angeführt: ורנ יכאלמ יכדרמ ’מ ללוכה ברה ןאכמ חלשש תחא תרגא ונתח ... ברהמ הוטצנ ךכש תמה ירבד םייקל הוצמש דועו ........ ה"הלז היקזח ךלמה. Folglich starb Ch. da Silva wohl kurz vor Nissan 1698. In den Nachträgen zu ח"א ח"פ verbunden mit םייח םימ (Amsterdam 1708) bemerkt sein Sohn David im Vorwort, sein Vater habe nicht das vierzigste Lebensjahr erreicht: עגי םימי םימי רצוקב עיגה אל םיעבראה רעשלו ... .הרותב; folglich war er um 1659 geboren. Nach Asulaï (s.v.) habe er erst im zwanzigsten Jahre Livorno verlassen, d.h. um 1679. Gegen 1689 ging er als Sendbote nach Frankia, d.h. Europa; er hat also in Jerusalem nur etwa ein Jahrzehnt geweilt. – Da Silvas selbständige Art, die Ritualien im Schulchan Aruch auszulegen und zu dezidieren, ist Kundigen bekannt. Er hatte keinen Respekt vor Autoritäten, und zieh sie öfter, und zwar sogar Joseph Karo und Mose Isserles, des Irrtums. Vgl. ירפ שדח zu Jore Dea (Nr. 309, § 15): םינורחאה לכו רבחמהש הזב ועט. Er stellte den Grundsatz auf, daß die Rabbinen nicht befugt seien, neue Erschwerungen auszuklügeln, wenn sie nicht im Talmud begründet seien: ןיא ונל ןיא ... דומלתב רכזנ אלש רבדב וניתעדמ תוריזג רוזגל ונל דומלתה םתסנש רחא ... שדחל (das. Nr. 87, § 7; Nr. 307, § 1; Nr. 32, § 6; Nr. 58, § 16 und öfter). Sogar eine im Talmud begründete Erschwerung (ירכנ בלח) hob er unter Umständen auf (das. Nr. 115, § 6). Deswegen wurde da Silvas Buch in Kairo kurz nach dem Erscheinen desselben (1691) verketzert, auf Anregung zweier fremder (wahrscheinlich palästinensischer) Rabbinen. Vgl. Respp. Abraham Levi (םידרו תנג I, p. 122, Nr. 3): ... אבוט ףירח הוהד ןנברמ אברוצב הוה אדבוע .. םירצמל רפסה אבכו .. שדח וירפ ... .ד"י רוט לע רפס רבחו לעו ... לארשי ילודג לע העות רבדל ונושל ןסר חלשש ואצמ ןטק דימלת לע שיא רבדכ העטש וילע בתכו ... ףסוי תיב וניבר ץראמ םיאצמנה (םינבר ינש) םירג םגו לארשי ימכח וצבקו ... אל רבחמה םכחב די חולש יתלבל ... םתמכסה התלעו ... תרחא ןינבב ועקיש םירצמ הפ םיאצמנה וירפסו ... התמשב אלו אדיגנב יארע תאירק אל זלה רפסב םדא ארקי אלש ... ומירחהו ורזגו ריעה ימכח לכ הב ומתחו וז המכסהה ובתכו ... עבק תאירק אלו םילבקמ םניא ... .ןורבח ינברו ... .תרחא ץראמ םיאצמנה םגו םהילע וז המכסה. [Vgl. G. J. Michael, םייחה רוא, S. 372, Nr. 835.]


3 S. über ihn Wolf III, p. 203 f.; III, p. 809 f.; Steinschneider, C. B. Nr. 4834; außer den dort aufgezählten Schriften verfaßte Nieto (nicht Neto) eine sehr scharfe Replik gegen eine Inquisitionspredigt des Erzbischofs von Cranganor, Diego da Assuncião Justiniano (des Sohnes einer Fischhökerin), die jener vor einem Autodafé in Lissabon 6. Sept. 1705 gehalten hat. Diese geschmacklose, gelehrt angelegte Predigt erschien in Lissabon in demselben Jahre. Darauf erschien Turin 1709: Repuesta do Sermon, portugiesisch; angeblich Villa-Franca gedruckt (wohl London), ohne Jahresangabe eine spanische Übersetzung derselben. Im Anfang heißt es: por el author de las noticias reconditas de la inquisición (de Rossi, Biblioth. judaica antichristiana No. 117). Verf. dieser Schrift war eben Nieto (s.o. S. 251, Anmerkung 1). [Vgl. Kayserling, bibl. españ.-portuga.-judaica, S. 77 f.]

4 S. Note 6, 15.


5 S. Zunz, Gottesdienstliche Vorträge, 2. Aufl., S. 458 f.


6 Mose Zacut ז"מרה תורגא Nr. 2 d.d. 1672.


7 Richard Simon, Lettres choisies II, Nr. 7 d.d. 1683.


8 Historia Judaica o continuación de Flavio Josefo, im Verzeichnis seiner Schriften.


9 S. darüber David Cassel, Einleitung zu Confortes bibliographischem Buche: תורודה ארוק.


10 Unter seinen vielen geschmacklosen Schriften und Dichtungen befindet sich auch eine Historia universal Judaica, die aber nur 22 Quartseiten und nur einige zeitgenössische Vorfälle, Auszeichnung von Juden, enthält. Besser noch ist seine Relación de los Poetas y escritos Españoles de la Nación Judayca Amstelodama. Über de Barrios' Todesjahr s. Katal., Amsterdam p. 200. [Vgl. Kayserling a.a.O., S. 16, 23.]


11 Verf. des תורודה רדס. Im Eingange beklagt er sich über die krasse Unwissenheit der Juden in ihrer Geschichte, und er selbst hat nicht einmal das Datum für Abfassung seines Buches gegeben. Auch schweigt er über Vorgänge seiner Zeit, über Sabbataï Zewi und seine Nachfolger vollständig. [Über seinen Lebensgang vgl. jetzt die Einleitung des Veranstalters der neuen Ausgabe Warschau, 1882/83, 8.]


12 Vgl. über ihn de los Rios, Estudios p. 626 f. [und Kayserling a.a.O., S. 55.]


13 Über de Barrios ausführlich Kayserling, Sephardim, S. 256 f.


14 Mose Chagis המקה טקל p. 103: המה ןה ץראה ימע תביסל רובצה לע הררש םיגהונ םה בורה לעו הלהקה יסנרפ רמאש המ תואורה וניניע הנה יכ םתעידי תביסל אלו םרשע ץילמה:

רצוב רניד ,רצוק רניד

רסוא רניד ,ריתמ רניד

רוב סנרפ דימעמ רניד

.רובצה לע


15 Kœnen, Geschiedenis der Joden in Nederland, p. 208 f. aus dem Jahre 1688.


16 Das. p. 205 f., 219.


17 Schudt, Jüdische Merkwürdigkeiten I, S. 203 f.


18 Über Abensur, de Barrios, Epistola harmonica gegen Ende der Sammlung seiner kleinen Schriften. [Kayserling a.a.O., S. 22.]


19 Vgl. darüber die Edikte des preußischen Königs, durch dessen Land die auswandernden Polen meistens ihre Route genommen haben, Mylius, Corpus constt. Marchicc. I, 5, 3, Nr. 30, S. 153 unten, Nr. 40, S. 151; Mose Chagis םימכח תנשמ p. 15, 23; Wagenseil, Tela ignea Satanae I, p. 72. Haud uspiam magis florent Talmudica studia quam in Polonia, eamque adeunt ex aliis regionibus, qui solidioris eruditionis desiderio flagrant, atque prae caeteris eminere cupiunt; Jonathan Eibeschütz, Predigtsammlung שבד תורעי II, p. 44c.


20 Über diese häßliche Geschichte s.d. Prolegomena zur jüdisch-deutschen Bibel von Blitz-Uri Febes, Amsterdam 1679 und von Witzenhausen-Athias, das. 1687. Das Privilegium der Vier-Länder-Synode für erstere ist datiert Nissan 1671, und darin heißt es: םויהמ םינש רשע תולכ דע ... סיפדהל ףנוי אלו םרוי אלש. Die Approbation Isaak Aboabs sagt noch deutlicher: Zehn Jahre nach Vollendung des Druckes. Das Privileg des Königs von Polen dafür ist datiert Okt. 1677. Witzenhausen ist schon vorher gewarnt worden, Uri Febes' Bibelübersetzung Konkurrenz zu machen, und diese Warnung von drei deutschen Rabbinen ist datiert 6. Marcheschwan 5437 = 13. Okt. 1676. Das Privileg der polnischen Synode für die zweite konkurrierende Übersetzung ist datiert Jaroslaw, 24. Elul = 21. Sept. 1677 und gleichlautend Lublin, 5. Ijar = 27. April 1678, lange noch vor Ablauf des Privilegs für die erste Übersetzung. Der Druck der zweiten begann schon 20. Kislew 5439 = 5. Dez. 1678. Daß Witzenhausen und Athias ein schreiendes Unrecht begangen haben, ergibt sich aus dem רצעז ןלזוי 'ר לע ןיד קספ und aus dem Umstande, daß das Amsterdamer Rabbinat diese Übersetzung nicht approbiert hat. Meïr Stern ist bei beiden Übersetzungen als Korrektor genannt.


21 S. Note 6, 10.


22 Note 4, III.


23 S. darüber Note 4, I. Der Kuriosität wegen setze ich einen Passus aus der genannten polemischen Schrift שדק תבירמ hierher: (וסודרק) ביוא רמא ןכ רחא ... הנידנטשוקב םסרופמה ראצנא בויא רבק לע ןוקת תושעל להנתהל םוחיני ןעמל םיפסה ירמושל תתל ףסכ תואמ 'ג ואיצויו לש ודימלת) ללוקמ‘ ער‘ םוי‘ רמא תרחמה םויבו ... םטאל תבצמ לע ןוקת ושעיש ריקב בותכ אצמנ יכ (ויפ לע ,וסודרק אלילד יוזחב דמחמ ןאטלוש ונבל אבי ןעמל םיארבא ןאטלוש. Das muß vor 1687, noch vor Entthronung des Sultans Mohammed IV., Ibrahims Nachfolger, geschehen sein.


24 S. Note das III.


25 Note 4, II.


26 S. o. S. 238 ff.


27 S. o. S. 234, vgl. Note 4, III.


28 S. Note 6, Nr. 11.

29 S. Note 4, III. Frankel-Graetz, Monatsschrift, Jahrgang 1877, S. 130 f. Herr Dr. Behrnauer in Dresden, ein gründlicher Kenner des Türkischen, machte mich aufmerksam, daß das Wort Dolmäh bei Niebuhr falsch sei; es muß Donmäh lauten: אמנד, Apostata im Türkischen.


30 S. Note 4, VI.


31 S. Note 6, 13.


32 S. Note 6.


33 S. oben S. 192.


34 Die Oppenheimersche Bibliothek ist nicht bloß wegen ihrer Reichhaltigkeit, sondern auch wegen ihrer Entstehung und Schicksale interessant und bildet selbst ein Stück jüdischer Geschichte. Der Grundstock derselben stammte von seinem Oheim, dem reichen Hofjuden Samuel Oppenheim in Wien, und zwar durch Vermittelung des Helden Prinz Eugen. »Er wußte den Hoffaktor für Geldoperationen zur Kriegsführung nicht besser zu stimmen, als wenn er ihm einige der hebräischen Schätze als Prämie in Aussicht stellte.« (L. Aug. Frankl, Wiener Epitaphien S. XVI.) Diese seltenen Handschriften hat Prinz Eugen wohl in den türkischen Kriegen erbeutet. David Oppenheim war auf Vergrößerung der ererbten Bibliothek so versessen, daß er ein Verzeichnis der vermißten Schriften anlegte und überallhin Auftrag erteilte, solche zu beschaffen. Die auf diese Weise zusammengebrachte Sammlung enthielt ungefähr 7000 Bände Druckwerke und 1000 Handschriften. Wegen der Zensur durfte der Besitzer sie nicht in Prag aufstellen. Der Bischof und seine Akolyten ließen öfter bei Juden Haussuchung halten und unzensierte, besonders antichristliche Schriften konfiszieren. Er stellte sie daher in Hannover unter dem Schutz seines Schwiegervaters Lipmann Kohen auf, welcher Hoffaktor und einflußreich war (vgl. über ihn Zusätze zur hebräischen Übersetzung von Manasse Ben-Israels Esperança = דיסחהו ... לארשי הוקמ :ןיצקה לש לודגה דובכה רבונה ירשו יסכוד לצא ול שיש ןמפיל 'ר ןקז (p. 97) S. Auerbach, Geschichte der Gemeinde Halberstadt, S. 45 [und Kaufmann, Samson Wertheimer, S. 86, n. 1]). Geschäfte führten D. Oppenheim öfter nach Hannover. Nach seinem Tode fiel die Bibliothek seinem Sohne [s. weiter unten den Zusatz am Ende dieser Anm.] Hirschel Isaak Oppenheim, Rabbiner von Hildesheim, zu (st. um 1770). Sie wurde dann an einen Hamburger Senator um 50000 Mark verpfändet und von diesem kam sie in den Besitz eines Isaak Kohen in Hamburg. Sie sollte, weil der Gläubiger auf Zahlung drang, verauktioniert werden und wurde auf 40000-50000 Taler abgeschätzt. Prof. J. Michaelis, um ein Gutachten angegangen, legte es dem Gerichte ans Herz, sie nicht zu parzellieren und ermahnte jüdische Kapitalisten und wissenschaftliebende Fürsten, sie käuflich an sich zu bringen. Weder das eine noch das andere erfolgte. Daniel Chalfan in Berlin machte den Versuch dazu; Mendelssohn wurde zu Rate gezogen (1780) und schätzte sie auf 50000-60000 Taler. 1782 riet ein Professor dem Herzog von Mecklenburg-Schwerin sie zu kaufen. 1786 feilschte der Herzog von Württemberg um sie und bot 18000 Gulden. Inzwischen brach die französische Revolution aus, die großen Kriege folgten und mit ihnen begann »die Aufklärung« der deutschen Juden, welche ihnen eine Art Dégoût gegen die rabbinische Literatur einflößte. So blieb die Oppenheimersche Bibliothek bis 1826 in Kisten verpackt. David Friedländer schlug vor, sie auf Aktien à 50 Taler anzukaufen; auch das unterblieb. So kaufte sie 1829 die Oxforder Bibliothek, die Bodleyana, deren Zierde sie jetzt bildet, um den Spottpreis von 9000 Talern. [Über David Oppenheim und seine Familie vgl. Kaufmann a.a.O., S. 96 ff. David Oppenheim hatte nur einen einzigen Sohn, den nachher im Text erwähnten Joseph. Dieser wurde nach dem Tode des Vaters Erbe der Bibliothek (M. Wiener in Berliners »Magazin« I, 27) und vererbte sie an seinen Neffen Isaak ben Seligmann ha-Kohen in Hamburg (Kaufmann a.a.O., S. 98 f.)]


35 [Vgl. Kaufmann a.a.O., S. 97, n. 1.]

36 S. Note 4, Ende.


37 König, Annalen S. 127.


38 Das. S. 234 f. [Vgl. Landshuth, םש ישנא תודלות, S. 6 ff.]


39 Diese Streitsache und Chacham Zewis Gutachten sind mitgeteilt in einer Schrift von David Nieto: de la divina providencia, o sea naturaleza universal o natura naturante (London 1704, 4), auch in Ch. Z. Respp. Nr. 18.


40 S. über alles Note 6.


41 S. oben S. 305.


42 Verf. des scharfsinnigen rabbinischen Kommentars Mischne la-Melech, st. um 1727 (Asulaï s.v.)


43 Emden, Torat ha Kenaot p. 33 b f. Edut be Jakob p. 50 b f.; über Elisa Schor s. Graetz, Frank und die Frankisten.


44 S. Note 4.


45 S. Note 7.


46 Das.


47 Dieses Zeugenverhör ist abgedruckt in ןתנוהי תיב רפוסה p. 4 und findet sich handschriftlich bei H. Carmoly. [Vgl. M. Horovitz, Frankfurter Rabbinen, II, S. 86 ff.]


48 Unter dem Titel ןנברד אייוח, ein Flugblatt, s. Emden, Torat Kenaot p. 35 b f.


49 S. Note 7.


50 S. über alles Note 6 Ende.



Quelle:
Geschichte der Juden von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart. Leipzig [1897], Band 10, S. 339.
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