Evangelisten

[165] Evangelisten werden in der ältesten Zeit symbolisch durch vier Schriftrollen in den vier Ecken eines griechischen Kreuzes oder als vier Bücher, oder als vier Flüsse dargestellt, die aus einem Felsen fliessen, auf welchem Christus alsdann mit der Kreuzfahne steht. Schon im 2. Jahrh. werden die spätem vier Evangelistenzeichen erwähnt, die um 600 folgendermassen von Hieronymus erklärt werden: Matthäus bekommt den geflügelten Menschen, nicht Cherub oder Engel, weil sein Evangelium mit der menschlichen Abstammung Christi beginnt; Markus den Löwen, weil er sein Evangelium mit der Stimme Johannes des Täufers in der Wüste beginnt und weil bei ihm die königliche Würde Christi, des Löwen vom Stamm Juda, des Auferstandenen, überwiegt; Lukas erhält den Stier, d.h. das Opferrind, weil sein Evangelium mit dem Opfer des Zacharias beginnt, das Tier deutet auch auf den Opfertod Christi; Johannes erhält den Adler, weil er sich gleich am Anfang seines Evangeliums zum Mittelpunkte des göttlichen Glanzes erhebt.

Die byzantinische Kunst stellt die vier Gestalten häufig in einer Viergestalt oder einem Tetramorph dar, und zwar entweder in einer Engelsgestalt, welche sechs mit Augen besäete Flügel hat, in der Mitte der Mensch, oder in monströser Tiergestalt, animal ecclesiae, Reittier der Kirche, z.B. im Hortus deliciarum der Herrad von Landsberg mit[165] vier Köpfen der Evangelistenzeichen und vier Beinen, die von vier Tieren entnommen sind. Im Abendland erschienen die vier Gestalten meist einzeln und zwar in der ältern Zeit geflügelt als ganze Figur, später tritt die Menschengestalt mit dem Kopf des betreffenden Zeichens ein.

Die Evangelisten werden auch mit den vier grossen Propheten zusammen, auf ihren Schultern sitzend, dargestellt, oder mit den vier grossen Kirchenlehrern. Persönlich dargestellt trägt Matthäus ein Buch und schreibt sein Evangelium, Markus, als kräftiger Mann mittleren Alters, mit langer Nase, tiefgezogenen Augenbrauen, schönen Augen, kahlem Kopf, herabfliessendem Bart, mit untermischten grauen Haaren; der Sage nach ist er von St. Petrus bekehrt und dessen Lieblingsschüler; über seinen Gebeinen ist die Markuskirche von Venedig erbaut. Lukas, Lieblingsschüler des Paulus, soll in Griechenland und Ägypten das Evangelium gepredigt haben. Dass er Maler gewesen sei, lässt sich seit dem 10. Jahrh. nachweisen. Mit dem Buch und geflügeltem oder ungeflügeltem Rind wird er gewöhnlich bärtig dargestellt. Johannes hat als Evangelist und Verfasser der Offenbarung den Adler und ist in der älteren Kunst ein Mann mit weissem Haar, langem Bart, später oft jugendlich, bartlos. Nach Müller und Mothes, Arch. Wörterb.

Quelle:
Götzinger, E.: Reallexicon der Deutschen Altertümer. Leipzig 1885., S. 165-166.
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