Los

[591] Los, mhd. lôz, ahd. lôz und hlôz, got. hláuts, mit der Bedeutung Loszeichen und Losstäbchen und davon abgeleitet, das durch Schicksalsbefragung Angefallene, ein zugeteiltes Recht, vom ahd. Verb. hliozan, mhd. liezen = durch Loswerfen bestimmen, durch Los erlangen. Tacitus erzählt Germania 10, dass bei den Germanen Vorzeichen und Weissagung durch Lose in höchstem Ansehen stehen. »Die Art des Losens ist einfach. Man haut einen Zweig von einem Fruchtbaum, zerschneidet ihn in Stäbchen, die man durch gewisse Zeichen unterscheidet, und streut sie nach blindem Zufall über ein weisses Tuch. Darauf betet der Priester des Staates, wenn die[591] Befragung der Lose von Staats wegen, der Hausvater, wenn sie in einer Familienangelegenheit geschieht, zu den Göttern und hebt zum Himmel aufblickend nacheinander drei Stäbchen auf, deren Bedeutung er nach den vorher eingekerbten Zeichen erklärt. Ist ihr Ausspruch verneinend, so findet in dieser Sache am gleichen Tage keine Befragung der Götter mehr statt; ist er bejahend, so werden zur Bestätigung noch die Vorzeichen zu Hilfe gerufen.« Die christliche Gesetzgebung beschränkte den Gebrauch des weitverbreiteten Loses auf solche Fälle, wo eine rechtliche Ungewissheit sonst nicht füglich zu heben war. Innerhalb aber dieses Gebietes blieb dem Losen noch lange das Ansehen einer übermenschlichen Bestimmung, eines Gottesurteils. Als allmählich das Los diese Bedeutung einbüsste und nur die Vorstellung einer bloss zufälligen Entscheidung zurückblieb, fiel die Anwendung des Loses aus dem Strafprozesse weg und behauptete sich bloss in Civilfragen als letzte Aushilfe, sei es kraft allgemeiner Rechtsregel oder kraft des Willens des Beteiligten, und zwar in der doppelten Anwendung des Auslesens der Person oder des Verlosens der Sache; beides war in vielen Fällen in Gebrauch, doch sind die Erwähnungen davon in den Rechtsquellen selten. Neben dem Würfeln, dem Ziehen beschriebener Zettel oder ungleicher Halme kommt in Skandinavien bis tief ins Mittelalter und bei den Friesen bis in die neuere Zeit das uralte Losen mit Stäben vor, auf welchen die Marken oder Hauszeichen der Losenden eingeschnitten waren.

Der Verbreitung und Ausdehnung des Loses im Mittelalter wie in der Neuzeit leistete ohne Zweifel der Umstand Vorschub, dass das Los sowohl in der heiligen Schrift als bei den antiken Schriftstellern oft erwähnt wurde und diese damit astrologische Elemente verknüpfen. Eigentliche Losbücher fanden aus Italien im 15. Jahrhundert ihren Weg nach Frankreich und Deutschland; sie enthielten zugleich Anweisungen zum Kartenspiel, Würfelspiel und zum Auslegen von Träumen. Losbuchen heisst mancherorts überhaupt soviel wie abergläubische Handlungen vornehmen, um aus gewissen Erfolgen derselben auf die Zukunft zu schliessen. Vadian sagt von den Pfarrern der merowingischen Zeit, sie hätten den Auftrag gehabt, dem heidnischen Aberglauben zu wehren, und namlich die selzamen opfer für die toten, item das lossen oder walsen, das etlich Franken und Almenner anfang einer jeden handlung im brauch hattend, das man bei unsern Zeiten noch das lossbuochen oder buochlossen heisst (Schriften II, 57). Lostage heissen die zwölf Nächte vom 24. Dezember bis 6. Januar, weil jeder dieser Tage in seiner Witterung die Witterung der zwölf Monate des beginnenden Jahres voraussagt. Siehe Homeyer über das germanische Losen, Monatsberichte der Berliner Akademie 1853 und Berlin 1854. Vgl. den Art Runen.

Quelle:
Götzinger, E.: Reallexicon der Deutschen Altertümer. Leipzig 1885., S. 591-592.
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