[41] Inzwischen war in Ägypten König Bokchoris einem Angriff des Äthiopen Sabako von Napata81 erlegen. Wenn Sargon berichtet, er habe im J. 715 unter anderem auch von Pir'u, dem König Ägyptens, Abgaben erhalten, so wird sich dies daraus erklären, daß der Pharao – seinen Eigennamen hat er nicht genannt, es kann aber nur Bokchoris sein – jetzt den Schutz Assyriens zu gewinnen hoffte. Vier Jahre später, unter dem J. 711, bezeichnet er Ägypten (Muṣri) als »zum Bereich Äthiopiens (Melucha) gehörig«. Daraus ergibt sich die Datierung. Über den Hergang wissen wir weiter nichts, als daß nach Manetho Sabako den Bokchoris gefangennahm [41] und verbrennen ließ82. Die zahlreichen lokalen Fürstentümer, in die Ägypten zerfallen war, haben sich seiner Oberhoheit gefügt; sie zu beseitigen und die Reichseinheit wiederherzustellen reichte seine Macht nicht aus, wir finden sie alle, wie zur Zeit Pi'anchis, auch unter seinen Nachfolgern wieder. Indessen wurde in Palästina die Hoffnung neu belebt, daß es möglich sei, mit ägyptischer Hilfe das assyrische Joch abzuschütteln. Azuri von Ašdod begann Verhandlungen über eine auf Ägypten gestützte Erhebung mit den übrigen Philisterstädten und den Nachbarstaaten Juda, Edom, Moab. Sargon konnte noch rechtzeitig einschreiten und ihn durch seinen Bruder Achimelek ersetzen83; aber dieser wurde von seinen Untertanen verjagt und das Regiment einem Griechen (»Ionier«) aus Cypern übertragen84. Indessen die Hoffnungen auf Ägypten und Äthiopien (Kuš) erwiesen sich, wie das der Prophet Jesaja in Jerusalem verkündet hatte, auch diesmal als eitel. Ašdod wurde erobert und nach Fortführung und Ersetzung der Einwohner einem Statthalter unterstellt85; der Usurpator flüchtete nach Äthiopien, wurde aber von dessen König, also von Sabako, gefesselt ausgeliefert (711 v. Chr.)86. Es ist begreiflich, daß dieser [42] vor einem Kriege mit Assyrien zurückscheute, zeigt aber deutlich, wie schwach das Äthiopenreich in Wirklichkeit war87. Aus dem Palast Sanheribs zu Ninive stammt ein Tonstück, auf dem das Siegel Sabakos neben einem assyrischen (der König in Verehrung vor einem Gott) abgedruckt ist88. Das stammt offenbar von der Urkunde eines Vertrages, der damals zwischen beiden Staaten geschlossen worden ist. Auch die Stadtfürsten von Cypern haben jetzt die Oberhoheit Sargons anerkannt; im J. 709, als er in Babylonien stand, haben 7 Könige der Insel ihm huldigend ihre Gaben übersandt, und er hat in Kition sein noch erhaltenes Siegesdenkmal aufstellen lassen89. Wie diese Seestädte konnten auch die vom Handel lebenden Stämme Arabiens die Beziehungen zu dem Großreich nicht entbehren, und so erfahren wir, daß im J. 715, nach einem Vorstoß gegen arabische Stämme wie Chajâpa (o. S. 30) und die hier zum erstenmal genannten Thamudener, wie schon unter Tiglatpileser die Araberkönigin Šamšie, [43] so jetzt auch der Sabäer Itha'-amar (assyr. It'-amara) Gold und Edelsteine, Weihrauch, Pferde und Kamele geschickt hat. Man erkennt, wie sich hier in Saba ein bedeutender Handelsstaat entwickelt, der jetzt auch bereits Inschriften hinterlassen hat; unter seinen ältesten Königen findet sich dieser Name wiederholt.
Seit der Niederlage bei Dêr gleich nach seinem Regierungsantritt hatte Sargon, ganz in Anspruch genommen durch die Aufgabe, das von Tiglatpileser begründete Reich zusammenzuhalten und weiter auszubauen, Babylonien sich selbst oder vielmehr den Chaldäern und ihrem König Mardukbaliddin überlassen müssen. Jetzt endlich, nachdem auch von Ägypten aus kein Eingriff mehr drohte, hatte er die Hände frei, um auch hier die von den Göttern den Assyrern verliehene Herrschaft wieder aufzurichten. Die Hauptstütze des Chaldäerkönigs gegenüber der meist zu Assyrien neigenden alteinheimischen Bevölkerung bildeten seine aramäischen Stammgenossen und die aus der mesopotamischen Steppe herangezogenen beduinischen Schützen (Sutu); im übrigen gab er sich natürlich als einen ebenso eifrigen Verehrer der Götter wie sein Gegner90. Große Mühe hat diesem der Feldzug nicht gemacht. Wie herkömmlich, rückte er östlich vom Tigris vor, warf die dortigen Nomadenstämme nieder und unterbrach dadurch zugleich die Verbindung Mardukbaliddins mit Elam und dessen König Šutruknachundi, der im J. 717 seinem Oheim Chumbanigaš gefolgt war. Dann setzte er südlich von Babylon über den Euphrat; da vermochte Mardukbaliddin sich hier nicht mehr zu behaupten und zog sich in den Süden zurück. So konnte Sargon am 1. Nisan 709 seinen Einzug in Babel halten und im Tempel die Hände der Statue Marduks und damit das Königtum ergreifen. Im nächsten Jahr wurde das Chaldäerland unterworfen, Dûr-Jakîn, der Stammsitz Mardukbaliddins, erobert und von Grund aus zerstört. Šutruknachundi von Elam war weder gewillt noch imstande, Hilfe zu leisten; als im J. 707 Dalta, der König des Gebirgskantons Ellip, [44] starb und in dem zwischen seinen Söhnen ausbrechenden Thronstreit der eine die Hilfe Elams anrief, haben Sargons Generäle ihn besiegt und seinen Bruder Išpabâra auf den Thron gesetzt – was nicht hinderte, daß ein paar Jahre darauf Sargons Sohn Sanherib auch diesen verjagt hat.
In Babylonien ist Sargon durchaus als der demütige Diener der Götter des Landes aufgetreten, dem eben um seiner Frömmigkeit und Gerechtigkeit willen Marduk an Stelle der bösen Chaldäer, die er haßt, das Königtum verliehen hat; nur auf seinen Befehl hat er den Krieg unternommen. Tatsächlich freilich hat er das Reich von Sumer und Akkad, dessen Titel er jetzt annahm, nicht anders behandelt als das Assyrerreich. Die Maßregeln Mardukbaliddins wurden rückgängig gemacht, die Anhänger Assyriens befreit und belohnt, die der Chaldäer verfolgt; die alten Städte und ihr Kultus wurden restauriert, in Babel eine neue Quaimauer erbaut, dagegen unter den Chaldäern und den übrigen Stämmen gründlich aufgeräumt, große Massen niedergemetzelt oder deportiert – so auch nach Samaria – und überall das assyrische Statthaltersystem eingeführt. Der Erfolg, der den alten Titel eines Königs der vier Weltteile mit neuem Leben erfüllte, hat weithin Eindruck gemacht; wie die Könige von Cypern hat jetzt auch der von Dilmun weil draußen im Persischen Meerbusen ihm durch Zusendung von Geschenken gehuldigt91.
Gleichzeitig mit der Unterwerfung Babyloniens ist die neue Königsstadt fertig geworden, welche Sargon sich östlich von Ninive am Fuß der Berge als Residenz unter dem Namen Dûr-Sargon »Sargonsburg« erbaut hat, mit einem riesigen Palast, dessen Inschriften und Skulpturen wir die Kenntnis seiner Taten verdanken. So erklärt es sich, daß wir über seine letzten Jahre wenig wissen. Zum Jahre 706 bemerkt die babylonische Chronik, daß er nach Tabal, also ins östliche Kleinasien (o. S. 41) zog. [45] Im nächsten Jahr hat er ein gewaltsames Ende gefunden, und zwar offenbar in einer schweren Niederlage; denn sein Sohn bemühte sich, zu ermitteln, wodurch er den Zorn der Götter in solchem Maße auf sich gezogen habe, daß seine Leiche nicht in seinem Grabe daheim beigesetzt werden konnte92. Weiteres über den Gegner und Schauplatz läßt sich nicht ermitteln, da das Bruchstück der Eponymenchronik, das davon handelte93, für uns unverständlich bleibt.