Cyprische Expedition. Friede mit Persien

[577] Kimon hatte sich bei seiner Rückberufung den bestehenden Verhältnissen gefügt und mit der neuen Verfassung zugleich die führende Stellung des Perikles und seiner Genossen anerkannt. Indem er, seinen alten Tendenzen folgend, den Waffenstillstand mit Sparta vermittelte, diente er doch nur ihrer Politik. Jetzt [577] aber, wo man den Rücken gedeckt hatte, trat er mit der Forderung auf, gegen den eigentlichen Gegner, den Perserkönig, den Kampf um so energischer fortzusetzen. Perikles mochte Bedenken genug haben und die Erfolglosigkeit des Unternehmens voraussehen; aber allerdings ließ sich mit vollem Recht behaupten, daß eine neue Machtentfaltung im Orient nach dem vollständigen Scheitern der ägyptischen Expedition dringend geboten war. Man durfte nicht eingestehen, von Persien besiegt zu sein und den nationalen Kampf aufgegeben zu haben, weil man ihn nicht fortführen konnte – und im übrigen wäre es so aussichtslos wie gefährlich gewesen, der Forderung des alten Persersiegers entgegenzutreten. Die neue Flotte war fertig; so ging Kimon im Jahr 449 mit 200 Schiffen nach Cypern in See. Sechzig davon schickte er nach Ägypten, um mit Amyrtäos (o. S. 570) den Versuch der Insurrektion Ägyptens zu wiederholen. Mit den übrigen Streitkräften wandte er sich gegen Kition, den Hauptsitz der Phöniker auf der Insel. Die griechischen Städte, vor allem Salamis, werden sich ihm angeschlossen haben. Aber ein neuer Erfolg war ihm nicht mehr beschieden; während der Belagerung von Kition ereilte ihn der Tod, im glücklichsten Moment, noch in voller Erwartung des Sieges, ehe der unvermeidliche Rückschlag eintrat und die Ziele, denen er nachstrebte, zum zweiten Male als Wahngebilde enthüllte665.

[578] Mit Kimons Tod kam in Athen die Friedenspartei ans Ruder. Ein geeigneter Feldherr für den Perserkrieg war nicht mehr vorhanden, der Enthusiasmus war verraucht, und deutlich kam zum Bewußtsein, daß weitere Erfolge nicht mehr zu gewinnen seien; auch kommt in Betracht, daß die Vertreter der Kriegspolitik großenteils beim Heer standen und nicht mitstimmen konnten. Der Führer der Friedenspartei war Perikles, der jetzt nach dem Tod des Rivalen – auch Männer wie Myronides werden inzwischen gestorben sein – die alleinige Leitung der athenischen Politik gewann. Es wurde beschlossen, die Flotten aus Cypern und Ägypten abzuberufen und eine Gesandtschaft unter Führung des Kallias, des ehemaligen Schwagers Kimons (o. S. 480), zu Unterhandlungen nach Susa zu schicken. Inzwischen hatten die Perser eine starke Flotte gerüstet und eine Armee nach Cypern geworfen. So erfolgte der Abzug der Athener nicht ohne schwere Kämpfe. Nachdem man die Belagerung von Kition, die nicht von der Stelle gerückt war, aufgegeben hatte, wollte die Flotte die Landtruppen in Salamis aufnehmen. Aber die phönikischen und kilikischen Schiffe traten ihr entgegen: es kam zu einer großen Seeschlacht, in der die Athener noch einmal einen vollen Sieg erfochten und 100 feindliche Schiffe nahmen. Gleichzeitig hatten auch die Landtruppen siegreich gekämpft, freilich mit schweren Verlusten; unter den Gefallenen war auch der Feldherr Anaxikrates. Es war der letzte Kampf und der letzte Sieg des Perserkriegs; so ist es begreiflich, daß man die Waffentat als einen glänzenden Erfolg verherrlichte – »nie seit das Meer Europa von Asien trennt und der wilde Krieg die Städte der Menschen heimsucht, ist eine derartige Tat vollbracht zugleich zu Land und zur See; gewaltig schrie Asien auf unter dem Doppelschlag, von beiden Händen getroffen«, heißt es auf dem Siegesdenkmal in Athen. Die Schlacht, die in Wirklichkeit nur den Rückzug ermöglicht hat, sollte dem Publikum und der Nachwelt als der glorreiche Abschluß eines vierzigjährigen erfolggekrönten Krieges erscheinen.

Bald darauf begannen die Friedensverhandlungen in Susa. Kallias konnte den Persern die Überlassung des Ostmeers, den Verzicht auf Ägypten und Cypern bieten. Dafür verlangte er die [579] Anerkennung des attischen Machtbereichs und der Freiheit der zu ihm gehörigen ehemals persischen Küstengebiete. Dazu aber konnte sich die persische Regierung nicht verstehen; ein offizieller Verzicht auf Provinzen des Reichs, eine Freigebung rebellischer Untertanen war ehrenrührig für die Würde des Königs; und ein Zwang dazu lag um so weniger vor, wo der Wunsch Athens, zum Frieden zu gelangen, so deutlich hervortrat. Andererseits dachte man jetzt so wenig wie während des letzten Menschenalters daran, offensiv vorzugehen; für den Augenblick war, das hatte die letzte Niederlage der Flotte auf Cypern aufs neue gezeigt, das Verlorene mit Gewalt nicht wiederzugewinnen. Aber man konnte abwarten; wenn man die Rechte des Reichs wahrte, war ein Friedensschluß auch für Persien ein großer Gewinn. Konnte doch der Krieg in Ägypten jeden Augenblick wieder größere Dimensionen annehmen. Überdies hatte sich um diese Zeit in Syrien der Satrap Megabyzos, der Sieger von Prosopitis, empört (u. S. 711); wenn er sich mit Athen verband, konnte der Krieg sehr gefährlich werden. So war man bereit, den athenischen Besitzstand tatsächlich anzuerkennen und sich zu verpflichten, nichts gegen denselben zu unternehmen. Schon bisher hatte der König die abgefallenen Städte unbehelligt gelassen und ruhig ertragen, daß die Tribute von ihnen nicht eingingen; er war bereit, seine Rechte auch ferner ruhen zu lassen. Mehr zu erreichen war die attische Gesandtschaft nicht imstande; so nahm sie das Gebotene an. Der König verpflichtete sich, kein Kriegsschiff vom Schwarzen Meer aus über den Eingang des Bosporus, die Kyaneen, vom Ostbecken des Mittelmeers aus über die Ostgrenze Lykiens, die Stadt Phaselis und die Chelidonischen Inseln, hinauszuschicken und kein Landheer in die Nähe der Meeresküste zu führen, »auf einen Pferdelauf«, wie die Formulierung gelautet zu haben scheint. Damit waren die Küsten des Ägäischen Meers und der Propontis tatsächlich den Athenern überlassen. Abgetreten wurde nichts, und daher konnte auch von einer Festsetzung der Grenze oder auch nur von einer Aufzählung der zum attischen Machtgebiet gehörigen Orte nicht die Rede sein – deshalb stand auch nichts im Wege, daß Athen Küstenstädte, die sich freigemacht hatten und von Persien nicht angegriffen wurden, in [580] sein Gebiet einzog; das ist in der Folgezeit in Kilikien und am Schwarzen Meer geschehen. Gegen einen Angriff war das attische Schutzgebiet durch das Versprechen des Großkönigs geschützt; aber freiwillig konnten die Städte jederzeit unter seine Herrschaft zurücktreten, ohne daß Athen ein rechtlicher Einspruch dagegen zustand. Ebenso blieben diejenigen Orte des Küstengebiets, die sich dem Delischen Bund nicht angeschlossen hatten, wie Smyrna, Adramytion, Gergis in Troas und manche Orte an der Propontis nach wie vor unter persischer Herrschaft. Nur eine Festsetzung der Höhe der Abgaben, welche Persien in den ihm überlassenen Orten, vor allem wohl auf Cypern, erheben durfte, scheint Athen erreicht zu haben. Auf diese Bedingungen wurde der Kriegszustand zwischen beiden Staaten beendigt und der Verkehr zu Land und zur See freigegeben. Ein formeller, feierlich beschworener Friedensschluß war das nicht – daher wurde auch keine Vertragsurkunde darüber in Athen aufgestellt –, sondern ein durch eine bindende Erklärung des Großkönigs bekräftigtes Abkommen666. Es ist begreiflich, daß man in Athen mit dem Erreichten keineswegs zufrieden war, und wohl glaublich, daß Kallias mit schweren Vorwürfen empfangen wurde; er soll bei der Rechenschaftsablage in eine Buße von 50 Talenten verurteilt sein, weil er sich habe vom Großkönig bestechen lassen667. Hatte man doch auf alles verzichten müssen, was man seit der Wiedereröffnung des Kriegs im Jahr 459 erstrebt hatte; und dafür war nicht einmal eine rechtliche Anerkennung des Besitzstandes erreicht. Mehr war freilich nicht zu erlangen, und an eine Verwerfung des Abkommens war nicht zu denken. Zu groß war der Gewinn des endlich erreichten Friedenszustands, [581] der zugleich die Aussicht eröffnete, durch Erschließung des Ostens für den attischen Handel den Wohlstand Athens gewaltig zu heben. Man hat denn auch der Friedensgöttin einen Altar errichtet. Aber besonders ruhmreich war das Abkommen allerdings nicht. Erst zwei Generationen später, als die Weltlage sich vollständig zugunsten Persiens verschoben hatte, hat man es vorgezogen und für einen glänzenden Ruhmestitel Athens, für den Höhepunkt der griechischen Geschichte ausgegeben668.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 61965, Bd. 4/1, S. 577-582.
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