Erläuterung der graphischen Tafeln

zur Statistik des deutschen Buchhandels

in den Jahren 1564 bis 1765.

[786] Von Fr[iedrich] Zarncke

(Vgl. hierzu Tafel I-III.)


Als im Jahre 1850 Schwetschke's »Codex nundinarius« erschien, der eine Statistik des deutschen Buchhandels nach den Meßkatalogen von 1564 bis 1765 unter mannigfachen Gesichtspunkten darlegte, widmete ich demselben alsbald ein eingehendes Studium, und die vielfachen überraschenden Resultate desselben erregten mein lebhaftestes Interesse. Aber bald stellte sich mir das Bedürfnis heraus, die Sprache der Ziffern beredter und deutlicher zu machen, und ich entwarf eine Reihe graphischer Tafeln, wie sie damals noch wenig in Übung waren, seitdem zur Veranschaulichung statistischer Verhältnisse ganz gewöhnlich geworden sind. Diese Arbeit ward nur für mich selber unternommen, an eine Veröffentlichung dachte ich nicht. Andere wissenschaftliche Interessen verdrängten dann diese, und so haben die von mir entworfenen Tabellen länger als 30 Jahre verworfen und vergessen dagelegen, bis das Interesse an unsers Freundes Kapp »Geschichte des Buchhandels« mich veranlaßte, sie wieder hervorzusuchen und dem Genannten zur Einsichtnahme zu übersenden. Zu meiner Freude erregten sie seine Teilnahme in hohem Grade; er sprach den Wunsch aus, eine Anzahl derselben seinem Werke beizugeben, und ließ die von ihm ausgewählten und von Neuem genau durchgerechneten, auch hier und da noch vervollständigten7 in saubern Zeichnungen zur Vorlage für die Vervielfältigung herrichten.8 So sind die diesem Werke beigegebenen[786] drei Tafeln zu Stande gekommen, über die nun mir die Pflicht zugefallen ist, die Leser kurz zu orientieren, nachdem unser Freund so jählings aus seiner Arbeit herausgerissen ist.

Voransenden muß ich einige Bemerkungen, durch die die Angaben der Meßkataloge auf ihren richtigen Wert zurückgeführt werden sollen. Dieselben sind keineswegs angethan, ein absolut sicheres Bild von dem in jedem Jahre wirklich Gedruckten zu gewähren. In sie fand nur die Litteratur Aufnahme, die an dem Meßverkehr teilnahm, alles rein Lokale, wenn es nicht in die Nähe der Meßorte fiel, ist wohl meistens ganz ausgeschlossen geblieben, gewiß auch manches andere, nur von den Meßorten allzu Entlegene. Am meisten ist dies der Fall gewesen zu Beginn des Meßkatalogs (1564 fg.), als derselbe noch ein rein privates Unternehmen eines umsichtigen Sortimenters war, der nur seinem und seiner Kollegen buchhändlerischen Vertriebe dienen wollte. Später, als der Meßkatalog eine offizielle Bedeutung erlangte, ward es besser. Aber ganze Kategorien von Werken, so die gesamte Skartekenlitteratur, die Pamphlete, Satiren u. a., wenn man ihnen nicht eine allgemeinere Anziehungskraft zutraute, fanden auch dann keine Aufnahme, oder nur eine ganz zufällige. Von den sämtlichen Werken z.B. Christian Reuters, des Verfassers des »Schelmuffsky«, hat einziges einen Platz im Meßkatalog erhalten. Diese Werke erschienen als zu niedrig und unwürdig eines amtlichen Verzeichnisses. Auch Bücher, die, wenn auch nur in gewissen Gegenden, mißliebig erscheinen mochten, ließ man gern fort, um die Verbreitung des Meßkatalogs nicht zu hemmen. Auch Parteistandpunkte machten sich geltend. So haben die Katholiken sich mehrfach beklagt, daß ein großer Teil ihrer Litteratur keine Aufnahme finde u.s.w. Andererseits ist auch frühe schon manches in dem Meßkatalog als erschienen aufgeführt, das nie gedruckt herausgekommen ist oder erst später und in ganz anderer Gestalt. Schon in den siebziger Jahren des 16. Jahrhunderts griffen die Gelehrten gern nach dem Meßkatalog, um sich nach den Neuigkeiten der wissenschaftlichen Litteratur umzusehen; wer sich daher mit einem neuen Plane trug und ehrgeizig die Blicke der Fachgenossen und der Welt auf sich lenken wollte, der ließ es sein Erstes sein, sobald er mit einem Verleger abgeschlossen hatte, diesen zu veranlassen, den Titel des Buchs in den »Katalog« zu besorgen. Etwas besser ward dies, als man später anfing, die künftig erscheinenden[787] Bücher in einer besondern Rubrik zusammenzustellen. Aber auch dann noch sahen manche Verleger und manche Schriftsteller den Titel ihres bevorstehenden Werkes lieber in den Reihen der erschienenen als der künftig erscheinenden Bücher. Dazu kommt noch, daß auch manche Werke wiederholt in die Kataloge aufgenommen wurden, ohne daß es sich um neue Auflagen handelte. Kurz, die Ziffern müssen einigermaßen in Bausch und Bogen verstanden werden. Da aber ziemlich die gleichen Störungen Jahr für Jahr eingetreten sein werden, so wird das relative Verhältnis im Auf- und Absteigen der Ziffern doch ein leidlich richtiges Bild geben.

Nur Ein Umstand muß noch in Betracht gezogen werden. Die Meßkataloge gaben in erster Linie ein Verzeichnis am Meßorte zur Stelle befindlichen Büchermaterials oder der von den anwesenden Buchhändlern eingesandten Titel. Im Kriegszeiten aber, wo die Straßen unsicher oder geradezu unpassierbar waren, mußten Manche von den Messen fortbleiben, auch wenn sie Werke verlegt hatten, die sie hätten zur Stelle bringen können. Diese fehlten nun im Katalog. Auf diese Wiese haben wir meines Erachtens z.B. den kolossalen Abfall im Jahre 1635 zu erklären. Daß die gesamte verlegerische Thätigkeit wirklich in diesem Jahre in dem Maße heruntergegangen sein sollte, wie es die Ziffern des Meßkatalogs ergeben, halte ich für eine bare Unmöglichkeit. Aber der Meßverkehr war in diesem Jahre der Kriegsläufte wegen auf ein Minimum reduziert.

Wir dürfen es wohl für möglich halten, daß es noch einmal gelingt, auch für die frühern Jahrhunderte ein vollständiges Verzeichnis der in jedem Jahre in Deutschland gedruckten Bücher herzustellen, wie dies ja bis zum Jahre 1500 annähernd bereits von Hain geschehen ist. Ein solches Verzeichnis wird dann eine viel sicherere Grundlage abgeben, als der Meßkatalog, und auf ihm wird dann eine neue und zuverlässigere Statistik des gesamten Buchhandels und Buchdrucks aufgebaut werden können, während die gegenwärtige wesentlich nur den Meßverkehr darzustellen vermag.

Auch das wolle man beachten, daß das Jahr des »Codex nundinarius« von Michaelis bis Michaelis geht, also sich nicht mit dem Kalenderjahre deckt, ferner daß jedes Buch eine Einheit gilt, mag es nun eine Broschüre von einem Bogen, mag es ein mehrbändiges Werk in Folio sein, mag es in Tausenden von Exemplaren gedruckt sein, oder in wenigen Hunderten.

Nach diesen nötigen Reserven9 wollen wir jetzt kurz die einzelnen Tafeln ins Auge fassen.[788]


7

So hat Kapp einigemal fünfjährige Durchschnittssummen berechnet, wo ich mich mit zehnjährigen begnügt hatte.

8

Leider ist Kapp zu der von ihm geplanten Weiterführung nicht gelangt. Mir lag im Jahre 1850 nur die Statistik bis zum Jahre 1765 vor, während Schwetschke später den »Codex nundinarius« bis zum Jahre 1846 fortgesetzt hat. Allerdings hätte bei dieser ein anderer Maßstab gewählt werden müssen, denn bald nach 1765 nimmt der Buchhandel relativ riesige Verhältnisse an. Unsere Tafel geht bis zur Höhe von 1800, aber bereits im Jahre 1770 betrug die Gesamthöhe 1807, im Jahre 1780: 2642, im Jahre 1800: 4012, im Jahre 1820: 7308, im Jahre 1840: 11151 u.s.w.

9

Natürlich treten hierzu auch noch die Ungenauigkeiten in der Ausarbeitung des »Codex nundinarius«. Selbstverständlich muß man Nachsicht üben, wo es sich um Hunderttausende von Zahlen handelt, aber der »Codex« ist wirklich oft recht flüchtig gearbeitet und ungenau korrigiert. Als ein Beispiel häufig vorkommender Differenzen wähle ich das Jahr 1658. Als auswärts erschienen werden hier 120 Werke aufgeführt; das stimmt zu der Summe der unter II (Auswärtige Orte) aufgezählten Bücher, nicht aber zu der am Kopfe der Verlagsorte und Verleger gegebenen Aufzählung nach Fächern, denn hier ergibt sich nur die Ziffer 115. Der Fehler liegt in den lateinischen Schriften: diese belaufen sich an ersterer Stelle auf 72, an letzterer Stelle nur auf 67. Außerdem findet sich in diesem Jahre noch ein zweiter Fehler. Das Verzeichnis der auswärtigen Orte (II) gibt 27 italienische Schriften an, das Verzeichnis nach Fächern nur 18, also 9 weniger; dagegen gibt jenes nur 5 französische, dieses aber 14 an, also 9 mehr. Man möchte auf den ersten Blick meinen, daß diese beiden Differenzen von 9 wohl auf denselben Fehler hinausliefen, aber ich glaube, das ist nur ein Schein. Die Ziffer 14 wird für die französischen Bücher bei auswärtigen Verlegern die richtige sein, und in Genf wird für »9 fr.« fälschlich »9 d.« gedruckt sein, denn aus Genf sind in diesen Jahren stets französische, nie deutsche Bücher auf die Messe gebracht. (Ebenso ist es ein Fehler, wenn im Jahre 1626 bei Genf »29 d.« statt »29 fr.« angegeben wird.) Das Fehlen der 9 italienischen in der Aufzählung nach Fächern wird sich verteilen; auch hier wird die höhere Ziffer 27 richtig sein, denn Ferrara lieferte allein 25 italienische Werke. In der Hast der Arbeit wird der Anfertiger des »Codex nundinarius« sich durch die Antiquaschrift hier und da zur Verwechselung des Französischen und Italienischen haben verleiten lassen.

Quelle:
Friedrich Kapp: Geschichte des Deutschen Buchhandels bis in das siebzehnte Jahrhundert. Band 1, Leipzig: Verlag des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler, 1886., S. 786-789.
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