Landkarten

[565] Landkarten. Aus dem Altertum sind keine anderen Karten ausser denen zum Ptolemäus auf uns gekommen, diejenigen des Marinus von Tyrus, 2. Jahrhundert n. Chr., des ersten Geographen, welcher bei der Ortsbestimmung Längen und Breiten berücksichtigte, sind verloren gegangen; auch Ptolemäus aus Pelusium, ein Schüler des Marinus, hat keine Karten hinterlassen; dagegen hat er in seiner Erdbeschreibung (nicht zu verwechseln mit seinem astronomischen Hauptwerke, der Syntaxis, dem Almagest, wie die Araber das Buch nannten) Vorschläge zur graphischen Zeichnung und Entwerfung des Landkartennetzes gegeben und die Mittel bezeichnet, um aus der Lage der bekannten Orte die unbekannten zu[565] finden. Von den acht Büchern seines Werkes enthalten das zweite bis siebente Namensregister nach Ländern, Längen und Breitegraden und das letzte einen kurzen Überblick über das Ganze. Die 27 Landkarten aber, die man den meisten alten Handschriften des Ptolemäus beigegeben findet, stammen von einem Agathodämon aus Alexandria, einem Mathematiker, den man gewöhnlich ins fünfte Jahrhundert setzt; es sind zehn Blätter über Europa, fünf über Afrika und zwölf über Asien. Sie sind die Grundlage aller neueren Landkarten geworden. Daneben besassen die Römer Wegkarten, die namentlich militärischen Zweck hatten, und von welchen sich die sog. Peutingerische Tafel erhalten hat; sie bildet eine Rolle aus elf Blättern, 201/2 Fuss lang und 111/2 Zoll breit; die Hauptsache ist hier die Angabe der Distanzen.

Das Mittelalter ging vorläufig der kartographischen Hilfsmittel des Altertums wieder verlustig; die Radkarten (siehe den Art. Geographie), sind bloss graphische Aufzeichnungen der dieser Periode bekannten Erdfeste.

Auch die arabischen Geographen, unfähig, die Arbeiten ihrer Astronomen zu benutzen, blieben weit hinter den Leistungen des Ptolemäus zurück. Das zeigen z.B. die beiden erhaltenen Karten des Edrisi, 12. Jahrhundert, ein kreisförmiges Erdbild und eine viereckige Weltkarte in 70 Blättern, worin zwar Ptolemäus benutzt erscheint, das Gradnetz desselben aber wie in allen sonst bekannten arabischen Karten fallen gelassen worden ist.

Desto grösser ist der kartographische Fortschritt, der sich in den Kompasskarten des späteren Mittelalters zeigt.

Sie sind ursprünglich nur von Italienern oder von Katalanen von den Belearen verfasst worden und mit Wind- oder Kompassrosen bedeckt, aus denen strahlenförmig bunte Striche nach den Himmelsrichtungen auslaufen, um sich auf anderen Punkten der Karte zu anderen Windrosen zu vereinigen. Der Gesichtskreis wurde in vier volle Winde eingeteilt, Nord, Ost, Süd, West, zwischen denen die halben Winde Nordost, Südost, Südwest, Nordwest lagen. Zwischen den halben und den ganzen unterschied man die Viertelwinde, Nordnordost, Ostnordost u.s.w., die wiederum in Oktaven oder Achtel zerfielen. Später wurde es Sitte, die Windstriche auf den Karten durch bunte Linien auszudrücken, wobei man die ganzen und halben Winde durch schwarze, die Viertelwinde durch grüne, die Achtelwinde durch rote Farbe unterschied. Auf einen dieser Kompasssterne setzte der Steuermann seine Bussole, um zu ermitteln, welche Richtung er innehalten müsse, um von einem Hafen nach dem andern zu gelangen; lief er dann auf das hohe Meer, so schätzte er den zurückgelegten Weg aus der Segelkraft des Windes mit einer Schärfe und Sicherheit, die wie ein halbes Wunder erscheint. Zum erstenmal sieht man hier Europa wie die asiatischen und afrikanischen Vorlande wie von einem Spiegel wiedergegeben. Die ältesten erhaltenen Kompasskarten verfertigte der Venetianer Marino Sanuto der Ältere zwischen 1306 und 1321; doch gehen die Anfänge dieser Kartenmethode bis ins 13. Jahrhundert zurück; das merkwürdigste Denkmal aber aller mittelalterlichen Kompasskarten ist das sogen. katalanische Weltgemälde vom Jahre 1375, von einem unbekannten majorkanischen Steuermann verfertigt, der u.a. die Reisen des Marko Polo benützte. Neue Fortschritte zeigen die Karten des Venetianers Fra Mauro.

Im Anfang des 15. Jahrhunderts entdeckte der Humanismus endlich[566] auch die Ptolemäischen Karten wieder, deren zuerst der Kardinal d'Ailly, Aliacus, erwähnte. Schon im 15. Jahrhundert erschienen fünf Ausgaben derselben, alle in Italien; im 16. Jahrhundert 21, davon 16 deutsche (9 in Basel, 4 in Köln, 3 in Strassburg). Seit 1513 fügten Jakob Ässler und Georg Übelin einen Atlas neuer Karten hinzu. Die Ptolemäischen Karten, welche durch ihr Gradnetz die Kompasskarten übertrafen, standen anfangs infolge mancher Fehler der Ptolemäischen Zeichnung in mancher Beziehung auch hinter ihnen zurück; am meisten gelang es dann deutschen Geographen die Fehler zu verbessern; genannt werden Sebastian Münster, namentlich aber Peter Bienewitz. Bald erhielten alle einzelnen Reichsgebiete ihre besonderen Karten, die zum Teil vortrefflich waren; gegen Ende des 16. Jahrhunderts ging die Kartenkunst durch Mercator und seinen Freund Abraham Örtel zu den Niederländern über, bei denen sie während des 17. Jahrhunderts eine neue Blütezeit erreichte. Peschel, Geschichte der Erdkunde. Ruge, Geschichte des Zeitalters der Entdeckungen, Berlin 1881.

Quelle:
Götzinger, E.: Reallexicon der Deutschen Altertümer. Leipzig 1885., S. 565-567.
Lizenz:
Faksimiles:
565 | 566 | 567
Kategorien: