Anchises

[254] ANCHISES, æ, Gr. Ἀγχίσης, ου, ( Tab. XXXI.)

1 §. Aeltern. Insgemein wird Kapys, des Assarakus Sohn, für seinen Vater angegeben, Homer. Il. Υ. v. 240. Apollod. lib. III. c. 11. §. 20. & Serv. ad Virgil. Aen. IX. p. 643. jedoch machen ihn auch einige, Hygin. Fab. 94. it. 270. alsofort zu des Assarakus Sohne selbst, die Mutter aber soll Themis, des Königs zu Troja, Ilus, Tochter, Apollod. l. c. oder, nach andern, eine Nais, oder Nymphe, gewesen seyn. Dion. Hal. Antiqu. Rom. l. I. c. 7.

[254] 2 §. Stand und Schicksal. Er gab nach der Weise seiner Zeiten, da auch königliche Prinzen das Vieh hüteten, ebenfalls einen Hirten ab, Serv. ad Virgil. Aen. I. v. 616. und lebete folglich mehr auf dem Lande, als in der Stadt Troja. Weil er von sehr schöner Gestalt war, so soll sich selbst die Göttinn Venus in ihn verliebet haben, und unter der Gestalt einer Nymphe zu ihm gekommen seyn; da sie denn den Aeneas von ihm an dem Flusse Simois geboren hat. Homer. Hymn. in Vener. Hesiod. Theogon. v. 1008. Apollod. lib. III. c. 2. §. 2. Serv. l. c. Diesen Liebeshandel sollen die Samier oder Samothracier auf einer Münze so gar verewiget haben. Beger. Spic. Antiq. p. 38. Sie verboth aber dabey mit allem Ernste, er sollte niemanden etwas von ihrer Vertraulichkeit sagen. Homer. l. c. Als er aber doch einsmals bey einer guten Gesellschaft, wo ihm der Wein die Zunge lösete, damit heraus brach, so verdroß solches die Venus dergestalt, daß sie den Jupiter bath, ihren Hohn an ihm zu rächen. Dieser schlug auch daher mit dem Blitze nach ihm. Weil aber doch die Venus noch, aus voriger Liebe, Mitleiden mit ihm trug, so lenkete sie selbst den Strahl von ihm ab; gleichwohl wurde er von dessen Dampfe dergestalt berühret, daß er stets schwach und kränklich davon blieb. Virgil. Aen. II. v. 648. & ad eum Serv. l. c. Einige wollen, er sey blind davon geworden, Theocr. ap. Serv. ad Virgil. Aen. II. v. 687. andere, er habe eine Wunde von solchem Strale bekommen, die sich hernach niemals wieder zuheilen lassen, Bannier. Entret. XVIII. ou P. II. p. 226. und noch andere, er sey von solchem Blitze erschlagen worden. Hygin. Fab. 94. Cf. Mezir. comment. sur les Epit. d'Ovid. T. II. 144. Allein, da er doch auf die 80 Jahre alt geworden seyn soll, Eustath. ap. Bannier. l. c. p. 227. oder wenigstens von dem Aeneas auf dem Rücken aus der Stadt Troja getragen worden, da solche schon allenthalben brannte, und von den Feinden erobert war, Virgil. l. c. v. 721. Dion. Hal. Antiqu. [255] Rom. lib. X. c. 7. Senec. de benef. lib. II. c. 37. so kann er von besagtem Blitze weder erschlagen, noch geblendet worden seyn; weil er es noch sehen konnte, als sich ungefähr ein helles Feuer um des jungen Ascanius Haupt zeigete. Virgil. l. c. v. 687. & ad eum Serv. l. c. Es kann aber auch wohl zugestanden werden, daß er ein schwaches Gesicht gehabt, welches vielleicht von dem vielen Buhlen in seiner Jugend hergerühret. Boccacc. Geneal. Deor. lib. VI. c. 51. Denn selbst seine vorgegebene Venus ist vermuthlich nichts mehr, als eine gute Beyschläferinn, Bannier. l. c. und Aeneas ein natürliches Kind gewesen. Bey allem dem aber hat er doch auch seine rechte Gemahlinn, oder wenigstens noch mehr Kinder gehabt, weil dessen älteste Tochter, Hippodamia, an den Alkathous verheurathet gewesen, Hom. Il. Ν. v. 428. ob sich gleich nirgends findet, wer deren Mutter eigentlich gewesen, oder wo die andern Schwestern hingekommen sind. Boccacc. l. 1. c. 25.

3 §. Tod und Begräbniß. Daß er eines natürlichen Todes gestorben, steht am ersten zu glauben. Hygin. Fab. 94. Wo aber solches geschehen, und er eigentlich begraben worden, ist allerdings ungewiß. Einige wollen, daß beydes noch auf dem Berge Ida vor Troja geschehen; Eustath. in Il. Μ. v. 98. andere, daß solches an dem Meerbusen Thermo diesseits des Hellesponts erst erfolget; Conon. Narrat 46. die dritten daß sein Begräbniß unten an dem Berge Anchisia in Arkadien gewesen; Pau san. Arcad. c. 12. die vierten, daß er von dem Aeneas auf dem Berge Eryx in Sicilien begraben worden; Hygin. Fab. 260. Serv. ad Virg. Aen. I. 574; die fünften, daß er gar mit bis in Italien gekommen, und er folglich auch in demselben seinen Tod und sein Grab gefunden. Cato ap Hygin. l. c. Strabo & Dionys. Hal. ap. Muncker ad Hygin. l. c. Cf. Mezir. comment. sur les Epit. d'Ovide T. II. p. 221. sq. Bey allem dem aber soll doch auch Diomedes seine Asche und Gebeine nach des Orakels Rathe, mit sich geführet, und endlich [256] dem Aeneas zugestellet haben, Serv. ad Virgil. Aen. IV. v. 427. daß also letztlich alles dießfalls von ihm auf der Ungewißheit beruhen bleibt.

Quelle:
Hederich, Benjamin: Gründliches mythologisches Lexikon. Leipzig 1770., Sp. 254-257.
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