Thasischer Krieg. Erdbeben in Sparta und Messenischer Aufstand

[501] Wie alle thrakischen Griechen werden auch die Thasier die Errichtung des Delischen Bundes mit Freuden begrüßt haben; hatte doch die persische Herrschaft schwer auf ihnen gelastet (o. S. 304). Aber als Athen sich an der Strymonmündung festsetzte und die Hände nach der ganzen thrakischen Küste ausstreckte, schlug die Stimmung um. Schon Pisistratos hatte im Minendistrikt des Pangaion, den die Thasier exploitierten, festen Fuß gefaßt (Bd. III2 S. 719; Streitigkeiten über die Grenze brachten den Konflikt zum Ausbruch. Im Sommer 465 sagten die Thasier Athen den Gehorsam auf. Daß sie aus eigener Kraft so wenig imstande sein würden, der erdrückenden Übermacht Athens zu widerstehen, wie ein paar Jahre vorher Naxos, konnte ihnen nicht verborgen sein. Aber sie sahen auch, wogegen die jetzt in Athen herrschende Partei die Augen schloß, daß die Basis der athenischen Politik, die Freundschaft mit Sparta, nicht mehr zu halten war. Sparta hatte Athen umworben und ihm Konzessionen gemacht, solange es selbst in Not war. Nur um so stärker war ihm dadurch ins Bewußtsein geführt, daß es nicht mehr in voller Freiheit schalten konnte. Der Sieg am Eurymedon zwang ihm vollends die Waffen in die Hände, zumal nach dieser gewaltigen Machtentwicklung der Ausgang des eigenen Unternehmens gegen Thessalien nur in um so kläglicherem Licht erschien. Falls Sparta selbst noch Bedenken trug, so gab es für seine wichtigsten, durch Athen unmittelbar bedrohten Bundesgenossen: Ägina, Korinth, die argivischen Küstenstädte, keine Wahl mehr. Sie haben ihren Willen durchgesetzt. Als die Thasier Sparta um Hilfe angingen, erhielten sie die Zusage, man werde ihnen durch einen Einfall in Attika Luft machen.

[501] Inzwischen hatte Kimon die Thasische Flotte geschlagen und die Belagerung der Inselstadt begonnen (Herbst 465). Man benutzte den Anlaß, den vor zehn Jahren gescheiterten Versuch einer Koloniegründung im Strymongebiet zu erneuern. Um sich inmitten einer wilden und kriegerischen Bevölkerung zu behaupten, bedurfte man einer starken Macht; so wurden die Bundesgenossen zur Beteiligung herangezogen. 10000 Mann unter Leagros und Sophanes besetzten die Ebene der »neun Wege« und begannen die Stadtgründung. Aber die Edoner setzten sich zur Wehr und fanden Unterstützung bei den Stammesbrüdern des Hinterlandes. Bei Drabeskos, auf der großen Straße, die durch die Ebene nördlich vom Pangaion zum Nestos führt, kam es zur Schlacht; die Kolonisten wurden aufs Haupt geschlagen und größtenteils vernichtet (Frühjahr 464)576. – Inzwischen hatten die Spartaner den Angriff auf Attika vorbereitet; da traf sie eine Katastrophe, die den Staat an den Rand des Verderbens brachte und seine innere Schwäche allen Augen enthüllte. Ein furchtbares Erdbeben zerstörte die Hauptstadt fast völlig und raubte zahlreichen Bürgern das Leben; das Gymnasium begrub die zum Turnen versammelten Epheben unter seinen Trümmern (Sommer 464). Die Umsicht des Königs Archidamos, der sofort zum Appell blasen und die Bürger unter die Waffen treten ließ, verhütete das Schlimmste; aber durch das ganze Land gab die Katastrophe, welche den Zorn der Götter über die Gewaltherrschaft und die Frevel des Herrenstandes so deutlich verkündete, den Leibeigenen das Signal zum Aufstand577. Das Zentrum der Empörung war auch [502] diesmal die messenische Ebene; auch zwei Periökenstädte, Thuria und Aithaia, schlossen sich hier den rebellischen Bauern an. Zuerst errangen sie manche Erfolge über die vereinzelten Gegner; bei [503] Stenyklaros fingen sie ein Korps von 300 Mann ab und hieben sie sämtlich nieder. Dann aber erfochten die Spartaner einen entscheidenden Sieg am »Isthmos«, der die Insurgenten zwang, sich auf die Burg des Landes, den weit in die Ebene vorspringenden Berg Ithome, zurückzuziehen, auf dem sich ihre Vorfahren schon einmal jahrelang gegen ihre Dränger behauptet hatten. Hier wurden sie von den Spartanern eingeschlossen, das flache Land wieder unterworfen. Die Gefahr für den Staat war vorüber; aber an auswärtige Unternehmungen konnte Sparta auf Jahre hinaus nicht denken.

So blieben die Thasier sich selbst überlassen. Sie haben sich lange gewehrt; erst im dritten Jahre der Belagerung, 463, hat die Stadt kapituliert. Sie mußte die Schiffe ausliefern, die Mauern niederreißen, eine schwere, auf mehrere Jahre verteilte Kriegskontribution zahlen – dafür wurde ihr allerdings der Tribut zunächst sehr niedrig bemessen, nur auf drei Talente jährlich –, außerdem ihre festländischen Besitzungen und vor allem ihren Anteil an den Goldminen des Pangaion aufgeben. Dadurch kam Athen in den Besitz des ganzen Küstenstrichs vom Mündungsgebiet des Strymon bis zum Ostfuß des Pangaion. Hier aber kreuzten sich seine Interessen mit denen der aufstrebenden Binnenmacht Makedonien578. Seit der Pisistratidenzeit stand Athen in guten Beziehungen zu den makedonischen Königen, die durch die Dienste, die Alexander I. Athen im Perserkriege geleistet hatte, noch gesteigert und von Athen durch Ehrendekrete anerkannt waren579. Aber innerlich verschob sich allmählich das Verhältnis. Seit dem Wegfall der fremden Oberhoheit suchte Alexander sein Reich zu mehren wie seine Vorfahren. Im Süden war ihm Pierien am Fuß des Olympos mit der Stadt Pydna untertan, ebenso das Mündungsgebiet des Haliakmon und Axios und jenseits desselben die wichtige Hafenstadt Therme580; die Griechenstädte Methone und Aison [504] in Pierien, Mitglieder des Delischen Bundes, waren rings von makedonischem Gebiet umschlossen. Im Binnenlande dehnte Alexander seine Macht weit über den Axios bis zum Strymon hin aus; er schlug die thrakischen Stämme, die Mygdonen, Grestonen, Bisalten, aus dem Hinterland der Chalkidike heraus oder unterwarf sie. Im mittleren Strymongebiet, im Päonerland, besetzte er das Gebiet des Prasiassees, mit einem großen Silberbergwerk, das ihm täglich ein Talent abwarf – mit ihm beginnt die makedonische Silberprägung, die sich eng an die der Bisalten und anderer thrakischer Häuptlinge und Stämme anschließt581. So war Anlaß genug zum Konflikt vorhanden; Athen mußte streben, Makedonien niederzuhalten und kommerziell und politisch zu beherrschen. Aber Kimon ist auf das Drängen der Kriegspartei nicht eingegangen; er mochte wenig Neigung haben, mit dem befreundeten König zu brechen und sich auf ein weitaussehendes Unternehmen einzulassen, bei dem ein dauernder Erfolg recht zweifelhaft, dagegen sicher war, daß man einen unbequemen Freund in einen Todfeind verwandeln würde. Noch mehr hat indessen offenbar auf ihn gewirkt, daß die inzwischen in Athen eingetretene Wendung und das Verhältnis zu Sparta seine Rückkehr dringend nötig machten. So ist er etwa gegen Ende des Sommers 463 mit der Beute von Thasos in die Heimat zurückgekehrt.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 61965, Bd. 4/1, S. 501-505.
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