Die Grundlehren Zoroasters

[97] Der iranische Prophet, dessen Wirksamkeit im östlichen Iran (Baktrien), dem Gebiet, wo das Kulturland der bäuerlichen Bevölkerung und die von räuberischen Nomaden bewohnte Wüste sich wie in den Grenzbezirken Palästinas überall berühren und ineinanderschieben, spätestens etwa um 1000 v. Chr. anzusetzen ist193, ist die erste Persönlichkeit, die schöpferisch gestaltend in die Religionsgeschichte eingreift194, geraume Zeit vor den großen israelitischen Propheten. Mit diesen berührt er sich aufs engste in der Art seines Auftretens, in dem unerschütterlichen Bewußtsein einer dauernden unmittelbaren Verbindung mit der Gottheit, in dem leidenschaftlichen Fanatismus, mit dem er die Offenbarung verkündet und die Gegner bekämpft. Für uns steht er völlig isoliert [97] da; in die äußeren Umstände, unter denen seine Wirksamkeit verlaufen und sein Erfolg gewonnen ist, gewähren nur gelegentliche Erwähnungen in seinen in gebundener Rede vorgetragenen Predigten – den Gâthas – einigen Einblick, die spätere Tradition versagt gänzlich. Die neue Religion, die Lehre von dem Kampf der beiden Mächte der Wahrheit und der Lüge, wurzelt in der altüberkommenen Vorstellungswelt der arischen Stämme. Aber Zoroaster ist ein völlig selbständiger Denker; die Mächte, die er verkündet, sind kühne Abstraktionen, die er zu einem System verbindet; auch da, wo sie bereits in den älteren Anschauungen vorkamen, müssen sie doch jetzt als seine eigenen Schöpfungen angesehen werden, weil er sie aus der Masse der übrigen herausgegriffen und in sein System eingeordnet hat. Durch diese Systematik unterscheidet sich Zoroaster von den israelitischen Propheten und erinnert vielmehr an Hesiod: das Bedürfnis, zu einem einheitlichen Weltbild zu gelangen, ist für das Denken das eigentlich dominierende Moment, wenn es sich auch bei Hesiod und Zoroaster so gut wie bei Amos und Jesaja mit intensivster Hingabe und Anklammerung an die Gottheit verbindet, deren Walten man in dem Weltlauf erkannt hat und unmittelbar empfindet. Darauf beruht zugleich, daß bei Zoroaster die Religion der Idee nach keinen nationalen Charakter trägt: sein Gott ist nicht der von allen andern gesonderte Stammgott, der dann erst schrittweise zum Weltherrscher erwächst, wie bei den Israeliten, sondern von Anfang an die universelle Macht, und die Predigt wendet sich zwar zunächst auch an die eigenen Volksgenossen, jedoch nur infolge der für die Wirksamkeit des Propheten nun einmal gegebenen Verhältnisse, ist aber theoretisch durchaus, und auch in der Praxis, wenn sich eine Gelegenheit dazu bietet, an die gesamte Menschheit gerichtet. Eben darum ist Zoroaster einer der ganz wenigen wirklichen Religionsstifter, welche die Geschichte kennt. Die Propheten Israels, so gewaltig das Neue ist, das sie verkünden, haben mit der Tradition sowenig gebrochen wie etwa Hesiod, sondern wollen sie richtig deuten und ergänzen; und auch Jesus will das Gesetz nicht aufheben, sondern erfüllen, die neue Religion entsteht aus den Konsequenzen seiner Lehre ohne und gegen seinen Willen. Auch der Buddha [98] und der Begründer der Dschainareligion bewegen sich ganz in den überkommenen indischen Anschauungen. Zoroaster dagegen hat wie Mohammed mit der Religion seines Volks bewußt gebrochen: trotz aller Anknüpfungen an überlieferte Vorstellungen ist es eine neue Religion, die er verkündet, im schärfsten Kampf gegen die bestehenden Kulte. So ist er eine der bedeutsamsten Gestalten der gesamten Religionsgeschichte. Wie ein erratischer Block ragen seine Dichtungen aus verschollener Vorzeit auf und reden noch zu uns. Die Wirkung, die er auf Jahrtausende hinaus, direkt und indirekt, ausgeübt hat, wird in der Regel noch immer viel zu gering angeschlagen: sie kann gar nicht hoch genug bemessen werden.

Die altarischen Vorstellungen, an die Zoroaster anknüpft, sind nicht die Mythen von den Götterkämpfen und der Bezwingung des Drachens durch den Blitzgott-Mythen, die dann in der iranischen Heldensage an die zoroastrische Religion angepaßt sind und daneben ihre Eschatologie stark beeinflußt haben –, sondern der auch in der vedischen Religion vorliegende Gegensatz zwischen den beiden Götterklassen der Naturmächte (der »himmlischen«, Daiva's) und der sittlichen Mächte, der Asura's (vielleicht »Herren«). An der Spitze der letzteren steht das engverbundene Götterpaar Varuna, der Gott des Eides, und Mitra, der Gott des Vertrages195; sie haben die »Rechtsordnung« Arta geschaffen, auf der der Bestand der Welt und der menschlichen Gemeinschaft beruht.

Für Zoroaster sind diese ethischen Mächte die einzigen wirklichen Götter; die Daevas sind die Mächte der Lüge (drudž), Truggestalten, deren Verehrung in Sünde und Verderben führt196. Für den wahren Gott behält er den Namen Asura, iranisch Ahura, als Appellativum bei; aber den Namen Varuna verwendet er sowenig wie etwa der ägyptische Reformator für den Sonnengott den [99] des Re' oder Horus oder wie die Christen den des Zeus, sondern er schafft für ihn den neuen Eigennamen Mazda »der Weise«197. Er ist der »heilige Geist« (spenta manju), der dem nach Erkenntnis ringenden Propheten sich selbst und sein Arta (Aša), die Weltordnung, offenbart und ihm die Kraft gegeben hat, die wahre Lehre zu verkünden.

»Hört mit offenen Ohren«, verkündet Zoroaster (Jasna 30, 2f.), »schaut mit hellem Blick das Beste für die Wahl zwischen den beiden Bekenntnissen, Mann für Mann für den eigenen Leib ermahnend (?), daß er vor der großen Endentscheidung uns gefalle (?). Jene beiden ursprünglichen Geister, die die selbstherrlichen Zwillinge heißen, nach Sinn und Wort und Tat sind sie das Gute und das Böse. Von ihnen beiden haben die Guthandelnden richtig gewählt, aber nicht die Schlechthandelnden. Als jene beiden Geister zuerst zusammentrafen, da schufen sie Leben und Untergang, und daß am Ende das schlimmste Dasein bestimmt sei für die Bösen, aber für den Bekenner des Arta (der rechten Ordnung) die beste Gesinnung (d.h. das von dem Engel, der diese Gesinnung verkörpert, gewährte Paradies). Von diesen beiden Geistern wählte der Böse das Ärgste zu seinem Tun, die richtige Ordnung (Arta) dagegen der heilige Geist, der das Himmelsgewölbe als Gewand trägt, und die, welche den Ahura Mazda durch lauteres Tun zufriedenstellen. Aber nicht richtig wählten die Daevas, da sie, als sie berieten, Betörung überkam. Als sie den ärgsten Sinn erwählt hatten, da liefen sie zusammen zu Aešma (dem Dämon des Zorns und aller schlimmen Leidenschaften), durch den sie das Leben des Menschen vergiften198

So ringen – das ist die Erkenntnis, zu der Zoroaster gelangt ist [100] – um die Herrschaft über die Welt von Urbeginn an zwei Gewalten. Auf der einen Seite steht die Macht der Wahrheit, des Guten, des Lebens und Gedeihens. Sie offenbart sich materiell vor allem im Licht und in dem reinsten Element, dem Feuer. Daher werden ihr, in Anknüpfung an die altarischen Kultformen, überall ewig brennende Feuer entzündet, die aber, abweichend von diesen, nicht durch Verbrennung von Opfergaben befleckt werden dürfen, und die Priester, welche die Zeremonien und Gebetsformeln der neuen Religion vollziehen, behalten den alten Namen âthravan »Feuerzünder« (πύραιϑοι). Diese Macht hat die richtige Ordnung, das Arta, geschaffen und offenbart und dadurch zugleich – und das ist ein sehr wesentliches Moment – die seßhafte Kultur des friedlichen Bauern begründet, die vor allem auf der Pflege des Rindes beruht: die Kuh ist die große segenspendende Gabe, die Ahuramazda den Menschen geschenkt hat, sie zu pflegen sein immer wieder eingeschärftes Gebot; daß die räuberischen Nomaden, die Verehrer der Daevas, sie mißachten, ist ihr schwerstes Verbrechen, sie zu Speise und Opfer zu schlachten ist Teufelswerk – daran knüpfen dann zahlreiche zeremonielle Vorschriften und Zauberriten an, derselben Art, wie wir sie bei bäuerlichen Religionen auf gleicher Kulturstufe überall wiederfinden199.

In sechs herrschenden Gestalten hat Zoroaster die Mächte verkörpert, auf denen das geordnete, gottgewollte Leben beruht. Es sind sämtlich Abstraktionen, die er aber, ähnlich wie Hesiod, nur als Persönlichkeiten begreifen kann; als Erzengel, als die »unsterblichen Heiligen« (Ameša spenta, Amšaspands) reihen sie sich an den »heiligen Geist« Ahuramazda an200: die »gute Gesinnung« [101] Vohumano (Ὡμανός), die »richtige Ordnung« oder »Wahrheit« (»Recht«) Aša (Arta), das »Reich« Khšathra, d.i. das kommende Gottesreich, die »Frömmigkeit« Armaiti, die »Gesundheit« Haurvatât und die »Unsterblichkeit« Ameretât. An sie schließen sich zahlreiche weitere Engel (Jazata), unter ihnen vor allem Sraoša der »Gehorsam« (gegen Gott), der Gegner des Aešma (s.o. S. 100). Im theologischen System sind diese dann immer weiter ausgestaltet und ins Unendliche vermehrt worden, und auch die Volksgötter, welche später in die Religion wieder Aufnahme gefunden haben, dürfen wir wohl in sie einreihen201.

Ganz nach demselben Schema ist das Gegenreich gestaltet. An seiner Spitze steht der »böse Geist« Angramanju (Ahriman), [102] und an ihn schließen sich die Gegenbilder der Amšaspands und die weiteren Dämonen (so Aešma), die verderbenbringenden Mächte der Lüge und des Truges, der Finsternis und des Todes, alles Unheils, der Dürre und Kälte, der Krankheiten und der bösen Leidenschaften. Zu ihnen gehören auch die alten arischen Götter, die Daevas (Dîws), darunter Indra, die Nâsatjas (die göttlichen Zwillinge) und der Gandharwa.

Das wichtigste aber ist, daß diese Mächte, Ahriman und seine Genossen, genau ebenso schöpferisch sind wie Ahuramazda. Ihre Werke sind die Negation der seinen; aber diese Negation ist nicht passiv, sondern aktiv, ihre Schöpfungen sind, obwohl zerstörend, doch ebenso real wie jene. Darauf beruht der unversöhnliche Gegensatz zwischen beiden und der ununterbrochene Kampf, der das Wesen dieser Welt ausmacht: die gute Schöpfung, die Ahuramazda beabsichtigte, ist durch das Eindringen der Gegenmacht gehemmt und zur Hälfte entstellt. Das wird in den späteren Texten in ermüdender Monotonie ausgeführt, gibt aber durchaus die Anschauungen Zoroasters wieder: alle Grundgedanken der späteren Religion finden sich bereits in den Gâthas.

Zwischen beiden Mächten steht der Mensch. Er ist vor die Entscheidung gestellt, die ausschließlich in seinem Willen liegt. Aber seine Aufgabe ist, sein wahres Heil zu erkennen und daher das Reich des Guten und des Lichts zu mehren, jede Verunreinigung der guten Elemente zu meiden, die Kuh und die sonstigen Schöpfungen Ahuramazdas zu pflegen, dagegen das Böse und seine Kreaturen mit allen Mitteln zu bekämpfen und nach Kräften zu vernichten, so z.B. das Ungeziefer, und dadurch den schließlichen Sieg der guten Macht zu fördern. Denn der religiöse Glaube kann sich nicht dabei beruhigen, daß der gegenwärtige Zustand ewig bestehen bleibe. Der Einbruch der feindlichen Macht in die Welt, der die Absicht des wohltätigen Schöpfers vereitelt und sein Werk entstellt hat, muß schließlich zurückgeschlagen werden; Ahuramazda muß sich als der allein wahre Gott erweisen, der Teufel überwunden und mit seinen Werken vernichtet und dann der von Anbeginn an erstrebte selige Zustand, ohne Übel und ohne Böses, unvergänglich hergestellt werden. Daher hat Ahuramazda sich dem [103] Zoroaster offenbart, daß er den Menschen die wahre Lehre verkünde und sie auf den richtigen Weg führe.

Durch diesen Appell an die aktive Selbsttätigkeit der Menschen unterscheidet sich die Religion Zoroasters und der Charakter der Iranier fundamental von der in ihren Ursprüngen ihnen so nahe verwandten indischen Weltanschauung. Die indische Denkweise und Religion ist negativ, passiv und pessimistisch, die iranische aktiv und optimistisch. Für den Inder ist die Lebensverneinung, die Abtötung des eigenen Ich und sein Aufgehen in die pantheistische Allseele oder in das Nichts das erstrebte Ideal, die Geburt und das zu ewigen Wiedergeburten verurteilte Dasein eine Plage, aus der er die Erlösung sucht; für den Iranier ist der Geburtstag das höchste Fest, sein Dasein eine energische Lebensbejahung. Wenn später auch er, in Reaktion gegen die starre, ihm völlig ungenießbare Lehre des Islâms, sich in den schiitischen Mystizismus flüchtet und im Sufismus unter Abwendung von der Welt sich den beschaulichen Träumen der Theosophie hingibt, so ist doch auch dies Streben nach dem übersinnlichen Schauen der Gottheit und pantheistischer Vereinigung mit ihr durchaus optimistisch als die höchste Steigerung des Daseins gedacht, nicht als ein Versinken in volle Apathie, wie bei den Indern.

Das Mittel, durch das Zoroaster auf seine Hörer wirkt und sie zu bekehren sucht, ist dasselbe, dem später die christliche Predigt und Mohammed ihre Erfolge verdanken: die Ankündigung des unmittelbar bevorstehenden Gerichts über Lebende und Tote. Der Glaube an ein bewußtes Fortleben der Seele im Totenreich, unter der Herrschaft des Jama (persisch Dschemschîd), des ersten sterblichen Menschen, war schon in der arischen Periode lebendig, so gut wie die Forderung »guter Gedanken, Worte und Werke«, um den Segen der Götter zu gewinnen. Aus derartigen Vorstellungen hat sich in Ägypten bereits gegen die Mitte des 3. Jahrtausends, zur Zeit der Pyramidenerbauer, der Glaube an ein Totengericht durch Wägung des Herzens vor Osiris, dem göttlichen König, der den Tod erlitten hat, entwickelt und die sozialen und ethischen Anschauungen aufs stärkste beeinflußt202; und gleichartige Vorstellungen [104] bilden sich bei den Griechen durch die Umwandlung des alten Hadesbildes in der großen religiösen Bewegung des 6. Jahrhunderts, aus der die Orphik und die verwandten theologischen Lehren hervorgegangen sind. Dadurch wird dem ethischen Postulat Genüge getan, daß das Schicksal des Menschen nach Verdienst gestaltet werden muß. Indessen in beiden Fällen handelt es sich nur um ein Gericht über den einzelnen Menschen, das den Weltlauf nicht ändert. Auch Zoroaster kennt und verkündet dies Einzelgericht nach dem Tode; aber dazu tritt als das Wesentliche ein allgemeines Weltgericht, die totale und abschließende Umwandlung der gesamten Gestaltung der Welt. Diese Idee berührt sich mit der Verkündung des Weltgerichts durch die israelitischen Propheten. Aber bei diesen steht immer das nationale und politische Moment im Vordergrund: es handelt sich zwar auch um eine Heimsuchung und Läuterung des verderbten Volks203, dann jedoch soll dem Rest, der sich bekehrt, dem wahren Israel, die Weltherrschaft zufallen. An Stelle des Weltreichs der fremden Völker wird die des Volkes Jahwes treten, und eben dadurch wird dieser sich als den wahren und alleinigen Gott erweisen und alle Menschen zwingen, ihn zu bekennen; dann kann er auch seinem Volk unter der Herrschaft seines Gesalbten den vollen Segen zuwenden und für dasselbe alle Übel beseitigen, die Erde zum Paradies umgestalten. Für Zoroaster dagegen ist es der Kampf zwischen den beiden um die Weltherrschaft ringenden Mächten, der endlich zum Austrag kommt, und die Entscheidung ist daher auch hier individuell nach Verdienst und Schuld jedes Einzelnen, nicht national, wie bei den Israeliten und im Judentum.

Die beiden Gerichtsvorstellungen stehen bei Zoroaster unausgeglichen nebeneinander. Drei Tage nach dem Tode muß die Seele die Richterbrücke (Tšinvat) überschreiten, die über den höllischen Abgrund ins Reich des Vohumano zu Ahuramazda führt. Den[105] Rechtgläubigen schirmen die Schutzgeister, welche seine guten Werke herbeirufen; der ungläubige Frevler wird durch die auf ihn lauernden Dämonen auf ewige Zeiten ins Reich des Drudsch, des Teufels, hinabgestürzt204. Das selige Reich wird, wie bei den Ägyptern, als ein irdisches Paradies ausgemalt: in einem verjüngten, vollkommenen Leibe205 genießt der Selige den reichsten Besitz aller Güter, herrliches Weideland, prächtige Mutterkühe, einen Hengst und ein Kamel und was immer der Bauer sich ersehnen mag206. Aber daneben ersehnt und verkündet der Prophet ganz wie Mohammed das große Weltgericht, das die Macht des Lügengeistes vernichtet und das Reich der Wahrheit und der richtigen Ordnung aufrichtet und auch den gegenwärtig Lebenden Lohn oder Strafe nach Verdienst zuteilt. Dies Gericht vollzieht sich durch Feuer und geschmolzenes Metall; es ist wie im Rechtsstreit vor Gericht die Feuerprobe des Ordals, die die Wahrheit an den Tag bringt, »die Prüfung, die du, o Mazda, über Schuld und Verdienst durch dein rotes Feuer anstellen wirst, um durch geschmolzenes Metall den Seelen ein Zeichen aufzudrücken, zum Schaden den Falschgläubigen, zum Gewinn den Rechtgläubigen«207. »Durch dein rotes Feuer« oder »durch den Geist und das Feuer und Arta erhalten beide Parteien die Vergeltung« oder »ihr Guthaben«208; Mazda »spricht das Urteil mittels des flüssigen glänzenden Metalls«209.

Bei Zoroaster fließen, so scheint es, die beiden Vorstellungen durcheinander, ähnlich wie im Christentum neben der Lehre vom Jüngsten Gericht der Glaube, daß das Geschick des Menschen sich gleich nach dem Tode entscheidet, sich immer erhalten hat und [106] sich auf Jesu Wort am Kreuz bei Lukas 23, 43 berufen kann210. Die Kirche hat sie dann sauber geschieden. Drei Tage nach dem Tode gelangen die Seelen an die Richterbrücke. Ihre guten und bösen Taten werden, wie es im Perserreich auch dem irdischen Richter vorgeschrieben ist211, genau gegeneinander abgerechnet und danach ihr Schicksal bestimmt: die einen kommen ins Paradies, die andern in die Hölle, die, bei denen sich die Taten das Gleichgewicht halten, in das Zwischenreich Hamestakân212. Aber das ist nur ein Interimistikum; völlig davon geschieden ist die Auferstehung und das abschließende Weltgericht.

Zoroaster hatte, wie das Christentum und wie ursprünglich Mohammed, diese Weltkatastrophe als unmittelbar bevorstehend verkündet und erwartet, selbst als Richter und als Zeuge für die Gläubigen dabei mitzuwirken213. Aber da sie immer ausblieb und der Weltlauf sich trotz des Sieges der wahren Religion nicht änderte, mußte sie wie im Christentum in eine ferne Zukunft verschoben werden. Der Heiland Saošjant (Sošjos), der »Retter«, den Zoroaster verkündet214 und als den er ursprünglich sich selbst betrachtet hat, wird am Ende des letzten Weltalters von einer Jungfrau aus dem bis dahin künstlich im Meer bewahrten Samen [107] des Propheten gezeugt werden und das Weltgericht bringen. Er führt den Eigennamen Astvatereta »der Erhabene unter den Körperlichen«. Mit seinem Erscheinen beginnt die Auferstehung der Leiber. Die Schwierigkeiten, die dem aller Erfahrung widersprechenden Dogma von der Wiederherstellung und Neubelebung der in ihre Elemente aufgelösten Körper entgegenstehen, werden von den parsischen Theologen in derselben Weise erörtert und aus der Allmacht Gottes erklärt, wie von Mohammed und den christlichen Apologeten: die Bildung des Menschen im Mutterleibe und die Entstehung der Pflanzen aus dem Samen ist ein noch weit größeres Wunder als dieses215. Bei der Auferstehung, so heißt es im Bundeheš, erhalten alle Gestorbenen ihren Körper wieder, und alle Menschen versammeln sich auf einem Platz; an jedem wird sein Verhalten auch äußerlich sichtbar, »ein Frevler wird so kenntlich sein wie ein weißes Schaf unter schwarzen«216. Dann werden sie getrennt, auf drei Tage die Gottlosen zu furchtbarer Pein in die Hölle geschickt, während die Guten in der Seligkeit des Paradieses ihre Leiden anschauen – wie in der Parabel von dem Reichen und Lazarus und ihrer ägyptischen Parallele. Dann aber folgt die Weltkatastrophe. »Der Stern Goćihar (unten S. 127) fällt an einem Mondstrahl auf die Erde herab, und die Not der Erde wird wie die eines Schafs, das ein Wolf anfällt. Das Feuer schmilzt das Metall der Berge, und es ergießt sich über die Erde als ein Strom. Alle Menschen müssen hindurch und werden dadurch gereinigt; dem Frommen ist es, als ob er in warmer Milch wandle, aber dem Gottlosen, als wenn er ständig in geschmolzenem Metall gehe.« Nach der Reinigung aber kommen alle in das Reich Ahuramazdas; denn ewige Höllenstrafen kennt der Parsismus nicht217. Zugleich gelangt der Kampf der beiden Reiche zum Abschluß.[108] Auch er wird von Sošjant geführt, mit Hilfe der aus ihrer Verborgenheit hervortretenden Heroen der Urzeit, denen Unsterblichkeit verliehen ist, so des Keresâspa, der den furchtbaren Unhold Aši-Dahaka (Zohak) – den in einen Urkönig umgewandelten Drachen, den ehemals Thraetona (Ferîdûn) bezwungen hat und der jetzt aus seinen Fesseln im Berge Demawend losbricht – definitiv erschlägt218. Der Stern Goćihar stürzt auf den Drachen Âzi, den Dämon der Begierde, die sechs Erzengel bewältigen die entgegengesetzten Fürsten der Dämonen, Sraoša, der Engel des Gehorsams und der Religion, den Zorndämon Aešma219, Ahuramazda selbst den Ahriman, der in eine Höhle flieht und vom Metall eingeschlossen wird. So wird das Reich der Hölle für das Himmelreich erobert und nun die Erde zum Paradies umgestaltet, in derselben Weise, wie die israelitischen Propheten, vor allem Deuterojesaja, die Weltumwandlung ausmalen, als flache Ebene, ohne Dürre, Eis und sonstige Plagen und ohne Altern und Tod. Ein älteres und tiefer gedachtes Stadium dieser Anschauungen lehrt uns ein Bericht Plutarchs aus vorzüglicher Quelle kennen220: hier geht Ahrimans Reich durch die vernichtende Wirkung seiner eigenen Schöpfungen zugrunde, und so kann die Herstellung der paradiesischen Welt eintreten.

Mit dieser Eschatologie verbindet sich, wie gewöhnlich, eine schematische, von runden Zahlen beherrschte Konstruktion des gesamten Weltverlaufs. Auch diese Spekulationen sind sehr alt und [109] waren unter den Achämeniden bereits voll entwickelt. Theopomp hat von der Lehre der Magier erzählt, daß die Menschen wieder aufleben und unsterblich werden221, und weiter berichtet222, daß nach ihrer Lehre »abwechselnd jeder der beiden Götter 3000 Jahre herrscht, 3000 beherrscht wird; dann führen sie 3000 Jahre Krieg und vernichten jeder die Werke des andern; schließlich unterliegt Hades, und dann werden die Menschen glücklich sein und weder Nahrung bedürfen noch Schatten werfen, der Gott aber, der das bewirkt hat, kann eine Weile ausruhen«. Das stimmt in allem Wesentlichen zu der Darstellung in den Pehlewitexten. Nur kommt hier noch eine erste Periode von 3000 Jahren hinzu, in der Ahuramazda die Wesen in einer »geistigen«, unsinnlichen Welt schafft, in der sie ohne Denken und Bewegung in absoluter Ruhe leben. Beim Ablauf dieser Periode bricht dann Ahriman aus dem finsteren Abgrund hervor, erblickt das Licht und sucht vergeblich, es zu zerstören; er flieht in den Abgrund zurück und schafft die Dämonen. Dadurch wird der Kampf unvermeidlich; durch ein Abkommen, zu dem Ahuramazda seinen Gegner veranlaßt – dies Abkommen kennt bereits Zoroaster selbst, Jasna 30, 4, s.o. S. 100 –, wird seine Dauer auf 9000 Jahre festgesetzt. Ahuramazda schafft die Lichtkörper, die Schutzgeister (Ferwer) der Menschen, den Urmenschen Gajomart, aus dessen Samen das erste Menschenpaar hervorgeht, und das Urrind, aus dessen Leibe dann alle Tiere und Pflanzen entstanden sind, ferner die Seele Zoroasters. 3000 Jahre lang ist Ahriman noch zu ohnmächtig; dann beginnt der Kampf, für den jetzt auch die sterblichen Leiber der geistigen Wesen geschaffen werden, die so die Möglichkeit der Bewegung erhalten. Die nächsten 3000 Jahre umfassen die gesamte Sagengeschichte Irans bis auf Zoroaster und König Vištâspa223. Mit der Verkündung und Ausbreitung [110] der reinen Lehre beginnt die vierte und letzte Weltperiode, die geschichtliche Zeit, von der aber die ganze alte Zeit, einschließlich des Achämenidenreichs, bis auf die späteren Arsakiden (Aškanier) in der Pehlewiüberlieferung dem Gedächtnis völlig entschwunden ist; erst mit der Begründung des Sassanidenreichs durch Ardašîr I. setzt genauere Kunde ein, dieser wird ganz nahe an die Nachkommen Vištâspas hinangerückt. Auch in dieser Periode tritt jedesmal im Lauf des Jahrtausends ein Verfall der Religion und eine Heimsuchung durch verheerende Feinde ein. Daher wird auch der Heiland verdreifacht: dem Sošjant Astvatereta gehen je 1000 Jahre vorher zwei andre voran, die gleichfalls aus dem Samen Zoroasters von Jungfrauen gezeugt werden; der letzte bringt dann das schon geschilderte Weltende224. Zu beachten ist, daß alle drei, auch der schließliche Erlöser, trotz ihrer wunderbaren Zeugung und ihrer übernatürlichen Taten, doch Menschen sind, so gut wie der Prophet, dessen Werk durch sie zum Abschluß geführt wird.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 41965, Bd. 3, S. 97-111.
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