Flüsse

[206] Flüsse in der mittelalterlichen Kunst. Das Altertum stellte seine Wassergottheiten dar in einer mit Stierhörnern oder Krebsscheren versehenen Kopfbildung, sitzend oder liegend, eine Urne neben sich, der Wasser entströmt, in den Händen ein Ruder oder Schilf; auch kommt ihnen ein Füllhorn zu als Zeichen der Fruchtbarkeit. Den Meergöttern pflegt ein Seetier beigegeben zu werden, Quellnymphen lassen etwa Wasser aus der Brust strömen. Grösse und Bedeutung dieser Bildungen steht zu der Grösse und Bedeutung der dargestellten Naturobjekte im Verhältnis, der Ozean wird als bärtiger Greis gedacht, die grossen Flüsse als Greise oder bärtige Männer, die kleinern als Jünglinge, Quellen als Genien oder Nymphen; Ruder und Füllhorn kommen nur den grössern Flüssen zu, die kleinern erhalten bloss Urne und Schilf. Die genannten Vorstellungen sind auch auf die christliche Kunst übergegangen, welche z.B. die vier Flüsse des Paradieses, die Quellnymphe vor der Stadt Nahor in der Geschichte des Abraham und Isaak, dann den Gott des roten Meeres beim Durchgang der Israeliten, und namentlich der Jordan in der Geschichte des Josua und bei der Taufe Christi in Miniaturen und Elfenbeindekeln, auf kirchlichem Gerät von Stein, Erz und Gold und an Kirchengebäuden angebracht hat. Am häufigsten kommen die vier Paradiesflüsse und der Jordan bei der Taufe Christi vor. Jene erscheinen teils eigentlich in Beziehung auf das Schöpfungswerk oder als Sinnbild der vier Evangelien oder in Beziehung auf die letzten Dinge. Während solche Bilder vom 9. bis 13. Jahrh. recht häufig sind, verschwinden sie im 14. und 15., um seit dem 16. Jahrh. neu aufzutauchen, teils in biblischen, teils[206] und häufiger in mythologischen und allegorischen Szenen, das letztere besonders in Gärten und auf öffentlichen Plätzen, bei Brunnen und Wasserleitungen, auch auf Münzen u. Medaillen bei Anlass von Brückenbauten. Piper, Mythologie der christl. Kunst. II, 489–564.

Quelle:
Götzinger, E.: Reallexicon der Deutschen Altertümer. Leipzig 1885., S. 206-207.
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