Die Tyrannis auf Sizilien

[762] In den sizilischen Städten ist zu Ende des 6. Jahrhunderts die Monarchie fast überall die herrschende Staatsform geworden1084. [762] Genannt werden uns Tyrannen in Zankle, Himera, Selinus, Agrigent, Gela, Leontini1085. Auch Syrakus ist von Parteikämpfen zerrissen1086. Die alte Adelsherrschaft ist durch den Hader der Faktionen gestürzt worden, auf die Demokratie folgt eine Restauration der Herrschaft der großen Grundbesitzer, und gegen diese erhebt sich wieder der Demos in Verbindung mit den Leibeigenen vom Lande, den Killyriern. Auch auf Sizilien führt die Tyrannis zur Bildung einer größeren staatlichen Macht, die hier mehr noch als im Mutterlande den Charakter der Militärmacht trägt, weil die Kämpfe um die Vormacht sich mit dem ununterbrochenen Vordringen gegen die Sikeler verbinden. Sie ist nicht von Syrakus ausgegangen, obwohl dies schon damals an Umfang des Gebiets und wohl auch an Volkszahl alle andern Staaten überragte – die Stadt war durch den inneren Hader gelähmt –, sondern von Gela. Hier ist um 505 die Oligarchie durch Kleandros1087 gestürzt worden, dessen Vater Pantares uns durch ein Weihgeschenk in Olympia bekannt ist (IGA. 512 a). Kleandros wurde im J. 498 durch einen Geloer Sabyllos er mordet; aber sein Bruder Hippokrates behauptete die Herrschaft. Er hat seine Macht weithin ausgedehnt, gestützt auf eine starke Reiterei, die hier anders als im Mutterlande ihre Stellung im Heere behauptete, und das zum Teil aus eingeborenen Söldnern angeworbene Fußvolk. Er eroberte eine große Zahl von Sikelerstädten, darunter Ergetion1088 und Inykon, und zwang die chalkidischen Städte Kallipolis, Naxos, Leontini, seine Oberhoheit anzuerkennen. Die Syrakusaner schlug er am Flusse Heloros1089; nur durch die Intervention von Korinth [763] und Korkyra rettete die Stadt ihre Unabhängigkeit, aber sie mußte das Gebiet von Kamarina1090 abtreten. Auch Skythes, der Herrscher von Zankle, scheint dem Hippokrates untertan gewesen zu sein.

Hier im Norden ist dem Hippokrates in Anaxilaos1091 von Rhegion ein Gegner erstanden. Kaum hatte dieser in seiner Heimat die Aristokratie gestürzt (494 v. Chr.), so versuchte er die Rivalin an der gegenüberliegenden sizilischen Küste mit ihrem prächtigen Hafen in seine Gewalt zu bekommen. Skythes von Zankle1092 hatte nach Ionien die Aufforderung ergehen lassen, ihm Kolonisten zur Besetzung des »schönen Strandes« (Kale Akte) an der Nordküste Siziliens zu senden, und nach der Schlacht bei Lade (495) waren flüchtige Samier und Milesier, welche sich der Perserherrschaft entziehen wollten, dem Rufe gefolgt. Aber Anaxilaos veranlaßte sie, während Skythes mit den Zankläern gegen die Sikeler im Felde lag, die Stadt Zankle selbst zu überfallen und sich hier festzusetzen. Das geschah; die Samier führten den heimtückischen Überfall aus; die verratenen Einwohner wandten sich an Hippokrates um Hilfe. Aber dieser spielte dasselbe falsche Spiel; er setzte den Skythes und seinen Bruder gefangen – Skythes ist dann entflohen und zum Perserkönig gegangen – und schloß mit den Samiern ab. Alle Zankläer, deren man habhaft werden konnte, wurden zu Sklaven gemacht, Stadt und Land ausgeplündert und die Beute zwischen Hippokrates und den Samiern geteilt. Indessen wenn Hippokrates gehofft hatte, so eine dauernde Oberherrschaft über die Stadt zu gewinnen, so täuschte [764] er sich. Einige Jahre später hat Anaxilaos Zankle erobert, die Samier, wie es scheint, wenigstens zum Teil verjagt und neue Einwohner namentlich aus dem Peloponnes hierhergeführt. Das Hauptkontingent stellten flüchtige Messenier, die sich der spartanischen Herrschaft entzogen – vielleicht fällt in diese Zeit ein neuer Aufstand der Messenier gegen Sparta (o. S. 500,1). Nach ihnen erhielt Zankle den Namen Messana, den es bis auf den heutigen Tag bewahrt hat1093. Durch diese Vorgänge hat zugleich das chalkidische Element auf Sizilien einen vernichtenden Schlag erhalten; in der neuen Stadt gewann die dorische Sprache bald das volle Übergewicht (die Münzlegende Μεσσηνίων wird schon nach wenigen Jahren durch die dorische Form Μεσσανίων ersetzt) – ein Vorgang, der um so bezeichnender ist, weil er durch die Chalkidier von Rhegion herbeigeführt wurde. Man sieht, wie wenig die Stammverwandtschaft den politischen Gegensätzen gegenüber bedeutet. – So ist an der Straße von Messina ein kräftiger Staat entstanden, der beide Ufer der Meerenge umfaßte. Anaxilaos war ein tatkräftiger Herrscher. Um der etruskischen Piraterie zu wehren, erbaute er am Eingang der Straße an der italischen Küste das Kastell Skyllaion1094. In den beiden ihm untertänigen Städten hat er eine neue einheitliche Münzprägung geschaffen; von der äginetischen Währung ging er zur euböisch-attischen über, die in den meisten sizilischen Städten bereits herrschte1095. Die Typen hat er teils den samischen Münzen, teils dem messenischen Volksglauben (ein Hase als heiliges Tier des Pan) entlehnt; daneben verewigte er auf ihnen einen mit einem Maultiergespann gewonnenen olympischen Sieg, den er auch durch ein Gedicht des Simonides verherrlichen ließ1096.

[765] Hippokrates ist im Kampf gegen die Sikelerstadt Hybla gefallen (491 v. Chr.); einen Versuch der Geloer, die Freiheit wiederzugewinnen, hat sein Reiteroberst Gelon niedergeworfen. Dann schob er Hippokrates' Söhne beiseite und bemächtigte sich selbst der Herrschaft1097. Er hat die Politik seines Vorgängers fortgesetzt. Eine Revolution in Syrakus und das Hilfsgesuch der vertriebenen Gamoren gab ihm die Möglichkeit, hier zu intervenieren. Da jeder Widerstand aussichtslos war, hat auch der Demos seine Herrschaft anerkannt (485 v. Chr.). Jetzt verlegte Gelon seine Residenz in die neugewonnene Stadt – die Regierung in Gela übertrug er seinem Bruder Hieron – und hat alles getan, sie zu heben und zugleich das weite Gebiet, das er beherrschte, zu einem einheitlichen Staate zu verschmelzen. Er verfuhr dabei mit derselben Rücksichtslosigkeit, die Hippokrates in seinem Verfahren gegen Zankle und gegen die Sikelerstädte, die er knechtete, bewiesen hat. Kamarina, das sich widerspenstig zeigte, wurde aufs neue zerstört1098, die Einwohner nach Syrakus verpflanzt, ebenso ein großer Teil der Bewohner von Gela. Die Städte Megara1099 und Euböa wurden erobert, die Wohlhabenden, obwohl sie dem Gelon feindlich waren, nach Syrakus überführt, die niedere Bevölkerung dagegen außer Landes in die Knechtschaft verkauft. Die sizilische Tyrannis mißtraute dem Demos, während sie in den Besitzenden und vor allem in dem Heer eine feste Stütze suchte. Das Heer hat Gelon vermehrt, eine große Flotte geschaffen und Syrakus zu einer starken Festung gemacht. Durch die zwangsweise Zuführung so zahlreicher Einwohner wuchs die Bevölkerungszahl gewaltig; der Insel gegenüber, auf der die Altstadt lag, entstand ein neuer großer Stadtteil auf den Höhen der Achradina.

Gelon stand in engem, durch gegenseitige Verschwägerung [766] befestigtem Bunde mit Theron von Agrigent, der im J. 488 die Herrschaft über seine Heimat gewonnen hatte1100 und für Agrigent in ähnlicher Weise wirkte wie Gelon für Syrakus. Selbständig standen ihnen von all den zahlreichen Griechenstädten der Insel außer Selinus, über dessen Verhalten wir gar nichts erfahren, nur noch Anaxilaos von Rhegion und Terillos von Himera gegenüber. Es war begreiflich, daß die beiden sich aneinander anschlossen (Anaxilaos heiratete eine Tochter des Terillos) und Rückhalt suchten bei der einzigen Macht, von der sie Rettung hoffen konnten, bei Karthago. Aber auch ohne solchen Anlaß durften die Karthager die Bildung einer sizilischen Großmacht nicht dulden, die deutlich nach der Herrschaft über die ganze Insel strebte und zuletzt ihre Kraft immer gegen die karthagischen Besitzungen werfen mußte. So war ein Kampf unvermeidlich; daß Theron den Terillos von Himera angriff und verjagte, war das Vorspiel der großen Entscheidung.

Hier müssen wir innehalten; auch die Darstellung des geistigen Lebens auf Sizilien unter der Tyrannenherrschaft muß einem späteren Abschnitt vorbehalten bleiben.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 41965, Bd. 3, S. 762-767.
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