Die Etrusker gegen Kyme. Befreiung Roms

[750] Während Karthago seinen Besitz sicherte und erweiterte, ist ein Angriff der Etrusker auf Kyme gescheitert. Wir haben von diesem Krieg nur eine späte phantastisch ausgemalte Schilderung1068: ungezählte Scharen von Etruskern, Umbrern, Dauniern und anderen Stämmen seien im J. 524 gegen die Stadt gezogen, aber durch die Tapferkeit der Bürger und das wunderbare Eingreifen der Götter in den Bergen um Kyme vernichtet worden. Offenbar handelt es sich um einen Versuch der kampanischen Etrusker, die Küste zu unterwerfen; daß sie dabei Zuzug aus der Heimat und von anderen Volksstämmen erhalten haben, ist wohl möglich. Im Kampfe hatte niemand größeren Ruhm gewonnen als Aristodemos mit dem Beinamen der Weichling (ὁ Μαλακός); er hat dann an der Spitze des Volkes das Adelsregiment gestürzt (angeblich 504) und als Tyrann ein energisches Regiment geführt, gestützt auf eine starke aus Nichtgriechen gebildete Söldnertruppe. Unter den Aristokraten räumte er schonungslos auf, ihr Vermögen wurde konfisziert und unter die Ärmeren aufgeteilt, zahlreiche Sklaven erhielten Freiheit und Bürgerrecht. Daneben werden Maßregeln zur Hebung des Landbaus, große Bauten und [750] Festungsanlagen in der ganz entstellten Tradition angedeutet. Nach längerer Regierung ist Aristodemos durch die Söhne der erschlagenen Adligen gestürzt, sein ganzes Haus ausgerottet worden.

Etwa um dieselbe Zeit hat Rom die etruskische Herrschaft abgeschüttelt. Die Einzelheiten des Vorgangs kennen wir nicht. Die Erinnerung hat außer dem Namen des wohl rein sagenhaften Befreiers L. Junius Brutus nur die nackte Tatsache bewahrt, daß der letzte König L. Tarquinius verjagt und damit die Republik begründet wurde. Was weiter in unseren Annalen zu lesen ist, sind Ausmalungen dürftigster Art und meist sehr jungen Ursprungs. Die Gestalt des zweiten Tarquiniers wird nach dem Muster griechischer Tyrannen gezeichnet, die bekannte Anekdote von Thrasybul und Periander (o. S. 568,3) auf ihn übertragen, aus dem Namen des Brutus gefolgert, daß dieser sich blödsinnig gestellt habe, um den Nachstellungen des Tyrannen zu entgehen, die Empörung durch die Schändung der Lukretia motiviert – das ist wohl die älteste dieser Erzählungen. Außerdem haben die Annalisten sich bestrebt, den Hergang begreiflich zu machen und dabei alles Revolutionäre tunlichst zu vermeiden, die Begründung der Republik möglichst legitim zu gestalten. Da das Volk aus eigenem Triebe gesetzlich nicht handeln kann, sondern nur der Beamte, wird Brutus trotz seines Blödsinns zum Reiterobersten gemacht; Tarquinius' Regiment ist nie legitim gewesen, da er es nie hat wagen dürfen, die Bestätigung seiner Herrschaft durch Rat und Volk einzuholen; seine Verjagung vollzieht sich ohne Blutvergießen: als er von einem Kriegszug zurückkehrt, wird ihm das Tor verschlossen und die Absetzungsurkunde vorgelesen; die Republik beruht auf den Anordnungen, die Servius Tullius, der letzte legitime König, getroffen, aber nicht hat ausführen können. Der Widersinn dieser Berichte liegt auf der Hand, wenngleich die moderne Geschichtsschreibung sich lange genug immer aufs neue abgemüht hat, sie in Geschichte umzusetzen1069. Wie der Hergang [751] gewesen ist, wissen wir nicht; nur das ist sicher, daß eine Revolution sich nicht in den Formen einer politischen Komödie abspielt. Vermutlich hat an der Erhebung der Haß gegen die Fremdherrschaft ebensoviel Anteil gehabt wie die Erbitterung über den Druck eines despotischen Königtums. Ob die Tarquinier versucht haben, ihre Herrschaft wiederzugewinnen, ist nicht bekannt – der gestürzte König soll schließlich nach Kyme zu Aristodemos gegangen sein, während sein Geschlecht nach Caere übersiedelte (Liv. I 60), wo das Geschlechtsgrab noch erhalten ist –; was darüber erzählt wird, sind sekundäre Kombinationen. Weit älter und echter ist die Sage von dem großen Heerzug, den der Etruskerkönig Lars Porsena von Clusium gegen Rom unternahm. Die Römer wurden geschlagen, die Stadt mußte sich ergeben1070. Die Sage erzählt von den reichen Gaben, die Porsena erhielt; sie berichtet, daß er den Römern den Gebrauch alles Eisens außer für die Werkzeuge des Ackerbaus untersagt habe (Plin. 34, 139) – das gleiche erzählen die Israeliten von der Philisterherrschaft (Jud. 13, 19). Auch weiter über Latium suchte Porsena seine Herrschaft auszudehnen; es wird erzählt, daß sein Sohn Aruns [752] gegen Aricia auf dem Latinerberge gezogen, aber hier von den Latinern und den Kymäern, die ihnen unter Aristodemos zu Hilfe zogen, geschlagen sei (Liv. II 14. Dion. Hal. V 36. VII 5).

Wie Porsenas Herrschaft zu Ende gegangen ist, wissen wir nicht, wie es denn auch nicht als sicher betrachtet werden kann, daß sie dem Ende des 6. Jahrhunderts, den ersten Jahren der Republik, angehört; sie mag leicht einige Dezennien weiter hinabzurücken sein. Tatsache ist nur, daß es dem vereinten Kampfe der Kymäer und Latiner gelungen ist, die Etrusker herrschaft in Latium zu brechen. Der römische Brauch, bei öffentlichen Auktionen zuerst die Habe Porsenas zu versteigern (Plut. Pobl. 19. Liv. II 14. Dion. Hal. V 34; vgl. Festus p. 322 s.v. Sardi venales), mag die Erinnerung an die Abschüttlung der Fremdherrschaft bewahren. In Rom trat an Stelle des Königtums eine aristokratische Republik derselben Art wie einige Jahrhunderte früher in den griechischen Staaten. Die Adelsfamilien allein haben das Recht, die Ämter zu bekleiden; die Beschlüsse und Wahlen der Heeresversammlung unterliegen der Bestätigung durch den Adelsrat, die »patres«; das Heer selbst, das zugleich das Volk darstellt, ist timokratisch, nach dem Besitz, gegliedert. Für die Beziehungen zu den Göttern wird nach wie vor ein Scheinkönigtum beibehalten; an die Spitze des Staats aber treten zwei auf ein Jahr erwählte Feldherrn (»praetores«, später »consules« genannt) – die Zweizahl erklärt sich daraus, daß das Heer in zwei Regimenter (legiones) formiert war. Vom Jahr 501 v. Chr. an liegt uns die Liste dieser höchsten Beamten in, wie es scheint, authentischer Fassung vor1071; [753] in diesem Jahr oder kurze Zeit vorher wird die Republik begründet sein. Im Fall der Not können die beiden Prätoren einen Oberfeldherrn, den Meister »des Kriegsvolks« (magister populi, später »dictator« genannt), ernennen, dem für die Reiterei ein »magister equitum« zur Seite tritt. – Die herrschende Stellung in Latium, welche die Tarquinier eingenommen hatten, suchte die Republik zu behaupten oder wiederzugewinnen. Den Abschluß der römischen Sagengeschichte – nachher beginnt die große Lücke, welche in jeder ursprünglichen Überlieferung zwischen der Sage und den Anfängen wirklich geschichtlicher Nachrichten liegt – bildet die Erzählung von einer großen Schlacht am See Regillus, in der die Römer mit Hilfe des Kastor und Pollux die rebellischen Latiner niederwarfen. Dem entspricht es, daß eins der ältesten in Rom erhaltenen Denkmäler die eherne Tafel mit der Urkunde des Bundesvertrages war, den der römische Feldherr Spurius Cassius1072 mit den Latinern abgeschlossen hat1073. Die Machtstellung, die er dadurch gewann, verlockte ihn zu dem Versuch, das Königtum zu gewinnen; aber er wurde überwältigt und erschlagen1074. Es fehlte freilich viel, daß alle Latinerstädte sich dauernd [754] der Oberhoheit Roms gefügt hätten. Aber Karthago hat die Neugestaltung der Verhältnisse anerkannt. In einem Handelsvertrage, der noch dem 6. Jahrhundert angehört1075 und der römischen Schiffahrt die früher (o. S. 654f.) besprochenen Beschränkungen auferlegt, verpflichten sich die Karthager, die Küstenstädte Ardea, Antium, Laurentum, Circei, Terracina und die übrigen Rom untertänigen Latiner nicht anzugreifen. Sind Städte nicht untertänig, so dürfen die Karthager sie zwar bekriegen, aber nicht besetzen; wenn sie sie erobern, müssen sie sie an Rom ausliefern; auch dürfen sie im Latinerland kein Kastell erbauen. Man sieht, wie sich an der Westküste Italiens inmitten der Etrusker von Toskana und Kampanien eine neue selbständige Macht auf nationaler Grundlage zu bilden beginnt1076.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 41965, Bd. 3, S. 750-755.
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