Missidominici

[659] Missidominici. Sendboten, Königsboten. Von jeher war es im fränkischen Reiche Sitte, dass der König ausserordentliche Abgesandte in die Provinzen schickte, um einzelne wichtige Geschäfte vorzunehmen, namentlich solche, die von den ordentlichen Beamten nicht erledigt werden konnten oder sollten; aber erst Karl d. Gr. gab dem Institute eine bestimmte Form und gestaltete es zu einem wesentlichen Teil der Reichsregierung. Die lateinischen Quellen nennen die Boten missus, legatus, nuntius, mit der näheren Bezeichnung dominicus, regalis, palatinus; der deutsche Ausdruck ist nicht überliefert; Sendboten und Königsboten sind neuer Entstehung. Die Pflichten und Befugnisse der Königsboten sind verschiedener Art, sie vertreten in gerichtlichen Sachen den König, halten selbst Gericht, wachen über die Interessen und Rechte der Kirche, führen eine allgemeine Aufsicht über die weltlichen und geistlichen Beamten, berufen im Auftrage des Königs grössere Versammlungen, sind als Heerführer thätig, wirken als Gesandte an auswärtige Fürsten. Die Personen der Boten waren bald hohe Hofbeamte, bald sonst angesehene Männer, bald Grafen, bald Getreue niederen Standes oder Mitglieder der Geistlichkeit. Nach der Kaiserkrönung waren es namentlich die Königsboten, welchen Karl die Durchführung der höheren staatlichen und kirchlichen Ordnung übertrug. Was in der Regierung des Reichs eine besondere Bedeutung hatte und Karl persönlich am Herzen lag, Staatliches und Kirchliches, namentlich die Beobachtung von Ordnung und Zucht, rechte Handhabung der Gerichtsgewalt, Durchführung der Heergewalt, Sicherung und Bewahrung des kaiserlichen Besitzes und Einkommens fiel in den Bereich ihrer Thätigkeit. Damit die Einrichtung in allen Teilen des Reiches zur Ausführung komme, wurde das Reich in Distrikte geteilt, missaticum oder legatio, deren jeder mehrere Königsboten erhielt, oft zwei, nämlich den Erzbischof und einen Grafen, oder mehrere Grafen oder mehrere Geistliche; ein einzelner wurde nur ausnahmsweise als Missus ausgesandt. Die Boten erhielten stets ihre besondere Instruktion, die bald in einem Auszug aus den allgemeinen Gesetzen des Jahres bestand, bald nähere[659] Anweisungen für einzelne Vorkommnisse enthielt; nach Ablauf der Sendung hatten sie dem Kaiser Bericht über ihre Arbeit zu erstatten. Unter den letzten Karolingern geriet die Einrichtung in Verfall, und die sogenannten Kammerboten, nuntii camerae, Erchanger und Berthold, welche in den St. Gallischen Kasus des Ekkehart als Feinde des Bischofs Salomon genannt sind, scheinen zu ihren Namen bloss aus der Verbindung verschiedener Erinnerungen des Chronisten gekommen zu sein.

Quelle:
Götzinger, E.: Reallexicon der Deutschen Altertümer. Leipzig 1885., S. 659-660.
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