Avróra

[487] AVRÓRA, æ, Gr. Ἠὼς, όος, ( Tab. II. & VII.)

1 §. Namen. Den lateinischen Namen solcher Göttinn leiten einige vons aureus, golden her, weil die Morgenröthe nichts ist, als die Luft, welches von dem goldfarbenen Feuer der Son ne auch solche Farbe annimmt; Varro de L. L. lib. VI. c. 5. andere von aura, die Luft, weilbey deren Aufgange auch insgemein eine sanfte Luft zu wehen pflege; Ap. Voss. Etymol. in Aurum. dies dritten von aurum und rosa; Ibid. die vierten von dem alten griechischen Worte ἀυρὸς, welches so viel, als der Glanz heißt; Vossius ipse, l. c. die fünften von solchem ἀυρὸς und ὥρα, die Zeit, oder Stunde, Iul. Cæs. Scaliger ap. Voss. l. c. und endlich die sechsten von dem ebräischen Worte Or oder Aor, welches auch [487] so viel als Glanz oder Schimmer bedeutet, Becmann. Origin. L. L. in Aurora. Cf. Voss. Theol. gent. l. II. c. 27. Es dürfte diese Meynung auch leicht in so fern die beste seyn, weil das griechische ἀυρὸς selbst erst von solchem ebräischen Worte herkommen kann. Den griechischen Namen leiten indessen doch einige von ἄυω, ich glänze, her, Auctor. Etymol. Magn. ap. Scap. sub Ἠώς, welches aber vielleicht selbst wiederum von dem ebräischen Aor herkömmt.

2 §. Aeltern. Ihr Vater war, nach einigen, Hyperion, und die Mutter Thia, Hesiod. Theog. v. 371. & Apollod. lib. I. c. 2. §. 2. nach andern letztere die Athra, Hygin. Præf. p. 8. wogegen noch andere zu deren Aeltern den Titan und die Erde machen, Gyrald. Synt. VII. p. 259. und wiederum andere sie für eine Tochter des Pallas angeben. Ovid. Fastor. l. IV. v. 573. & ad eum Neapol. l. c.

3 §. Liebeshändel. Weil sie dergleichen mit dem Mars getrieben, so rächete sich Venus dafür also an ihr, daß sie mit steter Liebe geplaget wurde. Sie entführete also den Orion in die Insel Delus, um daselbst ihr Wesen mit ihm zu haben, Apollod. l. I. c. 4. §. 4. dergleichen that sie auch mit dem Cephalus, nachdem sie ihn erst veranlasset, aus Versehen seine eigene Gemahlinn, die Prokris, zu erschießen, Id. ib. c. 9. §. 4. und zwar entführete sie solchen nach Syrien, und zeugete mit ihm den Tithon. Id. lib. III. c. 13. §. 3. Man glaubet sie beyde auch, wie sie einander umarmen auf einem schön geschnittenen Steine zu entdecken. Lipperts Dactyl. I Taus. n. 739. So raubete sie auch selbst den Tithon, des Laomedons Sohn, und nachdem sie ihn in Aethiopien gebracht, zeugete sie mit ihm den Emathion und Memnon. Id. ib. c. 11. §. 4. Dieser hieß auch ihr eigentlicher Gemahl, Hygin. Fab. 270. und sie bath sich für denselben von den Göttern die Unsterblichkeit aus: sie vergaß aber dabey zu bitten, daß er nicht älter würde; daher er denn zwar nicht starb, allein zuletzt dergestalt wiederum zum Kinde wurde, daß er in eine Wiege geleget und also gewartet werden mußte. Hyg. [488] Fab. 270. So hatte sie auch ihren Handel mit dem Asträus, und zeugete mit ihm die Winde Argestes, Zephyrus, Boreas und Notus, wie nicht weniger den Lucifer und die übrigen Sterne. Hesiod. Theog. v. 378.

4 §. Bildung. Sie wird als ein angenehmes Frauenzimmer mit rosenfarbenen Fingern gebildet, Homer. Odyss. Ψ. v. 241. das nach einigen auf einem goldenen Stuhle sitzt, Id. ib. v. 244. & Hymn. in Ven. v. 219. nach andern aber auf einem Wagen fährt, welchen, nach einigen, vier Pferde ziehen; Virgil. Aen. VI. v. 535. So kömmt sie auf einer Münze des Titus Plancus, und auch zuweilen auf geschnittenen Steinen vor. Lipperts Dactyl I Taus n. 738. Nach andern ziehen ihn nur zwey Pferde, Virg. Aen. VII. v. 26. Pacuv. in Thyeste ap. Cerd. ad l. c. und nach den dritten nur der einige Pegasus, welchen sie erhalten hatte, nachdem Bellerophon mit ihm in den Himmel fliegen wollen. Lycophr. v. 17. Sie steht auf demselben, und hat in der rechten Hand eine Fackel, und mit der linken streuet sie Rosen in die Luft. Vor ihr auf dem Wagen steht ein Hahn, der zu krähen scheint. Ap. Nat. Cam. L. VI. c. 2. p. 300. Ed. Patav. Nach dieser Abbildung ist von einem neuen Künstler ein schöner Stein geschnitten worden, wo sie mit der rechten Hand die Rosen streuet, und in der linken die Fackel hält, vor sich aber noch den Lucifer oder Morgenstern in vollem Glanze hergehen hat. Ebermayer. Thes. gemmar. tab. VIII. p. 23. Die beyden Pferde sollen Lampus und Phaethon heißen, Homer. Od. l. c. v. 246. Cf. Tzetz. ad Lycophr. l. c. und so wohl, als wenn ihrer viere sind, nach einigen, rosenroth, Virgil. ll. cc. nach andern aber weiß, Theocr. Idyll. in Hylam v. 11. oder auch coloris lutei seyn, welches aber eigentlich auch eine lichtrothe Farbe, Gell. N. A. lib. II. c. 26. und nicht eine gelbe ist, wie insgemein geglaubet wird. Sie selbst hat eine Kleidung von Safran- oder gelbrother Farbe an, Gyrald. Synt. VII. p. 299. die aber von ihr annoch bey der Morgendemmerung zu [489] verstehen, weil sie nach solcher auch röthlicher gekleidet gewesen. Emmeness. ad Virgil. Georg. I. v. 447.

5 §. Verrichtung. Diese ist insonderheit, daß sie der Sonnen Ankunft verkündiget, Orph. Hymn. in Auroram. v. 3. daher sie denn auch so wohl Menschen, als Thiere, mit ihrer Erscheinung erfreuet. Id. ib. v. 7.

6 §. Eigentliche Beschaffenheit. Sie ist an sich nichts, als die Morgenröthe. Nat. Com. lib. VI. c. 2. Wenn sie aber doch den Tithon geraubet haben soll, so stecket dahinter nichts, als daß sich solcher Prinz gegen Morgen, und zwar insonderheit an den assyrischen Hof gewendet. Banier Entret. XVIII. ou P. II. p. 244. Da sie auch ihre Liebeshändel mit dem Cephalus gehabt, so läßt sich solches gar wohl dahin deuten, daß solcher, als ein großer Liebhaber der Jagd, bey ihrem Aufgange ordentlicher Weise zu Walde gegangen, weil sich alsdenn das Wild am ersten sin den läßt. Gleiche Bewandniß kann es auch mit dem Orion gehabt haben, weil solcher gleichfalls eingroßer Jäger war. Palæph. c. 5. Wenn sie aber auch mit dem Asträus die Winde gezeuget haben soll, so bedeutet solches weiter nichts, als daß es scheint, es kämen die Winde von oben und also von den Sternen und der Aurora herunter. Cleric. ad Hesiod. Theog. v. 376.

7 §. Anderweitige Deutung. Sie wird für eine Tochter des Hyperions und der Thia angegeben, weil alles Licht von der Sonne, deren Aeltern auch Hyperion und Thia sind, herkömmt. Jedoch wird sie auch für eine Tochter der Erde gehalten, und geglaubet, daß sie aus dem Oceane empor komme, weil es einem, nachdem er sie auf der See, oder zu Lande aufgehen sieht, so vorkömmt, als käme sie hier aus der Erde, dort aber aus dem Wasser hervor, und werde also gleichsam von jener, als ihrer Mutter, geboren. Was von ihren röthlichen Pferden u.d.g. gesaget wird, kömmt auf ihre Farbe an, und daß sie auf einem Wagen fährt, bemerket ihre Geschwindigkeit. Nat. Com. lib. VI. c. 2. [490] Wenn sie aber hiernächst auch, nach dem gemeinen Sprüchworte, insonderheit eine Freundinn der Musen ist, so will solches, daß Studirende sich vornehmlich der Morgenzeit bedienen sollen, well sie alsdann etwas rechts zu thun am geschicktesten sind.

Quelle:
Hederich, Benjamin: Gründliches mythologisches Lexikon. Leipzig 1770., Sp. 487-491.
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