Salomo

[262] Über Salomo liegen lebensvoll gestaltete Erzählungen der Art wie über David nicht mehr vor; was auf uns gekommen ist, sind eine ausführliche Beschreibung seiner Bauten sowie abgerissene Notizen verschiedenen Wertes, die zum Teil aus einem größeren Geschichtswerk exzerpiert zu sein scheinen, aber oft durch jüngere, grob verherrlichende Zusätze entstellt sind. Eine zusammenhängend fortlaufende Darstellung seiner Regierung ist daher nicht möglich. Für die Tradition ist er ein »Weiser«, der alle anderen Menschen an Einsicht übertroffen hat und dem man zahlreiche Sprüche und Lieder zuschrieb. Er mag auch wirklich, wie so mancher orientalische Herrscher, geistig hervorragend begabt gewesen sein und Freude daran gehabt haben, [262] seine Überlegenheit in geistreichen Aussprüchen zu zeigen; damit verträgt sich sehr gut, was uns als Hauptzug seiner Regierung entgegentritt, die Liebe zu Prunk und Luxus und ihre Betätigung in großen Bauten. Der Vater hatte seinem Reich eine geachtete Stellung gewonnen; der Sohn suchte sie dadurch zu erweitern, daß er es in Auftreten und Hofhalt den Königen von Tyros und von Ägypten gleichtat. Zu beiden bestanden gute Beziehungen; Chiram schickte zur Thronbesteigung eine Gesandtschaft, der Pharao, vermutlich Psusennes II., der letzte König der einundzwanzigsten Dynastie, gab ihm seine Tochter zur Gemahlin und eroberte für sie als Mitgift die Stadt Gazer, die letzte noch selbständige Kanaanaeerstadt in Palaestina591. Diese Ehe, auf die er in der Tat stolz sein durfte, scheint den entscheidenden Anstoß für den Entschluß zum Palastbau gegeben zu haben; die ägyptische Königstochter konnte in dem einfachen Hause, das sich David erbaut hatte, nicht dauernd bleiben592.

Von den Bauten Salomos ist im Königsbuch eine ziemlich eingehende Beschreibung erhalten, die allerdings beim Tempel vielfach durch spätere Einschübe entstellt ist, die den Glanz des Gebäudes weiter ins ungemessene steigern593. Dem Interesse der Folgezeit entsprechend, steht in ihr der Tempel nebst seinen Prunkstücken durchaus im Vordergrund; in Wirklichkeit dagegen handelte es sich für Salomo um die Erbauung einer prachtvollen Königsburg, zu der außer den Wohnräumen und Verwaltungsgebäuden auch ein Gotteshaus gehörte. So ist [263] denn auch am Tempel sieben, am Palast aber dreizehn Jahre lang gebaut worden594.

Die durch die Bauten gestellte Aufgabe ging über die technischen und künstlerischen Fähigkeiten der Israeliten weit hinaus und ließ sich nur durch Heranziehung phoenikischer Werkmeister und Techniker ausführen; und ebensowenig konnte man der Zedern und Zypressen des Libanon entbehren. So schloß Salomo mit Chiram einen Vertrag, in dem dieser für die Lieferung des Holzes alljährlich 20000 kor Weizen (72880 Hektoliter) und 20000 bat Öl (7288 Hektoliter) lieferte; außerdem hat er ihm für 120 Talente Gold, das er zu seinen Prunkgeräten brauchte, den Grenzbezirk Kabûl mit 20 Ortschaften abgetreten595. Im Frühjahr seines 4. Jahres wurde der Bau begonnen. Durch umfangreiche Aufschüttungen auf der Höhe des schmalen Felsrückens wurde die Baufläche geebnet. Die Arbeitskräfte beschaffte er dadurch, daß er die Fronpflicht der Kana'anaeer auch auf die Israeliten ausdehnte; 30000 Mann soll er dafür ausgehoben haben, von denen jeden Monat 10000 in den Libanon geschickt wurden, um das Holz zu fällen und ans Meer zu schaffen, von wo es dann nach Palaestina verflößt und nach Jerusalem hinaufgeschafft wurde596. Dazu kamen dann die Arbeiter in den Steinbrüchen Palaestinas und auf der Baustelle selbst; die Blöcke regelrecht zu großen Quadern zu behauen, hatte man von den Phoenikern gelernt. Für die Metallarbeiten berief er einen Erzgießer aus Tyros, der auch den Namen Chiram führte597, der [264] außer mehreren im phoenikischen Mischstil mit Keruben, Löwen und Stieren sowie Pflanzenornamenten geschmückten bronzenen Kesselwagen und einem großen, von Stieren getragenen Wasserbecken (dem »Meer«) zwei mächtige eherne Säulen goß, die am Eingang des Tempels standen598. Mit Unrecht hat man in diese Kunstwerke und vor allem auch in die beiden für uns nicht weiter erklärbaren Namen Jakîn und Bo'az, die die Säulen tragen, alles mögliche hineingeheimnißt; es ist einfach die übliche Dekoration der phoenikischen Vorbilder, die keinerlei religiöse oder symbolische Bedeutung hatte, auch in Jerusalem übernommen worden.

Im Gegensatz zu diesen Metallarbeiten sind die beiden kolossalen, 10 Ellen (ca. 5 Meter) hohen Kerube aus Ölbaumholz, mit weit ausgebreiteten Flügeln, offenbar von einheimischen Holzschnitzern gearbeitet. Sie standen in dem dunklen Hinterraum des Tempels, der, wie in den ägyptischen Tempeln, den eigentlichen Kultraum, das Adyton (»Allerheiligste«) bildete; unter ihnen wurde bei der Einweihung die Lade Jahwes aufgestellt; damit hielt, in eine Wolke verhüllt, der Gott selbst seinen Einzug, um fortan, wie es ein Weihspruch Salomos ausspricht, hier im Dunkel seines Hauses in Ewigkeit zu wohnen599.

Durch diese Bauten hat die Hauptstadt ein ganz anderes Aussehn erhalten als unter David. Auch die Ringmauer wurde erweitert, ein starkes Kastell (Millo) hinzugefügt. Dazu kamen Festungsbauten in nicht wenigen anderen Städten; so vor allem [265] in dem vom Pharao eroberten und niedergebrannten Gazer, das jetzt als Königsstadt wieder aufgebaut wurde, und weiter oben im Gebirge Unter-Betchoron und Ba'alat, alle drei offenbar zum Schutz gegen Angriffe der Philister, ferner im Norden Megiddo und Chaṣor, in der Wüste Juda Tamar600.

Die Verwaltung des Reichs hat Salomo weit straffer organisiert; an Stelle des volkstümlichen Königtums trat der Absolutismus eines orientalischen Kulturstaats. Wie Salomo die Privilegien der Israeliten ignorierte und sie ebenso wie die Kana'anaeer zu Fronden heranzog, so teilte er das Reich in zwölf Verwaltungsbezirke, deren Vögte jeder einen Monat lang alle Bedürfnisse des Hofes und der Verwaltung zu bestreiten hatten601. Das setzt die Einführung direkter Naturalabgaben, also eine feste Steuerordnung voraus. Die Aufsicht über sie führte ein Oberbeamter am Hof, der jetzt zu dem für die Fron hinzugetreten ist ebenso wie ein Vorsteher des Palastes; man sieht, wie die Verwaltung weiter ausgebaut wird und für die Hauptzweige besondere Ministerien geschaffen werden.

[266] Der Haushalt des Königs ist, ganz wie in Ägypten, durchaus naturalwirtschaftlich gestaltet. Nicht nur das gesamte Hofpersonal, sondern ebensogut die Beamten der Zentralregierung mit ihrer Dienerschaft und ohne Zweifel auch die Gardetruppen erhalten ihre gesamte Verpflegung vom Tisch des Königs; daraus erklären sich die Angaben über dessen täglichen Bedarf, die durchaus zuverlässig überliefert scheinen602. Entsprechend werden natürlich auch die Bezüge der Provinzialbeamten und der Garnisonen geregelt sein. Daß sich Prunk und Luxus ganz anders entwickelt haben, als unter David, ist selbstverständlich. Besonders erwähnt werden Salomos aus Elfenbein gearbeiteter, mit Gold überzogener Thron, mit Löwen auf den sechs Stufen und an den Armlehnen, ferner Hunderte goldener Schilde für die Aufzüge und Paraden des Königs603. Auch sonst fehlte es im Palaste nicht an Prunkgeschirr. Die Späteren haben diesen Luxus dann immer weiter ins ungemessene gesteigert; besondere Freude macht ihnen der riesige Harem des Königs, in dem er Weiber aus allen benachbarten Nationen zusammengebracht habe – »700 Hauptweiber und 300 Kebsen« –; die deuteronomistische Bearbeitung läßt ihn dann durch diese im Alter zum Götzendienst verführt werden und macht daraus das Verbrechen, das an seinen Nachkommen durch den Abfall Israels bestraft wird.

In Wirklichkeit hat das Reich die durch David gewonnene Machtstellung unter seinem Sohn im wesentlichen behauptet. Die Fürsten der Ammoniter und wohl auch der Moabiter waren seine Vasallen und daher ihre Töchter unter Salomos Frauen, ganz wie bei den Pharaonen des Neuen Reichs; eine Ammoniterin war die Mutter des Thronfolgers. Der gesteigerte Verkehr bewirkte auch hier, daß die Fremden, die in Jerusalem ihre Geschäfte [267] trieben, ihren heimischen Göttern außerhalb der Stadt, am Ölberg, Altäre errichteten, so dem Kamoš von Moab, dem Milkom der Ammoniter, der Astarte von Sidon604 – eine von der Regierung gestattete oder selbst ausgeführte Maßregel, wie sie der Handelsverkehr überall in der Welt mit sich bringt;

diese Altäre haben denn auch bis auf die Kultreform des Josia unangefochten bestanden.

Auch sonst wurde der Handel von Salomo eifrig gefördert. Die von ihm in Verbindung mit Chiram unternommenen Seefahrten auf dem Arabischen Meerbusen nach Ophir sind früher schon erwähnt worden (o. S. 130). Dazu tritt die nur in junger Ausgestaltung vorliegende Erzählung von einem Besuch, den die Königin von Saba dem Salomon abgestattet habe, begleitet von einer großen Karawane, die Massen von Balsam, Gold und Edelsteinen als Geschenk mitbrachte. Die Legende macht daraus ein Rätselspiel, zu dem der Ruf der Weisheit des Königs sie gelockt hat; aber etwas Geschichtliches muß zugrunde liegen. Die Anfänge des Königreichs Saba und die Entwicklung seines vor allem auf dem Export des Weihrauchs beruhenden Karawanenhandels reichen bis etwa in diese Zeit hinauf605; und wenn uns hier in der Zeit, aus der Denkmäler erhalten sind, nur Könige, nicht regierende Königinnen bekannt sind, so hat es doch, wie die Angaben der Assyrer zeigen, solche bei andern Handel treibenden arabischen Stämmen gegeben. Weiteres wird sich freilich nicht ermitteln lassen.

Seine Einkünfte606 haben es Salomo ermöglicht, auch Streitwagen zu beschaffen und dem Fußvolk zur Seite zu stellen, wie alle größeren Mächte dieser Zeit. Nach einer darüber erhaltenen Notiz wurden die Pferde und die Wagen aus Ägypten bezogen607 und von den Händlern des Königs auch weiter an [268] die aramaeischen und chetitischen Könige Syriens vertrieben; die dafür erbauten großen Stallungen sind bei den Ausgrabungen in Megiddo wieder aufgedeckt worden608.

Kriege hat Salomo nicht geführt; dagegen sind Erschütterungen nicht ausgeblieben. Bedenklich war schon, daß es in dem durch David geschwächten Reich des Hadad'ezer von Ṣoba einem Abenteurer Reṣôn ben Eljada' etwa in derselben Weise wie David gelang, sich an der Spitze einer Streitschar zum Herrn von Damaskus zu machen und hier ein kräftiges aramaeisches Reich zu begründen, ohne daß Salomo dagegen eingriff609. Empfindlicher war, daß auf die Kunde vom Tode Davids und der Beseitigung seines gefürchteten Kriegsobersten Joab der edomitische Prinz Hadad die Gelegenheit ergriff, um in seine Heimat zurückzukehren. Als jene Edom unterwarfen und ausmordeten, hatten ihn die Diener seines Vaters als Knaben zuerst nach Midian geflüchtet und dann von hier durch die Sinaiwüste Pa'ran nach Ägypten gebracht, wo er vom Pharao freundlich aufgenommen und mit der Schwester seiner Hauptfrau vermählt worden war. Er konnte das Königtum wiedergewinnen und die Unabhängigkeit des Kerngebiets Edoms, des Gebirges Se'îr, gegen Salomo erfolgreich verteidigen; den Hafen Ailat und die dahin [269] führende Straße durch die 'Araba wird Salomo allerdings behauptet haben610.

Noch bedenklicher war, daß der schwere Druck, den Salomo ausübte, und der dadurch geschaffene Wandel der Lebensformen starke Mißstimmung erzeugte und nicht dazu dienen konnte, den Gegensatz Israels gegen das Regiment der Usurpatoren aus Juda zu überbrücken. Schon unter Salomo ist es darüber zu einem Konflikt gekommen. Er hatte einen jungen Mann aus angesehenem Geschlecht, Jerobe'am ben Nebaṭs aus Ṣereda in Ephraim611, beim Festungsbau in Jerusalem zum »Aufseher aller Fronarbeit des Hauses Joseph« gemacht. Die Fortsetzung des Berichts ist in unserm Text durch eine alberne Prophetengeschichte verdrängt; wir erfahren nur noch, daß Salomo ihn töten will, er aber nach Ägypten entflieht. Wie es scheint, war es zu einem persönlichen Zusammenstoß gekommen, bei dem Jerobe'am der Stimmung der Massen Ausdruck gab und dadurch allgemein bekannt wurde.

In Ägypten war inzwischen an Stelle der schlaffen einundzwanzigsten Dynastie das energische Regiment Šošenqs, des Begründers der Militärherrschaft, getreten. Das bedeutete zugleich einen Umschwung in der äußern Politik. So fand Jerobe'am freundliche Aufnahme und konnte hier seine Zeit abwarten.



Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 41965, Bd. 2/2, S. 262-271.
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