Kapitel XIII

Die africanischen Provinzen

[620] Nordafrica steht physisch und ethnographisch inselartig auf sich selbst. Die Natur hat es nach allen Seiten hin isolirt, theils durch das mittelländische Meer, theils durch den weitgedehnten des Anbaus unfähigen Strand der großen Syrte unter dem heutigen Fezzan und im Anschluß daran durch die ebenfalls der Cultur verschlossene Wüste, welche das Steppenland und die Oasen der Sahara südlich abschließt. Ethnographisch bildet die Bevölkerung dieses weiten Gebiets eine große Völkerfamilie, aufs schärfste geschieden von den Schwarzen des Südens, aber ebenfalls streng gesondert von den Aegyptiern, wenn auch vielleicht mit diesen einstmals eine Urgemeinschaft bestanden haben mag. Sie selber nennen sich im Rîf bei Tanger Amâzigh, in der Sahara Imôschagh und der gleiche Name begegnet, auf einzelne Stämme bezogen, mehrfach bei den Griechen und Römern, so als Maxyer bei der Gründung Karthagos (1, 674), als Maziken in der Römerzeit an verschiedenen Stellen der mauretanischen Nordküste; die den zerstreuten Ueberresten gebliebene gleichartige Benennung beweist, daß diesem großen Volke seine Zusammengehörigkeit einmal aufgegangen ist und sich dem Bewußtsein dauernd eingeprägt hat. Den Völkern, die mit ihnen in Berührung kamen, ist dieselbe wenig deutlich geworden; auch sind die Verschiedenheiten, die zwischen ihren einzelnen Theilen obwalten, nicht bloß heut zu Tage grell, nachdem in den vergangenen Jahrtausenden die Mischung mit den Nachbarvölkern, namentlich den Negern im Süden und den Arabern im Norden, auf sie eingewirkt hat, sondern sicher auch schon [620] vor diesen fremden Einwirkungen so bedeutend gewesen, wie die räumliche Ausdehnung es verlangt. Ein allgemein gültiger Ausdruck für die Nation als solche fehlt allen übrigen Idiomen; auch wo die Benennung über die Stammbezeichnung hinausgeht531, beschreibt sie dennoch nicht den vollen Kreis. Die der Libyer, welche die Aegyptier und nach ihrem Vorgang die Griechen brauchen, gehört ursprünglich den östlichsten mit Aegypten sich berührenden Stämmen und ist denen der Osthälfte stets vorzugsweise eigen geblieben. Die der Nomaden, griechischen Ursprungs, drückt zunächst nur die mangelnde Seßhaftigkeit aus und hat dann in der römischen Umgestaltung als Numidier an demjenigen Gebiet gehaftet, welches König Massinissa unter seiner Herrschaft vereinigte. Die der Mauren, einheimischen Ursprungs und den späteren Griechen wie den Römern geläufig, beschränkt sich auf die westlichen Landestheile und bleibt den hier gebildeten Königreichen und den daraus hervorgegangenen römischen Provinzen. Die Stämme des Südens werden unter dem Namen der Gaetuler zusammengefaßt, welchen indeß der strengere Sprachgebrauch auf das Gebiet am atlantischen Meer südwärts von Mauretanien beschränkt. Wir sind gewohnt die Nation mit dem Namen der Berbern zu bezeichnen, mit welchem die Araber die nördlichen Stämme belegen. Ihrer Art nach stehen sie den indogermanischen bei weitem näher als den semitischen und bilden noch heute, wo seit der Invasion des Islam Nordafrica der semitischen Race anheimgefallen ist, gegen die Araber den schärfsten Contrast. Nicht mit Unrecht haben manche Geographen des Alterthums Africa als dritten Erdtheil überhaupt nicht gelten lassen, sondern Aegypten zu Asien, das Berbergebiet zu Europa gestellt. Wie die Pflanzen und die Thiere Nordafricas im Wesentlichen denen der gegenüber liegenden südeuropäischen Küste entsprechen, so weist auch der Menschenschlag, wo er sich unvermischt erhalten hat, durchaus nach Norden: [621] die blonden Haare und die blauen Augen eines beträchtlichen Theils, die hohe Statur, der schlanke Wuchs, der kräftige Gliederbau, die durchgängige Monogamie und die geachtete Stellung der Frau, das lebendige und bewegliche Temperament, die Neigung zu seßhaftem Leben, die auf volle Gleichberechtigung der erwachsenen Männer gegründete Gemeinde, welche in der üblichen Conföderation mehrerer Gemeinden auch zu weiterer staatlicher Gestaltung das Fundament bietet532. Zu eigentlich politischer Entwickelung und zu voller Civilisirung ist diese von Negern, Aegyptiern, Phoenikern, Römern, Arabern umdrängte Nation zu keiner Zeit gelangt; genähert muß sie sich derselben haben unter dem Regiment des Massinissa. Das aus dem phönikischen selbständig abgeleitete Alphabet, dessen die Berbern sich unter römischer Herrschaft bedienten und das diejenigen der Sahara heute noch gebrauchen, so wie das, wie bemerkt, einstmals ihnen gewordene Gefühl der nationalen Zusammengehörigkeit mögen wohl zurückgehen auf den großen numidischen König und seine Nachkommen, welche die späteren Geschlechter als Götter verehrten533. Trotz aller Invasionen haben sie ihr ursprüngliches Gebiet zu einem beträchtlichen Theil behauptet: man rechnet jetzt in Marocco etwa zwei Drittel, in Algier etwa die Hälfte der Einwohner als berberischer Herkunft.

[622] Die Immigration, welcher alle Küsten des Mittelmeeres in frühester Zeit unterlegen haben, hat Nordafrica phönikisch gemacht. An die Phöniker haben die Eingeborenen den größten und besten Theil der Nordküste verloren; die Phöniker haben ganz Nordafrica der griechischen Civilisirung entzogen. Die sprachliche wie die politische Scheide macht wieder die große Syrte; wie östlich die Pentapolis von Kyrene zu dem griechischen Kreis gehört, so ist westlich die Tripolis (Tripoli) von Groß-Leptis phönikisch geworden und geblieben. Wie dann die Phöniker nach mehrhundertjährigen Kämpfen den Römern unterlagen, ist früher erzählt worden. Hier haben wir die Schicksale Africas zu berichten, nachdem die Römer das karthagische Gebiet besetzt und die benachbarten Landschaften von sich abhängig gemacht hatten.

Die Kurzsichtigkeit und die Engherzigkeit, man darf hier sagen die Verkehrtheit und die Brutalität des auswärtigen Regiments der römischen Republik hat nirgends so voll geschaltet wie in Africa. Im südlichen Gallien und mehr noch in Spanien verfolgt das römische Regiment wenigstens eine consolidirte Gebietserweiterung und halb unfreiwillig die Anfänge der Latinisirung; im griechischen Osten wird die Fremdherrschaft gemildert und oft fast ausgeglichen durch die selbst der harten Politik die Hand zwingende Gewalt des Hellenismus. Ueber diesen dritten Welttheil aber scheint noch über das Grab der Vaterstadt Hannibals hinaus der alte Nationalhaß gegen die Poener zu walten. Man hielt das Gebiet fest, welches Karthago bei seinem Untergange besessen hatte, aber weniger um es zu eigenem Nutzen zu entwickeln als um es anderen nicht zu gönnen, nicht um dort neues Leben zu erwecken, sondern um die Leiche zu hüten; nicht Herrsch- und Habsucht, Furcht und Neid haben die Provinz Africa geschaffen. Eine Geschichte hat sie unter der Republik nicht; der Jugurtha-Krieg ist für Africa nichts als eine Löwenjagd und seine historische Bedeutung liegt in seiner Verknüpfung mit den republikanischen Parteikämpfen. Das Land wurde selbstverständlich von der römischen Speculation ausgenutzt; aber weder durfte die zerstörte Großstadt wieder erstehen noch eine Nachbarstadt sich zu ähnlicher Blüthe entwickeln; es gab hier auch keine ständigen Lager wie in Spanien und Gallien; die eng begrenzte römische Provinz war auf allen Seiten umschlossen von relativ civilisirtem Gebiet des abhängigen Königs von Numidien, der an dem Werk der Zerstörung Karthagos mit geholfen hatte und nun [623] als Lohn dafür weniger die Beute empfing als die Aufgabe dieselbe vor den Einfällen der wilden Horden des Binnenlandes zu schützen. Daß dadurch diesem eine politische und militärische Bedeutung gegeben ward, wie sie nie ein anderer römischer Clientelstaat besessen hat und daß auch nach dieser Seite hin die römische Politik, um nur den Schemen Karthagos zu bannen, ernsthafte Gefahren heraufbeschwor, das hat der Antheil Numidiens an den Bürgerkriegen Roms bewiesen; nie hat während aller inneren Krisen des Reiches vorher oder nachher ein Clientelfürst eine solche Rolle gespielt wie der letzte König von Numidien in dem Kriege der Republikaner gegen Caesar.

Um so nothwendiger verwandelte durch diese Waffenentscheidung sich in Africa die Lage der Dinge. In den übrigen Provinzen wechselte in Folge der Bürgerkriege die Herrschaft, in Africa das System. Schon der africanische Besitz der Phöniker ist keine eigentliche Herrschaft über Africa; er kann einigermaßen verglichen werden mit dem kleinasiatischen der Hellenen vor Alexander. Von dieser Herrschaft hatten dann die Römer nur einen kleinen Theil übernommen und diesem das Herzblatt ausgebrochen. Jetzt steht Karthago wieder auf und, als wenn der Boden nur auf den Samen gewartet hätte, bald wieder in voller Blüthe. Das gesammte Hinterland, das große Königreich Numidien wird römische Provinz und den Grenzschutz gegen die Barbaren übernehmen die römischen Legionare. Das Königreich Mauretanien wird zunächst römische Dependenz, bald auch Theil des römischen Reiches. Mit dem Dictator Caesar tritt die Civilisirung und die Latinisirung Nordafricas unter die Aufgaben der römischen Regierung ein. Wie dieselbe durchgeführt worden ist, soll hier dargelegt werden, zunächst die äußere Organisation, sodann die für die einzelnen Landschaften getroffenen Ordnungen und erzielten Erfolge.

Die Territorialhoheit über ganz Nordafrica hat wohl schon die römische Republik in Anspruch genommen, vielleicht als einen Theil der karthagischen Erbschaft, vielleicht weil ›unser Meer‹ früh einer der Grundgedanken des römischen Staatswesens ward und insofern alle Küsten desselben den Römern schon der entwickelten Republik als ihr rechtes Eigenthum galten. Es ist auch dieser Anspruch Roms von den größeren Staaten Nordafricas nach der Zerstörung Karthagos nie eigentlich bestritten worden; wenn vielerorts die Anwohner sich der Herrschaft nicht fügten, gehorchten sie eben auch ihren örtlichen [624] Herrschern nicht. Daß die Silbermünzen des Königs Juba I. von Numidien und des Königs Bogud von Mauretanien auf römischen Fuß geprägt sind und die den damaligen Sprach- und Verkehrsverhältnissen Nordafricas wenig angemessene lateinische Aufschrift nie auf ihnen fehlt, ist die directe Anerkennung der römischen Oberhoheit, vermuthlich eine Consequenz der im J. 674 [80] d. St. durch Pompeius vollzogenen Neuordnung Nordafricas (2, 333). Der überhaupt geringfügige Widerstand, den die Africaner, von Karthago abgesehen, den Römern entgegenstellten, kam von den Nachkommen Massinissas; nachdem König Jugurtha und später König Juba überwunden waren, fanden sich die Fürsten des Westlandes ohne weiteres in die von ihnen geforderte Abhängigkeit. Die Anordnungen, welche die Kaiser trafen, vollzogen sich wie in dem unmittelbaren Gebiet so auch in dem lehnsfürstlichen völlig auf gleiche Weise; es ist die römische Regierung, welche in ganz Nordafrica die Grenzen regulirt und in dem Königreich Mauretanien nicht minder wie in der Provinz Numidien nach Ermessen römische Bürgergemeinden constituirt. Es kann darum auch nicht eigentlich von einer römischen Unterwerfung Nordafricas gesprochen werden. Die Römer haben dasselbe nicht erobert wie die Phoeniker oder die Franzosen, sondern über Numidien wie über Mauretanien erst als Suzeraine, dann als Nachfolger der einheimischen Regierungen geherrscht. Es fragt sich um so mehr, ob der Begriff der Grenze auf Africa in dem gewöhnlichen Sinne Anwendung leidet. Die Staaten des Massinissa, des Bocchus, des Bogud, auch der karthagische gingen aus von dem Nordrand und alle Civilisation Nordafricas ruht vorzugsweise auf dieser Küste; aber so viel wir erkennen können, haben sie sämmtlich die im Süden sitzenden oder schweifenden Stämme als botmäßig und, wenn sie sich der Botmäßigkeit entzogen, als Aufrührer betrachtet, so weit nicht die Ferne und die Wüste mit der Berührung auch die Beherrschung aufhob. Benachbarte Staaten, mit denen ein Rechts- und Vertragsverhältniß bestanden hätte, lassen sich im Süden Nordafricas kaum nachweisen, oder wo ein solcher hervortritt, wie namentlich das Königreich der Garamanten, ist seine Stellung nicht streng zu unterscheiden von der der Stammfürstenthümer innerhalb des civilisirten Gebiets. Dies gilt auch für das römische Africa; wie für ihre Vorherrscher ist auch wohl für die römische Civilisation, aber kaum für die römische Territorialhoheit die Grenze nach Süden zu finden. Von einer formalen Erweiterung oder Zurücknahme der Grenzen ist in Africa niemals die [625] Rede; die Insurrectionen in dem römischen Gebiet und die Einfälle der Nachbarvölker sehen hier um so mehr sich ähnlich, als auch in den unzweifelhaft im römischen Besitz stehenden Landschaften mehr noch als in Syrien und in Spanien mancher abgelegene und unwegsame District von römischer Besteuerung und römischer Recrutirung nichts wußte. Darum erscheint es angemessen mit der Darstellung der einzelnen Provinzen zugleich die geringe Kunde zu verbinden, welche uns von da über die freundlichen oder feindlichen Berührungen der Römer mit ihren südlichen Anwohnern in der historischen Ueberlieferung oder durch erhaltene Denkmäler geblieben ist.

Das ehemalige Gebiet von Karthago und der durch den Dictator Caesar damit vereinigte größere Theil des früheren Königreichs Numidien, oder, wie man sie auch nannte, das alte und das neue Africa bildeten bis zum Ende der Regierung des Tiberius die Provinz dieses Namens, welche von der Grenze Kyrenes sich bis zum Ampsagafluß erstreckt, den heutigen Staat Tripolis sowie Tunesien und die französische Provinz Constantine umfassend (3, 458). Indeß kam die Regierung für dies bedeutende und eine ausgedehnte Grenzvertheidigung erfordernde Gebiet unter Kaiser Gaius im wesentlichen auf die Zweitheilung der republikanischen Zeit zurück und überwies den besonderer Grenzhut nicht bedürftigen Theil der Provinz dem Civilregiment, das übrige mit Garnisonen belegte Gebiet einem von diesem nicht ferner ressortirenden Militärcommandanten. Die Ursache davon war, daß Africa bei der Theilung der Provinzen zwischen Kaiser und Senat dem letzteren gegeben ward, und da bei den dortigen Verhältnissen ein größeres Commando nicht fehlen konnte, das Nebeneinanderstehen des von dem Senat abgeordneten Statthalters und des vom Kaiser ernannten Militärcommandanten, welcher letztere nach der bestehenden Hierarchie unter die Befehle des ersteren gestellt war, Reibungen zwischen diesen Beamten und selbst zwischen Kaiser und Senat hervorrufen mußte und hervorrief. Diesem wurde im Jahre 37 dadurch ein Ende gemacht, daß das Küstenland von Hippo (Bone) bis an die kyrenaeische Grenze den alten Namen Africa behielt und dem Proconsul verblieb, dagegen der westliche Theil der Provinz mit der Hauptstadt Cirta (Constantine), ferner das Binnenland mit den großen Militärlagern nördlich vom Aures, überhaupt alles mit Garnisonen belegte Gebiet dem Commandanten der africanischen Legion unterstellt wurde. Derselbe hatte senatorischen [626] Rang, gehörte aber nicht zu der consularischen, sondern zu der prätorischen Klasse.

Die Westhälfte Nordafricas zerfiel zur Zeit des Dictators Caesar (3, 449) in die beiden Reiche von Tingi (Tanger), damals unter König Bogud, und von Iol, dem späteren Caesarea (Scherschel), damals unter König Bocchus. Da beide Könige in dem Kampf gegen die Republikaner ebenso entschieden für Caesar eingetreten waren, wie König Juba von Numidien für die Gegenpartei, und ihm während des africanischen und des spanischen Krieges die wesentlichsten Dienste geleistet hatten, so blieben auch beide nicht bloß im Besitz ihrer Herrschaft, sondern es wurde Bocchus Gebiet und wahrscheinlich auch das des Bogud von dem Sieger erweitert534. Als dann die Rivalitäten zwischen Antonius und Caesar dem Sohn begannen, stellte König Bogud allein im Occident sich auf die Seite des Antonius und fiel auf Veranlassung des Bruders und der Gattin desselben während des perusinischen Krieges (714 [40]) in Spanien ein; aber sein Nachbar Bocchus und seine eigene Hauptstadt Tingis traten für Caesar ein und ihm entgegen. Bei dem Friedensschluß ließ Antonius den Bogud fallen und gab Caesar dessen übriges Gebiet an den König Bocchus, der Stadt Tingis aber römisches Stadtrecht. Als einige Jahre später es zwischen den beiden Herrschern zum Bruch kam, betheiligte sich der Exkönig energisch an dem Kampfe, in der Hoffnung, bei dieser Gelegenheit sein Reich wieder [627] zu erlangen, wurde aber bei der Einnahme der messenischen Stadt Methone von Agrippa gefangen genommen und hingerichtet. Schon einige Jahre vorher (721 [83]) war König Bocchus gestorben; sein Reich, das gesammte westliche Africa, erhielt bald darauf (729 [25]) der Sohn des letzten numidischen Königs Juba II., der Gemahl der Kleopatra, der Tochter des Antonius von der Aegyptierin535. Beide waren in früher Jugend als gefangene Königskinder dem römischen Publicum zur Schau gestellt worden, Juba im Triumphzug Caesars des Vaters, Kleopatra in dem des Sohnes; es war eine wunderbare Fügung, daß sie jetzt als König und Königin des angesehensten Lehnstaats des Reiches von dort entlassen wurden, aber es entsprach den Verhältnissen. Beide waren in der kaiserlichen Familie aufgewachsen; Kleopatra ward von der rechten Gattin ihres Vaters gleich den eigenen Kindern mütterlich gehalten; Juba hatte in Caesars Heer gedient. Die Jugend der abhängigen Fürstenhäuser, welche am kaiserlichen Hofe zahlreich vertreten war und eine bedeutende Rolle in der Umgebung der kaiserlichen Prinzen spielte, wurde überhaupt in der frühen Kaiserzeit für die Besetzung der Lehnsfürstenthümer in ähnlicher Weise nach freier Auswahl verwendet, wie die erste Rangklasse des Senats für die Besetzung der Statthalterstellen von Syrien und Germanien. Fast funfzig Jahre (729-775 d. St., vor Chr. 25 – n. Chr. 23) hat er und nach ihm sein Sohn Ptolemaeus die Herrschaft über das westliche Africa geführt; freilich ward, wie seinem Vorgänger die Stadt Tingis, so auch ihm eine beträchtliche Anzahl der wichtigsten Ortschaften namentlich [628] an der Küste durch Verleihung römischen Stadtrechts entzogen und abgesehen von der Hauptstadt waren diese Könige von Mauretanien beinahe nichts als Fürsten der Berberstämme.

Dies Regiment währte bis zum J. 40, wo es dem Kaiser Gaius angemessen erschien, hauptsächlich des reichen Schatzes wegen seinen Vetter nach Rom zu berufen und ihn dort dem Henker zu überliefern, das Gebiet aber in Reichsverwaltung zu nehmen. Beide Herrscher waren unkriegerisch, der Vater ein griechischer Litterat nach der Weise dieser Zeit, sogenannte Merkwürdigkeiten historischer, geographischer, kunstgeschichtlicher Art in unendlichen Büchern compilirend, denkwürdig durch seine, man möchte sagen internationale litterarische Thätigkeit, in phoenikischer und syrischer Litteratur belesen, aber vor allem bemüht die Kunde römischer Weise und sogenannter römischer Geschichte bei den Hellenen zu verbreiten, außerdem ein eifriger Kunstfreund und Theaterbesucher; der Sohn einer von dem gemeinen Prinzenschlag, im Hofleben und Fürstenluxus aufgehend. Bei ihren Unterthanen galten sie wenig, sowohl nach ihrer Persönlichkeit wie als Lehnsträger der Römer; gegen die Gaetuler im Süden mußte König Juba mehrfach die Hülfe des römischen Statthalters herbeirufen und als im römischen Africa der Fürst der Numidier Tacfarinas gegen die Römer sich auflehnte, strömten die Mauren schaarenweise zu seinen Fahnen. Nichts desto weniger machte das Ende der Dynastie und die Einführung des römischen Provinzialregiments im Lande einen tiefen Eindruck. Die Mauren waren ihrem königlichen Hause treu ergeben; es sind den Königen vom Geschlecht Massinissas noch unter römischer Herrschaft in Africa Altäre errichtet worden (S. 622). Ptolemaeus, wie er sonst auch sein mochte, war Massinissas rechter Nachkomme im sechsten Gliede und der letzte des alten Königsgeschlechtes. Ein treuer Diener desselben Aedemon rief nach der Katastrophe die Gebirgsstämme des Atlas unter die Waffen und erst nach hartem Kampf vermochte der Statthalter Suetonius Paullinus, derselbe, der nachher mit den Britten stritt (S. 163), des Aufstandes Herr zu werden (J. 42). Bei der Organisation des neuen Gebiets kam man zurück auf die frühere Theilung in eine östliche und eine westliche Hälfte oder, wie sie fortan nach den Hauptstädten heißen, in die Provinzen von Caesarea und von Tingi oder behielt dieselbe viel mehr bei; denn sie war, wie später zu zeigen sein wird, durch die physischen und politischen Verhältnisse des Gebiets mit Nothiwendigkeit gegeben und muß auch unter dem gleichen Scepter [629] in einer oder der anderen Form fortbestanden haben. Jede dieser Provinzen wurde mit Reichstruppen zweiter Klasse belegt und unter einen nicht dem Senat angehörigen kaiserlichen Statthalter gestellt.

Die Schicksale und die Zustände dieses großen und eigenartigen Neulandes der lateinischen Civilisation sind bedingt durch die physische Beschaffenheit Nordafricas. Dasselbe wird gebildet durch zwei große Gebirgsmassen, von denen die nördliche zum mittelländischen Meer steil abfällt, die südliche, der Atlas, sich in der von zahlreichen Oasen durchsetzten Saharasteppe langsam abdacht zur eigentlichen Wüste. Eine der Sahara im Ganzen ähnliche schmalere mit zahlreichen Salzseen durchsetzte Steppe trennt in dem mittleren Theil, dem heutigen Algerien, das nördliche Küsten- und das südliche Grenzgebirge. Ausgedehnte culturfähige Ebenen giebt es in Nordafrica nicht; die Küste des mittelländischen Meeres hat nur an wenigen Strecken ebenes Vorland; das anbaufähige Land, nach dem heutigen Ausdruck das Tell, besteht wesentlich in den zahlreichen Thälern und Hängen innerhalb jener beiden breiten Bergmassen und dehnt sich also da am weitesten aus, wo, wie in dem heutigen Marocco und in Tunesien, zwischen dem Nord- und dem Südrand keine Zwischensteppe sich einschiebt.

Die Landschaft Tripolis, politisch ein Theil der Provinz Africa, steht nach den Naturverhältnissen außerhalb des bezeichneten Gebiets und hängt ihm halbinselartig an. Das gegen das mittelländische Meer sich verflachende Grenzgebirge tritt bei dem Busen von Tacapae (Gabes) mit seinem Vorland von Steppe und Salzsee unmittelbar an das Ufer. Südlich von Tacapae bis zur großen Syrte erstreckt sich an der Küste die schmale tripolitanische Culturinsel, landeinwärts gegen die Steppe durch einen mäßigen Höhenzug begrenzt. Jenseit desselben beginnt das Steppenland mit zahlreichen Oasen. Der Schutz der Küste gegen die Wüstenbewohner ist hier von besonderer Schwierigkeit, weil das hohe Randgebirge fehlt; und davon zeigen sich die Spuren in den auf uns gekommenen Nachrichten über die militärischen Expeditionen und die militärischen Stellungen in dieser Gegend. Sie ist der Schauplatz der Garamantenkriege. Lucius Cornelius Balbus, der in seinen jungen Jahren unter Caesar mit der abenteuerlichsten Kühnheit wie mit der grausamsten Rücksichtslosigkeit gefochten und verwaltet hatte, wurde von Augustus ausersehen diese unbequemen Nachbaren zur Ruhe zu bringen, und unterwarf auch in seinem Proconsulat [630] (735) das Binnenland bis nach Cidamus (Ghadames), zwölf Tagereisen landeinwärts von Tripolis, und nach Garama (Djerma) im Fezzan536; bei seinem Triumph – er war der letzte Bürgerliche, der einen solchen gefeiert hat – wurde eine lange Reihe bisher selbst dem Namen nach unbekannter Städte und Stämme als besiegt zur Schau gestellt. Diese Expedition wird eine Eroberung genannt; es muß also wohl dadurch das Vorland einigermaßen in römische Gewalt gekommen sein. Gefochten wurde auch später in diesem Gebiet vielfach. Bald nachher, noch unter Augustus machte Publius Sulpicius Quirinius einen Zug gegen die Völkerschaften der Marmarica, das heißt der libyschen Wüste oberhalb Kyrene, und zugleich gegen die Garamanten. Daß der Krieg gegen Tacfarinas unter Tiberius sich auch über diese Landschaft erstreckte, wird weiterhin gesagt werden. Nach dessen Beendigung sandte der König der Garamanten Abgeordnete nach Rom, um Verzeihung für seine Theilnahme zu erwirken. Im Jahre 70 wurde ein Einbruch derselben Garamanten in das befriedete Gebiet dadurch herbeigeführt, daß die Stadt Oea (Tripoli) der Tripolis in einem zum Krieg gewordenen Hader mit der Nachbarstadt Groß-Leptis (Lebda) die Barbaren zu Hülfe rief, die dann der Statthalter von Africa wieder hinausschlug und bis in ihre eigenen Sitze verfolgte. Unter Domitian mußte an der Küste der großen Syrte, die seit Alters her die Nasamonen inne hatten, eine durch die unerschwinglichen Steuern hervorgerufene Auflehnung der Eingeborenen von dem Statthalter Numidiens mit den Waffen niedergeworfen werden; das schon menschenarme Gebiet ward durch diesen grausam geführten Krieg vollends entvölkert. Kaiser Severus sorgte für diese seine Heimathprovinz – er war aus Groß-Leptis – in hervorragender Weise und gab ihr gegen die anwohnenden Barbaren stärkeren militärischen Schutz. Damit wird in Verbindung gebracht werden dürfen, daß in der Zeit von Severus bis auf Alexander die [631] vorliegenden Oasen, Cidamus (Ghadames), Gharia el Gharbia, Bondjem, mit Detachements der africanischen Legion belegt waren, welche freilich bei der Entfernung des Hauptquartiers nicht viel mehr sein konnten als ein Kern für die hier den Römern Dienste leistenden wahrscheinlich beträchtlichen Contingente der botmäßigen Stämme. In der That war der Besitz jener Oasen nicht bloß für den Küstenschutz von Wichtigkeit, sondern auch für den Handelsverkehr, der zu aller Zeit über diese Oasen aus dem inneren Africa nach den tripolitanischen Häfen gegangen ist. Erst in der Zeit des Verfalls wird dieser Vorbesitz aufgegeben worden sein; in den Schilderungen der africanischen Kriege unter Valentinian und Justinian finden wir die Städte der Küste von den Eingeborenen unmittelbar bedrängt.

Der Grund und Kern des römischen Africa ist die gleichnamige Provinz mit Einschluß der aus ihr abgezweigten numidischen. Die römische Civilisation trat ein in die Erbschaft theils der Stadt Karthago, theils der Könige von Numidien, und wenn sie hier Bedeutendes erreicht hat, so darf es nie vergessen werden, daß sie eigentlich nur das, was schon da war, auf ihren Namen um- und in ihre Sprache überschrieb. Außer den Städten, die nachweislich von jener oder von diesen gegründet sind und auf die wir noch zurückkommen werden, haben jene wie diese die dem Ackerbau ohnehin geneigten Berberstämme zu fester Ansiedelung hingeführt. Schon zu Herodots Zeit waren die Libyer westlich von dem Busen von Gabes nicht mehr Nomaden, sondern bauten friedlich den Acker, und die numidische Herrschaft trug die Gesittung und den Ackerbau noch weiter in das Binnenland hinein. Auch war die Natur hier dem Ackerbau günstiger als in dem westlichen Theil Nordafricas; die mittlere Einsenkung zwischen dem Nord- und dem Südrand fehlt zwar auch hier nicht völlig, aber die Salzseen und die eigentliche Steppe sind weniger ausgedehnt als in den beiden Mauretanien. Die militärischen Einrichtungen sind hauptsächlich darauf gestellt dem mächtigen aurasischen Gebirgsstock, dem Sanct Gotthard des südlichen Grenzgebirges, die Truppen vorzulegen und den unbotmäßigen Stämmen das Vorbrechen aus diesem gegen das befriedete Gebiet Africas und Numidiens zu wehren. Deßhalb legte Augustus das Standquartier der Legion nach Theveste (Tebessa), auf das Hochplateau zwischen dem Aures und der alten Provinz; selbst nordwärts davon zwischen Ammaedara und Althiburus haben in der ersten Kaiserzeit römische Castelle bestanden. Von der Kriegführung im Einzelnen [632] erfahren wir wenig; sie wird dauernd gewesen sein und im stetigen Abweisen der Grenzstämme so wie in nicht minder stetigen Plünderzügen in deren Gebiet bestanden haben. Nur von einem einzigen Vorgang dieser Art ist einigermaßen genaue Kunde auf uns gekommen: es sind dies die Kämpfe, welche von dem Hauptführer der Berbern, dem Tacfarinas den Namen tragen. Sie nahmen ungewöhnliche Verhältnisse an: acht Jahre (17-24) währten sie und die sonst aus einer Legion bestehende Besatzung der Provinz wurde deßhalb während der J. 20-22 durch eine zweite aus Pannonien hingeschickte verstärkt. Der Krieg ging aus von dem großen Stamm der Musulamier am Südabhang des Aures, gegen die schon unter Augustus Lentulus eine Expedition geführt hatte und die nun unter seinem Nachfolger jenen Tacfarinas zu ihrem Führer erkoren. Er war ein africanischer Arminius, ein geborener Numidier, der im römischen Heer gedient hatte, dann aber desertirt war und an der Spitze einer Räuberschaar sich einen Namen gemacht hatte. Die Insurrection dehnte ostwärts sich aus bis zu den Cinithiern an der kleinen Syrte und zu den Garamanten im Fezzan, westwärts über einen großen Theil von Mauretanien, und wurde dadurch gefährlich, daß Tacfarinas einen Theil seiner Leute nach römischer Art zu Fuß und zu Pferde ausrüstete und sie römisch schulte; diese gaben den leichten Schaaren der Insurgenten einen Halt und machten regelmäßige Gefechte und Belagerungen möglich. Nach langen Anstrengungen und nachdem der Senat mehrfach veranlaßt worden war bei der Besetzung dieser wichtigen Feldherrnstelle von der gesetzlich vorgeschriebenen Loosung abzusehen und statt der üblichen Feldherrn vom Schlage Ciceros geeignete Männer auszuwählen, machte Quintus Iunius Blaesus durch eine combinirte Operation dem Aufstand zunächst ein Ende, indem er die linke Flügelcolonne gegen die Garamanten schickte und mit der rechten die Ausgänge aus dem Aures gegen Cirta deckte, selbst aber mit der Hauptarmee in das Gebiet der Musulamier einrückte und dasselbe dauernd besetzte (J. 22). Aber der verwegene Parteigänger erneuerte bald darauf den Kampf und erst einige Jahre später vermochte der Proconsul Publius Cornelius Dolabella, nachdem er den drohenden Abfall der eben gebändigten Musulamier durch Hinrichtung sämmtlicher Führer im Keim erstickt hatte, mit Hülfe der Truppen des Königs von Mauretanien in dessen Gebiet bei Auzia (Aumale) eine Schlacht zu erzwingen, in welcher Tacfarinas das Leben verlor. Mit dem Fall des [633] Führers hatte, wie es in den nationalen Insurrectionskriegen gewöhnlich ist, diese Bewegung ein Ende537. Aus späterer Zeit mangeln ausführlichere Nachrichten gleicher Art; wir können nur den allgemeinen Gang der römischen Pacificationsarbeit einigermaßen verfolgen. Die Völkerschaften südlich vom Aures wurden wenn nicht ausgerottet, so doch ausgewiesen und in die nördlichen Districte übersiedelt; so namentlich die Musulamier selbst538, gegen die unter Claudius noch einmal eine Expedition geführt ward. Die von Tacfarinas gestellte Forderung ihm und seinen Leuten Sitze innerhalb des civilisirten Gebiets anzuweisen, welche Tiberius wie billig nur mit verdoppelter Anstrengung zur Vernichtung des dreisten Forderers erwiedert hatte, wurde in dieser Weise gewissermaßen nachträglich erfüllt und hat wahrscheinlich wesentlich zur Befestigung des römischen Regiments beigetragen. Den aurasischen Gebirgsstock schlossen mehr und mehr die Lager ein. Die Garnisonen wurden weiter in das Binnenland vorgeschoben; das Hauptquartier selbst kam unter Traian von Theveste weg weiter nach Westen; die drei bedeutenden römischen Ansiedlungen am nördlichen Abhang des Aures, Mascula (Khenschela), am Ausgang des Thals des Arab und damit der Schlüssel zum Auresgebirge, Colonie wenigstens schon unter Marcus und Verus; Thamugadi, eine Gründung Traians; und Lambaesis, seit Hadrian das Hauptquartier der africanischen Armee, bildeten zusammen eine den großen Militärlagern [634] am Rhein und an der Donau vergleichbare Niederlassung, welche, angelegt auf den Verbindungslinien vom Aures nach den großen Städten des Nordens und der Küste Cirta (Constantine), Calama (Gelma), Hippo regius (Bone), diesen den Frieden sicherte. Das zwischenliegende Steppenland war, soweit es der Cultur nicht gewonnen werden konnte, wenigstens von gesicherten Verbindungsstraßen durchschnitten. An der Westseite des Aures schnitt eine stark besetzte Postenkette, die von Lambaesis aus über die Oasen Calceus Herculis (el Kantara) und Bescera (Beskra) dem Gebirgshang folgte, die Verbindung mit Mauretanien ab. Selbst das Innere des Gebirges ist später römisch geworden: der Krieg, der unter Kaiser Pius in Africa geführt ward und über den nichts Genaueres überliefert ist, muß die aurasischen Berge in die Gewalt der Römer gebracht haben. Damals ist durch dieselben von einer in Syrien garnisonirenden ohne Zweifel dieses Krieges wegen nach Africa gesandten Legion eine Militärstraße geführt worden, und in späterer Zeit begegnen ebendaselbst Spuren römischer Garnisonen und selbst römischer Städte, welche bis in die christliche Zeit hinabreichen; das aurasische Gebirge ist also damals besetzt worden und dauernd besetzt geblieben. Die am Südabhang desselben gelegene Oase Negrîn ward sogar schon unter oder vor Traian von den Römern mit Truppen belegt, und noch etwas weiter südwärts am äußersten Rande der Steppe, bei Bir Mohammed ben Jûnis finden sich die Trümmer eines römischen Castells; auch lief eine römische Straße längs des südlichen Fußes dieses Gebirges. Von dem mächtigen Abhang, welcher von der Hochfläche von Theveste, der Wasserscheide zwischen dem Mittelmeer und der Wüste, in Stufen von 2-300 Metern Höhe zu dieser abfällt, ist diese Oase die letzte Terrasse; an ihrem Fuß beginnt, im scharfen Gegensatz gegen das rückwärts sich aufbauende zerrissene Gebirge, die Sandwüste des Suf, mit ihren gelben den Wellen ähnlichen Dünenreihen und dem vom Winde bewegten Sandboden, eine ungeheure Einöde, ohne Bodenhebung, ohne Bäume, ohne Grenze in den Horizont verschwimmend. Negrin ist gewiß von jeher, wie noch in unserer Zeit, der stehende Sammelpunct und der letzte Zufluchtsort der Räuberhauptleute sowohl wie der der Fremdherrschaft trotzenden Eingeborenen gewesen, eine weit hinaus die Wüste und ihre Handelstraßen beherrschende Position. Bis an diese äußerste Grenze reichte in Numidien die römische Besetzung und selbst die römische Ansiedelung.

[635] Eine Erbschaft wie Africa und Numidien war Mauretanien nicht. Ueber die älteren Zustände erfahren wir nichts; bedeutende Städte kann es auch an der Küste in früherer Zeit hier nicht gegeben haben und weder die phönikische Anregung noch Landesherren nach Massinissas Art haben hier die Civilisation wirksam gefördert. Als dessen letzte Nachkommen die numidische Krone mit der mauretanischen vertauschten, ist die Hauptstadt, wie sie ihren Namen Iol in Caesarea umänderte, auch die Residenz eines gebildeten und üppigen Hofes und ein Sitz der Seefahrt und des Handels geworden. Aber wie viel weniger dieser Besitz der Regierung galt als der der Nachbarprovinz, zeigt die Verschiedenheit der provinzialen Organisation; die beiden mauretanischen Heere gaben zusammen an Zahl dem africanisch-numidischen nichts nach539, aber hier genügten Statthalter von Ritterrang und Reichssoldaten der Peregrinenklasse. Caesarea blieb eine ansehnliche Handelsstadt; aber in der Provinz hat die feste Ansiedelung sich auf das Nordgebirge beschränkt und nur in dem östlichen Theile finden sich größere binnenländische Städte. Selbst das fruchtbare Thal des bedeutendsten Flusses dieser Provinz, des Schelîf zeigt schwache städtische Entwickelung; weiter westlich in den Thälern der Tafna und der Malua verschwindet sie fast ganz und dienen theilweise die Namen der hier stationirten Reiterabtheilungen statt örtlicher Bezeichnung. Die Provinz von Tingi (Tanger) nun gar umfaßt nichts als diese Stadt mit ihrem nächsten Gebiet und den Küstenstrich am atlantischen Meer bis nach Sala, dem heutigen Rebât, während im Innern die römische Ansiedelung nicht einmal bis Fes reichte. Keine Landstraße verbindet diese Provinz mit der von Caesarea; die 50 Meilen von Tingi bis Rusaddir (Melilla) fuhr man zu Wasser längs der öden und unbotmäßigen Küste des Rîf. Somit lag dieser Landschaft die Verbindung mit Baetica näher als die mit Mauretanien; und wenn später, als das Reich in größere Verwaltungsbezirke getheilt ward, die Provinz Tingi zu Spanien kam, so wurde damit nur äußerlich durchgeführt, was der Sache nach längst bestand. Sie war für Baetica was Germanien für Gallien, und [636] ist vielleicht, wenig einträglich wie sie gewesen sein muß, überhaupt nur deßwegen eingerichtet und festgehalten worden, weil ihr Aufgeben schon damals eine ähnliche Invasion Spaniens herbeigeführt haben würde, wie sie nach dem Zusammenbruch der römischen Herrschaft der Islam vollzog.

Jenseit der hiemit bezeichneten Grenze der festen Ansiedelung, der Linie der Grenzzölle und der Grenzposten und in manchen von ihr umschlossenen nicht civilisirten Districten blieb in den beiden Mauretanien in römischer Zeit wohl das Land den Eingeborenen, aber sie kamen unter römische Oberhoheit; man wird von denselben so weit möglich Abgaben und Kriegsdienste gefordert, aber die regelmäßigen Formen der Besteuerung und der Aushebung nicht für dieselben in Anwendung gebracht haben. Beispielsweise wurde dem Stamm der Zimizen, der an der felsigen Küste westlich von Igilgili (Djidjeli) im östlichen Mauretanien, also im Herzen des römischen Machtgebiets ansässig war, eine zur Deckung der Stadt Igilgili angelegte Festung in der Weise zur Besetzung überwiesen, daß die Mannschaften den Rayon von 500 Schritten um das Castell nicht überschreiten durften540. Man verwendete also diese unterthänigen Berbern im römischen Interesse, organisirte sie aber nicht in römischer Art und behandelte sie daher auch nicht als Soldaten der Reichsarmee. Auch außerhalb der eigenen Provinz sind die Irregulären aus Mauretanien namentlich als Reiter in späterer Zeit in großer Anzahl verwendet worden541, während von [637] den Numidiern nicht das Gleiche gilt. – Wie weit das römische Machtgebiet über die römischen Städte und Besatzungen und das Ende der Reichsstraßen hinausging, vermögen wir nicht zu sagen. Das breite Steppenland um die Salzseen westlich von Lambaesis, die Gebirgslandschaft von Tlemsen bis gegen Fes mit Einschluß der Küste des Rîf, das schöne Fruchtland am atlantischen Meer südlich von Sala bis zum hohen Atlas, dessen Civilisation in der Blüthezeit der Araber mit der andalusischen wetteiferte, das Atlasgebirge endlich im Süden von Algerien und Marocco und seine südlichen Abhänge, die für Hirtenvölker in dem Wechsel der Berg-und der Steppenweiden reichlichen Unterhalt bieten und in den zahlreichen Oasen die üppigste Fruchtbarkeit entwickeln – alle diese Gebiete sind von der römischen Civilisation wesentlich unberührt geblieben; aber daraus folgt noch nicht, daß sie in römischer Zeit unabhängig waren und noch weniger, daß sie nicht mindestens zum Reichsgebiet gerechnet wurden. Die Ueberlieferung gewährt in dieser Hinsicht geringen Aufschluß. Es ist schon erzählt worden (S. 629), daß die Proconsuln von Africa die Gaetuler, das heißt die Stämme im südlichen Algerien dem König Juba botmäßig machen halfen; und auf Madeira hat dieser Purpurfärbereien angelegt (S. 652 A. 1). Nach dem Ende der mauretanischen Dynastie und der Einführung der unmittelbaren römischen Verwaltung überschritt Suetonius Paullinus, als der erste römische Feldherr, den Atlas (S. 625) und trug die Waffen bis an den noch heute den gleichen Namen tragenden Wüstenfluß Ger im Südosten Maroccos. Sein Nachfolger Gnaeus Hosidius Geta setzte diese Unternehmung fort und schlug nachdrücklich den Führer der Mauren Salabus. Auch nachher hat mancher unternehmende Statthalter der mauretanischen Provinzen diese fernen Gebiete betreten, und das Gleiche gilt von den numidischen, unter deren Commando, nicht unter dem mauretanischen, das südlich unter der Provinz von Caesarea sich hinziehende Grenzgebirge stand542; doch wird von eigentlichen Kriegszügen im mauretanischen und im numidischen Süden aus späterer Zeit nichts gemeldet. Ganz in demselben Umfange nach Süden hin, wie die mauretanischen Könige es besessen hatten, werden die Römer deren Reich schwerlich übernommen haben; [638] aber ohne bleibende Folgen sind doch die nach der Einziehung des Landes unternommenen Expeditionen auch wohl nicht gewesen. Wenigstens ein Theil der Gaetuler hat, wie die dort ausgehobenen Auxiliartruppen beweisen, während der Kaiserzeit sogar der regelmäßigen Conscription unterlegen; und wenn die im Süden der römischen Provinzen heimischen Stämme den Römern ernsthaft zu schaffen gemacht hätten, so würden davon die Spuren nicht gänzlich fehlen543. Wahrscheinlich hat der ganze Süden bis zur großen Wüste als Reichsland gegolten544 und auch die effective Abhängigkeit sich weit hinaus erstreckt über das Gebiet der römischen Civilisation, was freilich häufige Brandschatzungen und Plünderzüge von hüben und von drüben nicht ausschließt. Eigentlichen Angriff erfuhr das befriedete Gebiet hauptsächlich von den um und am Rîf sitzenden Strandbewohnern, den Maziken und den Baquaten, und zwar erfolgte dieser regelmäßig zur See und richtete sich hauptsächlich gegen die spanische Rüste (S. 61). Durch die ganze Kaiserzeit ziehen sich die Nachrichten von Maureneinfällen in die Baetica545 und lassen erkennen, daß die Römer in Folge [639] der mangelnden energischen Offensive sich hier dauernd in einer Deffensive befanden, die freilich eine vitale Gefahr für das Reich nicht in sich schloß, aber doch über reiche und friedliche Landschaften stetige Unsicherheit und oft arges Unheil brachte. Die civilisirten Gebiete Africas scheinen unter den maurischen Angriffen weniger gelitten zu haben, wahrscheinlich weil das Hauptquartier Numidiens unmittelbar an der mauretanischen Grenze und die starken Besatzungen an der Westseite des Aures ihre Schuldigkeit thaten. Aber bei dem Zusammenbrechen der Reichsgewalt im dritten Jahrhundert beginnt auch hier die Invasion: die sogenannte Fünfvölkerfehde, welche um die Zeit des Gallienus aus brach und um deren willen zwanzig Jahre später Kaiser Maximianus persönlich nach Africa ging, ging aus von den Stämmen jenseit der Schotts an der numidisch-mauretanischen Grenze und traf namentlich die Städte des östlichen Mauretanien und des westlichen Numidien, wie zum Beispiel Auzia und Mileu546.

Wir kommen zu der inneren Organisation des Landes. In Hinsicht der Sprache wurde die eigentliche des Volkes so behandelt wie in Gallien das Keltische und in Spanien das Iberische; hier in Africa um [640] so mehr, als die frühere Fremdherrschaft darin schon vorangegangen war und sicher kein Römer dieses Volksidiom verstand. Die Berberstämme haben nicht bloß eine nationale Sprache, sondern auch eine nationale Schrift gehabt (S. 622); aber niemals ist, so viel wir sehen, davon im officiellen Verkehr Gebrauch gemacht, wenigstens dieselbe niemals auf die Münzen gesetzt worden. Selbst die einheimischen Berberdynastien haben davon keine Ausnahme gemacht, sei es weil auch in ihren Reichen die bedeutenderen Städte mehr phönikisch als libysch waren, sei es weil die phönikische Civilisation überhaupt insoweit durchschlug. Geschrieben wurde die Sprache freilich auch unter römischer Herrschaft, ja die meisten berberischen Weih-oder Grabschriften stammen sicher aus der Kaiserzeit; aber die Seltenheit derselben beweist, daß sie im Gebiet der römischen Herrschaft nur zu beschränktem Schriftgebrauch gelangt ist. Als Volkssprache hat sie sich behauptet vor allem natürlich in den Gegenden, wohin die Römer nicht oder wenig kamen, wie in der Sahara, in den Bergen des maroccanischen Rîf, in den beiden Kabylien; aber selbst die fruchtbare früh in Cultur genommene Insel der Tripolis Girba (Djerba), der Sitz der karthagischen Purpurfabrikation, spricht heute noch libysch. Im Ganzen genommen hat das alte Volksidiom in Africa sich besser vertheidigt als bei den Kelten und den Iberen.

Die Sprache, welche in Nordafrica herrschte, als es römisch ward, ist die der Fremdherrschaft, welche der römischen voraufging. Leptis, wahrscheinlich nicht das tripolitanische, sondern das bei Hadrumetum, ist die einzige africanische Stadt, welche ihre Münzen mit griechischer Aufschrift bezeichnet und also dieser Sprache eine wenigstens secundäre Stellung im öffentlichen Verkehr eingeräumt hat. Die phönikische Sprache herrschte damals, so weit es in Nordafrica eine Civilisation gab, von Groß-Leptis bis nach Tingi, am intensivsten in und um Karthago, aber nicht minder in Numidien und selbst in Mauretanien547.[641] Dieser Sprache einer hochentwickelten, wenn gleich fremdartigen Cultur wurden bei der Aenderung des Verwaltungssystems gewisse Concessionen gemacht. Vielleicht schon unter Caesar, sicher unter Augustus und Tiberius bedienten sich sowohl die Städte der römischen Provinz, wie zum Beispiel Groß-Leptis und Oea, wie die des mauretanischen Königreichs, wie Tingi und Lix, im officiellen Gebrauch der phönikischen Sprache, auch diejenigen, welche, wie Tingi, römische Bürgergemeinden geworden waren. Indeß so weit wie in der griechischen Reichshälfte ging man doch in Africa nicht. In den griechischen Provinzen des Reiches herrscht die griechische Sprache wie überhaupt im Geschäftsverkehr, so namentlich auch im Verkehr mit der Reichsregierung und ihren Beamten schlechthin; die Münze der griechisch geordneten Stadt nennt auch den Kaiser griechisch. In den africanischen aber nennt die Münze, auch wenn sie in anderer Sprache redet, den Kaiser oder den Reichsbeamten immer lateinisch. Selbst auf den Münzen der Könige von Mauretanien steht wohl der Name der griechischen Königin griechisch, aber der des Königs, auch eines Reichsbeamten, durchgängig lateinisch, nicht einmal wo die Königin neben ihm genannt wird. Das heißt, selbst die Regierung ließ in ihrem Verkehr mit den Gemeinden und den Einzelnen in Africa das Phönikische nicht zu, wohl aber für den inneren Verkehr; dasselbe war keine dritte Reichs-, aber eine in ihrem Bereich anerkannte Cullursprache.

Aber diese beschränkte Anerkennung der phönikischen Sprache hat nicht lange Stand gehalten. Ein Document für den öffentlichen Gebrauch des Phönikischen aus der Zeit nach Tiberius liegt nicht vor und schwerlich hat derselbe die Zeit der ersten Dynastie überdauert548. Wie und wann die Aenderung eintrat, wissen wir nicht; wahrscheinlich hat die Regierung, etwa Tiberius oder Claudius, das entscheidende [642] Wort gesprochen und die sprachliche und nationale Annexion der africanischen Phöniker so weit vollzogen, als dies durch die Staatsgewalt geschehen kann. Im privaten Verkehr hat das Phönikische sich noch lange Zeit in Africa behauptet, länger wie es scheint als in dem Mutterland; am Anfang des 3. Jahrhunderts sprachen Damen der vornehmen Häuser in Groß-Leptis so wenig Latein oder Griechisch, daß ihres Bleibens in der römischen Gesellschaft nicht war; noch am Ende des 4. stellte man in der Umgegend von Hippo regius (Bone) nicht gern Geistliche an, die sich mit den Landleuten nicht auf punisch verständigen konnten; diese selbst nannten sich damals noch Chanaaniter und punische Namen und punische Redensarten waren noch geläufig. Aber die Sprache war aus der Schule549 und selbst aus dem Schriftgebrauch verbannt und zum Volksdialekt geworden, wahrscheinlich auch dies nur noch in dem Gebiet der alten phönikischen Civilisation, namentlich den außerhalb des großen Verkehrs stehenden altphönikischen Küstenorten550. Als die Araber nach Africa kamen, fanden sie als Landessprache wohl die der Berbern vor, aber nicht mehr die der Poener551; mit der karthagisch-römischen Civilisation sind beide Fremdsprachen verschwunden, während die alteinheimische noch heute lebt. Die civilisirten Fremdherrschaften wechselten; die Berbern blieben wie die Palme der Oase und der Sand der Wüste.

Die Erbschaft der phoenikischen Sprache fiel nicht dem Griechischen zu, sondern dem Lateinischen. In der natürlichen Entwickelung [643] lag dies nicht. Zu Caesars Zeit waren das Lateinische wie das Griechische in Nordafrica Fremdsprachen, aber, wie schon die Münzen von Leptis beweisen, die letztere bei weitem verbreiteter als die erste; lateinisch sprachen damals nur die Beamten, die Soldaten, die italischen Kaufleute. Es wäre damals wahrscheinlich leichter gewesen die Hellenisirung Africas einzuleiten als dessen Latinisirung. Aber es ist das Gegentheil geschehen. Hier waltet derselbe Wille, der die hellenischen Anfänge in Gallien nicht aufkommen ließ und der das griechische Sicilien dem lateinischen Sprachgebiet einverleibte; derjenige Wille, der die Grenzen zwischen dem lateinischen Occident und dem griechischen Orient zog, wies Africa zu jenem.

In ähnlichem Sinne ist die innere Organisation des Landes geregelt worden. Sie ruht, wie in Italien auf der latinischen und im Osten auf der hellenischen, so hier auf der phoenikischen Stadtgemeinde. Als die Römerherrschaft in Africa begann, bestand das damalige karthagische Gebiet überwiegend aus großtentheils kleinen jede von ihren Schofeten verwalteten Stadtgemeinden, deren man dreihundert zählte; und die Republik hatte darin nichts geändert552. Auch in den Königreichen hatten die früher phoenikischen Städte ihre Ordnung unter den einheimischen Herrschern behalten und hatte wenigstens Calama, eine Binnenstadt Numidiens schwerlich phönikischer Gründung, erweislich dieselbe phönikische Stadtverfassung; die Civilisirung, welche Massinissa seinem Reiche gab, wird wesentlich darin bestanden haben, daß er die Dörfer der ackerbauenden Berbern in Städte nach phoenikischem Muster umwandelte. Dasselbe wird von den wenigen älteren Stadtgemeinden gelten, welche es in Mauretanien vor Augustus [644] gab. So viel wir sehen, decken sich die beiden jährlich wechselnden Schofeten der africanischen Gemeinden im wesentlichen mit den analogen Gemeindevorstehern der italischen Stadtverfassung, und daß sonst, zum Beispiel in den bei den Karthagern durchaus von den italischen abweichend gestalteten Gemeinderäthen (1, 429), die phoenikische Stadtverfassung des römischen Africa nationale Besonderheiten bewahrt hat, ist wenigstens nicht zu erweisen553. Aber die Thatsache selbst, daß der wenn auch nur formale Gegensatz der phoenikischen Stadt zu der italischen festgehalten ward, war, wie die Zulassung der Sprache, eine Anerkennung der phoenikischen Nationalität und eine gewisse Bürgschaft für ihre Fortdauer auch unter römischer Herrschaft. Daß dieselbe zunächst als die regelmäßige Verwaltungsform des africanischen Gebiets anerkannt ward, beweist die Wiederherstellung Karthagos durch Caesar zunächst als phoenikische Stadt sowohl unter den alten Schofeten554 wie auch gewissermaßen mit der alten Einwohnerschaft, da ein großer, vielleicht der größte Theil der neuen Bürger aus den umliegenden Ortschaften genommen ward, wieder auch unter dem Schutz der großen Göttin des punischen Karthago, der Himmelskönigin Astarte, welche mit den Ihrigen damals aufs neue in ihren alten Sitz einzog. Freilich hat in Karthago selbst diese Ordnung bald der italischen Colonieverfassung den Platz geräumt und die [645] Schutzpatronin Astarte ward die wenigstens dem Namen lateinische Caelestis. Im übrigen Africa und in Numidien aber ist die phoenikische Städteordnung wahrscheinlich das ganze erste Jahrhundert hindurch die vorherrschende geblieben, insofern sie allen Gemeinden anerkannten Stadtrechts und mangelnder römischer oder latinischer Organisation zukam. Eigentlich abgeschafft worden ist sie wohl nicht, wie denn Schofeten noch unter Pius vorkommen; aber allmählich weichen sie überall den Duovirn und das veränderte Regierungsprincip zieht auch in diesem Kreise seine letzten Consequenzen.

Die Umwandlung des phoenikischen Stadtrechts in italisches beginnt unter Caesar. Die alte phoenikische Stadt Utica, Karthagos Vorgängerin und Erbin, erhielt zu einigem Ersatz der schweren Schädigung ihrer Interessen durch die Wiederherstellung der alten Landeshauptstadt als die erste in Africa italische Ordnung, vielleicht von dem Dictator Caesar latinisches Recht, gewiß von seinem Nachfolger Augustus die Stellung eines römischen Municipiums. Dasselbe Recht empfing, zum Dank für die während des perusinischen Krieges bewährte Treue, die Stadt Tingi (S. 627). Bald folgten mehrere nach; doch ist die Zahl der Gemeinden römischen Rechtes in Africa bis auf Traian und Hadrian eine beschränkte geblieben555. Von da an ist in großem Umfang, jedoch, so viel wir sehen, durchaus durch Einzelverleihung, den bisher phoenikischen Gemeinden das Municipal- oder auch das Colonialrecht beigelegt worden; denn auch das letztere wurde späterhin in der Regel ohne Deduction von Colonisten bloß titular verliehen. Wenn die früher in Africa sparsam auftretenden Dedicationen und Denkmäler aller Art vom Anfang des 2. Jahrhunderts an in Fülle sich einstellen, so ist dies wohl hauptsächlich [646] die Folge der Aufnahme zahlreicher Ortschaften in den Reichsverband der Städte besten Rechts.

Außer der Umwandelung der phoenikischen Städte in italische Municipien oder Colonien sind auch im Wege der Ansiedelung italischer Colonisten nicht wenige Städte italischen Rechts in Africa entstanden. Auch hiezu hat der Dictator Caesar den Grund gelegt, wie denn vielleicht keiner Provinz so wie Africa durch ihn die Wege gewiesen worden sind, und die Kaiser der ersten Dynastie sind seinem Beispiel gefolgt. Von der Gründung Karthagos ist schon die Rede gewesen; die Stadt erhielt nicht gleich, aber sehr bald italische Ansiedler und damit italische Organisation und volles römisches Bürgerrecht. Ohne Zweifel von Haus aus wieder zur Hauptstadt der Provinz bestimmt und als Großstadt angelegt, ist sie rasch dies auch thatsächlich geworden. Karthago und Lugudunum sind die einzigen Städte des Occidents, welche außer der Reichshauptstadt eine ständige Besatzung von Reichstruppen hatten. Außerdem wurden in Africa, zum Theil sicher schon durch den Dictator, zum Theil erst durch den ersten Kaiser, in den Sicilien zunächst gelegenen Distrikten eine Reihe kleiner Landstädte, Hippo Diarrhytus, Clupea, Curubi, Neapolis, Carpi, Maxula, Uthina, Groß-Thuburbo, Assuras mit Colonien belegt, wahrscheinlich nicht bloß um Veteranen zu versorgen, sondern zur Förderung der Latinisirung dieser Landschaft. Die beiden Colonien, die in jener Zeit in dem bisherigen Königreich Numidien entstanden, Cirta mit seinen Dependenzen und Neu-Cirta oder Sicca, sind die Consequenz besonderer Verpflichtungen Caesars gegen den Freischaarenführer Publius Sittius aus Nuceria und seine italisch-africanischen Schaaren (3, 458. 555). Die erstere hat, da das Gebiet, auf dem sie angelegt ward, damals einem Clientelstaat angehörte (S. 627 A. 1), eine eigenthümliche und sehr selbständige Organisation erhalten und, obwohl sie bald Reichsstadt wurde, zum Theil auch später beibehalten. Beide Städte hoben sich rasch und wurden ansehnliche Mittelpunkte der römischen Civilisation in Neu-Africa. – Einen anderen Charakter trägt diejenige Colonisation, welche Augustus in dem Reich des Juba vornahm und Claudius weiterführte. In dem damals noch sehr primitiven Mauretanien fehlte es sowohl an Städten wie an den Elementen sie zu schaffen; die Ansiedlung ausgedienter Soldaten der römischen Armee trug hier die Gesittung in ein barbarisches Land. So sind in der späteren Provinz von Caesarea an der Küste Igilgili, Saldae, Rusazu, Rusguniae, Gunugi, [647] Cartenna (Tenes), weiter ab vom Meer Thubusuptu und Zuccabar mit augustischen, Oppidum novum mit claudischen Veteranen besiedelt worden; ebenso in der Provinz von Tingi unter Augustus Zilis, Babba, Banasa, unter Claudius Lix. Diese Gemeinden römischen Bürgerrechts standen, wie schon bemerkt ward, nicht unter den Königen Mauretaniens, so lange es solche gab, sondern wurden administrativ der nächstliegenden römischen Provinz angeschlossen; es liegt somit in diesen Ansiedelungen zugleich ein Anfang zur Annexion Mauretaniens556. – Die Vorschiebung der Civilisation, wie sie Augustus und Claudius bezweckten, ist später nicht oder doch nur in beschränktem Umfang fortgeführt worden, obwohl dafür in der Westhälfte der Provinz von Caesarea und in der von Tingi Raum genug war; daß die späteren Colonien regelmäßig aus titularer Verleihung ohne Deduction hervorgegangen sind, wurde schon bemerkt (S. 646).

Neben dieser städtischen Organisation ist die des Großgrundbesitzes für diese Provinz noch besonders zu erwähnen. Nach römischer Ordnung fügt sich derselbe regelmäßig der Gemeindeverfassung ein; auch die Ausdehnung der Latifundien hat diese Zugehörigkeit weniger beeinträchtigt als man meinen sollte, da dieselben in der Regel nicht örtlich geschlossen waren und sich oft auf mehrere städtische Territorien vertheilten. In Africa aber gab es nicht bloß überhaupt zahlreichere und ausgedehntere Großbesitzungen als anderswo, sondern dieselben nahmen auch die Geschlossenheit der städtischen Territorien an; um das Herrenhaus bildete sich eine Ansiedelung, die den kleinen Ackerstädten der Landschaft nichts nachgab, und wenn deren Vorsteher und Gemeinderäthe einen derartigen Mitbürger zur vollen Leistung der auf ihn fallenden Gemeindelasten heranzuziehen oftmals nicht wagten und noch öfter nicht vermochten, so steigerte sich die factische Lösung dieser Landgüter aus dem Gemeindeverband noch weiter, wenn eine solche Besitzung in die Hände des Kaisers überging557. Dies aber trat in [648] Africa früh in weitem Umfang ein; Nero insbesondere traf mit seinen Confiscationen die Großbesitzer, wie gesagt wird, von halb Africa, und was einmal kaiserlich war, pflegte es zu bleiben. Die Kleinpächter, an welche das Domanialgut ausgethan wurde, scheinen größtentheils aus der Fremde herangezogen zu sein und es werden diese kaiserlichen Colonen in einem gewissen Maß der italischen Einwanderung zugezählt werden dürfen.

Daß die Berbern durch die ganze Zeit der Römerherrschaft einen beträchtlichen Theil der Bevölkerung Numidiens und Mauretaniens bildeten, wurde früher bemerkt (S. 622). Aber über ihre innere Organisation läßt sich kaum mehr ermitteln als das Eintreten des Stammes (gens)558 anstatt der städtischen Ordnung unter Duovirn oder Schofeten. Die Eingebornenverbände sind nicht, wie die Norditaliens, einzelnen städtischen Gemeinden als Unterthanen zugetheilt worden, sondern stehen wie die Städte unmittelbar unter den Statthaltern, auch wohl, wo es erforderlich scheint, unter einem besonders ihnen vorgesetzten römischen Offizier (praefectus gentis), und weiter unter eigenen Behörden559, unter dem ›Hauptmann‹ (princeps), welcher in späterer Zeit auch [649] wohl den Königstitel führt, und den ›elf Ersten‹. Vermuthlich war diese Ordnung monarchisch im Gegensatz zu der collegialischen der phoenikischen wie der lateinischen Gemeinde und stand neben dem Stammhaupt anstatt des zahlreichen Decurionensenats der Städte eine beschränkte Zahl von Aeltesten. Nur ausnahmsweise scheinen in dem römischen Africa die Gemeinschaften der Eingeborenen später zu italischer Organisation gelangt zu sein; die africanischen Städte italischen Rechts, welche nicht aus Einwanderung hervorgegangen sind, haben wohl meistens vorher phoenikisches Stadtrecht gehabt. Ausnahmen kommen hauptsächlich bei verpflanzten Stämmen vor, wie denn aus einer solchen Zwangsansiedelung von Numidiern die ansehnliche Stadt Thubursicum hervorgegangen ist. Die Berbergemeinden hatten vorzugsweise die Gebirge und die Steppen inne; sie gehorchten den Fremden, ohne daß weder die Herren noch die Unterthanen Verlangen danach empfanden mit einander sich auszugleichen; und als andere [650] Ausländer ins Land einbrachen, blieb ihre Stellung den Vandalen, den Byzantinern, den Arabern, den Franzosen gegenüber ungefähr die alte.

In der Bodenwirthschaft rivalisirt die östliche Hälfte von Africa mit Aegypten. Allerdings ist der Boden ungleich und Felsen und Steppen nehmen wie die westliche Hälfte zum größeren Theil, so auch in der östlichen beträchtliche Strecken ein; auch hier gab es manche unzugängliche Gebirgsgegend, welche sich der Civilisation nur langsam oder gar nicht fügte; namentlich in den Felsriffen an der Küste hat die römische Herrschaft geringe oder keine Spuren hinterlassen. Auch die Byzakene, der südöstliche Theil der Proconsularprovinz, wird nur durch falsche Verallgemeinerung dessen, was von einzelnen Küstenstrichen und Oasen gilt, als eine besonders ertragsfähige Gegend bezeichnet; von Sufetula (Sbitla) westlich ist das Land wasserlos und felsig; im fünften Jahrhundert n. Chr. rechnete man procentuell auf die Byzakene etwa die Hälfte weniger an culturfähigem Lande als auf die übrigen africanischen Provinzen. Aber der nördliche und nordwestliche Theil der Proconsularprovinz, vor allem das Thal des größten nordafricanischen Flusses, des Bagradas (Medjerda), und nicht minder ein beträchtlicher Theil Numidiens, liefern reichliche Halmfrüchte, fast wie das Nilthal. In den bevorzugten Distrikten lagen die nach Ausweis ihrer Trümmer großentheils frequenten Landstädte so nahe an einander, daß die Bevölkerung hier nicht viel weniger dicht gewesen sein kann als im Nilland, und nach allen Spuren betrieb sie vorzugsweise den Feldbau. Die gewaltigen Heermassen, mit denen nach der Niederlage bei Pharsalos die Republikaner in Africa den Kampf gegen Caesar aufnahmen, wurden aus diesen Bauern gebildet, so daß in dem Kriegsjahr die Aecker unbestellt lagen. Seit Italien mehr Getreide brauchte als es erzeugte, war es neben den italischen Inseln zunächst auf das fast eben so nahe Africa angewiesen; und nachdem dasselbe den Römern unterthänig geworden war, ging sein Getreide nicht mehr bloß im Handelsweg dahin, sondern vor allem als Steuer. Schon in der ciceronischen Zeit hat die Hauptstadt des Reiches wohl zum größten Theil von africanischem Korn gelebt; durch den Zutritt Numidiens unter Caesar Dictatur mehrte sich das von daher als Steuer einlaufende Getreide der Angabe nach um jährlich 1200000 römische Scheffel (200000 Hektoliter). Nachdem unter Augustus die ägyptischen Getreidelieferungen eingerichtet waren, rechnete man [651] für den dritten Theil des in Rom verbrauchten Getreides auf Nordafrica und für eben so viel auf Aegypten, während das verödete Sicilien, ferner Sardinien und Baetica nebst der eigenen Production Italiens den übrigen Bedarf deckten. In welchem Maß das Italien der Kaiserzeit für seine Subsistenz auf Africa angewiesen war, zeigen die während der Kriege zwischen Vitellius und Vespasian und zwischen Severus und Pescennius ergriffenen Maßregeln: Vespasian gedachte Italien zu erobern, indem er Aegypten und Africa besetzte; Severus sandte ein starkes Heer nach Africa, um Pescennius an dessen Besetzung zu hindern. – Auch Oel und Wein hatten schon in dem alten karthagischen Feldbau einen hervorragenden Platz gehabt und Klein-Leptis (bei Susa) zum Beispiel konnte von Caesar eine jährliche Abgabe von 3 Mill. Pf. Oel (ungefähr 10000 Hektoliter) für die römischen Bäder auferlegt werden; wie denn Susa noch heute jährlich 40000 Hektoliter Oel exportirt. Dennoch nennt der Geschichtsschreiber des jugurthinischen Krieges Africa reich an Getreide, arm an Oel und Wein, und noch in Vespasians Zeit gab die Provinz in dieser Hinsicht nur mittelmäßigen Ertrag. Erst als mit dem Kaiserreich der Friede dauernd ward, dessen der Fruchtbaum noch viel mehr bedarf als die Feldfrucht, dehnte die Olivencultur sich aus; im 4. Jahrhundert lieferte keine Provinz solche Quantitäten Oel wie Africa und wurde für die Bäder in Rom überwiegend das africanische verwendet. In der Qualität freilich stand dasselbe immer hinter dem Italiens und Spaniens zurück, nicht weil die Natur dort weniger günstig war, sondern weil die Bereitung es an Geschick und Sorgfalt fehlen ließ. Der Weinbau hat in Africa für den Export keine hervorragende Bedeutung gewonnen. Dagegen blühte die Pferde- und Viehzucht besonders in Numidien und Mauretanien.

Die Fabriken und der Handelsverkehr haben in den africanischen Provinzen niemals die Bedeutung gehabt wie im Orient und in Aegypten. Die Purpurbereitung hatten die Phöniker aus ihrer Heimath an diese Küsten verpflanzt, wo die Insel Girba (Djerba) das africanische Tyros ward und nur diesem selbst in der Qualität nachstand. Diese Fabrication blühte durch die ganze Kaiserzeit. Zu den wenigen Thaten, welche König Juba II. aufzuweisen hat, gehört die Einrichtung der Purpurgewinnung an der Küste des atlantischen Meeres und auf den vorliegenden Inseln560. Wollstoffe geringer Qualität und Lederwaaren wurden in [652] Mauretanien, wie es scheint von den Eingeborenen, auch für den Export fabricirt561. Sehr ansehnlich war der Sclavenhandel. Die Producte des inneren Landes sind natürlich auch über Nordafrica in den Weltverkehr gelangt, doch nicht in dem Umfange wie über Aegypten. Der Elephant ist zwar das Wappen insbesondere Mauretaniens und ist dort, wo er jetzt längst verschwunden ist, noch bis in die Kaiserzeit hineingejagt worden; aber es sind wahrscheinlich nur geringe Quantitäten von dort in den Handel gekommen.

Der Wohlstand, in welchem sich der überhaupt cultivirte Theil Africas befunden hat, redet deutlich aus den Ruinen seiner zahlreichen Städte, die trotz ihrer engbegrenzten Gebiete überall Bäder, Theater, Triumphbogen, Prunkgräber, überhaupt Luxusbauten aller Art aufweisen, meistens von mäßiger Kunst, oft von unmäßiger Pracht. Nicht gerade in den Villen des vornehmen Adels wie im gallischen Land, sondern in der mittleren Klasse der Ackerbürger muß die ökonomische Kraft dieser Landschaften gelegen haben562. Die Frequenz [653] des Verkehrs, so weit aus unserer Kunde des Straßennetzes sich darüber urtheilen läßt, muß innerhalb des civilisirten Gebietes der Dichtigkeit der Bevölkerung entsprochen haben. Während des ersten Jahrhunderts entstanden die Reichsstraßen, die das damalige Hauptquartier Theveste theils mit der Küste der kleinen Syrte verbanden, was mit der früher erzählten Befriedung des Districts zwischen dem Aures und dem Meer in deutlichem Zusammenhang steht, theils mit den großen Städten der Nordküste Hippo regius (Bone) und Karthago. Vom zweiten Jahrhundert an finden wir alle größeren Städte und manche kleinere thätig innerhalb ihres Territoriums die nöthigen Verbindungen herzustellen; indeß gilt dies wohl von den meisten Reichslanden und tritt nur deßhalb in Africa deutlicher hervor, weil hier fleißiger als anderswo diese Gelegenheit benutzt worden ist um dem regierenden Kaiser zu huldigen. Ueber das Wegewesen der wenn auch römischen, doch nicht romanisirten Districte und über die Wege, welche den wichtigen Verkehr durch die Wüste vermittelten, fehlt jede allgemeine Kunde. Wahrscheinlich ist aber in dem Wüstenverkehr während jener Zeit ein folgenreicher Umschwung eingetreten durch die Einführung des Kameels. In älterer Zeit begegnet dies bekanntlich nur in Asien bis nach Arabien hin, während Aegypten und ganz Africa lediglich das Pferd kennen. Während der ersten drei Jahrhunderte unserer Zeitrechnung haben die Länder getauscht und ist wie das arabische Roß so das libysche Kameel, man darf wohl sagen, in die Geschichte eingetreten. Zuerst geschieht des letzteren Erwähnung in der Geschichte des von dem Dictator Caesar in Africa geführten Krieges: wenn hier unter der Beute neben gefangenen Offizieren 22 Kameele des Königs Juba aufgeführt werden, so muß ein solcher Besitz damals in Africa außergewöhnlicher Art gewesen sein. Im 4. Jahrhundert fordern die römischen Generale bereits von den Städten der Tripolis tausende von Kameelen für den Transport des Wassers und der Lebensmittel, bevor sie den Zug in die Wüste antreten. Dies giebt eine Ahnung von der inzwischen eingetretenen Revolution in den Verkehrsverhältnissen zwischen dem Norden und dem Süden Africas; ob sie von Aegypten ausgegangen ist oder von Kyrene und Tripolis, läßt sich nicht sagen, aber dem gesammten Norden dieses Erdtheils ist sie zu Gute gekommen.

Also für die Finanzen des Reiches war Nordafrica ein werthvoller Besitz. Ob die römische Nation überhaupt durch die Assimilirung [654] Nordafricas mehr gewonnen oder mehr eingebüßt hat, ist weniger ausgemacht. Die Abneigung, welche die Italiener von jeher gegen die Africaner empfanden, hat sich nicht geändert, nachdem Karthago eine römische Großstadt geworden war und ganz Africa lateinisch sprach; wenn Severus Antoninus die Laster dreier Nationen in sich vereinigte, so wurde seine wilde Grausamkeit auf den africanischen Vater zurückgeführt, und der Schiffscapitän des vierten Jahrhunderts, welcher meinte, daß Africa ein schönes Land sei, aber die Africaner dessen nicht werth, denn sie seien hinterlistig und wortlos und es möchten wohl einige gute Leute darunter sein, aber viele nicht, dachte wenigstens nicht an den schlimmen Hannibal, sondern sprach aus, was das große Publicum damals empfand. So weit in der römischen Litteratur der Kaiserzeit sich die Einwirkung africanischer Elemente erkennen läßt, treffen wir in dem überhaupt wenig erfreulichen Buche auf besonders unerfreuliche Blätter. Das neue Leben, welches den Römern aus den Ruinen der von ihnen ausgetilgten Nationen erblühte, ist nirgends voll und frisch und schön; auch die beiden Schöpfungen Caesars, das Keltenland und Nordafrica – denn das lateinische Africa ist nicht viel weniger sein Werk als das lateinische Gallien – sind Trümmerbauten geblieben. Aber dem Neurömer von der Rhone und der Garonne steht doch die Toga besser als den ›Seminumidiern und Semigaetulern‹. Wohl blieb Karthago an Volkszahl und Reichthum nicht viel zurück hinter Alexandreia und war unbestritten die zweite Stadt der lateinischen Reichshälfte, nächst Rom die lebhafteste, vielleicht auch die verdorbenste Stadt des Occidents und der bedeutendste Mittelpunkt der lateinischen Bildung und Litteratur. Augustinus schildert mit lebhaften Farben, wie mancher rechtschaffene Jüngling aus der Provinz in dem wüsten Treiben des Circus dort unterging und wie ihn, den siebzehnjährigen Studenten, als er von Madaura nach Karthago kam, das Theater mit seinen Liebesstücken wie mit der Tragödie packte. Auch an Fleiß und Talent fehlte es den Africanern nicht; im Gegentheil wurde auf den lateinischen und daneben den griechischen Unterricht und auf dessen Ziel, die allgemeine Bildung, in Africa vielleicht mehr Werth gelegt als irgendwo sonst im Reiche, und das Schulwesen ist hoch entwickelt. Der Philosoph Appuleius unter Pius, der berühmte christliche Schriftsteller Augustinus, beide guten Bürgerfamilien – jener von Madaura, dieser von dem benachbarten kleineren Orte Thagaste – entstammend, empfingen die erste Bildung in der Schule der Heimatstadt; [655] dann studirte Appuleius in Karthago und vollendete seine Bildung in Athen und Rom; Augustinus ging von Thagaste zuerst nach Madaura, dann ebenfalls nach Karthago; in dieser Weise vollzog sich die Jugendbildung in den besseren Häusern durchgängig. Iuvenalis räth dem Professor der Rhetorik, welcher Geld verdienen will, nach Gallien oder besser noch nach Africa zu gehen, ›der Amme der Advocaten‹. Auf einem Edelsitz im Gebiet von Cirta ist vor kurzem ein mit fürstlicher Pracht ausgestattetes Privatbad aus später Kaiserzeit zum Vorschein gekommen, dessen Mosaikfußboden im Bilde darstellt, wie es einst auf dem Schloße zuging: die Paläste, der ausgedehnte Jagdpark mit den Hunden und Hirschen, die Ställe mit den edlen Rennpferden nehmen freilich den meisten Platz ein, aber es fehlt auch nicht die ›Gelehrtenecke‹ (filosofi locus) und dabei die unter den Palmen sitzende Edelfrau. Aber eben die Schulmäßigkeit ist der schwarze Punct des africanischen Litteratenthums. Dasselbe beginnt erst spät; vor der Zeit des Hadrian und des Pius weist die lateinische Schriftstellerwelt keinen africanischen Namen von Ruf auf und auch nachher sind die namhaften Africaner durchgängig zunächst Schulmeister und als solche zum Schriftstellern gekommen. Unter jenen Kaisern sind die gefeiertsten Lehrer und Gelehrten der Hauptstadt geborene Africaner, der Rhetor Marcus Cornelius Fronto aus Cirta, Prinzenerzieher am Hof des Pius, und der Philologe Gaius Sulpicius Apollinaris aus Karthago. Darum herrscht in diesen Kreisen bald der thörichte das Lateinische in die altfränkischen Bahnen des Ennius und des Cato zurückzwängende Purismus, wodurch Fronto und Apollinaris ihren Ruf gemacht haben, bald das gänzliche Vergessen der dem Latein eingeborenen ernsten Strenge und eine, üble griechische Muster übler nachahmende, Leichtfertigkeit, wie sie in dem seiner Zeit viel bewunderten Eselroman jenes Philosophen von Madaura ihren Gipfel erreicht. Die Sprache wimmelte theils von schulmäßigen Reminiscenzen, theils von unklassischen oder neu gebildeten Worten und Wendungen. Wie man dem Kaiser Severus, einem Africaner aus guter Familie und selber einem Gelehrten und Schriftsteller, im Ton der Rede immer den Africaner anhörte, so hat der Stil dieser Africaner, auch der geistreichen und von Haus aus lateinisch erzogenen, wie des Karthagers Tertullianus, regelmäßig etwas Fremdartiges und Incongruentes, mit seiner gespreizten Kleinkrämerei, seinen zerhackten Sätzen, seinen Gedankenspielen und Gedankensprüngen. Es fehlt beides, die Anmuth des Griechen und die Würde des[656] Römers. Bezeichnender Weise begegnet in der gesammten africanisch-lateinischen Schriftstellerwelt nicht ein einziger Dichter, der auch nur genannt zu werden verdiente. Erst in der christlichen Zeit ist es anders geworden. In der Entwickelung des Christenthums spielt Africa geradezu die erste Rolle; wenn dasselbe in Syrien entstanden ist, so ist es in und durch Africa Weltreligion geworden. Wie die Uebertragung der heiligen Bücher aus der hebräischen Sprache in die griechische, und zwar in die Volkssprache der ansehnlichsten Judengemeinde außerhalb Judaea, dem Judenthum seine Weltstellung gegeben hat, so ist in ähnlicher Weise für die Uebertragung des Christenthums aus dem dienenden Osten in den herrschenden Westen die Uebertragung seiner Bekenntnißschriften in dessen Sprache von entscheidender Bedeutung geworden, und um so mehr, als auch diese Bücher übertragen wurden nicht in die Sprache der gebildeten Kreise des Occidents, welche früh aus dem gewöhnlichen Leben schwand und in der Kaiserzeit überall schulmäßig gelernt ward, sondern in das aufgelöste schon den romanischen Sprachbau vorbereitende den großen Massen geläufige damalige Latein des gemeinen Verkehrs. Wenn das Christenthum durch den Untergang des jüdischen Kirchenstaats von seiner jüdischen Grundlage sich löste (S. 550), so wurde es dadurch, daß es in dem großen Weltreich die allgemein gültige Reichssprache zu reden begann, die Religion der Welt; und jene namenlosen Männer, die seit dem zweiten Jahrhundert die christlichen Schriften latinisirten, haben für diese Epoche eben das geleistet, was heute, in der durch den erweiterten Völkerhorizont geforderten Steigerung, auf Luthers Spuren die Bibelmissionen durchführen. Diese Männer aber waren zum Theil Italiener, jedoch vor allem Africaner563. In Africa war allem Anschein nach diejenige [657] Kenntniß des Griechischen, welche Uebersetzungen entbehrlich macht, bei weitem seltener anzutreffen als wenigstens in Rom; und andererseits fand das namentlich in den Anfängen des Christenthums übermächtige orientalische Element hier bereitwilligere Aufnahme als in den übrigen lateinisch redenden Ländern des Ostens. Auch in der durch den neuen Glauben ins Leben gerufenen vorzugsweise polemischen Litteratur ist, da die römische Kirche in dieser Epoche dem [658] griechischen Kreise angehört (S. 547), in lateinischer Zunge Africa durchaus führend. Die gesammte christliche Schriftstellerei bis zum Ausgang dieser Periode ist, so weit sie lateinisch ist, africanisch; Tertullianus und Cyprianus waren aus Karthago, Arnobius aus Sicca, auch Lactantius und wahrscheinlich deßgleichen Minucius Felix trotz ihres klassischen Latein Africaner, nicht minder der schon genannte etwas spätere Augustinus. In Africa fand die werdende Kirche die eifrigsten Bekenner, die begabtesten Vertreter. Für den litterarischen Glaubenskampf stellte Africa weitaus die meisten und tüchtigsten Streiter, deren Eigenart bald in beredter Erörterung, bald in witziger Fabelverspottung, bald in leidenschaftlichem Zorn in der Fehde gegen die alten Götter rechten und mächtigen Spielraum fand. Ein erst von wildem Lebenstaumel, dann von flammender Glaubensbegeisterung trunkenes Gemüth, wie es aus Augustinus Confessionen spricht, hat seines Gleichen nicht im übrigen Alterthum.


Quelle:
Theodor Mommsen: Römische Geschichte. Berlin 1927, Bd. 5.
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