IV. Andere literarische Zeitgenossen Spinozas in Amsterdam.

[417] Es ist nur wenigen bekannt, daß es zu Spinozas Zeit in Amsterdam sehr viele, wenn auch nicht literarische Größen, so doch Schriftsteller unter den Juden gegeben hat, welche allgemeine Bildung genug besaßen, seine Schriften zu lesen. Namentlich war die Poesie durch viele Pfleger vertreten. Die große Zahl derselben läßt sich an einem Poeten nachweisen, an Joseph Penso.6 Über diesen und seine spanischen Poesien hat de los Rios mehreres mitgeteilt (Estudios sobre los Judios de España, p. 633 ff.); er kennt ihn aber nur unter dem Namen Joseph de la Vega und weiß nicht, was Wolf konstatiert hat, daß er diesen Namen mütterlicherseits angenommen hat, sein väterlicher Familienname dagegen war Penso (Wolf, Bibliotheca [417] III, p. 623). Das erste Kind von J. Pensos Muse war ein hebräisches Drama unter dem Titel הוקתה יריסא (auch םינשוש סדרפ). Die seltene Erscheinung eines hebräischen Dramas von einem sehr jungen Dichter hat seine jüdischen Zeitgenossen und Amsterdamer Kompatrioten in eine förmliche Ekstase versetzt, und 20 Dichter haben ihre Bewunderung in hebräischen, spanischen und lateinischen Versen ausgedrückt. Sie sind der ersten Ausgabe vorgedruckt. Es waren: 1. der Rabbiner Isaak Aboab; 2. Mose Raphael de Aguilar, beide bekannte Persönlichkeiten; 3. Abraham Kohen Pimentel; 4. Mose ben Gideon Abudiente und 5. Gideon ben Mose Abudiente, sein Sohn; 6. Salomo de Oliveyra, ebenfalls bekannt; 7. Samuel Pinto; 8. Daniel Belillos; 9. Isaak Saruk; 10. Elia Leon; 11. Mose Mocato; 12. Isaak Nieto; 13. David ben Aaron Zarphati; 14. Isaak Velosinos und zwei Anonyme – alle diese machten hebräische Verse; 17. Jakob de Pina; 18. der Vielschreiber und Versifikator Daniel de Barrios, diese in spanischen Versen; 19. Daniel Jehuda, ein spanisches und lateinisches Gedicht; 20. Isaak Gomez de Sossa, zwei lateinische Gedichte, ein aus drei Distichen bestehendes und eines von asklepiadäischem Versmaß. Einige von diesen waren Marranen, wie Joseph Penso selbst, und es fragt sich, seit wann sie in Amsterdam als Juden lebten. Dabei können uns einige Momente aus Pensos Biographie dienen.

Daß Joseph Penso ein Marrane war, folgt daraus, daß sein Vater Isaak, dem de Barrios wegen seiner Wohltätigkeit ein Denkmal gesetzt hat (Corona de Ley, p. 8), es gewesen ist. In einem Gedicht sagt er von ihm: im grausigen Kerker hat Isaak Penso mit einem scharfen Knochen wie der große Lope de Vera sich selbst beschnitten und kam, durch die strenge Inquisition gequält, zum Judentum. De los Rios (a.a.O. p. 636) sagt, Joseph de la Vega scheint in Espejo geboren zu sein: J. de la Vega parece que fué natural y oriundo de la villa de Espejo, en el reino de Cordoba. Wenn das richtig ist, so kann es vom Vater zugleich gelten; denn Joseph muß sehr jung nach Amsterdam gekommen sein. Das ergibt sich aus folgenden Momenten. Sein Drama, zwar 1673 gedruckt, war bereits 1667 vollendet; denn das Zensurimprimatur vom Amsterdamer Rabbinat ist datiert 21 do mes do Sebat An. 5428 = 3. Februar 1668. J. Penso war, als er dichtete, noch jung, das heben fast seine sämtlichen Panegyriker hervor; einer derselben, ein Anonymus, sagt, er sei erst 17 Jahre alt gewesen:


ךייח ינש הרשע עבש ןבמ

.תעפוה ויזב םלוע ילא שדח


Nebenher sei erwähnt, daß er auch den Namen Feliz geführt haben muß, wahrscheinlich als Christ; denn viele der genannten Dichter spielten auf diesen seinen Namen an; derselbe Anonymus sagt: יהת ךיכרד לכבו חילצמ, ein anderer: חלצמ, auch lautet das Chronostich auf dem Titelblatt der 1. Aufl.: שיא יהיו ףסוי תא 'ה יהיו חילצמ; ebenso sagt Daniel Jehuda im lateinischen Distichon:


Foelicis Patris Foelix natus.


War der hebräische Dramatiker jung und Marrane, so muß er sehr jung nach Amsterdam gekommen sein; denn er zeigt sich in diesem Drama als Meister der hebräischen Sprache und bedient sich auch talmudischer Phrasen. Die Rabbiner Isaak Aboab und Sal. Raphael de Aguilar nennen ihn ihren [418] Schüler: תוארב ר"הכ ודימלת ... רכחש ... הכאלמה יפי ... בהובא קחצי 'ר ... וסניפ ףסוי und von dem letzteren:יד לאפר השמ ר"רהכ ... ודימלת ףסויל ... ראליגא. Er hat wohl die nebenklassige jüdische Schule in Amsterdam besucht, in welcher die beiden Genannten Lehrer für die reifen Klassen waren. Man kann also annehmen, daß Joseph Penso als zehnjähriger Knabe mit seinem Vater nach Amsterdam gekommen ist. Da er bei der Vollendung des Dramas 1667/68, wie gesagt, 17 Jahre alt war, so ist er um 1650 geboren und um 1660 nach Amsterdam gekommen. Wenn de los Rios ihn nach Antwerpen versetzt: J. de la Vega, rico mercante de Amberes, so kann er nur später, wohl nach dem Tode des Vaters (1683), dort gewohnt haben. Sein bestes spanisches Poem war: Rumbos peligrosos, eine Art versifizierter Novelletten, gedruckt Antwerpen 1684, das ebenfalls im Eingange Enkomien von Freunden und Bewunderern enthält: von Orobio de Castro, dem unvermeidlichen Daniel de Barrios und seinem Sohne Simon de Barrios, aber auch von Antonio del Castillo, Duarte Lopez Rosa, Don Alvaro Diaz und Antonio Fernandez, sämtlich Exchristen, wie de las Rios bemerkt (das. p. 634, N. 3): todos judaizantes y poetas castellanos.

Alle diese Dichter, die gewissermaßen um den jüngeren Joseph Penso gravitieren, haben nur ephemere Poesien zutage gefördert, und es lohnt sich nicht, ihre Biographika aus de Barrios' Angaben und den Katalogen zusammenzutragen. – Nur die Latinisten verdienen noch einige Notizen:

1. Isaak Gomez de Sossa. De Barrios nennt ihn in seinem Poetenkatalog (Ende) famoso poeta latino, den der jüdische Hofbeamte Manuel de Belmonte zugleich mit dem ehemaligen Mönch und Beichtvater J. de Rocamora zu Preisrichtern für seine Academia poetica ernannt hat. Indessen zeugen seine lateinischen Verse zum Lobe Pensos nicht allzusehr von Eleganz und richtiger Metrizität, allenfalls von Leichtigkeit der Behandlung. Das eine Distichon lautet:


Insigni Poetae Joseph Penso, novae comediae auctori inter Hebraeos:

Tandem Hebraeae gravi procedit Musa cothurno,

Primaque Foeliciter pede pandit iter:

Auctor Captivâ Joseph de gente, refulget

Spes nova, dum sacro carmine scena patet.

Sed qui te celebrem? celebrat sua vena Poetam,

Et laudes domini concinit ipsa sui.


Das Adverbium Foeliciter, welches Delitzsch mißverstanden hat, ist eine Anspielung auf J. Pensos Vornamen Feliz und captiva ... de gente ... spes auf den hebräischen Titel הוקתה יריסא. – Das zweite Gedicht lautet:


Eidem: Hebraeum nitido novus poeta

Doctis carmine Drama dat legendum;

Cujus sit petis? ipse rex bicollis

Parnassi incola, jurat esse Pensi.

Applaudit J. G. Sossa.


Auch hier bekundet Sossa die Sucht nach Anspielungen. Pensi als Eigenname des hebräischen Dramatikers und pensum, pensi Wert.

[419] Derselbe hat übrigens auch ein lateinisches Epigramm zum Lobe der spanischen Psalmenübersetzung von Jakob Jehuda Leon gedichtet, dessen Anfang lautet:


Vaticini tandem divina Poemata Regis,

Arcanumque potes discere, Ibere, melos.


2. Daniel Jehuda, der als Christ hieß: Nicolas de Oliver y Fullana cavallero Mallorquin, Sargento Mayor en Cataluña, y circuncidado Colonel de Infanteria en Hollanda contra Francia (de Barrios, Poetenkatalog, p. 58. [Vgl. Kayserling a.a.O. S. 79]). Weiter sagt derselbe von ihm: »Er ist heute (d.h. um 1683) Kosmograph der katholischen Majestät, Autor der ausgezeichneten Bücher über Kosmographie und Gatte der schönen und gebildeten Isabel (Rebekka) Correa (in zweiter Ehe).« Über diese teilte auch de los Rios manches mit. – Sein lateinisches Epigramm: Praeclaro adolescenti J. P., comicorum Hebraeorum antesignano, ist übrigens ziemlich schlecht. Es spielt ebenfalls viel mit dem Worte Penso. – Diesen Kolonel und Dichter Daniel und seinen Leutnant Don Joseph Samech Arias (den Übersetzer von Josephus, Contra Apionem, wovon Auszüge bei Rodrigue; de Castro a.a.O. p. 548 [vgl. Kayserling a.a.O. S. 13]), diese beiden hat Penso in seinem Drama namhaft gemacht, neben J. Aboab und de Aguilar (2. Akt, Ende):


ונבל שושמ קחעי ברב קבדת

תעד ינובנ לכ באיבא ירומ

... .... ...

ונרשע רקי השמ ברב קבדת

ונכירדהל איה לאפר ךאלמ

... .... ...

עלס ובבל לאינדכ ערל

בשעב חמצת חמצב ארת


Daniel de Oliver y Fullana und Samech waren wohl seine intimeren Freunde: beide waren um diese Zeit, 1667, bereits in Amsterdam. Von J. S. Arias findet sich übrigens auch eine Dezima in de Barrios' Flor de Apolo, gedruckt 1665.

Zu den genannten neuhebräischen Dichtern lassen sich noch einige hinzuzählen. Zu Leons Psalmenübersetzung hebräische Enkomien von: Josia Parda [vgl. Kayserling das. 85] und Elia Leon [das. 57] und zerstreut in de Barrios' Schriften von Abraham Lopez Arias [Barrios, Insigne yes. de los Pintos, p. 56], Joseph Franco Serrano [das. 100], David Nuñez. Es sind, wie die Gedichte von Oliveyra in תולבג תושרש, durchweg Gelegenheitsgedichte ohne poetischen Wert. Sie sind meistens nach spanischen Mustern versifiziert, entweder in Sextinen oder Ottave rime oder in Dezimas (Zehnversen) oder endlich in Sonettform. Pensos Drama nimmt sich neben diesen Pfuschereien wirklich wie ein Meisterwerk aus. – Zum Schlusse sei noch erwähnt, daß Pensos letzte Schrift: Ideas posibles de que se compone un curioso ramillete de fragrantes flores, Antwerpen 1692 erschien. Er mag dem nach jung gestorben sein. In Italien war er wohl nicht dauernd, sondern nur einmal nach dem Ableben seiner Mutter 1679, die wohl zufällig in Livorno war und dort starb.


Quelle:
Geschichte der Juden von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart. Leipzig [1897], Band 10, S. 417-421.
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