Allianz zwischen Athen und Sparta. Anfänge des peloponnesischen Sonderbunds

[179] Der Friede war geschlossen; es kam darauf an, die Bedingungen auszuführen. Sparta, das nach der Entscheidung des Loses den Anfang machen mußte170, ließ die Gefangenen frei und sandte Befehl an Klearidas, der in Amphipolis kommandierte (s.S. 128), die Stadt an Athen zu übergeben und die übrigen Bestimmungen des Vertrages über Thrakien zu erfüllen. Aber er weigerte sich: die Bedingungen seien durchaus gegen Spartas Interesse, auch sei es unmöglich, Amphipolis gegen seinen Willen den Feinden auszuliefern. Er eilte selbst nach Sparta, um sich zu rechtfertigen und womöglich noch nachträglich eine Änderung der Bestimmungen durchzusetzen. Das war nun freilich nicht tunlich; vielmehr sandten ihn die Spartaner zurück mit dem Auftrag, wenn irgend möglich Amphipolis zu übergeben, jedenfalls aber die peloponnesische Besatzung fortzuführen. – Währenddessen versuchte Sparta, die Korinther, Megarer, Elier, Böoter zu bestimmen, dem Frieden beizutreten, aber ohne Erfolg: das Zerwürfnis mit seinen bisherigen Bundesgenossen war nicht mehr zu beseitigen. Und zugleich [179] scheiterte der Versuch, den Vertrag mit Argos zu erneuern, an den Forderungen, die dieses stellte (s.S. 129f.). Um so mehr sah sich Sparta dazu gedrängt, bei Athen festen Rückhalt zu suchen. Wenn es hier gedeckt war, konnte es die Feindschaft von Argos und die Opposition seiner Bündner ruhig mit ansehen; isoliert waren alle diese Staaten zusammen ihm nicht gefährlich. Auch konnte man nur durch weiteres Entgegenkommen hoffen, Athen trotz der in Amphipolis entstandenen Schwierigkeiten zur Rückgabe der Gefangenen und Räumung des spartanischen Territoriums zu bewegen. Daher machte man alsbald nach dem Frieden Athen den Vorschlag, eine Defensivallianz zwischen beiden Staaten abzuschließen.

So bot sich für die athenische Politik eine unvergleichliche Aussicht: der volle Gewinn des zehnjährigen Kampfes schien Athen zuzufallen. Das alte Verhältnis der beiden griechischen Großmächte stellte sich wieder her, aber nicht mehr so, daß Sparta den Ehrenvorrang hatte, sondern daß es, um seine Stellung im Peloponnes zu behaupten, Schutz suchte bei dem mächtigen Rivalen. Damit fiel Athen die Führung zu; die spartanische Politik wurde tatsächlich abhängig von Athen. Es ist selbstverständlich, daß die Friedenspartei zugriff; aber sie vertrat damit nur die wahren Interessen ihres Staates. Es war der Triumph einer zielbewußten, die realen Verhältnisse verständig abschätzenden Politik im Gegensatz zu dem wilden und ziellosen Eroberungstreiben der Radikalen. So haben dieselben Männer, die den Frieden geschlossen hatten, Laches und Nikias voran, wenige Wochen nachher ein Bündnis gleichfalls auf fünfzig Jahre mit Sparta abgeschlossen und beschworen171. Es bestimmte, daß wenn einer der beiden Staaten von einem Feinde angegriffen werde, der andere mit voller Macht in den Krieg eintreten und beide den Krieg gemeinsam auch offensiv fortsetzen [180] sollten, wenn der Feind abgezogen sei; Friede solle nur gemeinsam geschlossen werden. Ebenso sollte Athen Sparta Hilfe leisten, wenn die Heloten sich erhöben. Alljährlich sollte das Bündnis mit dem Friedensvertrag zusammenbeschworen werden. Ähnlich wie in diesem stand am Schluß die Klausel, wenn man nach gemeinsamem Beschluß etwas an diesem Vertrage ändern wolle, solle es bindend sein, als wenn es in der Urkunde selbst stände. Das war, wie die Gegner sofort erkannten, keineswegs nur als Formalität gemeint; vielmehr war damit die Möglichkeit gegeben – und die weitere Entwicklung der Dinge im Peloponnes, die man voraussetzen konnte, mußte dazu führen –, die Defensivallianz weiter zu einem Schutz- und Trutzbündnis zu gemeinsamer Beherrschung von ganz Hellas zu entwickeln. Der geeinten Macht beider Staaten konnte dann kein Staat in Griechenland widerstehen. Das Verhältnis zu Sparta in dieser Richtung weiterzubilden, sich dem Eurotasstaat unentbehrlich zu machen und ihn dadurch ganz ins Schlepptau der eigenen Politik zu ziehen, mußte das Ziel jeder besonnenen Staatsleitung Athens sein. Der Gewinn war so groß, daß er die Konzession reichlich lohnte, jetzt schon die Gefangenen an Sparta zurückzugeben, mochten auch die Verhältnisse in Thrakien noch nicht geordnet und ihre Ordnung nach den Bestimmungen des Friedens noch nicht so bald zu erwarten sein.

Die Wirkung der Allianz mit Athen auf Spartas Bundesgenossen war niederschmetternd. Sie fühlten sich jetzt von dem Staat, auf den sie vertraut hatten, vollkommen preisgegeben, ja verraten; sie sahen sich bereits unmittelbar in ihrer Unabhängigkeit bedroht. Hatte doch Sparta beim Abschluß des Vertrages auf seine Verbündeten gar keine Rücksicht genommen, ja in der Klausel über zukünftige Änderungen diese sich allein im Einverständnis mit Athen vorbehalten, ohne die Bundesgenossen auch nur zu erwähnen. Was konnte das anders bedeuten, als daß Sparta sich anschickte, jetzt mit Athens Hilfe den Peloponnes zu unterjochen? Die einzige Rettung, die es noch gab, war enger Anschluß an Argos. Sofort sagte Mantinea mit den von ihm abhängigen Gemeinden, das sich am unmittelbarsten bedroht sah (s.S. 129), den Spartanern auf und schloß ein Bündnis mit Argos; und bei den meisten anderen [181] Städten war es nur die Furcht, die sie vor dem gleichen Schritt noch zurückhielt. Am schwersten getroffen aber fühlte sich Korinth, das von all den Zielen, um derentwillen es zum Kriege getrieben hatte, kein einziges erreicht sah, dafür aber Sollion und Anaktorion und seine ganze Stellung im Westen verloren hatte und überdies die schmähliche Preisgabe der thrakischen Städte mit Recht besonders schwer empfand. Jetzt war es völlig isoliert und durch die Allianz zwischen Sparta und Athen unmittelbar bedroht, da es mit diesem noch im Kriege stand, wenn auch die Feindseligkeiten ruhten. Es suchte daher einen Rückhalt einmal in Böotien, sodann aber trotz des Gegensatzes der Verfassungen in Argos. Gleich nach dem Abschluß des Bündnisses zwischen Athen und Sparta knüpften die korinthischen Gesandten mit angesehenen Argivern Verhandlungen an: Argos solle alle griechischen Städte, die in Wahrheit an der altererbten Autonomie festhalten wollten, einstweilen in geheimen Verhandlungen zu einem großen Defensivbund gegen jeden Feind der Freiheit, d.h. gegen Athen und Sparta, auffordern. Behörden und Volk von Argos gingen voll Freude auf den Vorschlag ein, der ihnen die Aussicht eröffnete, die Führerschaft in Hellas zu gewinnen und zugleich zu der ersehnten Abrechnung mit Sparta zu gelangen; nach so langer und einträglicher Friedenszeit fühlten sie sich volkreich und kräftig genug, um endlich wieder einmal, wie vor alters, eine große Politik zu treiben. Sie begannen zu rüsten und setzten eine Kommission von 12 Männern ein, welche den großen Bund zustande bringen sollte. Vergeblich erhob Sparta in Korinth Gegenvorstellungen und berief sich auf die beschworenen Satzungen des peloponnesischen Bundes, welche bestimmten, daß jeder Staat sich der Majorität fügen und so auch Korinth den Frieden mit Athen anerkennen müsse. Die Korinther führten dagegen die Eide an, die man den Chalkidiern geschworen habe; den Eidbruch, den Sparta hier begehe, nicht mitzumachen, seien sie den Göttern gegenüber verpflichtet. Alsbald trat durch Korinths Vermittlung Elis in den Bund mit Argos, ebenso die Chalkidier Thrakiens. Elis und Mantinea, demokratisch und kriegslustig, schlossen mit Argos eine Offensiv- und Defensivallianz. So weit wollte Korinth nicht gehen; es begehrte nur Sicherung und begnügte [182] sich daher mit der Defensivallianz. Noch mehr hielten sich Megara und Böotien zurück, weil sie zu der Demokratie in Argos kein Zutrauen fassen konnten; sie lehnten nicht offen ab, verschoben aber den Beitritt bis auf weiteres. Korinths Bemühungen, auch Tegea zu gewinnen, scheiterten dagegen vollkommen; durch den Gegensatz zu Mantinea war sein Todfeind jetzt eng an Sparta geknüpft. So war der Peloponnes in zwei Teile zerrissen. Zum offenen Krieg kam es noch nicht; aber die Feindseligkeiten begannen bereits im Sommer 421. Die Spartaner unter König Pleistoanax rückten in das Gebiet der von Mantinea unterworfenen Parrhasier (s.S. 129) ein. Trotz der Hilfe, die Argos leistete, konnte Mantinea eine Feldschlacht gegen das Gesamtaufgebot Spartas nicht wagen und mußte es geschehen lassen, daß seine Untertanen wieder frei wurden und die Spartaner die hier angelegte Zwingburg niederrissen.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 51965, Bd. 4/2, S. 179-183.
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