Emporkommen der Lewiten

[306] Noch auf einem anderen Wege sind die bei den Halbnomaden des Südens herrschenden Anschauungen in Israel eingedrungen, durch die innere Wandlung, welche sich in der Priesterschaft durch das Emporkommen der Lewiten vollzog. Sie hat im Sprachgebrauch einen zunächst ganz rätselhaft erscheinenden Ausdruck gefunden. In der im engeren Sinne geschichtlichen Literatur heißt (mit Ausnahme von Jud. 17f., s.u.) der Priester immer nur kohen, wie im Phoenikischen, und ebenso bei den vorexilischen Propheten. Von einem Sonderrecht der [306] Priester ist nirgends die Rede, sie sind von der Gemeinde oder vom König angestellt. Der Beruf wird, wie anderswo, in der Regel erblich gewesen sein; aber gebunden an einen Geburtsstand ist er keineswegs: David macht auch seine eigenen Söhne zu Priestern, und ebenso amtiert unter ihm 'Ira aus dem manassitischen Clan Ja'îr und unter Salomo ein Sohn des Propheten Natan als Priester669. Den Priester Abjatar aus dem Geschlecht 'Elis dagegen hat Salomo abgesetzt; woher der schon unter David neben ihm stehende Ṣadoq, der Ahne der späteren Priester von Jerusalem, stammt, wissen wir überhaupt nicht. Im »Segen Moses« (o. S. 205) dagegen erscheint ein Priesterstamm Lewi, der von Moses abgeleitet wird; seine Mitglieder heißen »die Mannen670 Deines Begnadeten, den Du versucht hast in Massa und mit dem Du gestritten hast bei den Wassern von Merîba«, d.i. von Qadeš; eben hier hat Moses nach dieser Version671 im Ringen mit Jahwe ihm die Kunst des Losorakels abgewonnen, die er dann den Priestern vererbt hat. Die Lewiten sind seine »Mannen«, seine Nachkommen; aber sie sind, wie alle derartigen genealogisch aufgefaßten Berufsorganisationen672, ein fiktiver Stamm. Das wird sofort gesagt: der Lewit ist ein Mann, »der von Vater und Mutter sagt: ich habe sie nicht gesehn, der seinen Bruder nicht kennt und von seinem Sohne nichts weiß, sondern Deine (Jahwes) Gebote bewahren sie und Dein Gesetz hüten sie«; es sind also Leute, die sich von Familie und Stamm losgelöst haben und, wie das immer wieder gesagt wird, unter [307] Stammfremden als Beisassen ohne Grundbesitz »von Jahwe«, von den ihnen zufließenden Gebühren für die richtige Besorgung des Kultus leben, vor allem, woran ständig gemahnt wird, von dem Anteil, der ihnen bei den Schmausereien der Opfer und Feste gewährt werden soll.

Genau dieser Schilderung entsprechend lautet die Erzählung vom Ursprung des Kultus von Dan Jud. 17673. Hier hat Micha, ein wohlhabender Mann im Gebirge Ephraim, ein Gottesbild errichtet und dabei seinen Sohn als Priester angestellt. Als dann aber ein junger Judaeer aus Bethlehem hinkommt, der Lewit geworden ist, also den Beruf regelrecht erlernt hat, nimmt er diesen gegen Ausstattung und Gehalt in seine Dienste, »daß er ihm Vater und Priester sei«, in der Erwartung, daß Jahwe ihm wohltun wird, weil er jetzt den Lewiten zum Priester (kohen) hat. Erfüllt hat sich diese Hoffnung freilich nicht; die Daniten haben ihm das Bild mitsamt dem Lewiten geraubt und in die von ihnen an Stelle der Phoenikerstadt Laiš an den Jordanquellen gegründete Stadt Dan überführt. In einem Nachtrag erhält der Lewit dann den Namen Jonatan ben Geršom ben Moše674, wird also im Widerspruch zu der älteren Erzählung zu einem Nachkommen des Moses gemacht. Man sieht, wie die Anschauung, daß die Lewiten wirklich auch leiblich von Moses abstammten, sich erst allmählich durchgesetzt hat.

Großen Anstoß hat erregt, daß der Lewit ein Judaeer sein soll. Aber gerade das wird durch den Segen Moses als durchaus zutreffend bestätigt – beide Texte stammen ungefähr aus derselben Zeit –; auch darin zeigt sich, wie sich der freigewählte [308] Berufsstand in der Vorstellung langsam in einen erblichen Stammverband umgewandelt hat.

Im Segen Jakobs und der gleichartigen Überlieferung erscheint nun Lewi wirklich als Name eines solchen früh verschollenen Stammes675, eng verbunden mit seinem Bruder Simeon; wir werden seinen Wohnsitz im äußersten Süden zu suchen haben, beim Heiligtum von Qadeš am Prozeßquell (vgl. o. S. 206). So drängt sich die Vermutung auf, daß Angehörige dieses Stammes, die seine sakralen Traditionen kannten, sich in Israel als Priester ein Unterkommen gesucht haben, und daß dadurch der Lewitenname schließlich geradezu synonym mit Priester geworden ist676. Das Wirken, das ihnen ihre Überlegenheit verleiht und dem sie ihre Erfolge verdanken, haben sie von Moses ererbt, vor allem die Kunst der Befragung Jahwes durch das Losorakel. Weiter heißt es im Liede: »Sie weisen Jakob Deine Rechtssatzungen und Israel Deine Weisungen; sie bringen Opferduft in Deine Nase und Ganzopfer auf Deinen Altar«; sie kennen also nicht nur das richtige Opferritual (wie z.B. die Brahmanen Indiens und die Magier Irans), sondern auch das göttliche Recht, und treten als dessen Lehrer auf. Den Abschluß bildet: »Segne, Jahwe, seinen (Lewis) Wohlstand und begnade seiner Hände Werk, zerschmettere die Hüften seiner Widersacher und Hasser, daß sie sich nicht erheben können!« Das führt uns das Emporkommen der Lewiten anschaulich vor Augen; sie haben erbitterten Widerstand gefunden, offenbar ebensowohl von seiten des Staats und seiner Priesterschaft, die ihren Anspruch auf autonome Rechtsweisung nicht anerkannte, wie bei vielen Hausvätern, die nach alter Weise – wie die Ahnen beim Jahwisten und Elohisten – die Opfer selbst darbrachten und den aufdringlichen Lewiten abwiesen. Nicht selten mag es darüber, wie bei den Brahmanen in Indien, zu blutigen Kämpfen gekommen sein; aber allmählich haben sie sich durchgesetzt, vor [309] allem offenbar in den Landorten, deren Gedeihen, die Gewinnung des Segens Jahwes, der Regen und reichen Ertrag gewährte, von der richtigen Vollziehung der Opfer und der großen Ackerbaufeste abhing.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 41965, Bd. 2/2, S. 306-310.
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