Flore und Blanscheflur

[205] Flore und Blanscheflur, d.h. Blume und Weissblume, Rose und Lilie, ist der Titel einer in der höfischen Gesellschaft des Mittelalters weitverbreiteten Liebesgeschichte, die sich an den Sagenkreis Karls des Grossen anlehnt, ohne Zweifel aber keine historische Beziehung zu Karl hat. Das Liebespaar gehört neben Äneas und Dido und Tristan und Isolde zu den berühmtesten Liebespaaren der ritterlichen Zeit. Eine christliche Gräfin aus Frankreich wird auf einer Pilgerfahrt von den Leuten des heidnischen Königs Veniz in Spanien gefangen und an dessen Hof gebracht; die Gräfin war schwanger und gebar eine Tochter, Blanscheflur, in derselben Stunde die Königin einen Sohn, Flore. Beide Kinder wachsen zusammen auf, von einer Amme genährt. Aus Büchern lernen sie, noch Kinder, die Minne kennen, die, stets unschuldig bleibend,[205] immer inniger wird. Der Vater, ergrimmt über diese Liebe, will die Jungfrau umbringen, giebt jedoch dem milderen Rate seiner Gemahlin, beide zu trennen, Gehör. Flore wird zu seiner Tante, der Herzogin zu Mantua, geschickt. Blanscheflur aber an Kaufleute verhandelt, welche sie wieder an den Admiral, den Emir von Babylon, verhandeln. In die Heimat zurückgekehrt, will Flore verzweifeln, da ihm ein fälschlich aufgestelltes Grabmal den Tod seiner Geliebten verkündigt. Doch gesteht ihm die Mutter die Wahrheit und giebt ihm, da er sich entschliesst, Blanscheflur aufzusuchen, einen Ring mit, der die Kraft besitzt, jeden, der ihn trägt, vor Verletzung zu bewahren. Blanscheflur ist indessen zu Babylon in einem festen Turm bewahrt worden, und der Emir wird sie in einem Jahre selber zur Frau nehmen. Flore gewinnt durch kostbare Geschenke den Wächter dieses Turmes, dass er ihn in einem Blumenkorbe einlässt. Der süssen Minne pflegend, werden die Liebenden jedoch vom Emir überrascht und zum Feuertode verurteilt. Durch den Wettstreit der Liebe, indem jedes der beiden Liebenden den rettenden Ring dem anderen überlassen will, gerührt, schenkt der Fürst beiden das Leben und lässt sie nach der Heimat ziehen. Flore erhält das Reich seines Vaters, wird Christ und heiratet Blanscheflur. Hundert Jahre alt, sterben beide an demselben Tage und ruhen in einem Grabe. Die einzige Frucht ihrer Liebe war Bertha, die Mutter Karls des Grossen.

Die französische Quelle ist ein nicht erhaltener Roman des Ruprecht von Orbont; eine franz. Überarbeitung desselben hat Imanuel Becker herausgegeben. Nach Ruprecht von Orbont bearbeitete Konrad Fleck, ein schwäbischer oder schweizerischer höfischer Dichter aus der Schule Gottfrieds von Strassburg um 1230, das noch erhaltene Gedicht. Boccaccio legte die Sage seinem Roman Il Filocolo o Filocopo zu Grunde.

Quelle:
Götzinger, E.: Reallexicon der Deutschen Altertümer. Leipzig 1885., S. 205-206.
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