Erbrecht

[680] Erbrecht (das) ist die Lehre von Dem, was über die Nachfolge in die Verlassenschaft eines Verstorbenen Rechtens ist. In engerer Bedeutung versteht man aber darunter die Befugniß, in die Vermögensrechte eines Verstorbenen einzutreten, ihn zu beerben, ihm zu succediren oder nachzufolgen; daher man auch passender dieses Recht Erbfolge- oder Successionsrecht nennt. Damit nämlich nach dem Tode eines Menschen sein Besitzthum nicht herrenlos sei und zu Streit und Zank unter Denen führe, welche sich dasselbe anmaßen könnten, hat man bei allen civilisirten Völkern gewisse Regeln und Ordnungen festgestellt, nach welchen der Nachlaß eines Verstorbenen auf Andere übergeht. Unter dem Nachlaß oder der Erbschaft eines Verstorbenen versteht man aber nicht blos die Rechte an Sachen (bewegliches und unbewegliches Eigenthum) und Foderungen, welche der Verstorbene hatte, sondern auch seine Schulden und Verbindlichkeiten; ausgenommen davon sind indeß, aus leicht begreiflichen Ursachen, die sogenannten höchstpersönlichen Rechte und Verbindlichkeiten, z.B. Ämter und Würden mit den damit verbundenen Einkünften, Befugnissen und Obliegenheiten. Doch gibt es auch als seltene Ausnahmen Fälle, in denen Ämter und Würden erblich sein können, was aber von der neuern Zeit meistentheils ganz verworfen worden ist. Derjenige oder Diejenigen, welche auf diese Weise in die Rechte und Verbindlichkeiten eines Verstorbenen eintreten, heißen Erbe und Erben, und der Verstorbene wird im Verhältniß zu ihnen Erblasser genannt. Nach röm. Rechte, welches mit mehr oder weniger Abänderung noch heutiges Tages die Grundlage des in den verschiedenen deutschen Territorien geltenden Erbfolgerechts bildet, hat der Erbe den Erblasser in allen Vermögensrechten zu vertreten und wird mit ihm als eine und dieselbe Person angesehen. Dadurch unterscheidet er sich wesentlich von Demjenigen, welcher blos in einzelne Rechte eines Verstorbenen eintritt und aus dem Nachlasse unter einem besondern Titel etwas empfängt; einen solchen nennt man nicht Erben (der im Gegensatz von ihm Universalsuccessor heißt, auch wenn er mit mehren Andern zugleich erbt), sondern Singularsuccessor. Diese Singularsuccession kann begründet werden durch Legate, Fideicommisse und Schenkungen (s.d.) auf den Todesfall. – Eine Universalsuccession oder ein Erbfolgerecht entsteht aber nach den jetzt in Deutschland geltenden Rechten durch Vertrag, durch Testament oder durchs Gesetz. Die vertragsmäßige Erbfolge (s. Erbvertrag) geht heutiges Tages allem Übrigen vor; hat Jemand über seinen Nachlaß, aber weder durch Vertrag, noch durch ein Testa ment (s.d.) verfügt, so tritt dann die gesetzliche oder Intestaterbfolge (s.d.) ein. Der Anfall einer Erbschaft ist jedoch von deren Antretung wohl zu unterscheiden, indem ersterer vorhanden ist, sobald der Erblasser verstarb, denn dadurch ist sie Demjenigen angefallen, welchem kraft eines Vertrages, Testamentes oder Gesetzes ein Recht auf die Erbschaft zusteht. Es bleibt ihm indeß mit Ausnahme des Vertragserben, welcher aus dem Contracte gebunden ist, freigestellt, von diesem Rechte Gebrauch zu machen oder nicht, und die Gesetze gestatten ihm gewöhnlich eine bestimmte Frist (Bedenkzeit, Deliberationsfrist), in welcher der Erbe einen Entschluß darüber fassen muß. Erklärt er sich bejahend, so nennt man diese Erklärung die Antretung der Erbschaft, welche indeß auch stillschweigend durch solche Handlungen geschehen kann, welche keinen Zweifel über die Absicht des Erben mehr zulassen.

Die Fähigkeit, Erbe zu werden, besitzt Jeder, welcher Eigenthum zu erwerben im Stande ist. Das röm. Recht gestand indeß vielen Personen keine Erbfähigkeit zu; heutiges Tages sind dahin nur noch unerlaubte Gesellschaften zu zählen, welche als solche keine Erbschaft erwerben dürfen, obwol ihre einzelnen Glieder gültig zu Erben ernannt werden können. Die Erbfähigkeit muß zur Zeit der Ernennung, zur Zeit des Todes des Erblassers und von da an ohne Unterbrechung bis zum Antritte der Erbschaft, wie auch bei der bedingten Erbeinsetzung zur Zeit, da die Bedingung eintritt, vorhanden sein. Sobald die Erbschaft angetreten ist, haben auch die Erben des Erben ein Recht darauf erworben, und stirbt dieser, so treten sie an seine Stelle. Stirbt er aber, bevor er sich über die Antretung der Erbschaft erklärt hat, so geht sein Recht entweder auf die ihm vom Erblasser für solchen Fall substituirten Personen oder auf die anderweiten gesetzlichen Erben oder auf seine Miterben über, welche dann das sogenannte Accrescens- oder Zuwachs- (Anwachsungs)-recht geltend machen. Jeder Miterbe, er mag nun durch Vertrag, letzten Willen oder Gesetz zur Erbschaft berufen sein, hat überdem das Recht, auf Theilung der Erbschaft zu dringen, wenn nicht der Erblasser auf rechtsgültige Weise ausdrücklich etwas Anderes verfügt hat. Eine solche Erbtheilung, welche bei bedeutenden, aus verschiedenartigen und nicht leicht theilbaren Gegenständen bestehenden Erbschaften häufig große Schwierigkeiten hat, kann gerichtlich oder außergerichtlich vorgenommen werden; letzteres jedoch nur dann, wenn keine Unmündigen dabei betheiligt sind. Dieser Theilung dient das Inventarium oder Güterverzeichniß, welches in der Regel nach dem Tode des Erblassers über den Nachlaß unter gerichtlicher Autorität aufzunehmen ist, zur Grundlage. Bei derselben müssen sich die Abkömmlinge (Descendenten) des Erblassers, wenn sie mit andern Descendenten zugleich erben, Dasjenige abziehen (anrechnen) lassen, was sie bei Lebzeiten des Erblassers von diesem voraus bekommen haben. Es gehört dahin Alles, was die Ältern ihren [680] Kindern zur Ausstattung, zum Etablissement, zur Beihülfe oder zum Ankaufe von Sachen gegeben haben. Die Verpflichtung, sich diese Gegenstände anrechnen zu lassen, die sogenannte Collationspflicht, kann aber unter Umständen auch vom Erblasser erlassen werden. Ist der Erbe aus Irrthum oder durch Betrug seiner Miterben durch ungleiche Theilung verkürzt, so kann er wegen dieser Verletzung die Erbtheilung anfechten. Ebenso steht ihm auch eine Klage, die Erbtheilungsklage, zu, wenn sich die Miterben hartnäckig weigern, die Erbschaft zu theilen, ohne ihm das Erbrecht überhaupt streitig zu machen. Im letztern Falle dagegen wird die Erbschaftsklage angestellt, bei welcher dem Kläger der Beweis obliegt, daß er durch einen rechtsgültigen Vertrag oder durch Testament, oder nach der gesetzlichen Ordnung zur Erbschaft berufen sei. Kann Jemand einen Vertrag oder ein Testament vorzeigen, an welchem kein äußerer Fehler sichtbar ist, so kann er vorläufig den Besitz der Erbschaft verlangen, auch wenn ein Anderer ihm das Recht dazu streitig macht, und er bleibt so lange im Besitz, bis dieser die Ungültigkeit seiner Documente oder ein besseres Recht nachgewiesen hat.. – Erbschleicher pflegt man Denjenigen zu nennen, welcher darauf ausgeht, von alten oder dem Tode nahen wohlhabenden Leuten zum Erben eingesetzt zu werden und sich zur Erreichung seines Zwecks nicht immer der ehrlichsten Mittel bedient. Zur Ausübung dieses Unrechts haben insbesondere Seelsorger, Ärzte und Rechtsbeistände viel Gelegenheit und es ist auch von denselben im eignen und im Interesse der Kirche leider oft sur Ausübung gebracht worden.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1837., S. 680-681.
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