Die Krisis und die Religionsverfolgung

[389] Zunächst mochte Amenophis glauben, daß die Verehrung des Sonnengottes in seiner wahren Gestalt als Aten, als Sonnenscheibe, lediglich den der überlieferten Religion zugrunde liegenden Anschauungen den richtigen Ausdruck geben und sich daher mit dem bestehenden Pantheon noch vertragen könne. Aber ein solcher Kompromiß ließ sich nicht aufrecht erhalten. Wohl mochten sich auch unter den Priestern einzelne Apostaten finden; als Ganzes dagegen war die Priesterschaft überall mit dem alten Glauben untrennbar verwachsen, vor allem aber die Stellung der Amonpriester von Theben durch den neuen Obergott in ihren Grundlagen angetastet. Die Stimmung der Volksmassen stand ganz auf ihrer Seite; die neue, von einem Bruchteil der Oberschicht ausgehende Bewegung war ihnen vollkommen fremd und unverständlich. So war ein Zusammenstoß unvermeidlich. In dem großen Edikt über die Gründung seiner neuen Hauptstadt in Amarna redet der König von einem Vorfall im 4. Jahre seiner Regierung, der ärger gewesen sei als alles, was seine letzten Vorgänger751 erlebt hatten (wie es scheint, bei Aufständen der besiegten Untertanen) – alles weitere ist leider hoffnungslos zerstört. Offenbar handelt es sich um einen großen Aufstand, der mit Waffengewalt niedergeworfen werden mußte.

In dieser Lage lag die Entscheidung beim Militär. In den Grabreliefs von Amarna ist der König immer von einer starken Leibwache umgeben. Während diese in den älteren [389] Darstellungen, z.B. in Dêr el Baḥri, immer nur aus ägyptischer Infanterie besteht, kommen hier regelmäßig fremde Truppen hinzu, syrische Lanzenkämpfer, libysche Schützen, Neger mit Bogen und Dolchmessern oder auch mit Keulen. Diesen ausländischen Soldknechten752 war die Religion, um die gekämpft wurde, völlig gleichgültig; aber dem König waren sie ergeben und standen ihm unbedingt zur Verfügung. Nur dadurch, daß er sich auf sie stützen konnte, ist die Bezwingung der Aufstände und die Durchführung der religiösen Umwälzung ermöglicht worden.

Die Krisis des Jahres 4 hat die letzte Entscheidung herbeigeführt. Noch in demselben Jahre entschloß sich der König, der widerspenstigen Amonsstadt den Rücken zu wenden: feierlich verkündet er, daß sein Vater Aten ihm eingegeben habe, ihm eine neue, nur ihm angehörende Kultstätte zu gründen. Für die Neugründung wählte er eine bisher unbewohnte Stätte in Mittelägypten, etwas oberhalb von Hermopolis, eine kleine, rings von Höhenzügen und Wüste umschlossene Ebene am rechten Nilufer (jetzt el 'Amarna). Ausdrücklich versichert er, daß das Stadtgebiet bisher weder einem Gott noch einem Stadtfürsten gehört, er also keinerlei Eigentumsrechte verletzt habe. Auch die neue Religion hält fest an der uralten, den ganzen Kultus Ägyptens beherrschenden Anschauung, daß jede Gottheit, wenn sie auch am Himmel weilt, doch im Niltal eine Stätte haben muß, die ihr als Eigentum angehört, »ihre Stadt«, in der sie wohnt und die den Mittelpunkt ihres Kultus bildet. Ohne eine solche kann man sich auch den Aten nicht denken, wenngleich er der Menschheit tagtäglich sichtbar erscheint. So erhält die Neugründung den Namen Acht-aten, »Horizont des Aten«, gewissermaßen die Projektion seiner [390] himmlischen Wohnung auf die Erde. Untrennbar mit ihm verbunden ist der König, der Verkünder seiner Lehre; hier will er fortan residieren, hier sein Grab anlegen, in das, auch wenn er an einem anderen Orte sterben sollte, seine Leiche überführt werden soll, ebenso wie die der Königin und ihrer Kinder. Königskult und Atenkult fließen ineinander; so wird der Gottesname ganz nach dem Schema des Königsnamens ausgestattet, nach ihm datiert wie nach dem König, mit diesem zusammen feiert auch der Gott die Jubiläen der Seţfeste753. In der Gründungsurkunde von Acht-aten werden ausführlich die einzelnen Baulichkeiten des geplanten Tempels aufgezählt, ebenso die Anlage des Palastes und vor allem der Gräber für den König und seine Familie sowie für die Priester und Beamten. Die enge Verknüpfung der ganzen Bewegung mit dem Sonnenkult von Heliopolis tritt deutlich darin hervor, daß der Oberpriester des Aten denselben Titel ur-mau erhält, wie der dortige, und daß auch der zum Kult des Atum gehörende Stier Mnevis hier ein Grab erhalten soll – diese Gestalt des Tierdienstes wird also als legitim anerkannt754.

Dagegen setzt jetzt die rücksichtslose Verfolgung des Amon ein. Er wird behandelt wie ein Usurpator, der sich widerrechtlich ein Amt angemaßt hat, das ihm nicht zukommt: seine Statuen werden zerschlagen, seine Reliefbilder weggemeißelt, [391] sein Name ausgekratzt, wo immer er sich findet, sogar in den Keilschriftbriefen im Archiv von Amarna, und so seine Existenz vernichtet. Denn das ist der Sinn dieses Vorgehens: indem man Namen und Bild zerstört, tötet man den Gott selbst, der in ihnen lebt wie der Geist des Toten in den Bildern seines Grabes. Wie die Verfolgung der Ḥatšepsut und ihrer Gehilfen durch Thutmosis III. hat sich auch die Verfolgung Amons über ganz Ägypten und Nubien erstreckt. Man kann sich vorstellen, wie die Soldateska des Königs sich über alle Kultstätten ergoß, jeden Widerstand niederschlug, wie unter ihrem Schutz der verhaßte Gottesname bis in die entlegensten Winkel der Tempelinschriften wie der Grabinschriften getilgt und die Fortführung des Kultus unterdrückt wurde, so daß die Tempel leer standen und verfielen.

Nicht viel besser ist es alsbald755 auch den übrigen Göttern, mit Ausnahme der solaren Götter wie Atum und Horus, ergangen; immer deutlicher kam zum Bewußtsein, daß auch ihre Existenz sich mit der Allgewalt des éinen Sonnengottes nicht vertrug. So sind auch ihre Namen zerstört worden, wenn auch nicht ganz mit dem wilden Haß wie der des Amon; gelegentlich ist sogar das Wort »Götter« getilgt, weil der Plural dem Monotheismus widersprach.

Auch für seinen eigenen, mit dem Amons gebildeten Namen hat der König die Konsequenz gezogen: seit seinem 6. Jahr hat er ihn durch den Namen Echnaten ersetzt756. Auch im Namen seines Vaters hat er den Amon tilgen lassen und nennt ihn, den er im übrigen, ebenso wie dessen Adoptivvater [392] Thutmosis IV. und vermutlich auch andere seiner Vorgänger, in hohen Ehren hält und auch in der neuen Hauptstadt bildlich darstellt und beschenkt, immer nur mit seinem Thronnamen, unter dem er ja zugleich der Götterwelt angehört (o. S. 329).

Gleichzeitig wurde der Bau der neuen Hauptstadt mit regstem Eifer betrieben; schon nach zwei Jahren, im Frühjahr seines 6. Jahres, konnte der König mit seinem Hofstaat dorthin übersiedeln. Damals hat er auch das weite Kulturland gegenüber auf dem linken Nilufer bis an die Höhen der Wüste im Westen dem Stadtgebiet oder vielmehr dem Aten als Eigentum zugewiesen. Zugleich gelobte er feierlich, er wolle fortan die Grenzen, die er überall durch große Inschriftentafeln festlegte, nicht mehr überschreiten, also ganz auf dem heiligen, niemals durch einen falschen Gott entweihten Boden des Sonnengottes leben; zwei Jahre darauf hat er diesen Eid nochmals erneuert.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 41965, Bd. 2/1, S. 389-393.
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