Tierbilder

[974] Tierbilder in symbolischer Bedeutung sind zuerst aus der antiken Welt in die christlichen Bildwerke hinübergenommen und hier zum teil christlich umgedeutet worden; dabei kommt in Betracht der Unterschied zwischen reinen und unreinen Tieren, als Symbole des Lichtes und der Finsternis; Raubtiere sind Repräsentanten christenfeindlicher Mächte, wehrlose Tiere bezeichnen die bedrängte Christenschar; Jagdszenen bedeuten die Bekehrung der Sünder, die gejagten Tiere die einzelnen Sünden, die Jagdhunde die Bussprediger, die aufgestellten Netze den Glauben und die Gottesverehrung. Anfangs herrschte in diesen christlichen Tierbildern noch ein harmloser Ton, der namentlich Lämmer und Schafe bevorzugt; seit aber die Apokalypse bekannter geworden war, traten die ungeheuerlichen Tiere der Offenbarung in den Bilderkreis ein, um den Sieg der christlichen Kirche über den Satan zu versinnlichen: der Erzengel Michael besiegt den Drachen, Ritter Georg den Lindwurm; phantastische Gestalten aller Art traten auf, Menschen mit Tierköpfen, Tiere mit Menschenköpfen, barocke an ägyptische Gottheiten erinnernde Missgestalten, darunter der Tetramorph, welcher die vier Evangelisten darstellt und ein aus Mensch, Ochs, Adler und Löwe gebildetes vierleibiges und vierköpfiges Ungeheuer ist. Die Plastiker des 11. Jahrhunderts brachten diese symbolischen Tiere, zu deren Gebrauch und Auswahl auch der Physiologus mitwirkte, in die kirchliche Ornamentik; zunächst gab man kirchlichen Geräten in Messing und Email, den Messkannen, Salbflaschen, Weihrauchbüchsen, die Form von Greifen, Sträussen, Kranichen, Delphinen, während das Ciborium die alte Form der Taube beibehielt; die Weihwasserkessel erhielten zwei sich begegnende Drachen zum Henkel, ähnliche Gestalten bekamen[974] die Leuchter für ihr Untergestell. Dann kamen die gleichen Figuren in die monumentale Dekoration des Kirchenbaus; anfangs auf die Ausschmückung der Säulenkapitäle des Innern beschränkt, verbreiteten sie sich im 12. Jahrhundert auch über alle Façadenteile der romanischen Kirche, und zwar in der ernsten Absicht, damit das Böse und seine unseligen Folgen so abschreckend als möglich abzubilden; auch sind die Darstellungen anfangs noch streng und der kirchlichen Tradition getreu gehalten; im 13. und 14. Jahrhundert, als weltliche Baumeister und Steinmetzen auftraten, liess man dagegen der persönlichen Laune und Satire die Zügel schiessen, und brachte die freiesten, mutwilligsten Schöpfungen auf. Es gibt auch Tierdarstellungen, welche direkt dem deutschen Tierepos entnommen sind. Abgesehen von der häufigen Abbildung des Wolfes und Fuchses, findet man an den Pfeilerfriesen der Krypta des Basler Münsters den ganzen Inhalt von Isengrims Not (Tiersage Nr. 5), namentlich die Krankheit und Heilung des Königs Löwe abgebildet; ähnliches auf einem Teppich zu Lübeck, der einst als Altardecke diente. Otte, kirchl. Archäologie, S. 875 ff. – Wackernagel, kl. Schriften, II, 309 ff. E. Kolloff, die sagenhafte und symbolische Tiergeschichte des Mittelalters, in Raumers hist. Taschenbuch. Vierte Folge, Jahrg. 8, S. 179–269.

Quelle:
Götzinger, E.: Reallexicon der Deutschen Altertümer. Leipzig 1885., S. 974-975.
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