Erbrecht

[158] Erbrecht. Das Erbe ist ahd. das arpi, erbi, erbe, got. das arbi, dasselbe Wort in den nordisch germ. Sprachen; in welcher Wurzel, von der auch Arbeit abgeleitet ist, die Vorstellungen der Angehörigkeit und Hörigkeit (milderer Leibeigenschaft), der Kindschaft und der Knechtschaft ineinander fliessen. Der Erbe ist got. der arbja ahd. der árpeo, áripeo, érpeo, éribo, erbo, mhd. der erbe. Weigand.

Die regelmässige Erbfolge der Germanen beruhte auf der Blutsfreundschaft und stand mit den übrigen Rechten und Pflichten der Familie in der engsten Beziehung. Die Verwandtschaft, die zur Erbfolge berechtigte, musste aber einesteils eine durch eine giltige Ehe (siehe diesen Art.) begründete Verwandtschaft und andernteils musste der Verwandte dem Erblasser ebenbürtig sein. Die Nähe der Verwandtschaft wurde nach der grössern oder geringern Gemeinschaft des Blutes gemessen, die Nächsten waren sich also diejenigen, welche den nächsten Stammhalter gemeinsam hatten, was man eine Parentel oder Sippe nannte, dann kam die Parentel unter dem zweitnächsten Stammhalter u.s.w. Die nähere Parentel schloss die entferntere schlechthin aus. Als Hilfsmittel, die Verwandtschaftsgrade zu versinnlichen, brauchte man das Bild des menschlichen Körpers, indem man an das Haupt den Stammhalter stellte. Die Blutsfreunde, insbesondere die Seitenverwandten, hiessen Magen, und es wurde dabei die paterna und materna generatio, oder lancea und fusus, die Schwert- und Spillseite unterschieden. Die älteste Erbfolgeordnung war, soweit sich erkennen lässt (Tacitus Germ. 20. 32), auf die Bedeutung der Sippe oder der Genossenschaft der Blutsfreunde gegründet, durch deren Macht jeder des Friedens, des gewaffneten Schutzes und der Vertretung nach aussen und vor Gericht, und nach dem Tode der Ehre der Blutrache versichert ward. Diesem Gedanken gemäss musste das Vermögen als die Grundbedingung der Macht bloss an Männer und zwar, weil Weiber durch ihre Verheiratung aus ihrer Sippe herausgingen, an bloss durch Männer verwandte männliche Blutsfreunde vererbt werden. Die Töchter waren auf die Gerade, mhd. gerûde, angewiesen, d.i. im wesentlichen der vorhandene Schmuck: Halsketten, Hafte, Armbauge, Ohrringe, Frauenkleider, im weitern Sinne eine ganze Aussteuer: Betten, Pfühle, Kissen, Bett- und Tischwäsche, Teppiche, Umhänge, Kästen, Laden, Sessel, Spiegel, Bürsten, Scheren, Leuchter, alles Garn, die Kleider, die gottesdienstlichen Bücher, die Gänse und Schafe, alles dies zum Gegensatz zum Heergeräte, dem Schwert, das dem Sohn als Erbe zufiel; beides, Gerade und Heergeräte, wurde der Erbteilung voraus weggenommen. Allmählich drängte schon in den alten Volksrechten die Sitte zur Besserstellung der Töchter; sie traten ebenfalls ins Erbe des Grundeigentums ein, anfangs mit einem Drittel, später mit gleichem Teil mit den Söhnen. Bei dem Adel und den Bauern erhielten sich aber nicht nur die alten Elemente, sondern wurden in besonderer Art weiter ausgebildet. Als schwere Verletzung der Verwandtschaftspflicht galt es, den Blutsfreunden das ihnen zukommende Erbe zu entziehen. Im Fortschritte der Zeit kämpfte jedoch das Gefühl der Freiheit gegen diese Beschränkung an, und man suchte eine Ausgleichung. Testamente zwar als einen Akt, den man[158] im Geheimen verrichtet, liess der Grundsatz der Öffentlichkeit im Rechtsleben nicht zu. Hingegen war die Übertragung von Haus und Hof unter Lebenden zugelassen, und dieses geschah in mancherlei Wendungen so, dass der Vergeber sich selbst dadurch möglichst wenig entzog, und die Wirkung sich hauptsächlich erst nach dem Tode äusserte. Aus den Vergabungen unter Lebenden wurden Erbverträge. Von diesen Vergabungen bei lebendigem Leibe gab es dreierlei Abstufungen: entweder ging das Vermögen sofort nicht bloss in das Eigentum, sondern auch in den Besitz des andern, unter Vorbehalt der lebenslänglichen Verpflegung oder Verpfründung, oder man vergab sein Gut, behielt sich aber bis zu seinem Lebensende den Besitz vor, wobei häufig dem Beschenkten ein Zins vom Gute bedungen wurde; oder endlich, man verschenkte sein Vermögen dem andern fest, so jedoch, dass das Eigentum erst nach des Schenkers Tode auf den Beschenkten übergehen sollte. In den beiden ersten Fällen war gerichtliche Auffassung notwendig, der dritte Fall wurde als Gelöbnis angesehen, wofür auch eine Urkunde hinreichte. Das römische Recht des Testaments besassen in Deutschland anfänglich bloss die Geistlichen, die überhaupt nach dem römischen Recht lebten; von ihnen aus, namentlich durch die geistlichen Gerichte, fanden die Testamente seit dem 13. Jahrh. in den Stadt- und Landrechten Eingang.

Quelle:
Götzinger, E.: Reallexicon der Deutschen Altertümer. Leipzig 1885., S. 158-159.
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