Kapitel VIII

Kleinasien

[295] Die große Halbinsel, welche die drei Meere, das schwarze, das ägäische und mittelländische an drei Seiten bespülen und die gegen Osten mit dem eigentlichen asiatischen Continent zusammenhängt, wird, insoweit sie zum Grenzgebiet des Reiches gehört, in dem nächsten das Euphratgebiet und die römisch-parthischen Beziehungen behandelnden Abschnitt betrachtet werden. Hier sollen die Friedensverhältnisse namentlich der westlichen Landschaften unter dem Kaiserregiment dargelegt werden.

Die ursprüngliche oder doch vorgriechische Bevölkerung dieser weiten Strecken hat sich vielerorts in bedeutendem Umfang bis in die Kaiserzeit hinein behauptet. Dem früher erörterten thrakischen Stamme hat sicher der größte Theil von Bithynien gehört; Phrygien, Lydien, Kilikien, Kappadokien zeigen sehr mannichfaltige und schwer zu lösende Ueberreste älterer Sprachepochen, die vielfach in die römische Zeit hinabreichen; fremdartige Götter-, Menschen- und Ortsnamen begegnen überall. Aber so weit unser Blick reicht, dem freilich das tiefere Eindringen hier selten gewährt ist, erscheinen diese Elemente nur weichend und schwindend, wesentlich als Negation der Civilisation oder, was hier damit uns wenigstens zusammenzufallen dünkt, der Hellenisirung. Es wird am geeigneten Platz auf einzelne Gruppen dieser Kategorie zurückzukommen sein; für die geschichtliche Entwickelung Kleinasiens in der Kaiserzeit giebt es daselbst nur zwei active Nationalitäten, die beiden zuletzt eingewanderten, in den Anfängen der geschichtlichen Zeit die Hellenen und während der Wirren der Diadochenzeit die Kelten.

[295] Die Geschichte der kleinasiatischen Hellenen, so weit sie ein Theil der römischen ist, ist früher dargelegt worden. In der fernen Zeit, wo die Küsten des Mittelmeers zuerst befahren und besiedelt wurden und die Welt anfing unter die vorgeschrittenen Nationen auf Kosten der zurückgebliebenen aufgetheilt zu werden, hatte die Hochfluth der hellenischen Auswanderung sich zwar über alle Ufer des mittelländischen Meeres, aber doch nirgend hin, selbst nicht nach Italien und Sicilien in so breitem Strom ergossen wie über das inselreiche ägäische Meer und die nahe hafenreiche liebliche Küste Vorderasiens. Die vorderasiatischen Griechen hatten dann selbst vor allen übrigen sich thätig an der weiteren Welteroberung betheiligt, von Miletos aus die Küsten des schwarzen Meeres, von Phokaea und Knidos aus die der Westsee besiedeln helfen. In Asien ergriff die hellenische Civilisation wohl die Bewohner des Binnenlandes, die Myser, Lydier, Karer, Lykier und selbst die persische Großmacht blieb von ihr nicht unberührt. Aber die Hellenen selber besaßen nichts als den Küstensaum, höchstens mit Einschluß des unteren Laufs der größeren Flüsse, und die Inseln. Continentale Eroberung und eigene Landmacht vermochten sie hier gegenüber den mächtigen einheimischen Fürsten nicht zu gewinnen; auch lud das hochgelegene und großentheils wenig culturfähige Binnenland Kleinasiens nicht so wie die Küsten zur Ansiedelung ein und die Verbindungen dieser mit dem Innern sind schwierig. Wesentlich in Folge dessen brachten es die asiatischen Hellenen noch weniger als die europäischen zur inneren Einigung und zur eigenen Großmacht und lernten früh die Fügsamkeit gegenüber den Herren des Continents. Der national hellenische Gedanke kam ihnen erst von Athen; sie wurden dessen Bundesgenossen nur nach dem Siege und blieben es nicht in der Stunde der Gefahr. Was Athen diesen Schutzbefohlenen der Nation hatte leisten wollen und nicht hatte leisten können, das vollbrachte Alexander; Hellas mußte er besiegen, Kleinasien sah in dem Eroberer nur den Befreier. Alexanders Sieg sicherte in der That nicht bloß das asiatische Hellenenthum, sondern öffnete ihm eine weite fast ungemessene Zukunft; die Besiedelung des Continents, welche im Gegensatz der bloß litoralen dieses zweite Stadium der hellenischen Welteroberung bezeichnet, ergriff auch Kleinasien in bedeutendem Umfang. Doch von den Knotenpunkten der neuen Staatenbildung kam keiner nach den [296] alten Griechenstädten der Küste221. Die neue Zeit forderte wie überhaupt neue Gestaltung, so vor allem auch neue Städte, zugleich griechische Königsresidenzen und Mittelpunkte bisher ungriechischer und dem Griechenthum zuzuführender Bevölkerungen. Die große staatliche Entwickelung bewegt sich um die Städte königlicher Gründung und königlichen Namens, Thessalonike, Antiocheia, Alexandreia. Mit ihren Herren hatten die Römer zu ringen; den Besitz Kleinasiens gewannen sie fast durchaus, wie man von Verwandten oder Freunden ein Landgut erwirbt, durch Vermächtniß im Testament; und wie schwer auf den also gewonnenen Landschaften zeitweise das römische Regiment gelastet hat, der Stachel der Fremdherrschaft trat hier nicht hinzu. Eine nationale Opposition hat wohl der Achaemenide Mithradates den Römern in Kleinasien entgegengestellt und das römische Mißregiment die Hellenen in seine Arme getrieben; aber diese selbst haben nie etwas Aehnliches unternommen. Darum ist von diesem großen, reichen, wichtigen Besitz in politischer Hinsicht wenig zu berichten; um so weniger, als in Betreff der nationalen Beziehungen der Hellenen überhaupt zu den Römern das in dem vorhergehenden Abschnitt Bemerkte wesentlich auch für die kleinasiatischen Geltung hat.

Die römische Verwaltung Kleinasiens wurde nie in systematischer Weise geordnet, sondern die einzelnen Gebiete so, wie sie zum Reich kamen, ohne wesentliche Veränderung der Grenzen als römische Verwaltungsbezirke eingerichtet. Die Staaten, welche König Attalos III. von Pergamon den Römern vermacht hatte, bilden die Provinz Asia; die ebenfalls durch Erbgang ihnen zugefallenen des Königs Nikomedes die Provinz Bithynien; das dem Mithradates Eupator abgenommene Gebiet die mit Bithynien vereinigte Provinz Pontus. Kreta wurde bei Gelegenheit des großen Piratenkrieges von den Römern besetzt; Kyrene, das gleich hier mit erwähnt werden mag, nach dem letzten Willen seines Herrschers von ihnen übernommen. Derselbe Rechtstitel gab der Republik die Insel Kypros; hinzu kam hier die nothwendige Unterdrückung der Piraterie. Diese hatte auch zu der Bildung der Statthalterschaft Kilikien den Grund gelegt; vollständig kam das Land an Rom durch Pompeius mit Syrien zugleich und [297] beide sind während des ersten Jahrhunderts gemeinschaftlich verwaltet worden. All dieser Länderbesitz war bereits von der Republik erworben. In der Kaiserzeit traten eine Anzahl Gebiete hinzu, welche früher nur mittelbar zum Reich gehört hatten: im J. 729 d. St. = 25 v. Chr. das Königreich Galatien, mit welchem ein Theil Phrygiens, Lykaoni en, Pisidien, Pamphylien vereinigt worden war; im J. 747 = 7 v. Chr. die Herrschaft des Königs Deiotarus Kastors Sohn, welche Gangra in Paphlagonien und wahrscheinlich auch Amaseia und andere benachbarte Orte umfaßte; im J. 17 n. Chr. das Königreich Kappadokien; im J. 43 das Gebiet der Conföderation der lykischen Städte; im J. 63 das nordöstliche Kleinasien vom Thal des Iris bis zur armenischen Grenze; Klein-Armenien und einige kleinere Fürstenthümer in Kilikien wahrscheinlich durch Vespasian. Damit war die unmittelbare Reichsverwaltung in ganz Kleinasien durchgeführt. Lehnsfürstenthümer blieben nur der taurische Bosporus, von dem schon die Rede war, und Groß-Armenien, von dem der nächste Abschnitt handeln wird.

Als bei dem Eintreten des Kaiserregiments die administrative Scheidung zwischen ihm und dem des Reichsraths getroffen ward, kam das gesammte kleinasiatische Gebiet, so weit es damals unmittelbar unter dem Reiche stand, an den letzteren; die Insel Kypros, die anfangs unter kaiserliche Verwaltung gelangt war, ging ebenfalls wenige Jahre später an den Senat über. So entstanden hier die vier senatorischen Statthalterschaften Asia, Bithynia und Pontus, Kypros, Kreta und Kyrene. Unter kaiserlicher Verwaltung stand anfangs nur Kilikien als Theil der syrischen Provinz. Aber die später in unmittelbare Reichsverwaltung gelangten Gebiete wurden hier wie im ganzen Reich unter kaiserliche Statthalter gelegt; so ward noch unter Augustus aus den binnenländischen Landschaften des galatischen Reiches die Provinz Galatien gebildet und die Küstenlandschaft Pamphylien einem anderen Statthalter überwiesen, welchem letzteren unter Claudius weiter Lykien unterstellt ward. Ferner ward Kappadokien kaiserliche Statthalterschaft unter Tiberius. Auch blieb natürlich Kilikien, als es eigene Statthalter erhielt, unter kaiserlicher Verwaltung. Abgesehen davon, daß Hadrian die wichtige Provinz Bithynien und Pontus gegen die unbedeutende lykisch-pamphylische eintauschte, blieb diese Ordnung in Kraft, bis gegen das Ende des 3. Jahrhunderts die senatorische Mitverwaltung überhaupt bis auf geringe Ueberreste beseitigt ward. [298] Die Grenze ward in der ersten Kaiserzeit durchaus durch die Lehnsfürstenthümer gebildet; nach deren Einziehung berührte die Reichsgrenze, von Kyrene abgesehen, unter allen diesen Verwaltungsbezirken nur der kappadokische, insofern diesem damals auch die nordöstliche Grenzlandschaft bis hinauf nach Trapezunt zugetheilt war222; und auch diese Statthalterschaft grenzte nicht mit dem eigentlichen Ausland, sondern im Norden mit den abhängigen Völkerschaften am Phasis, weiterhin mit dem von Rechtswegen und einigermaßen auch thatsächlich zum Reiche gehörigen Lehnskönigthum Armenien.

Um von den Zuständen und der Entwickelung Kleinasiens in den drei ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung eine Vorstellung zu gewinnen, so weit dies bei einem aus unserer unmittelbaren geschichtlichen Ueberlieferung gänzlich ausfallenden Lande möglich ist, wird bei dem conservativen Charakter des römischen Provinzialregiments an die älteren Gebietstheilungen und die Vorgeschichte der einzelnen Landschaften anzuknüpfen sein.

Die Provinz Asia ist das alte Reich der Attaliden, Vorderasien bis nördlich zur bithynischen, südlich zur lykischen Grenze; die anfangs davon abgetrennten östlichen Striche, das große Phrygien, waren schon [299] in republikanischer Zeit wieder dazu geschlagen worden (2, 265) und die Provinz reichte seitdem bis an die Landschaft der Galater und die pisidischen Gebirge. Auch Rhodus und die übrigen kleineren Inseln des ägäischen Meeres gehörten zu diesem Sprengel. Die ursprüngliche hellenische Ansiedelung hatte außer den Inseln und der eigentlichen Küste auch die unteren Thäler der größeren Flüsse besetzt; Magnesia am Sipylos im Hermosthal, das andere Magnesia und Tralles im Thal des Maeandros waren schon vor Alexander als griechische Städte gegründet oder doch griechische Städte geworden; die Karer, Lyder, Myser wurden früh wenigstens zu Halbhellenen. Die eintretende Griechenherrschaft fand in den Küstenlandschaften nicht viel zu thun; Smyrna, das vor Jahrhunderten von den Barbaren des Binnenlandes zerstört worden war, erhob sich damals aus seinen Trümmern, um rasch wieder einer der ersten Sterne des glänzenden kleinasiatischen Städteringes zu werden; und wenn der Wiederaufbau von Ilion an dem Grabhügel Hektors mehr ein Werk der Pietät als der Politik war, so war die Anlage von Alexandreia an der Küste der Troas von bleibender Bedeutung. Pergamon im Thal des Kaïkos blühte auf als Residenz der Attaliden.

In dem großen Werk der Hellenisirung des Binnenlandes dieser Provinz wetteiferten, Alexanders Intentionen entsprechend, alle hellenischen Regierungen, Lysimachos, die Seleukiden, die Attaliden. Die einzelnen Gründungen sind aus unserer Ueberlieferung noch mehr verschwunden als die Kriegsläufte der gleichen Epoche; wir sind hauptsächlich angewiesen auf die Namen und die Beinamen der Städte; aber auch diese genügen, um die allgemeinen Umrisse dieser Jahrhunderte hindurch sich fortsetzenden und dennoch homogenen und zielbewußten Thätigkeit zu erkennen. Eine Reihe binnenländischer Ortschaften, Stratonikeia in Karien, Peltae, Blaundos, Dokimeion, Kadoi in Phrygien, die Mysomakedonier im Bezirk von Ephesos, Thyateira, Hyrkania, Nakrasa im Hermosgebiet, die Askylaken im Bezirk von Adramytion werden in Urkunden oder sonstigen glaubwürdigen Zeugnissen als Makedonierstädte bezeichnet; und diese Erwähnungen sind so zufälliger Art und die Ortschaften theilweise so unbedeutend, daß die gleiche Bezeichnung sicher auf eine große Anzahl anderer Niederlassungen in dieser Gegend sich erstreckt hat und wir schließen dürfen auf eine ausgedehnte wahrscheinlich mit dem Schutz Vorderasiens gegen die Galater und Pisidier zusammenhängende Ansiedelung griechischer Soldaten [300] in den bezeichneten Gegenden. Wenn ferner die Münzen der ansehnlichen phrygischen Stadt Synnada mit ihrem Stadtnamen den der Ioner und der Dorer so wie den des gemeinen Zeus (Ζεὺς πάνδημος) verbinden, so muß einer der Alexandriden die Griechen insgemein aufgefordert haben hier sich niederzulassen; und auch dies beschränkte sich gewiß nicht auf diese einzelne Stadt. Die zahlreichen Städte hauptsächlich des Binnenlandes, deren Namen auf die Königshäuser der Seleukiden oder der Attaliden zurückgehen oder die sonst griechisch benannt sind, sollen hier nicht aufgeführt werden; es befinden sich namentlich unter den sicher von den Seleukiden gegründeten oder reorganisirten Städten mehrere der in späterer Zeit blühendsten und gesittetsten des Binnenlandes, zum Beispiel im südlichen Phrygien Laodikeia und vor allem Apameia, das alte Kelaenae an der großen Heerstraße von der Westküste Kleinasiens zum mittleren Euphrat, schon in persischer Zeit das Entrepot für diesen Verkehr und unter Augustus nach Ephesos die bedeutendste Stadt der Provinz Asia. Wenn auch nicht jede Beilegung eines griechischen Namens mit Ansiedelung griechischer Colonisten verbunden gewesen sein wird, so werden wir doch einen beträchtlichen Theil dieser Ortschaften den griechischen Pflanzstädten beizählen dürfen. Aber auch die städtischen Ansiedelungen nicht griechischen Ursprungs, die die Alexandriden vorfanden, lenkten von selber in die Bahnen der Hellenisirung ein, wie denn die Residenz des persischen Statthalters Sardes noch von Alexander selbst als griechisches Gemeinwesen geordnet ward. – Diese städtische Entwickelung war vollzogen, als die Römer die Herrschaft über Vorderasien antraten; sie selber haben sie nicht in intensiver Weise gefördert. Daß eine große Anzahl der Stadtgemeinden in der östlichen Hälfte der Provinz ihre Jahre von dem der Stadt 670, v. Chr. 84 zählen, kommt daher, daß damals nach Beendigung des mithradatischen Krieges diese Bezirke durch Sulla unter unmittelbar römische Verwaltung kamen (2, 302); Stadtrecht haben diese Ortschaften nicht erst damals erhalten. Augustus hat die Stadt Parium am Hellespont und die schon erwähnte Alexandreia in Troas mit Veteranen seiner Armee besetzt und beiden die Rechte der römischen Bürgergemeinden beigelegt; letztere ist seitdem in dem griechischen Asien eine italische Insel gewesen wie Korinth in Griechenland und Berytos in Syrien. Aber dies war nichts als Soldatenversorgung; von eigentlicher Städtegründung in der römischen Provinz Asien unter den Kaisern ist wenig die Rede.[301] Unter den nicht zahlreichen nach Kaisern benannten Städten daselbst ist vielleicht nur von Sebaste und Tiberiupolis, beide in Phrygien, und von Hadrianoi an der bithynischen Grenze kein älterer Stadtname nachzuweisen. Hier, in der Berglandschaft zwischen dem Ida und dem Olymp, hauste Kleon in der Triumviralzeit, ein gewisser Tilliboros unter Hadrian, beide halb Räuberhauptleute, halb Volksfürsten, von denen jener selbst in der Politik eine Rolle gespielt hat; in dieser Freistatt der Verbrecher war die Gründung einer geordneten Stadtgemeinde durch Hadrian allerdings eine Wohlthat. Sonst blieb in dieser Provinz, mit ihren fünfhundert Stadtgemeinden der städtereichsten des ganzen Staates, in dieser Hinsicht wohl nicht mehr viel zu stiften übrig, höchstens etwa zu theilen, das heißt die factisch zu einer Stadtgemeinde sich entwickelnden Flecken aus dem früheren Gemeindeverbande zu lösen und selbständig zu machen, wie wir einen Fall der Art in Phrygien unter Constantin I. nachweisen können. Aber von der eigentlichen Hellenisirung waren die abgelegenen Gebiete noch weit entfernt, als das römische Regiment begann; insbesondere in Phrygien behauptete sich die vielleicht der armenischen gleichartige Landessprache. Wenn aus dem Fehlen griechischer Münzen und griechischer Inschriften nicht mit Sicherheit auf das Fehlen der Hellenisirung geschlossen werden darf223, so weist doch die Thatsache, daß die phrygischen Münzen fast durchaus der römischen Kaiserzeit, die phrygischen Inschriften der großen Mehrzahl nach der späteren Kaiserzeit angehören, darauf hin, daß in die entlegenen und der Civilisation schwer zugänglichen Gegenden der Provinz Asia die hellenische Gesittung so weit überhaupt, überwiegend erst unter den Kaisern den Weg fand. Zu unmittelbarem Eingreifen der Reichsverwaltung bot dieser im Stillen sich vollziehende Prozeß wenig Gelegenheit und Spuren solchen Eingreifens vermögen wir nicht nachzuweisen. Freilich war [302] Asia eine senatorische Provinz, und daß dem Senatsregiment jede Initiative abging, mag auch hier in Betracht kommen.

Syrien und mehr noch Aegypten gehen auf in ihren Metropolen; die Provinz Asien und Kleinasien überhaupt hat keine einzelne Stadt aufzuweisen gleich Antiocheia und Alexandreia, sondern sein Gedeihen ruht auf den zahlreichen Mittelstädten. Die Eintheilung der Städte in drei Klassen, welche sich unterscheiden im Stimmrecht auf dem Landtag, in der Repartition der von der ganzen Provinz aufzubringenden Leistungen, selbst in der Zahl der anzustellenden Stadtärzte und städtischen Lehrer224, ist vorzugsweise diesen Landschaften eigen. Auch die städtischen Rivalitäten, die in Kleinasien so energisch und zum Theil so kindisch, gelegentlich auch so gehässig hervortreten, wie zum Beispiel der Krieg zwischen Severus und Niger in Bithynien eigentlich ein Krieg der beiden rivalisirenden Capitalen Nikomedeia und Nikaea war, gehören zum Wesen zwar der hellenischen Politien überhaupt, insbesondere aber der kleinasiatischen. Des Wetteifers um die Kaisertempel werden wir weiterhin gedenken; in ähnlicher Weise war die Rangfolge der städtischen Deputationen bei den gemeinschaftlichen Festen in Kleinasien eine Lebensfrage – Magnesia am Maeander nennt sich auf den Münzen die ›siebente Stadt von Asia‹ – und vor allem der erste Platz war ein so begehrter, daß die Regierung schließlich sich dazu verstand mehrere erste Städte zuzulassen. Aehnlich ging es mit der Metropolenbezeichnung. Die eigentliche Metropole der Provinz war Pergamon, die Residenz der Attaliden und der Sitz des Landtags. Aber Ephesos, die factische Hauptstadt der Provinz, wo der Statthalter verpflichtet war sein Amt anzutreten und das auch dieses ›Landungsrechts‹ auf seinen Münzen sich berühmt, Smyrna, mit dem ephesischen Nachbar in steter Rivalität und dem legitimen Erstenrecht der Ephesier zum Trotz auf den Münzen sich nennend ›die erste an Größe und Schönheit‹, das uralte Sard eis, Kyzikos und andere mehr strebten nach dem gleichen Ehrenrechte. Mit diesen ihren Quängeleien, wegen [303] deren regelmäßig der Senat und der Kaiser angegangen wurden, den ›griechischen Dummheiten‹, wie man in Rom zu sagen pflegte, waren die Kleinasiaten der stehende Verdruß und das stehende Gespött der vornehmen Römer225.

Nicht auf der gleichen Höhe wie das Attalidenreich befand sich Bithynien. Die ältere griechische Colonisirung hatte sich hier lediglich auf die Küste beschränkt. In der hellenistischen Epoche hatten anfangs die makedonischen Herrscher, später die völlig deren Wege wandelnde einheimische Dynastie neben der im Ganzen wohl auf Umnennung hinauslaufenden Einrichtung der Küstenorte einigermaßen auch das Binnenland erschlossen, namentlich durch die beiden glücklich gediehenen Anlagen von Nikaea (Isnik) und Prusa am Olymp (Brussa); von der ersteren wird hervorgehoben, daß die ersten Ansiedler von guter makedonischer und hellenischer Herkunft gewesen seien. Aber in der Intensität der Hellenisirung stand das Reich des Nikomedes weit zurück hinter dem des Bürgerfürsten von Pergamon; insonderheit das östliche Binnenland kann vor Augustus nur wenig besiedelt gewesen sein. Dies ward in der Kaiserzeit anders. In augustischer Zeit baute ein glücklicher Räuberhauptmann, der sich zur Ordnung bekehrte, an der galatischen Grenze die gänzlich herabgekommene Ortschaft Gordiu Kome unter dem Namen Juliopolis wieder auf; in derselben Gegend sind die Städte Bithynion-Claudiopolis und Krateia-Flaviopolis wahrscheinlich im Laufe des ersten Jahrhunderts zu griechischem Stadtrecht gelangt. Ueberhaupt hat in Bithynien der Hellenismus unter der Kaiserzeit einen mächtigen Aufschwung genommen und der derbe thrakische Schlag der Eingebornen gab ihm eine gute Grundlage. Daß unter den in großer Anzahl bekannten Schriftsteinen dieser Provinz nicht mehr als vier der vorrömischen Zeit angehören, wird nicht allein daraus erklärt[304] werden können, daß die städtische Ambition erst unter den Kaisern großgezogen worden ist. In der Litteratur der Kaiserzeit gehören eine Anzahl der besten und von der wuchernden Rhetorik am wenigsten erfaßten Schriftsteller, wie der Philosoph Dion von Prusa, die Historiker Memnon von Herakleia, Arrhianos aus Nikomedeia, Cassius Dion von Nikaea, nach Bithynien.

Die östliche Hälfte der Südküste des schwarzen Meeres, die römische Provinz Pontus, hat zur Grundlage denjenigen Theil des Reiches Mithradats, den Pompeius sofort nach dem Siege in unmittelbaren Besitz nahm. Die zahlreichen kleinen Fürstenthümer, welche im paphlagonischen Binnenland und östlich davon bis zur armenischen Grenze Pompeius gleich zeitig vergab, wurden nach kürzerem oder längerem Bestand bei ihrer Einziehung theils derselben Provinz zugelegt, theils zu Galatien oder Kappadokien geschlagen. Das ehemalige Reich des Mithradates war sowohl von dem älteren wie von dem jüngeren Hellenismus bei weitem weniger als die westlichen Landschaften berührt worden. Als die Römer dieses Gebiet mittelbar oder unmittelbar in Besitz nahmen, gab es griechisch geordnete Städte dort streng genommen nicht; Amaseia, die alte Residenz der pontischen Achaemeniden und immer ihre Grabstadt, war dies nicht; die beiden alten griechischen Küstenstädte Amisos und das einst über das schwarze Meer gebietende Sinope waren königliche Residenzen geworden, und auch den wenigen von Mithradates angelegten Ortschaften, zum Beispiel Eupatoria (3, 155), wird schwerlich griechische Politie gegeben worden sein. Hier aber war, wie schon früher ausgeführt ward (3, 154), die römische Eroberung zugleich die Hellenisirung; Pompeius organisirte die Provinz in der Weise, daß er die elf Hauptortschaften derselben zu Städten machte und unter sie das Gebiet vertheilte. Allerdings ähnelten diese künstlich geschaffenen Städte mit ihren ungeheuren Bezirken – der von Sinope hatte an der Küste eine Ausdehnung von 16 deutschen Meilen und grenzte am Halys mit dem amisenischen – mehr den keltischen Gauen als den eigentlich hellenischen und italischen Stadtgemeinden. Aber es wurden doch damals Sinope und Amisos in ihre alte Stellung wieder eingesetzt und andere Städte im Binnenland, wie Pompeiupolis, Nikopolis, Megalopolis, das spätere Sebasteia, ins Leben gerufen. Sinope erhielt durch den Dictator Caesar das Recht der römischen Colonie und ohne Zweifel auch italische Ansiedler (3, 555). Wichtiger für die römische Verwaltung [305] ward Trapezus, eine alte Colonie von Sinope; die Stadt, die im J. 63 zur Provinz Kappadokien geschlagen ward (S. 299 A. 1), war wie der Standort der römischen Pontusflotte so auch gewissermaßen die Operationsbasis für das Truppencorps dieser Provinz, das einzige in ganz Kleinasien.

Das binnenländische Kappadokien war seit der Einrichtung der Provinzen Pontus und Syrien in römischer Gewalt; über die Einziehung desselben im Anfang der Regierung des Tiberius, welche zunächst veranlaßt ward durch den Versuch Armeniens, sich der römischen Lehnsherrschaft zu entwinden, wird in dem folgenden Abschnitt zu berichten sein. Der Hof und was unmittelbar damit zusammenhing, hatte sich hellenisirt (2, 55), etwa so, wie die deutschen Höfe des 18. Jahrhunderts sich dem französischen Wesen zuwandten. Die Hauptstadt Kaesareia, das alte Mazaka, gleich dem phrygischen Apameia eine Zwischenstelle des großen Verkehrs zwischen den Häfen der Westküste und den Euphratländern und in römischer Zeit wie noch heute eine der blühendsten Handelsstädte Kleinasiens, war auf Pompeius Veranlassung nach dem mithradatischen Kriege nicht bloß wieder aufgebaut, sondern wahrscheinlich damals auch mit Stadtrecht nach griechischer Art ausgestattet worden. Kappadokien selbst war im Anfang der Kaiserzeit schwerlich mehr griechisch als Brandenburg und Pommern unter Friedrich dem Großen französisch. Als das Land römisch ward, zerfiel es nach den Angaben des gleichzeitigen Strabon nicht in Stadtbezirke, sondern in zehn Aemter, von denen nur zwei Städte hatten, die schon genannte Hauptstadt und Tyana; und diese Ordnung ist hier im Großen und Ganzen so wenig verändert worden wie in Aegypten, wenn auch einzelne Ortschaften späterhin griechisches Stadtrecht empfingen, zum Beispiel Kaiser Marcus aus dem kappadokischen Dorf, in dem seine Gemahlin gestorben war, die Stadt Faustinopolis machte. Griechisch freilich sprachen die Kappadokier jetzt; aber die Studirenden aus Kappadokien hatten auswärts viel zu leiden wegen ihres groben Accents und ihrer Fehler in Aussprache und Betonung, und wenn sie attisch reden lernten, fanden die Landsleute ihre Sprache affectirt226. Erst in der christlichen Zeit gaben [306] die Studiengenossen des Kaisers Julian, Gregorios von Nazianzos und Basilios von Kaesareia dem kappadokischen Namen einen besseren Klang.

Die lykischen Städte in ihrem abgeschlossenen Berglande öffneten ihre Küste der griechischen Ansiedelung nicht, aber schlossen sich darum doch nicht gegen den hellenischen Einfluß ab. Lykien ist die einzige kleinasiatische Landschaft, in welcher die frühe Civilisirung die Landessprache nicht beseitigt hat, und welche, fast wie die Römer, in griechisches Wesen einging, ohne sich äußerlich zu hellenisiren. Es bezeichnet ihre Stellung, daß die lykische Conföderation als solche dem attischen Seebund sich angeschlossen und an die athenische Vormacht ihren Tribut entrichtet hat. Die Lykier haben nicht bloß ihre Kunst nach hellenischen Mustern geübt, sondern wohl auch ihre politische Ordnung früh in gleicher Weise geregelt. Die Umwandlung des einst Rhodos unterthänigen, aber nach dem dritten makedonischen Krieg unabhängig gewordenen (1, 774) Städtebundes in eine römische Provinz, welche wegen des endlosen Haders unter den Verbündeten von Kaiser Claudius verfügt ward, wird das Vordringen des Hellenismus gefördert haben; im Verlauf der Kaiserzeit sind dann die Lykier vollständig zu Griechen geworden.

Die pamphylischen Küstenstädte, wie Aspendos und Perge, griechische Gründungen der ältesten Zeit, später sich selbst überlassen und unter günstigen Verhältnissen gedeihlich entwickelt, hatten das älteste Hellenenthum in einer Weise sei es conservirt, sei es aus sich heraus eigenartig gestaltet, daß die Pamphylier nicht viel weniger als die benachbarten Lykier in Sprache und Schrift als selbständige Nation gelten konnten. Als dann Asien den Hellenen gewonnen ward, fanden sie allmählich den Rückweg wie in die gemeine griechische Civilisation so auch in die allgemeine politische Ordnung. Die Herren in dieser Gegend wie an der benachbarten kilikischen Küste waren in hellenistischer Zeit theils die Aegypter, deren Königshaus verschiedenen Ortschaften in Pamphylien und Kilikien den Namen gegeben hat, theils die Seleukiden, nach denen die bedeutendste Stadt Westkilikiens Seleukeia am Kalykadnos heißt, theils die Pergamener, von deren Herrschaft Attaleia (Adalia) in Pamphylien zeugt. Dagegen hatten [307] die Völkerschaften in den Gebirgen Pisidiens, Isauriens und Westkilikiens bis auf den Beginn der Kaiserzeit ihre Unabhängigkeit der Sache nach behauptet. Hier ruhten die Fehden nie. Nicht bloß zu Lande hatten die civilisirten Regierungen stets mit den Pisidiern und ihren Genossen zu schaffen, sondern es betrieben dieselben namentlich von dem westlichen Kilikien aus, wo die Gebirge unmittelbar an das Meer treten, noch eifriger als den Landraub das Gewerbe der Piraterie. Als bei dem Verfall der ägyptischen Seemacht die Südküste Kleinasiens völlig zur Freistatt der Seeräuber ward, traten die Römer ein und richteten die Provinz Kilikien, welche die pamphylische Küste mitumfaßte oder doch umfassen sollte, der Unterdrückung des Seeraubs wegen ein. Aber was sie thaten zeigte mehr, was hätte geschehen sollen, als daß wirklich etwas erreicht ward; die Intervention erfolgte zu spät und zu unstetig. Wenn auch einmal ein Schlag gegen die Corsaren geführt ward und römische Truppen selbst in die isaurischen Gebirge eindrangen und tief im Binnenland die Piratenburgen brachen (3, 47), zu rechter dauernder Festsetzung in diesen von ihr widerwillig annectirten Districten kam die römische Republik nicht. Hier blieb dem Kaiserthum noch alles zu thun übrig. Antonius, wie er den Orient übernahm, beauftragte einen tüchtigen galatischen Offizier, den Amyntas mit der Unterwerfung der widerspenstigen pisidischen Landschaft227, und als dieser sich bewährte228, machte er denselben zum König von Galatien, der militärisch bestgeordneten und schlagfertigsten Landschaft Kleinasiens, und erstreckte zugleich sein Regiment von da bis [308] zur Südküste, also auf Lykaonien, Pisidien, Isaurien, Pamphylien und Westkilikien, während die civilisirte Osthälfte Kilikiens bei Syrien blieb. Auch als Augustus nach der aktischen Schlacht die Herrschaft im Orient antrat, ließ er den keltischen Fürsten in seiner Stellung. Derselbe machte auch wesentliche Fortschritte sowohl in der Unterdrückung der schlimmen in den Schlupfwinkeln des westlichen Kilikiens hausenden Corsaren wie auch in der Ausrottung der Landräuber, tödtete einen der schlimmsten dieser Raubherren, den Herrn von Derbe und Laranda im südlichen Lykaonien Antipatros, baute in Isaura sich seine Residenz und schlug die Pisidier nicht bloß hinaus aus dem angrenzenden phrygischen Gebiet, sondern fiel in ihr eigenes Land ein und nahm im Herzen desselben Kremna. Aber nach einigen Jahren (729 d. St., vor Chr. 25) verlor er das Leben auf einem Zug gegen einen der westkilikischen Stämme, die Homonadenser; nachdem er die meisten Ortschaften genommen hatte und ihr Fürst gefallen war, kam er um durch einen von dessen Gattin gegen ihn gerichteten Anschlag. Nach dieser Katastrophe übernahm Augustus selbst das schwere Geschäft der Pacification des inneren Kleinasiens. Wenn er dabei, wie schon bemerkt ward (S. 298), das kleine pamphylische Küstenland einem eigenen Statthalter zuwies und es von Galatien trennte, so ist dies offenbar deßwegen geschehen, weil das zwischen der Küste und der galatisch-lykaonischen Steppe liegende Gebirgsland so wenig botmäßig war, daß die Verwaltung des Küstengebiets nicht füglich von Galatien aus geführt werden konnte. Römische Truppen wurden nach Galatien nicht gelegt; doch wird das Aufgebot der kriegerischen Galater mehr zu bedeuten gehabt haben als bei den meisten Provinzialen. Auch hatten, da das westliche Kilikien damals unter Kappadokien gelegt ward, die Truppen dieses Lehnsfürsten sich an der Arbeit zu betheiligen. Die Züchtigung zunächst der Homonadenser führte die syrische Armee aus; der Statthalter Publius Sulpicius Quirinius rückte einige Jahre später in ihr Gebiet, schnitt ihnen die Zufuhr ab und zwang sie sich in Masse zu unterwerfen, worauf sie in die umliegenden Ortschaften vertheilt und ihr ehemaliges Gebiet wüst gelegt wurde. Aehnliche Züchtigungen erfuhren in den J. 36 und 52 die Kliten, ein anderer in dem westlichen Kilikien näher an der Küste sitzender Stamm; da sie dem von Rom ihnen gesetzten Lehnsfürsten den Gehorsam verweigerten und das Land wie die See brandschatzten und da die sogenannten Landesherren mit ihnen nicht fertig [309] werden konnten, kamen beide Male die Reichstruppen aus Syrien herbei, um sie zu unterwerfen. Diese Nachrichten haben sich zufällig erhalten; sicher sind zahlreiche ähnliche Vorgänge verschollen. – Aber auch im Wege der Besiedelung griff Augustus die Pacification dieser Landschaft an. Die hellenistischen Regierungen hatten dieselbe so zu sagen isolirt, nicht bloß an der Küste überall Fuß behalten oder gefaßt, sondern auch im Nordwesten eine Reihe von Städten gegründet, an der phrygischen Grenze Apollonia angeblich von Alexander selbst angelegt, Seleukeia Siderus und Antiocheia, beide aus der Seleukidenzeit, ferner in Lykaonien Laodikeia Katakekaumene und die wohl auch in der gleichen Zeit entstandene Hauptstadt dieser Landschaft Ikonion. Aber in dem eigentlichen Bergland findet sich keine Spur hellenistischer Niederlassung; und noch weniger hat der römische Senat sich an diese schwierige Aufgabe gemacht. Augustus that es; hier, und nur hier im ganzen griechischen Osten, begegnet eine Reihe von Colonien römischer Veteranen, offenbar bestimmt dieses Gebiet der friedlichen Ansiedlung zu erobern. Von den eben genannten älteren Ansiedelungen wurde Antiocheia mit Veteranen belegt und römisch reorganisirt, neu angelegt in Lykaonien Parlais und Lystra, in Pisidien selbst das schon genannte Kremna so wie weiter südlich Olbasa und Komama. Die späteren Regierungen setzten die begonnene Arbeit nicht mit gleicher Energie fort; doch wurde unter Claudius das eiserne Seleukeia Pisidiens zum claudischen gemacht, ferner im westkilikischen Binnenland Claudiopolis und nicht weit davon, vielleicht gleichzeitig, Germanicopolis ins Leben gerufen, auch Ikonion, in Augustus Zeit ein kleiner Ort, zu bedeutender Entwicklung gebracht. Die neu gegründeten Städte blieben freilich unbedeutend, schränkten aber doch den Spielraum der freien Gebirgsbewohner in namhafter Weise ein und der Landfriede muß endlich auch hier seinen Einzug gehalten haben. Sowohl die Ebene und die Bergterrassen Pamphyliens wie die Bergstädte Pisidiens selbst, zum Beispiel Selge und Sagalassos, waren während der Kaiserzeit gut bevölkert und das Gebiet sorgfältig angebaut; die Reste mächtiger Wasserleitungen und auffallend großer Theater, sämmtlich Anlagen aus der römischen Kaiserzeit, zeigen zwar nur handwerksmäßige Technik, aber Spuren eines reich entwickelten friedlichen Gedeihens. Ganz freilich ward die Regierung des Raubwesens in diesen Landschaften niemals Herr, und wenn in der früheren Kaiserzeit die Heimsuchungen sich in mäßigen Grenzen hielten, traten die Banden[310] hier in den Wirren des dritten Jahrhunderts abermals als kriegführende Macht auf. Sie gehen jetzt unter dem Namen der Isaurer und haben ihren hauptsächlichen Sitz in den Gebirgen Kilikiens, von wo aus sie Land und Meer brandschatzen. Erwähnt werden sie zuerst unter Severus Alexander. Daß sie unter Gallienus ihren Räuberhauptmann zum Kaiser ausgerufen haben, wird eine Fabel sein; aber allerdings wurde unter Kaiser Probus ein solcher Namens Lydios, der lange Zeit Lykien und Pamphylien geplündert hatte, in der römischen Colonie Kremna, die er besetzt hatte, nach langer hartnäckiger Belagerung durch eine römische Armee bezwungen. In späterer Zeit finden wir um ihr Gebiet einen Militärcordon gezogen und einen eigenen commandirenden General für die Isa urer bestellt. Ihre wilde Tapferkeit hat sogar denen von ihnen, welche bei dem byzantinischen Hof Dienste nehmen mochten, eine Zeit lang eine Stellung daselbst verschafft wie die Makedonier sie am Hofe der Ptolemaeer besessen hatten; ja einer aus ihrer Mitte Zenon ist als Kaiser von Byzanz gestorben229.

Die Landschaft Galatien endlich, in ferner Zeit die Hauptstätte der orientalischen Herrschaft über Vorderasien und in den berühmten Felssculpturen des heutigen Boghazköi, einst der Königsstadt Pteria, die Erinnerungen einer fast verschollenen Herrlichkeit bewahrend, war im Lauf der Jahrhunderte in Sprache und Sitte eine keltische Insel inmitten der Fluthen der Ostvölker geworden und ist dies in der inneren Organisation auch in der Kaiserzeit geblieben. Die drei keltischen Völkerschaften, welche bei der großen Wanderung der Nation um die Zeit des Krieges zwischen Pyrrhos und den Römern in das innere Kleinasien gelangt waren und hier, wie im Mittelalter die Franken im Orient, zu einem festgegliederten Soldatenstaat sich zusammengeschlossen und nach längerem Schweifen dies- und jenseit des Halys ihre definitiven Sitze genommen hatten, hatten längst die Zeiten hinter sich, wo sie von dort aus Kleinasien brandschatzten und mit den Königen von Asia und Pergamon im Kampfe lagen, falls sie nicht als Söldner ihnen dienten; auch sie waren an der Uebermacht der Römer zerschellt (1, [311] 739) und ihnen in Asien nicht minder botmäßig geworden wie ihre Landsleute im Pothal und an der Rhone und Seine. Aber trotz ihres mehrhundertjährigen Verweilens in Kleinasien trennte immer noch eine tiefe Kluft diese Occidentalen von den Asiaten. Es war nicht bloß, daß sie ihre Landessprache und ihre Volksart festhielten, daß immer noch die drei Gaue jeder von seinen vier Erbfürsten regiert wurden und die von allen gemeinschaftlich beschickte Bundesversammlung in dem heiligen Eichenhain als höchste Behörde dem galatischen Lande vorstand (1, 688), auch nicht, daß die ungebändigte Rohheit wie die kriegerische Tüchtigkeit sie von den Nachbaren zum Nachtheil wie zum Vortheil unterschied; dergleichen Gegensätze zwischen Cultur und Barbarei gab es in Kleinasien auch sonst, und die oberflächliche und äußerliche Hellenisirung, wie die Nachbarschaft, die Handelsbeziehungen, der von den Einwanderern übernommene phrygische Cultus, das Söldnerthum sie im Gefolge hatten, wird in Galatien nicht viel später eingetreten sein als zum Beispiel in dem benachbarten Kappadokien. Der Gegensatz ist anderer Art: die keltische und die hellenische Invasion haben in Kleinasien concurrirt und zu dem nationalen Gegensatz ist der Stachel der rivalisirenden Eroberung hinzugetreten. Scharf trat dies zu Tage in der mithradatischen Krise: dem Mordbefehl des Mithradates gegen die Italiker ging zur Seite die Niedermetzelung des gesammten galatischen Adels (2, 296) und dem entsprechend haben in den Kriegen gegen den orientalischen Befreier der Hellenen die Römer keinen treueren Bundesgenossen gehabt als die Galater Kleinasiens (3, 57. 151). Darum war der Erfolg der Römer auch der ihrige und gab der Sieg ihnen in den Angelegenheiten Kleinasiens eine Zeitlang eine führende Stellung. Das alte Vierfürstenthum wurde, es scheint durch Pompeius, abgeschafft. Einer der neuen Gaufürsten, der in den mithradatischen Kriegen sich am meisten bewährt hatte, Deiotarus, brachte außer seinem eignen Gebiete Kleinarmenien und andere Stücke des ehemaligen mithradatischen Reiches an sich und ward auch den übrigen galatischen Fürsten ein unbequemer Nachbar und der mächtigste unter den kleinasiatischen Dynasten (3, 151). Nach dem Siege Caesars, dem er feindlich gegenüber gestanden hatte und den er auch durch die gegen Pharnakes geleistete Hülfe nicht für sich zu gewinnen vermochte, wurden ihm die mit oder ohne Einwilligung der römischen Regierung gewonnenen Besitzungen größtentheils wieder entzogen; der Caesarianer Mithradates [312] von Pergamon, welcher von mütterlicher Seite dem galatischen Königshaus entsproßen war, erhielt das meiste von dem, was Deiotarus verlor und wurde ihm sogar in Galatien selbst an die Seite gestellt. Aber nachdem dieser kurz darauf im taurischen Chersones sein Ende gefunden hatte (S. 287) und auch Caesar selbst nicht lange nachher ermordet worden war, setzte Deiotarus sich ungeheißen wieder in den Besitz des Verlorenen, und da er der jedesmal im Orient vorherrschenden römischen Partei sich ebenso zu fügen verstand wie sie rechtzeitig zu wechseln, starb er hochbejahrt im J. 714 [40] als Herr von ganz Galatien. Seine Nachkommen wurden mit einer kleinen Herrschaft in Paphlagonien abgefunden; sein Reich, noch erweitert gegen Süden hin durch Lykaonien und alles Land bis zur pamphylischen Küste, kam, wie schon gesagt ward, im J. 718 [38] durch Antonius an Amyntas, welcher schon in Deiotarus letzten Jahren als dessen Secretär und Feldherr das Regiment geführt zu haben scheint und als solcher vor der Schlacht von Philippiden Uebergang von den republikanischen Feldherrn zu den Triumvirn bewirkt hatte. Seine weiteren Schicksale sind schon erzählt. An Klugheit und Tapferkeit seinem Vorgänger ebenbürtig diente er erst dem Antonius, dann dem Augustus als hauptsächliches Werkzeug für die Pacification des noch nicht unterthänigen kleinasiatischen Gebiets, bis er hier im J. 729 [25] seinen Tod fand. Mit ihm endigte das galatische Königthum und verwandelte sich dasselbe in die römische Provinz Galatien. – Gallograeker heißen die Bewohner desselben bei den Römern schon in der letzten Zeit der Republik; sie sind, fügt Livius hinzu, ein Mischvolk, wie sie heißen, und aus der Art geschlagen. Auch mußte ein guter Theil derselben von den älteren phrygischen Bewohnern dieser Landschaften abstammen. Mehr noch fällt ins Gewicht, daß die eifrige Götterverehrung in Galatien und das dortige Priesterthum mit den sacralen Institutionen der europäischen Kelten nichts gemein hat; nicht bloß die große Mutter, deren heiliges Symbol die Römer der hannibalischen Zeit von den Tolistobogiern erbaten und empfingen, ist phrygischer Art, sondern auch deren Priester gehörten zum Theil wenigstens dem galatischen Adel an. Dennoch war noch in der römischen Provinz in Galatien die innere Ordnung überwiegend die keltische. Daß noch unter Pius in Galatien die dem hellenischen Recht fremde strenge väterliche Gewalt bestand, ist ein Beweis dafür aus dem Kreise des Privatrechts. Auch in den öffentlichen Verhältnissen gab es in [313] dieser Landschaft immer noch nur die drei alten Gemeinden der Tektosagen, der Tolistobogier, der Trokmer, die wohl ihren Namen die der drei Hauptörter Ankyra, Pessinus und Tanion beisetzen, aber wesentlich doch nichts sind als die wohlbekannten gallischen Gaue, die des Hauptorts ja auch nicht entbehren. Wenn bei den Kelten Asiens die Auffassung der Gemeinde als Stadt früher als bei den europäischen das Uebergewicht gewinnt230 und der Name Ankyra rascher den der Tectosagen verdrängt als in Europa der Name Burdigala den der Bituriger, dort Ankyra sogar als Vorort der gesammten Landschaft sich die ›Mutterstadt‹ (μητρόπολις) nennt, so zeigt dies allerdings, wie das ja auch nicht anders sein konnte, die Einwirkung der griechischen Nachbarschaft und den beginnenden Assimilationsprozeß, dessen einzelne Phasen zu verfolgen die uns gebliebene oberflächliche Kunde nicht gestattet. Die keltischen Namen halten sich bis in die Zeit des Tiberius, nachher erscheinen sie nur vereinzelt in den vornehmen Häusern. Daß die Römer seit Einrichtung der Provinz wie in Gallien nur die lateinische, so in Galatien neben dieser nur die griechische Sprache im Geschäftsverkehr zuließen, versteht sich von selbst. Wie es früher damit gehalten ward, wissen wir nicht, da vorrömische Schriftmäler in dieser Landschaft überhaupt nicht begegnen. Als Umgangssprache hat die keltische sich auch in Asien mit Zähigkeit behauptet231; doch gewann allmählich das Griechische die Oberhand. Im vierten Jahrhundert war Ankyra eines der Hauptcentren der griechischen Bildung; ›die kleinen Städte in dem griechischen Galatien‹, sagt der bei Vorträgen für das gebildete Publicum grau gewordene Litterat Themistios, ›können sich ja freilich mit Antiocheia nicht messen; aber die Leute eignen die Bildung sich eifriger an als [314] die richtigen Hellenen und wo sich der Philosophenmantel zeigt, hängen sie an ihm wie das Eisen am Magnet‹. Dennoch mag bis in eben diese Zeit namentlich jenseit des Halys bei den offenbar viel später hellenisirten Trokmern232 sich in den niederen Kreisen die Volkssprache gehalten haben. Es ist schon erwähnt worden (S. 92), daß nach dem Zeugniß des vielgewanderten Kirchenvaters Hieronymus noch am Ende des 4. Jahrhunderts der asiatische Galater die gleiche, wenn auch verdorbene Sprache redete, welche damals in Trier gesprochen ward. Daß als Soldaten die Galater, wenn sie auch mit den Occidentalen keinen Vergleich aushielten, doch weit brauchbarer waren als die griechischen Asiaten, dafür zeugt sowohl die Legion, welche König Deiotarus aus seinen Unterthanen nach römischem Muster aufgestellt hatte und die Augustus mit dem Reiche übernahm und in die römische Armee unter dem bisherigen Namen einreihte, wie auch daß bei der orientalischen Recrutirung der Kaiserzeit die Galater ebenso vorzugsweise herangezogen wurden wie im Occident die Bataver233.

Den außereuropäischen Hellenen gehören ferner noch die beiden großen Eilande des östlichen Mittelmeers Kreta und Kypros an so wie die zahlreichen des Inselmeers zwischen Griechenland und Kleinasien; auch die kyrenäische Pentapolis an der gegenüberliegenden africanischen Küste ist durch die umliegende Wüste von dem Binnenlande so geschieden, daß sie jenen griechischen Inseln einigermaßen gleichgestellt werden kann. Indeß der allgemeinen geschichtlichen Auffassung fügen diese Elemente der ungeheuren unter dem Scepter der Kaiser vereinigten Ländermasse wesentlich neue Züge nicht hinzu. Die kleineren Inseln, früher und vollständiger hellenisirt als der Continent, gehören ihrem Wesen nach mehr zum europäischen Griechenland als zum kleinasiatischen Colonialgebiet; wie denn des hellenischen Musterstaats Rhodos bei jenem schon mehrfach gedacht [315] worden ist. In dieser Epoche werden die Inseln hauptsächlich genannt, insofern es in der Kaiserzeit üblich ward Männer aus den besseren Ständen zur Strafe nach denselben zu verbannen. Man wählte, wo der Fall besonders schwer war, die Klippen wie Gyaros und Donussa; aber auch Andros, Kythnos, Amorgos, einst blühende Centren griechischer Cultur, waren jetzt Strafplätze, während in Lesbos und Samos nicht selten vornehme Römer und selbst Glieder des kaiserlichen Hauses freiwillig längeren Aufenthalt nahmen. Kreta und Kypros, deren alter Hellenismus unter der persischen Herrschaft oder auch in völliger Isolirung die Fühlung mit der Heimath verloren hatte, ordneten sich, Kypros als Dependenz Aegyptens, die kretischen Städte autonom, in der hellenistischen und später in der römischen Epoche nach den allgemeinen Formen der griechischen Politie. In den kyrenäischen Städten überwog das System der Lagiden; wir finden in ihnen nicht bloß, wie in den eigentlich griechischen, die hellenischen Bürger und Metöken, sondern es stehen neben beiden, wie in Alexandreia die Aegypter, die ›Bauern‹, das heißt die eingeborenen Africaner, und unter den Metöken bilden, wie ebenfalls in Alexandreia, die Juden eine zahlreiche und privilegirte Klasse.

Den Griechen insgemein hat auch das römische Kaiserregiment niemals eine Vertretung gewährt. Die augustische Amphiktionie beschränkte sich, wie wir sahen (S. 232), auf die Hellenen in Achaia, Epirus und Makedonien. Wenn die hadrianischen Panhellenen in Athen sich als die Vertretung der sämmtlichen Hellenen gerirten, so haben sie doch in die übrigen griechischen Provinzen nur insofern übergegriffen, als sie einzelnen Städten in Asia so zu sagen das Ehren-Hellenenthum decretirten (S. 245); und daß sie dies thaten, zeigt erst recht, daß die auswärtigen Griechengemeinden in jene Panhellenen keineswegs einbegriffen sind. Wenn in Kleinasien von Vertretung oder Vertretern der Hellenen die Rede ist, so ist damit in den vollständig hellenisch geordneten Provinzen Asia und Bithynia der Landtag und der Landtagsvorsteher dieser Provinzen gemeint, insofern diese aus den Deputirten der zu einer jeden derselben gehörigen Städte hervorgehen und diese sämmtlich griechische Politien sind234; [316] oder es werden in der nicht griechischen Provinz Galatien die neben dem galatischen Landtag stehenden Vertreter der in Galatien verweilenden Griechen als Griechenvorsteher bezeichnet235.

Der städtischen Conföderation hatte die römische Regierung in Kleinasien keine Veranlassung besondere Hindernisse entgegenzustellen. In römischer wie in vorrömischer Zeit haben neun Städte der Troas gemeinschaftlich religiöse Verrichtungen vollzogen und gemeinschaftliche Feste gefeiert236. Die Landtage der verschiedenen kleinasiatischen Provinzen, welche hier wie in dem gesammten Reich als feste Einrichtung von Augustus ins Leben gerufen sein werden, sind von denen der übrigen Provinzen an sich nicht verschieden. Doch hat diese Institution sich hier in eigenartiger Weise entwickelt oder vielmehr denaturirt. Mit dem nächsten Zweck dieser Jahresversammlungen der städtischen Deputirten einer jeden Provinz237 die Wünsche [317] derselben dem Statthälter oder der Regierung zur Kenntniß zu bringen und überhaupt als Organ dieser Provinz zu dienen, verband sich hier zuerst die jährliche Festfeier für den regierenden Kaiser und das Kaiserthum überhaupt: Augustus gestattete im J. 725 [29] den Landtagen von Asia und Bithynien an ihren Versammlungsorten Pergamon und Nikomedeia ihm Tempel zu errichten und göttliche Ehre zu erweisen. Diese neue Einrichtung dehnte sich bald auf das ganze Reich aus und die Verschmelzung der sacralen Institution mit der administrativen wurde ein leitender Gedanke der provinzialen Organisation der Kaiserzeit. Aber in Priester- und Festpomp, und städtischen Rivalitäten hat diese Einrichtung doch nirgends sich so entwickelt wie in der Provinz Asia und analog in den übrigen kleinasiatischen Provinzen und nirgends also neben und über die municipale sich eine provinziale Ambition mehr noch der Städte als der Individuen gestellt, wie sie in Kleinasien das gesammte öffentliche Leben beherrscht. Der von Jahr zu Jahr in der Provinz bestellte Hohepriester (ἀρχιερεύς) des neuen Tempels ist nicht bloß der vornehmste Würdenträger der Provinz, sondern es wird auch in der ganzen Provinz das Jahr nach ihm bezeichnet238. Das Fest- und Spielwesen nach dem Muster der olympischen Feier, welches bei den Hellenen allen, wie wir sahen, mehr und mehr um sich griff, knüpfte in Kleinasien überwiegend an die Feste und Spiele des provinzialen Kaisercultus an. Die Leitung derselben fiel dem Landtagspräsidenten, in Asia dem Asiarchen, in Bithynien dem Bithyniarchen und so weiter zu, und nicht minder trug er hauptsächlich die Kosten des Jahrfestes, obwohl ein Theil derselben, wie die übrigen dieses so glänzenden wie loyalen Gottesdienstes, durch freiwillige Gaben und Stiftungen gedeckt oder auch auf die einzelnen Städte repartirt wurden. Daher waren diese Präsidenturen nur reichen Leuten zugänglich; die Wohlhabenheit der Stadt Tralleis wird dadurch bezeichnet, daß an Asiarchen – der Titel blieb auch nach Ablauf des Amtjahrs – es nie daselbst fehle, die Geltung des Apostels Paulus in Ephesos durch seine Verbindung mit verschiedenen dortigen Asiarchen. Trotz der Kosten war dies eine viel umworbene Ehrenstellung, nicht wegen der daran geknüpften Privilegien, zum Beispiel [318] der Befreiung von der Vormundschaft, sondern wegen ihres äußeren Glanzes; der festliche Einzug in die Stadt, im Purpurgewand und den Kranz auf dem Haupt, unter Vortritt der das Rauchfaß schwingenden Prozessionsknaben, war im Horizont der Kleinasiaten, was bei den Hellenen der Oelzweig von Olympia. Mehrfach rühmt sich dieser oder jener vornehme Asiate nicht bloß selber Asiarch gewesen zu sein, sondern auch von Asiarchen abzustammen. Wenn sich dieser Cultus anfänglich auf die Provinzialhauptstädte beschränkte, so sprengte die municipale Ambition, die namentlich in der Provinz Asia unglaubliche Verhältnisse annahm, sehr bald diese Schranken. Hier wurde schon im J. 23 dem damals regierenden Kaiser Tiberius so wie seiner Mutter und dem Senat ein zweiter Tempel von der Provinz decretirt und nach langem Hader der Städte durch Beschluß des Senats in Smyrna errichtet. Die anderen größeren Städte folgten bei späteren Gelegenheiten nach239. Hatte bis dahin die Provinz wie nur einen Tempel, so auch nur einen Vorsteher und einen Oberpriester gehabt, so mußten jetzt nicht bloß so viele Oberpriester bestellt werden, als es Provinzialtempel gab, sondern es wurden auch, da die Leitung des Tempelfestes und die Ausrichtung der Spiele nicht dem Oberpriester, sondern dem Landesvorsteher zustand und es den rivalisirenden Großstädten hauptsächlich um die Feste und Spiele zu thun war, sämmtlichen Oberpriestern zugleich der Titel und das Recht der Vorsteherschaft gegeben, so daß wenigstens in Asia die Asiarchie und das Oberpriesterthum der Provinzialtempel zusammenfielen240. [319] Damit traten der Landtag und die bürgerlichen Geschäfte, von welchen die Institution ihren Ausgang genommen hatte, in den Hintergrund; der Asiarch war bald nichts mehr als der Ausrichter eines an die göttliche Verehrung der gewesenen und des gegenwärtigen Kaisers angeknüpften Volksfestes, weßhalb denn auch die Gemahlin desselben, die Asiarchin, sich an der Feier betheiligen durfte und eifrig betheiligte. Auch eine praktische und in Kleinasien durch das hohe Ansehen dieser Institution gesteigerte Bedeutung mag das provinziale Oberpriesterthum für den Kaisercultus gehabt haben durch die damit verknüpfte religiöse Oberaufsicht. Nachdem der Landtag den Kaisercultus einmal beschlossen und die Regierung eingewilligt hatte, folgten [320] selbstverständlich die städtischen Vertretungen nach; in Asia hatten bereits unter Augustus wenigstens alle Vororte der Gerichtssprengel ihr Caesareum und ihr Kaiserfest241. Recht und Pflicht des Oberpriesters war es, in seinem Sprengel die Ausführung dieser provinzialen und municipalen Decrete und die Uebung des Cultus zu überwachen; was dies zu bedeuten hatte, erläutert die Thatsache, daß der freien Stadt Kyzikos in Asia unter Tiberius die Autonomie unter anderem auch darum aberkannt ward, weil sie den decretirten Bau des Tempels des Gottes Augustus hatte liegen lassen – vielleicht eben, weil sie als freie Stadt nicht unter dem Landtag stand. Wahrscheinlich hat sogar diese Oberaufsicht, obwohl sie zunächst dem Kaisercultus galt, sich auf die Religionsangelegenheiten überhaupt erstreckt242. Als dann der alte und der neue Glaube im Reiche um die Herrschaft zu ringen begannen, ist deren Gegensatz wohl zunächst durch das provinziale Oberpriesterthum zum Conflict geworden. Diese aus den vornehmen Provinzialen von dem Landtag der Provinz bestellten Priester waren durch ihre Traditionen wie durch ihre Amtspflichten weit mehr als die Reichsbeamten berufen und geneigt auf Vernachlässigung des anerkannten Gottesdienstes zu achten und, wo Abmahnung nicht half, da sie selber eine Strafgewalt nicht hatten, die nach bürgerlichem Recht strafbare Handlung bei den Orts- oder den Reichsbehörden zur Anzeige zu bringen und den weltlichen Arm zu Hülfe zu rufen, vor allem den Christen gegenüber die Forderungen des Kaisercultus geltend zu machen. In der späteren Zeit schreiben die altgläubigen Regenten diesen Oberpriestern sogar ausdrücklich vor, selbst und durch die ihnen unterstellten städtischen Priester die Contraventionen gegen die bestehende Glaubensordnung zu ahnden und weisen denselben genau die Rolle zu, welche unter den Kaisern des neuen Glaubens der Metropolit und seine [321] städtischen Bischöfe einnehmen243. Wahrscheinlich hat hier nicht die heidnische Ordnung die christlichen Institutionen copirt, sondern umgekehrt die siegende christliche Kirche ihr hierarchisches Rüstzeug dem feindlichen Arsenal entnommen. Alles dies galt, wie bemerkt, für das ganze Reich; aber die sehr praktischen Consequenzen der provinzialen Regulirung des Kaisercultus, die religiöse Aufsichtführung und die Verfolgung der Andersgläubigen, sind vorzugsweise in Kleinasien gezogen worden.

Neben dem Kaisercultus fand auch die eigentliche Gottesverehrung in Kleinasien in bevorzugter Weise ihre Statt und namentlich alle ihre Auswüchse eine Freistatt. Das Unwesen der Asyle und der Wunderkuren hatte ganz besonders hier seinen Sitz. Unter Tiberius wurde die Beschränkung der ersteren vom römischen Senat angeordnet; der Heilgott Asklepios that nirgends mehr und größere Wunder als in seiner vielgeliebten Stadt Pergamon, die ihn geradezu als Zeus Asklepios verehrte und ihre Blüthe in der Kaiserzeit zum guten [322] Theil ihm verdankte. Die wirksamsten Wunderthäter der Kaiserzeit, der später kanonisirte Kappadokier Apollonios von Tyana, so wie der paphlagonische Drachenmann Alexandros von Abonuteichos sind Kleinasiaten. Wenn das allgemeine Verbot der Associationen, wie wir sehen werden, in Kleinasien mit besonderer Strenge durchgeführt ward, so wird die Ursache wohl hauptsächlich in den religiösen Verhältnissen zu suchen sein, die den Mißbrauch solcher Vereinigungen dort besonders nahe legten.

Die öffentliche Sicherheit ruhte im Wesentlichen auf dem Lande selbst. In der früheren Kaiserzeit stand, abgesehen von dem das östliche Kilikien einschließenden syrischen Commando, in ganz Kleinasien nur ein Detachement von 5000 Mann Auxiliartruppen, die in der Provinz Galatien garnisonirten244, nebst einer Flotte von 40 Schiffen; es war dies Commando bestimmt theils die unruhigen Pisidier niederzuhalten, theils die nordöstliche Reichsgrenze zu decken und die Küste des schwarzen Meeres bis zur Krim unter Aufsicht zu halten. Vespasian brachte diese Truppe auf den Stand eines Armeecorps von zwei Legionen und legte deren Stäbe in die Provinz Kappadokien an den oberen Euphrat. Außer diesen für die Grenzhut bestimmten Mannschaften gab es damals namhafte Garnisonen in Vorderasien nicht; in der kaiserlichen Provinz Lykien und Pamphylien zum Beispiel stand eine einzige Cohorte von 500 Mann, in den senatorischen Provinzen höchstens einzelne aus der kaiserlichen Garde oder aus den benachbarten Kaiserprovinzen zu speciellen Zwecken abcommandirte Soldaten245. Wenn dies einerseits für den inneren Frieden dieser Provinzen auf das nachdrücklichste zeugt und den ungeheuren Abstand der kleinasiatischen Bürgerschaften von den ewig unruhigen Hauptstädten Syriens und Aegyptens deutlich vor Augen führt, so erklärt es andererseits die schon in anderer Verbindung hervorgehobene Stabilität des Räuberwesens in [323] dem durchaus gebirgigen und im Innern zum Theil öden Lande, namentlich an der mysisch-bithynischen Grenze und in den Bergthälern Pisidiens und Isauriens. Eigentliche Bürgerwehren gab es in Kleinasien nicht. Trotz des Florirens der Turnanstalten für Knaben, Jünglinge und Männer blieben die Hellenen dieser Zeit in Asia so unkriegerisch wie in Europa246. Man beschränkte sich darauf für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit städtische Eirenarchen, Friedensmeister zu creiren und ihnen eine Anzahl zum Theil berittener städtischer Gensdarmen zur Verfügung zu stellen, gedungene Mannschaften von geringem Ansehen, welche aber doch brauchbar gewesen sein müssen, da Kaiser Marcus es nicht verschmähte, bei dem bitteren Mangel an gedienten Leuten während des Marcomanenkrieges diese kleinasiatischen Stadtsoldaten in die Reichstruppen einzureihen247.

Die Justizpflege sowohl der städtischen Behörden wie der Statthalter ließ auch in dieser Epoche vieles zu wünschen übrig; doch bezeichnet das Eintreten der Kaiserherrschaft darin eine Wendung zum Besseren. Das Eingreifen der Reichsgewalt hatte unter der Republik sich auf die strafrechtliche Controle der Reichsbeamten beschränkt und diese besonders in späterer Zeit schwächlich und parteiisch geübt oder vielmehr nicht geübt. Jetzt wurden nicht bloß in Rom die Zügel schärfer angezogen, indem die strenge Beaufsichtigung der eigenen Beamten von dem einheitlichen Militärregiment unzertrennlich war und auch der Reichssenat zu schärferer Ueberwachung der Amtspflege seiner Mandatare veranlaßt wurde, sondern es wurde jetzt möglich, die Mißgriffe der Provinzialgerichte im Wege der neu eingeführten Appellation zu beseitigen oder auch, wo unparteiisches [324] Gericht in der Provinz nicht erwartet werden konnte, den Prozeß nach Rom vor das Kaisergericht zu ziehen248. Beides kam auch den senatorischen Provinzen zu Gute und ist allem Anschein nach überwiegend als Wohlthat empfunden worden.

Wie bei den Hellenen Europas, so ist in Kleinasien die römische Provinz wesentlich ein Complex städtischer Gemeinden. Wie in Hellas werden auch hier die überkommenen Formen der demokratischen Politie im Allgemeinen festgehalten, die Beamten zum Beispiel auch ferner von den Bürgerschaften gewählt, überall aber der bestimmende Einfluß in die Hände der Begüterten gelegt und dem Belieben der Menge so wie dem ernstlichen politischen Ehrgeiz kein Spielraum gestattet. Unter den Beschränkungen der municipalen Autonomie ist den kleinasiatischen Städten eigenthümlich, daß den schon erwähnten Eirenarchen, den städtischen Polizeimeister, späterhin der Statthalter aus einer von dem Rath der Stadt aufgestellten Liste von zehn Personen ernannte. Die Regierungscuratel der städtischen Finanzverwaltung, die kaiserliche Bestellung eines nicht der Stadt selbst angehörigen Vermögenspflegers (curator rei publicae, λογιστής), dessen Consens die städtischen Behörden bei wichtigeren Vermögenshandlungen einzuholen haben, ist niemals allgemein, sondern nach Bedürfniß für diese oder jene Stadt angeordnet worden, in Kleinasien aber entsprechend der Bedeutung seiner städtischen Entwickelung besonders früh, das [325] heißt seit dem Anfang des zweiten Jahrhunderts, und besonders umfassend eingetreten. Wenigstens im 3. Jahrhundert mußten auch hier wie anderswo sonstige wichtige Beschlüsse der Gemeindeverwaltung dem Statthalter zur Bestätigung unterbreitet werden. Uniformirung der Gemeindeverfassung hat die römische Regierung nirgends und am wenigsten in den hellenischen Landschaften durchgeführt; auch in Kleinasien herrschte darin große Mannichfaltigkeit und vermuthlich vielfach das Belieben der einzelnen Bürgerschaften, obwohl für die derselben Provinz angehörigen Gemeinden das eine jede Provinz organisirende Gesetz allgemeine Normen vorschrieb. Was der Art von Institutionen als in Kleinasien verbreitet und vorherrschend diesem Landestheileigenthümlich angesehen werden kann, trägt keinen politischen Charakter, sondern ist nur etwa für die socialen Verhältnisse bezeichnend, wie die über ganz Kleinasien verbreiteten Verbände theils der älteren, theils der jüngeren Bürger, die Gerusia und die Neoi, Ressourcen für die beiden Altersklassen mit entsprechenden Turnplätzen und Festen249. Autonome Gemeinden gab es in Kleinasien von Haus aus bei weitem weniger als in dem eigentlichen Hellas und namentlich die bedeutendsten kleinasiatischen Städte[326] haben diese zweifelhafte Auszeichnung niemals gehabt oder doch früh verloren, wie Kyzikos unter Tiberius (S. 321), Samos durch Vespasian. Kleinasien war eben altes Unterthanengebiet und unter den persischen wie unter den hellenischen Herrschern an monarchische Ordnung gewöhnt; weniger als in Hellas führte hier unnützes Erinnern und unklares Hoffen hinaus über den beschränkten municipalen Horizont der Gegenwart und nicht vieles der Art störte den friedlichen Genuß des unter den bestehenden Verhältnissen möglichen Lebensglückes.

Solchen Lebensglückes gab es in Kleinasien unter dem römischen Kaiserregiment die Fülle. ›Keine Provinz von allen‹, sagt ein in Smyrna unter den Antoninen lebender Schriftsteller, ›hat so viele Städte aufzuweisen wie die unsrige und keine solche wie unsere größten. Ihr kommen zu Gute die reizende Gegend, die Gunst des Klimas, die mannichfaltigen Producte, die Lage im Mittelpunkt des Reiches, ein Kranz ringsum befriedeter Völker, die gute Ordnung, die Seltenheit der Verbrechen, die milde Behandlung der Sclaven, die Rücksicht und das Wohlwollen der Herrscher‹. Asia hieß, wie schon gesagt ward, die Provinz der fünfhundert Städte, und wenn das wasserlose zum Theil nur zur Weide geeignete Binnenland Phrygiens, Lykaoniens, Galatiens, Kappadokiens auch in jener Zeit nur dünn bevölkert war, stand die übrige Küste hinter Asia nicht weit zurück. Die dauernde Blüthe der culturfähigen Landschaften Kleinasiens erstreckt sich nicht bloß auf die Städte glänzenden Namens, wie Ephesos, Smyrna, Laodikeia, Apameia; wo immer ein von der Verwüstung der anderthalb Jahrtausende, die uns von jener Zeit trennen, vergessener Winkel des Landes sich der Forschung erschließt, da ist das erste und das mächtigste Gefühl das Entsetzen, fast möchte man sagen die Scham über den Contrast der elenden und jammervollen Gegenwart mit dem Glück und dem Glanz der vergangenen Römerzeit. Auf einer abgelegenen Bergspitze unweit der lykischen Küste, da wo nach der griechischen Fabel die Chimaera hauste, lag das alte Kragos, wahrscheinlich nur aus Balken und Lehmziegeln gebaut und darum spurlos verschwunden bis auf die cyklopische Festungsmauer am Fuß des Hügels. Unter der Kuppe breitet ein anmuthiges fruchtbares Thal sich aus, mit frischer Alpenluft und südlicher Vegetation, umgeben von wald- und wildreichen Bergen. Als unter Kaiser Claudius Lykien Provinz ward, verlegte die römische Regierung die Bergstadt, das ›grüne Kragos‹ des Horaz, in diese Ebene; auf dem Marktplatz [327] der neuen Stadt Sidyma stehen noch die Reste des viersäuligen dem Kaiser damals gewidmeten Tempels und einer stattlichen Säulenhalle, welche ein von dort gebürtiger als Arzt zu Vermögen gelangter Bürger in seiner Vaterstadt baute. Statuen der Kaiser und verdienter Mitbürger schmückten den Markt; es gab in der Stadt einen Tempel ihrer Schutzgötter, der Artemis und des Apollon, Bäder, Turnanstalten (γυμνάσια) für die ältere wie für die jüngere Bürgerschaft; von den Thoren zogen sich an der Hauptstraße, die steil am Gebirge hinab nach dem Hafen Kalabatia führte, zu beiden Seiten Reihen hin von steinernen Grabmonumenten, stattlicher und kostbarer als die Pompeiis und großentheils noch aufrecht, während die, vermuthlich wie die der Altstadt aus vergänglichem Material gebauten, Häuser verschwunden sind. Auf den Stand und die Art der einstmaligen Bewohner gestattet einen Schluß ein kürzlich dort aufgefundener wahrscheinlich unter Commodus gefaßter Gemeindebeschluß über die Constituirung der Ressource für die älteren Bürger; dieselbe wurde zusammengesetzt aus hundert zur Hälfte dem Stadtrath, zur Hälfte der übrigen Bürgerschaft entnommenen Mitgliedern, darunter nicht mehr als drei Freigelassene und ein Bastardkind, alle übrigen in rechter Ehe erzeugt und zum Theil nachweislich alten und wohlhabenden Bürgerhäusern angehörig. Einzelne dieser Familien sind zum römischen Bürgerrecht gelangt, eine sogar in den Reichssenat. Aber auch im Ausland blieb dieses senatorische Haus sowohl wie verschiedene aus Sidyma gebürtige auswärts und selbst am kaiserlichen Hof beschäftigte Aerzte der Heimath eingedenk und mehrere derselben haben ihr Leben daselbst beschlossen; einer dieser angesehenen Stadtbürger hat in einem nicht gerade vortrefflichen, aber sehr gelehrten und sehr patriotischen Elaborat die Legenden der Stadt und die sie betreffenden Weissagungen zusammengefaßt und diese Memorabilien öffentlich aufstellen lassen. Dies Kragos-Sidyma stimmte auf dem Landtag der kleinen lykischen Provinz nicht unter den Städten erster Klasse, war ohne Theater, ohne Ehrentitel und ohne jene allgemeinen Feste, die in der damaligen Welt die Großstadt bezeichnen, auch nach der Auffassung der Alten eine kleine Provinzialstadt und durchaus eine Schöpfung der römischen Kaiserzeit. Aber im ganzen Vilajet Aïdín ist heute kein Binnenort, der für civilisirte Existenz auch nur entfernt diesem Bergstädtchen, wie es war, an die Seite gestellt werden könnte. Was in diesem abgeschiedenen Fleck noch heute lebendig vor Augen steht, das ist in einer ungezählten [328] Menge anderer Städte unter der verwüstenden Menschenhand bis auf geringe Reste oder auch spurlos verschwunden. Einen gewissen Ueberblick dieser Fülle gewährt die den Städten in Kupfer freigegebene Münzprägung der Kaiserzeit: keine Provinz kann in der Zahl der Münzstätten und der Mannichfaltigkeit der Darstellungen sich auch nur von weitem mit Asia messen.

Freilich fehlt diesem Aufgehen aller Interessen in der heimathlichen Kleinstadt die Kehrseite so wenig in Kleinasien wie bei den europäischen Griechen. Was über deren Gemeindeverwaltung gesagt ist, gilt in der Hauptsache auch hier. Der städtischen Finanzwirthschaft, die sich ohne rechte Controle weiß, fehlt Stetigkeit und Sparsamkeit und oft selbst die Ehrlichkeit; bei den Bauten werden bald die Kräfte der Stadt überschritten, bald auch das Nöthigste unterlassen; die kleineren Bürger gewöhnen sich an die Spenden der Stadtkasse oder der vermögenden Leute, an das freie Oel in den Bädern, an Bürgerschmäuse und Volksbelustigungen aus fremder Tasche, die guten Häuser an die Clientel der Menge mit ihren demüthigen Huldigungen, ihren Bettelintriguen, ihren Spaltungen; Rivalitäten bestehen wie zwischen Stadt und Stadt (S. 303), so in jeder Stadt zwischen den einzelnen Kreisen und den einzelnen Häusern; die Bildung von Armenvereinen und von freiwilligen Feuerwehren, wie sie im Occident überall bestanden, wagt die Regierung in Kleinasien nicht einzuführen, weil das Factionswesen hier sich jeder Association sofort bemächtigt. Der stille See wird leicht zum Sumpf und das Fehlen des großen Wellenschlags der allgemeinen Interessen ist auch in Kleinasien deutlich zu spüren.

Kleinasien, insbesondere Vorderasien, war eines der reichsten Gebiete des großen Römerstaats. Wohl hatte das Mißregiment der Republik, die dadurch hervorgerufenen Katastrophen der mithradatischen Zeit, dann das Piratenunwesen, endlich die vieljährigen Bürgerkriege, welche finanziell wenige Provinzen so schwer betroffen hatten wie diese, die Vermögensverhältnisse der Gemeinden und der Einzelnen daselbst so vollständig zerrüttet, daß Augustus zu dem äußersten Mittel der Niederschlagung aller Schuldforderungen griff; auch machten mit Ausnahme der Rhodier alle Asiaten von diesem gefährlichen Heilmittel Gebrauch. Aber das wieder eintretende Friedensregiment glich vieles aus. Nicht überall – die Inseln des aegaeischen Meers zum Beispiel haben sich nie seitdem wieder erholt –, aber in den meisten Orten waren, schon als Augustus starb, die Wunden wie [329] die Heilmittel vergessen, und in diesem Zustand blieb das Land drei Jahrhunderte bis auf die Epoche der Gothenkriege. Die Summen, zu welchen die Städte Kleinasiens angesetzt waren und die sie selbst, allerdings unter Controle des Statthalters, zu repartiren und aufzubringen hatten, bildeten eine der bedeutendsten Einnahmequellen der Reichskasse. Wie die Steuerlast sich zu der Leistungsfähigkeit der Besteuerten verhielt, vermögen wir nicht zu constatiren; eigentliche dauernde Üeberbürdung aber verträgt sich nicht mit den Zuständen, in denen wir das Land bis gegen die Mitte des dritten Jahrhunderts finden. Mehr vielleicht noch die Schlaffheit des Regiments als absichtliche Schonung mag die fiscalische Beschränkung des Verkehrs und die nicht bloß für den Besteuerten unbequeme Anziehung der Steuerschraube in Schranken gehalten haben. Bei großen Calamitäten, namentlich bei den Erdbeben, welche unter Tiberius zwölf blühende Städte Asias, vor allem Sardes, unter Pius eine Anzahl karischer und lykischer und die Inseln Kos und Rhodos entsetzlich heimsuchten, trat die Privat-und vor allem die Reichshülfe mit großartiger Freigebigkeit ein und spendete den Kleinasiaten den vollen Segen des Großstaats, die Sammtverbürgung aller für alle. Der Wegebau, den die Römer bei der ersten Einrichtung der Provinz Asia durch Manius Aquillius (2, 54) in Angriff genommen hatten, ist in der Kaiserzeit in Kleinasien nur da ernstlich gefördert worden, wo größere Besatzungen standen, namentlich in Kappadokien und dem benachbarten Galatien, seit Vespasian am mittleren Euphrat Legionslager eingerichtet hatte250. In den übrigen Provinzen ist dafür nicht viel geschehen, zum Theil ohne Zweifel in Folge der Schlaffheit des senatorischen Regiments; wo immer hier Wege von Staatswegen gebaut wurden, geschah es auf kaiserliche Anordnung251. – Diese Blüthe Kleinasiens ist nicht das [330] Werk einer Regierung von überlegener Einsicht und energischer Thatkraft. Die politischen Einrichtungen, die gewerblichen und commerciellen Anregungen, die litterarische und künstlerische Initiative gehören in Kleinasien durchaus den alten Freistädten oder den Attaliden. Was die römische Regierung dem Lande gegeben hat, war wesentlich der dauernde Friedensstand und die Duldung des Wohlstandes im Innern, die Abwesenheit derjenigen Regierungsweisheit, die jedes gesunde Paar Arme und jedes ersparte Geldstück betrachtet als ihren unmittelbaren Zwecken von Rechts wegen verfallen – negative Tugenden keineswegs hervorragender Persönlichkeiten, aber oftmals dem gemeinen Gedeihen ersprießlicher als die Großthaten der selbstgesetzten Vormünder der Menschheit.

Der Wohlstand Kleinasiens beruhte in schönem Gleichgewicht ebenso auf der Bodencultur wie auf der Industrie und dem Handel. Die Gunst der Natur ist insbesondere den Küstenlandschaften in reichstem Maße zu Theil geworden, und vielfach zeigt es sich, mit wie emsigem Fleiß auch unter schwierigeren Verhältnissen, zum Beispiel in dem felsigen Thal des Eurymedon in Pamphylien von den Bürgern von Selge, jedes irgend brauchbare Bodenstück ausgenutzt ward. Die Erzeugnisse der kleinasiatischen Industrie sind zu zahlreich und zu mannichfaltig, um bei den einzelnen zu verweilen252; erwähnt mag werden, daß die ungeheuren Triften des Binnenlandes mit ihren Schaf- und Ziegenheerden Kleinasien zum Hauptland der Wollindustrie und [331] der Weberei überhaupt gemacht haben – es genügt zu erinnern an die milesische und die galatische, das ist die Angorawolle, die attalischen Goldstickereien, die nach nervischer, das heißt flandrischer Art in den Fabriken des phrygischen Laodikeia gefertigten Tuche. Daß in Ephesos fast ein Aufstand aus gebrochen wäre, weil die Goldschmiede von dem neuen Christenglauben Beschädigung ihres Absatzes von Heiligenbildern befürchteten, ist bekannt. In Philadelpheia, einer bedeutenden Stadt Lydiens, kennen wir von den sieben Quartieren die Namen zweier: es sind die der Wollenweber und der Schuster. Wahrscheinlich tritt hier zu Tage, was bei den übrigen Städten unter älteren und vornehmeren Namen sich versteckt, daß die bedeutenderen Städte Asias durchgängig nicht bloß eine Menge Handwerker, sondern auch eine zahlreiche Fabrikbevölkerung in sich schlossen. Der Geld- und Handelsverkehr ruhte in Kleinasien hauptsächlich auf der eigenen Production. Der große ausländische Import und Export Syriens und Aegyptens war hier in der Hauptsache ausgeschlossen, wenn auch aus den östlichen Ländern mancherlei Artikel, zum Beispiel durch die galatischen Händler eine beträchtliche Zahl von Sclaven nach Kleinasien eingeführt wurden253. Aber wenn die römischen Kaufleute hier wie es scheint in jeder großen und kleinen Stadt, selbst in Orten wie Ilion und Assos in Mysien, Prymnessos und Traianupolis in Phrygien in solcher Zahl zu finden waren, daß ihre Vereine neben der Stadtbürgerschaft bei öffentlichen Acten sich zu betheiligen pflegen; wenn in Hierapolis im phrygischen Binnenland ein Fabrikant (ἐργαστής) auf sein Grab schreiben ließ, daß er zweiundsiebzigmal in seinem Leben um Cap Malea nach Italien gefahren sei und ein römischer Dichter den Kaufmann der Hauptstadt schildert, welcher nach dem Hafen eilt, um den Geschäftsfreund aus dem nicht weit von Hierapolis entfernten Kibyra nicht in die Hände von Concurrenten fallen zu lassen, so öffnet sich damit ein Einblick in ein reges gewerbliches und kaufmännisches Treiben nicht bloß in den Häfen. Von dem stetigen Verkehr mit Italien zeugt auch die Sprache; unter den in Kleinasien gangbar gewordenen lateinischen Wörtern rühren nicht wenige aus solchem Verkehr her, wie denn in Ephesos sogar die Gilde [332] der Wollenweber sich lateinisch benennt254. Lehrer aller Art und Aerzte kamen nach Italien und den übrigen Ländern lateinischer Zunge vorzugsweise von hier und gewannen nicht bloß oftmals bedeutendes Vermögen, sondern brachten dies auch in ihre Heimath zurück; unter denen, welchen die Städte Kleinasiens Bauwerke oder Stiftungen verdanken, nehmen die reich gewordenen Aerzte255 und Litteraten einen hervorragenden Platz ein. Endlich die Auswanderung der großen Familien nach Italien hat Kleinasien weniger und später betroffen als den Occident; aus Vienna und Narbo siedelte man leichter nach der Hauptstadt des Reiches über als aus den griechischen Städten und auch die Regierung war in früherer Zeit nicht eben geneigt die vornehmen Municipalen Kleinasiens an den Hof zu ziehen und sie in die römische Aristokratie einzuführen.

Wenn wir absehen von der wunderbaren Frühblüthe, in welcher [333] das ionische Epos und die aeolische Lyrik, die Anfänge der Geschichtsschreibung und der Philosophie, der Plastik und der Malerei an diesen Gestaden keimten, so war in der Wissenschaft wie in der Kunstübung die große Zeit Kleinasiens die der Attaliden, welche die Erinnerung jener noch größeren Epoche treulich pflegte. Wenn Smyrna seinem Bürger Homeros göttliche Verehrung erwies, auch Münzen auf ihn schlug und nach ihm nannte, so drückt sich darin die Empfindung aus, die ganz Ionien und ganz Kleinasien beherrschte, daß die göttliche Kunst überhaupt in Hellas und im Besondern in Ionien auf die Erde niedergestiegen sei. Wie früh und in welchem Umfang für den Elementarunterricht in diesen Gegenden öffentlich gesorgt worden ist, veranschaulicht ein denselben betreffender Beschluß der Stadt Teos256 in Lydien. Danach soll, nachdem die Capitalschenkung eines reichen Bürgers die Stadt dazu in Stand gesetzt hat, in Zukunft neben dem Turninspector (γυμνασιάρχης) weiter das Ehrenamt eines Schulinspectors (παιδονόμος) eingerichtet werden. Ferner sollen mit Besoldung angestellt werden drei Schreiblehrer mit Gehalten, je nach den drei Klassen, von 600, 550 und 500 Drachmen, damit im Schreiben sämmtliche freie Knaben und Mädchen unterwiesen werden können; ebenfalls zwei Turnmeister mit je 500 Drachmen Gehalt, ein Musiklehrer mit Gehalt von 700 Drachmen, welcher die Knaben der beiden letzten Schuljahre und die aus der Schule entlassenen Jünglinge im Lautenschlagen und Citherspielen unterweist, ein Fechtlehrer mit 300 und ein Lehrer für Bogenschießen und Speerwerfen mit 250 Drachmen Besoldung. Die Schreib-und der Musiklehrer sollen jährlich im Rathhaus ein öffentliches Examen der Schüler abhalten. Das ist das Kleinasien der Attalidenzeit; aber die römische Republik hat deren Arbeit nicht fortgesetzt. Sie ließ ihre Siege über die Galater nicht durch den Meißel verewigen und die pergamenische Bibliothek kam kurz vor der aktischen Schlacht nach Alexandreia; viele der besten Keime sind in der Verwüstung der mithradatischen und der Bürgerkriege zu Grunde gegangen. Erst in der Kaiserzeit regenerirte sich mit dem Wohlstande Kleinasiens wenigstens äußerlich die Pflege der Kunst und vor allem der Litteratur. Einen eigentlichen [334] Primat, wie ihn als Universitätsstadt Athen besaß, im Kreise der wissenschaftlichen Forschung Alexandreia, für Schauspiel und Ballet die leichtfertige Hauptstadt Syriens, kann keine der zahlreichen Städte Kleinasiens nach irgend einer Richtung hin in Anspruch nehmen; aber die allgemeine Bildung ist wahrscheinlich nirgends weiter verbreitet und eingreifender gewesen. Den Lehrern und den Aerzten Befreiung von den mit Kosten verbundenen städtischen Aemtern und Aufträgen zu gewähren muß in Asia früh üblich geworden sein; an diese Provinz ist der Erlaß des Kaisers Pius gerichtet (S. 303), welcher, um der für die städtischen Finanzen offenbar sehr beschwerlichen Exemtion Schranken zu setzen, Maximalzahlen dafür vorschreibt, zum Beispiel den Städten erster Klasse gestattet bis zu zehn Aerzten, fünf Lehrmeistern der Rhetorik und fünf der Grammatik diese Immunität zu gewähren. Daß in dem Litteratenthum der Kaiserzeit Kleinasien in erster Reihe steht, beruht auf dem Rhetoren- oder, nach dem späterhin üblichen Ausdruck, dem Sophistenwesen der Epoche, das wir Neueren uns nicht leicht vergegenwärtigen. An die Stelle der Schriftstellerei, die ziemlich aufgehört hat etwas zu bedeuten, ist der öffentliche Vortrag getreten, von der Art etwa unserer heutigen Universitäts- und akademischen Reden, ewig sich neu erzeugend und nur ausnahmsweise gelagert, einmal gehört und beklatscht und dann auf immer vergessen. Den Inhalt giebt häufig die Gelegenheit, der Geburtstag des Kaisers, die Ankunft des Statthalters, jedes öffentliche oder private analoge Ereigniß; noch häufiger wird ohne jede Veranlassung ins Blaue hinein über alles geredet, was nicht praktisch und nicht lehrhaft ist. Politische Rede giebt es für diese Zeit überhaupt nicht, nicht einmal im römischen Senat. Die Gerichtsrede ist den Griechen nicht mehr der Zielpunkt der Redekunst, sondern steht neben der Rede um der Rede willen als vernachlässigte und plebejische Schwester, zu der sich ein Meister jener gelegentlich einmal herabläßt. Der Poesie, der Philosophie, der Geschichte wird entnommen, was sich gemeinplätzig behandeln läßt, während sie alle selbst überhaupt wenig und am wenigsten in Kleinasien gepflegt und noch weniger geachtet neben der reinen Wortkunst und von ihr durchseucht verkümmern. Die große Vergangenheit der Nation betrachten diese Redner so zu sagen als ihr Sondergut; sie verehren und behandeln den Homer einigermaßen wie die Rabbiner die Bücher Moses, und auch in der Religion befleißigen sie sich eifrigster Orthodoxie. Getragenwerden diese Vorträge durch alle erlaubten und unerlaubten Hülfsmittel des Theaters, die Kunst der [335] Gesticulation und der Modulation der Stimme, die Pracht des Rednercostüms, die Kunstgriffe des Virtuosenthums, das Factionswesen, die Concurrenz, die Claque. Dem grenzenlosen Selbstgefühl dieser Wortkünstler entspricht die lebhafte Theilnahme des Publicums, welche derjenigen für die Rennpferde nur wenig nachsteht, und der völlig nach Theaterart dieser Theilnahme gegebene Ausdruck; und die Stetigkeit, womit dergleichen Exhibitionen in den größeren Orten den Gebildeten vorgeführt werden, fügt sie, ebenfalls wie das Theater, überall in die städtischen Lebensgewohnheiten ein. Wenn vielleicht an den Eindruck, welchen in unseren bewegtesten Großstädten die obligaten Reden ihrer gelehrten Körperschaften hervorrufen, sich dies untergegangene Phänomen für unser Verständniß einigermaßen anknüpfen läßt, so fehlt doch in den heutigen Verhältnissen ganz, was in der alten Welt weit die Hauptsache war: das didaktische Moment und die Verknüpfung des zwecklosen öffentlichen Vertrags mit dem höheren Jugendunterricht. Wenn dieser heute, wie man sagt, den Knaben der gebildeten Klasse zum Professor der Philologie erzieht, so erzog er ihn damals zum Professor der Eloquenz, und zwar dieser Eloquenz. Denn die Schulung lief mehr und mehr darauf hinaus dem Knaben die Fertigkeit beizubringen eben solche Vorträge, wie sie eben geschildert wurden, selber, wo möglich in beiden Sprachen, zu halten und wer mit Nutzen den Cursus absolvirt hatte, beklatschte in den analogen Leistungen die Erinnerung an die eigene Schulzeit. Diese Production umspannt zwar den Orient wie den Occident; aber Kleinasien steht voran und giebt den Ton an. Als in der augustischen Zeit die Schulrhetorik in dem lateinischen Jugendunterricht der Hauptstadt Fuß faßte, waren die Hauptträger neben Italienern und Spaniern zwei Kleinasiaten, Arellius Fuscus und Cestius Pius. Ebendaselbst, wo die ernsthafte Gerichtsrede sich in der besseren Kaiserzeit neben diesem Parasiten behauptete, weist ein geistvoller Advocat der flavischen Zeit auf die ungeheure Kluft hin, welche den Niketes von Smyrna und die andern in Ephesos und Mytilene beklatschten Redeschulmeister von Aeschines und Demosthenes trennt. Bei weitem die meisten und namhaftesten der gefeierten Rhetoren dieser Art sind von der Küste Vorderasiens. Wie sehr für die Finanzen der kleinasiatischen Städte die Schulmeisterlieferung für das ganze Reich ins Gewicht fiel, ist schon bemerkt worden. Im Laufe der Kaiserzeit steigt die Zahl und die Geltung dieser Sophisten beständig und mehr und mehr gewinnen sie Boden auch[336] im Occident. Die Ursache davon liegt zum Theil wohl in der veränderten Haltung der Regierung, die im zweiten Jahrhundert, insbesondere seit der nicht so sehr hellenisirenden als übel kosmopolitisirenden hadrianischen Epoche, sich weniger ablehnend gegen das griechische und das orientalische Wesen verhielt als im ersten; hauptsächlich aber in der immer zunehmenden Verallgemeinerung der höheren Bildung und der rasch sich vermehrenden Zahl der Anstalten für den höheren Jugendunterricht. Es gehört also die Sophistik allerdings besonders nach Kleinasien und besonders in das Kleinasien des zweiten und dritten Jahrhunderts; nur darf in diesem Litteratenprimat keine specielle Eigenthümlichkeit dieser Griechen und dieser Epoche oder gar eine nationale Besonderheit gefunden werden. Die Sophistik sieht sich überall gleich, in Smyrna und Athen wie in Rom und Karthago; die Eloquenzmeister wurden verschickt wie die Lampenformen und das Fabricat überall in gleicher Weise, nach Verlangen griechisch oder lateinisch, hergestellt, die Fabrication dem Bedarf entsprechend gesteigert. Aber freilich lieferten diejenigen griechischen Landschaften, die an Wohlstand und Bildung voranstanden, diesen Exportartikel in bester Qualität und in größter Quantität; von Kleinasien gilt dies für die Zeiten Sullas und Ciceros nicht minder wie für die Hadrians und der Antonine.

Indeß ist auch hier nicht alles Schatten. Eben diese Landschaften besitzen zwar nicht unter den professionellen Sophisten, aber doch unter den Litteraten anderer Richtung, die auch noch dort verhältnißmäßig zahlreich sich finden, die besten Vertreter des Hellenismus, welche diese Epoche überhaupt aufweist, den Lehrer der Philosophie Dion von Prusa in Bithynien unter Vespasian und Traian und den Mediciner Galenos aus Pergamon, kaiserlichen Leibarzt am Hofe des Marcus und des Severus. Bei Galenos erfreut namentlich die feine Weise des Welt- und des Hofmanns in Verbindung mit einer allgemeinen litterarischen und philosophischen Bildung, wie sie bei den Aerzten dieser Zeit überhaupt häufig hervortritt257. An Reinheit der Gesinnung [337] und Klarheit über die Lage der Dinge giebt der Bithyner Dion dem Gelehrten von Chaeronea nichts nach, an Gestaltungskraft, an Feinheit und Schlagfertigkeit der Rede, an ernstem Sinn bei leichter Form, an praktischer Energie ist er ihm überlegen. Die besten seiner Schriften, die Phantasien von dem idealen Hellenen vor der Erfindung der Stadt und des Geldes, die Ansprache an die Rhodier, die einzigen übrig gebliebenen Vertreter des echten Hellenismus, die Schilderung der Hellenen seiner Zeit in der Verlassenheit von Olbia wie in der Ueppigkeit von Nikomedeia und von Tarsos, die Mahnungen an den Einzelnen zu ernster Lebensführung und an alle zu einträchtigem Zusammenhalten sind das beste Zeugniß dafür, daß auch von dem kleinasiatischen Hellenismus der Kaiserzeit das Wort des Dichters gilt: untergehend sogar ist's immer dieselbige Sonne.


Quelle:
Theodor Mommsen: Römische Geschichte. Berlin 1927, Bd. 5, S. 295-339.
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