Donar

[122] Donar ist der zweitgrösste der germanischen Götter, in der Urzeit wahrscheinlich mehr geehrt als Wodan, daher der fünfte Wochentag, dies Jovis, zu Donnerstag wurde, der noch heute manche volksmässige Anschauungen bewahrt hat. Während Wodan im sausenden Sturm auf weissem Wolkenrosse reitet, fährt Donar auf einem Wagen durch die Wolken, den vermutlich zwei Böcke zogen. Des Gottes Kinn umwallen die feuerroten Haare seines Bartes, in der Rechten trägt er einen steinernen Keil oder einen gewichtigen Hammer, der, so oft er ihn von sich schleudert, von selbst in seine Hand zurückkehrt. Ihm war die Eiche geheiligt, deren rote Farbe an seinen Feuerstrahl erinnerte, und die der Wetterstrahl gern zertrümmerte. Auf ihr haust der Hirschkäfer, Donnerpuppe genannt, der glühende Kohlen auf die Dächer tragen soll. Andere Bäume und Tiere, die wegen ihrer blitzähnlichen roten oder blauen Farbe zu Donar in Beziehung gesetzt werden, sind der Hagebuttenstrauch und der Vogelbeer- oder Quetschenbaum, die Haselnussstaude, der Erdepheu oder Gundermann, auch Donnerrebe genannt; das rote Eichhörnchen, das Rotkelchen oder Rotschwänzchen, der Hahn, die Heerschnepfe, auch Donnerbock, Donnerziege oder Gewitterziege genannt, besonders aber der Storch mit den roten Beinen. – Donar melkt mit schimmerndem Blitzstrahl die vollen Euter der Wolkenkühe, so dass sie ihre Milch, den Regen, befruchtend zur Erde niederfallen lassen. Vom göttlichen Feuer des Blitzes stammt die Herdflamme, der Mittelpunkt des Hauses, der Familie, des Stammes. Daher ist Donar auch Schützer der Ehe, Spender von Kindersegen, Vorsteher der Sippe, Verteidiger der Gemarkung.[122] Heilige Gebräuche, die sich anfänglich an den Herd anlehnten, gingen später auf den Öfen über. Donar ist der kräftigste von allen Göttern, er teilt den Menschenkindern Kraft und Stärke mit, er heilt Erkrankte, Menschen sowohl als Vieh, daher gewisse Kuren am Donnerstag vorgenommen werden müssen; durch as Notfeuer, welches durch bohrende Drehung einer Walze in dem Loche eines Pfahles hervorgebracht wird, treibt man das verseuchte Vieh. Da der Blitzstrahl das Erdreich lockert und der nachrauschende Regen den Boden befruchtet, wird Donar zum Frühlingsgotte, ihm danken vorzugsweise die Pflanzen ihr Wachstum. Oster- und Judasfeuer (am Charsamstag) werden ihm zu Ehren im Frühling angezündet, besonders aber um die Zeit der Sommersonnenwende die Sonnwend- oder Johannisfeuer. Auch an Weihnachtsumzügen ist er beteiligt. Auf seinem Wagen durch die Lüfte fahrend, vollführt der Donnerer in den Wolken selbst den gewaltigsten aller Kämpfe, welche die Welt erschauen kann. Er verfolgt die Dämonen, welche das Licht des Himmels, den Glanz der Sonne mit dem Schatten der schwarzen Gewitterwolke, dem Dunkel der Nacht, der Finsternis und Kälte des Winters verdecken und den Lauf des erquickenden Regens zur Erde aufhalten. Aus diesen Dämonen sind im Laufe der Entwickelung die Riesen und Drachen geworden. Von beiden Seiten wird der Streit mit Blitz und Donner geführt, bis der milde Gott den Sieg erringt, der Riese tot zu Boden sinkt, sein Goldhort oder die Frau, die er geraubt hat, befreit sind. Donars Hammer selbst wird Jahr für Jahr im Herbste von den Riesen gestohlen und die sieben Wintermonate hindurch in ihrem Berge versteckt gehalten, bis im Frühling der Gott ihn wieder holt. – Die Skandinavier nannten den Gott Thor. Nach Mannhardt, Götter, 187 ff. Vergl. ausser Grimm und Simrock noch Wuttke, Aberglauben, § 20 ff.

Quelle:
Götzinger, E.: Reallexicon der Deutschen Altertümer. Leipzig 1885., S. 122-123.
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