Gau

[254] Gau, got. das gavi, Gen. gáujis, ahd. das gawi, gowi, gouwi. mnd. das gouwe, gou, neben and. die gawa, gouwa, männlichen Geschlechtes erst seit dem 17. Jahrh. ist etymologisch dunkeln Ursprungs. Man bezeichnet damit die uralte, auf das Staats-, Gerichts- und Heerwesen bezügliche Unterabteilung der deutschen Völkerstämme oder Staaten, im Gegensatze zu den Marken- und Dorfgenossenschaften, welche nicht politischer Natur sind, sondern bloss auf das Zusammenwohnen und die Bebauung des Feldes Bezug haben. Ob jedoch dem Worte Gau schon in ältester Zeit jene Bedeutung zukam, ist ungewiss, da auch selbständige Völkerschaften, civitates, Gaue genannt werden. Der verbreitetere Name für die staatlichen Unterabteilungen in den ältesten Quellen ist vielmehr die Hunderte, centena, siehe den besonderen Artikel.

Im fränkischen Reiche schliessen sich die staatlichen Unterabteilungen im allgemeinen an die bestehenden älteren Zustände an; nur dass mit der Zeit ein Unterschied in der Bedeutung der Unterabteilungen eintritt, je nachdem sie im engern Sinne als Verwaltungsbezirke des fränkischen Reiches unter einem Reichsbeamten oder als für sich bestehende, ihre eigenen Interessen verfolgenden Gemeinschaften aufgefasst werden. Die ersteren vornehmlich heissen Gaue, die letzteren Hunderte. Für die Einteilung der Gaue behielt man bestehende Verhältnisse bei, alle römischen Städte mit ihrem Gebiete, auch neue Städte, welche Sitze der Beamten wurden, z.B. Worms-, Speier-, Zürich-, Salzburggau. Andere Gaue, wie der Rhein-, Donau-, Main-, Neckar-, Thurgau schliessen sich an Flüsse, wieder andere an Völkerschaften an: Thüringau, Hessengau. Neben pagus und Gau kommen die Worte bant vor: Braibant, Ostrobant; eiba in Wettereiba, Winegarteiba; feld in Wormazfeld, Meinefeld, Grapfeld, Eichsfeld; bara auf alemannischem Boden: Folcholtes para, Bertoltis para, heute in der schwäbischen Landschaft Baar erhalten.

Die alten Gerichtsversammlungen blieben zwar den Hunderten; deren Vorsteher centenarius, centurio,hunno, hunne, wurde wie früher vom Volke selbst gewählt, aber er gab allmählich die eigentliche Leitung und zwingende Gewalt, womit die Vollstreckung des Urteils und die Exekution der Strafen zusammenhing, an den königlichen Beamten, den Grafen, ab, dessen Gau mehrere Hunderte, also auch mehrere Centenarien zu umfassen pflegte. Seit Karl dem Grossen trat die Bedeutung des Grafen immer mehr hervor, die des Centenars zurück; der letztere war bloss noch Unterbeamter und Stellvertreter des Grafen in Gerichtssachen und zwar bloss in[254] seiner Hunderte; mit dem Heerwesen hatte er nichts mehr zu thun; der Nathe Gau wurde in den Urkunden wohl noch zur Bezeichnung der Lage von Orten gebraucht, der häufigere Name des Amtsgebietes selber war Grafschaft, comitatus insofern ein alter Gau mehrere gräfliche Amtsgebiete umfassen konnte, konnte es geschehen, dass sich mehrere Grafen oder Grafschaften in einem Gau vorfanden. Die Namen der alten Gaue und die Bezeichnung der Orte nach der Lage in denselben erhalten sich bis in die Mitte des 12. Jahrh.; als einheitliche Amtsbezirke des Reiches sind die Gaue aber schon weit früher allmählich vielfach zerstört und auseinandergerissen worden; von den alten Hunderten sind nur in Alemannien und Lothringen gewisse Gerichtsbarkeiten der Centenarien erhalten. Die Hauptursachen von der Auflösung der alten Gauverfassung waren die Teilung der Gaue unter mehrere Grafen, die Vereinigung von mehreren Gauen zu einem Grafschaftsverband, die zahlreichen Exemtionen von der alten Grafschaft durch Übertragung der in ihr liegenden Rechte an andere, besonders an die geistlichen Stifter, die teils gräfliche Befugnisse auf ihren Besitzungen, teils ganze Grafschaften empfingen, aber auch au weltliche Grosse; sodann die selbständige Entwicklung der Städte, die sich aus dem Grafschaftsverbande lösten. Dadurch verlor der alte Gau als Gerichts- und überhaupt politischer Bezirk seine Bedeutung und meist auch seinen Namen. Nur als allgemeiner Landschaftsname haben sich einige alte Gaunamen erhalten. Waitz, Verf. Gesch. Sohm, fränkische Reichs- und Gerichtsverfassung.

Quelle:
Götzinger, E.: Reallexicon der Deutschen Altertümer. Leipzig 1885., S. 254-255.
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