Die Geschichte von dem Fischer und dem Dschinni

[17] Ich habe vernommen, o glücklicher König, einst lebte ein Fischer, hochbetagt, der hatte ein Weib und drei Kinder und war doch von großer Armut. Nun war es seine Gewohnheit, das Netz viermal am Tage auszuwerfen, und nicht mehr. Eines Tages ging er um Mittag zur Meeresküste hinunter, wo er seinen Korb niederlegte; und indem er das Hemd aufschürzte, ging er ins Wasser, warf das Netz und wartete, bis es zum Grunde sank. Dann faßte er die Stricke zusammen und zog daran, aber er fand es sehr schwer; und so sehr er auch zum Lande hinzerrte, er konnte es nicht heraufziehn: so trug er die Enden ans Land und trieb einen Pfahl in den Boden und band das Netz daran. Dann zog er sich aus und tauchte ins Wasser, rings um das Netz, und ließ nicht ab, bis er es heraufgebracht hatte. Da freute er sich, zog die Kleider an und trat zum Netze hin; aber er fand nur einen toten Esel, der ihm die Maschen zerrissen hatte. Als er nun das sah, rief er in seinem Schmerz: ›Es gibt keine Majestät, und es gibt keine Macht, außer bei Allah, dem Glorreichen, Großen!‹ Dann sprach er: ›Dies ist eine sonderbare Art des täglichen Brotes.‹

Und als er sich den toten Esel angesehen hatte, machte er ihn aus den Maschen frei, preßte das Netz aus und stieg von neuem ins Meer und sagte dabei: ›In Allahs Namen!‹ und er warf es aus und zog daran, aber es wurde schwer und legte sich noch fester nieder als das erstemal. Jetzt aber glaubte er, es seien Fische darin, und er befestigte es, zog die Kleider aus, ging ins Wasser, tauchte und zog, bis er es aufs trockene Land hinaufbrachte. Da fand er einen großen irdenen Topf darin, der voll Sand und Schlamm war; und als er das sah, war er sehr bekümmert, und preßte sein Netz aus, säuberte es und kehrte zum drittenmal zum Meer zurück, um es auszuwerfen; und er wartete, bis es gesunken war, und zog daran und fand Scharben und zerbrochenes Glas darin.[18]

Da hob er die Augen zum Himmel und sagte: ›O Allah! wahrlich, du weißt, ich werfe mein Netz täglich nur viermal aus; dreimal tat ich es jetzt, und du gabst mir nichts. Also gib mir diesmal, o mein Gott, das tägliche Brot.‹ Und nachdem er Allahs Namen angerufen hatte, warf er nochmals das Netz aus und wartete, bis es sank und sich setzte; und dann zog er daran, aber er konnte es nicht heben, denn es war unten festgehakt.

Da zog er sich aus und tauchte zum Netz hinunter und mühte sich, bis er es am Lande hatte. Dann öffnete er die Maschen und fand darin eine gurkenförmige Flasche aus gelbem Kupfer, in der offenbar etwas war, und deren Mund eine Bleikapsel mit dem Siegel unseres Herrn Sulaiman schloß, des Sohnes Davids (Allah behüte die beiden!). Da freute der Fischer sich und sagte: ›Wenn ich sie auf dem Kupfermarkt verkaufe, so ist sie zehn Golddinare wert.‹ Er schüttelte sie, und da er sie schwer fand, so fuhr er fort: ›Wollte der Himmel, ich wüßte, was darin ist. Aber ich muß und will sie öffnen und ihren Inhalt erforschen und sie in meinen Sack stecken und auf dem Kupfermarkt verkaufen.‹ Und er zog sein Messer und schnitt an dem Blei, bis er es von der Flasche gelockert hatte. Dann kehrte er sie zum Boden und schüttelte sie, um herauszugießen, was darin sein mochte. Aber er fand nichts darin; da staunte er in höchstem Staunen. Plötzlich jedoch drang ein Rauch aus der Flasche, der zum Himmel aufstieg bis in den Äther (und wieder staunte er in gewaltigem Staunen), und der dahinkroch über die Oberfläche der Erde, bis der schwere Dunst sich plötzlich, als er seine volle Höhe erreicht hatte, verdichtete und zu einem Ifriten1 wurde, riesenhaft an Gestalt, also, daß sein Scheitel die Wolken berührte, während die Füße auf dem Boden standen. Sein Kopf war wie eine Kuppel, seine Hände wie Heugabeln, seine Beine so lang wie Masten, und sein[19] Mund weit wie eine Höhle; seine Zähne glichen großen Steinen, seine Nasenlöcher Wasserspeiern, seine Augen zwei Lampen, und sein Blick war wild und drohend. Als nun der Fischer den Ifriten sah, bebten ihm die Flanken, die Zähne klapperten ihm, sein Speichel trocknete ein, und er wußte nicht mehr, was er beginnen sollte. Da sah der Ifrit ihn an und schrie: ›Es gibt keinen Gott, außer dem Gott, und Sulaiman ist Gottes Prophet‹; und er fügte hinzu: ›O Apostel Allahs, erschlage mich nicht; nie wieder will ich dir im Wort widersprechen noch sündigen wider dich durch die Tat.‹ Und der Fischer sprach: ›O Marid, sagtest du, Sulaiman, der Apostel Allahs? Und Sulaiman ist tot seit einigen tausendundachthundert Jahren, und wir leben jetzt in den letzten Tagen der Welt! Welches ist deine Geschichte und der Bericht von dir, und weshalb kamst du in diese Flasche?‹ Als nun der böse Geist die Worte des Fischers hörte, sprach er: ›Es gibt keinen Gott als den Gott: sei guten Muts, o Fischer!‹ Und der Fischer: ›Weshalb heißest du mich guten Mutes sein?‹ Und er erwiderte: ›Weil du noch in dieser Stunde eines schlimmen Todes sterben sollst.‹ Sprach der Fischer: ›Du verdienst für deine gute Nachricht, daß der Himmel dir seinen Schutz entzieht, o du Ferner! Weshalb wolltest du mich töten, und was habe ich getan, daß ich den Tod verdiente, ich, der ich dich aus der Flasche ließ und dich aus den Tiefen des Meeres rettete und aufs trockene Land hob?‹ Versetzte der Ifrit: ›Sage mir nur die Todesart, die du sterben willst, und mit welchem Schlag ich dich erschlagen soll.‹ Versetzte der Fischer: ›Welches ist mein Verbrechen, und wofür solche Vergeltung?‹ Sprach der Ifrit: ›Höre meine Geschichte, o Fischer!‹ Und er erwiderte: ›Rede und sei kurz in deinen Worten, denn wahrlich, mein Lebensatem schwebt mir in der Nase.‹ Da sprach der Dschinni: ›Wisse, ich bin einer von den ungläubigen Dschann, und ich sündigte gegen Sulaiman, den Davidsohn, worauf der Prophet seinen Minister sandte, um mich zu ergreifen; und dieser Vezier fing mich wider meinen Willen und führte mich in Fesseln vor Sulaiman. Und als Sulaiman mich sah, empfahl er sich Allah und hieß mich den wahren Glauben annehmen und seinen Befehlen gehorchen; ich aber weigerte mich; da schickte er nach dieser Flasche und schloß mich[20] darin ein und versiegelte sie mit Blei, in das er den höchsten Namen preßte, und gab den Dschann Befehl, die mich forttrugen und mich mitten in den Ozean warfen. Dort lag ich hundert Jahre, derweilen ich in meinem Herzen sagte: ›Wer immer mich befreit, den will ich auf ewig und ewig reich machen.‹ Aber das ganze Jahrhundert verstrich, und als mich niemand befreite, trat ich das zweite Jahrhundert an und sagte: ›Wer immer mich erlöst, dem will ich die Schätze der Erde öffnen.‹ Aber wieder befreite mich niemand, und so verstrichen vierhundert Jahre. Da sprach ich: ›Wer immer mich erlöst, dem will ich drei Wünsche erfüllen.‹ Aber niemand befreite mich. Da wurde ich zornig in äußerstem Zorn und sagte zu mir selber: ›Wer mich hinfort noch erlöst, den will ich erschlagen, und ich will ihm die Wahl lassen, welchen Todes er sterben will‹; und da nun also du mich erlöst hast, so lasse ich dir die freie Wahl deiner Todesart.‹ Als der Fischer diese Worte des Ifriten hörte, sagte er: ›O Allah! welch Wunder, daß ich erst jetzt zu deiner Befreiung kam!‹ und er fügte hinzu: ›Schone mein Leben, so Allah deines schonen soll, und erschlage mich nicht, daß nicht Allah einen entsende, um dich zu erschlagen.‹ Da erwiderte der Widerspenstige: ›Es hilft nichts, sterben mußt du; so erbitte dir als eine Gnade die Todesart aus, durch die du sterben willst.‹ Aber trotz dieser Versicherung wandte der Fischer sich nochmals an den Ifriten: ›Erlaß mir diesen meinen Tod zum Lohne dafür, daß ich dich befreite‹; und der Ifrit erwiderte: ›Wahrlich, einzig gerade um dieser Befreiung willen erschlage ich dich.‹

Da sagte der Fischer bei sich selber: ›Dies ist ein Dschinni, und ich bin ein Mensch, dem Allah erträglich schlauen Witz verlieh; so will ich mich umtun, durch meine Erfindung und meine Klugheit sein Verderben zustande zu bringen, genau wie er sich von seiner Bosheit und seiner Tücke leiten ließ.‹ Er begann und fragte: ›Bist du wirklich entschlossen, mich zu töten?‹ und als er zur Antwort erhielt: ›Gewißlich,‹ rief er aus: ›Im allerhöchsten Namen denn, eingegraben in den Siegelring Sulaimans, des Sohnes Davids, wenn ich dich über etwas befrage, willst du mir eine wahrhaftige Antwort geben?‹ Der Ifrit erwiderte: ›Ja‹; aber da er den höchsten Namen erwähnen hörte, verwirrte sich ihm der Verstand, und er sagte zitternd: ›Frag,[21] und sei kurz.‹ Sprach der Fischer: ›Wie paßtest du in diese Flasche, die deine Hand nicht fassen kann; nein, noch auch deinen Fuß; und wie konnte sie groß genug sein, dich ganz zu bergen?‹ Erwiderte der Ifrit: ›Was! glaubst du nicht, daß ich darin war?‹ Und der Fischer versetzte: ›Nein, nie werde ich es glauben, bis ich dich mit eignen Augen darin sah.‹ Da schüttelte sich der böse Geist und wurde ein Rauch, der sich verdichtete und langsam, langsam in die Flasche zog, bis er ganz darin war; und siehe, da verstopfte der Fischer in heller Hast den Hals der Flasche mit der Bleikapsel, die das Siegel trug, und rief den Ifriten an und sprach: ›Sag mir, als eine Gnade, auf welche Todesart du sterben willst! Bei Allah, ich will dich ins Meer hinauswerfen, und hier will ich eine Hütte bauen; und wer immer herkommt, den will ich warnen, daß er nicht fische, und will ihm sagen: ›Hier liegt ein Ifrit im Meer, der jedem, der ihn rettet, als letzte Gunst die Wahl der Todesart gewährt, und der Art, wie er ihn schlachte!‹ Als der Ifrit den Fischer also sprechen hörte und sich gefangen sah, wollte er entschlüpfen, aber Sulaimans Siegel hinderte ihn; da wußte er, daß der Fischer ihn geprellt und überlistet hatte, und er wurde demütig und unterwürfig und sagte flehend: ›Ich scherzte nur mit dir‹; aber der andere erwiderte: ›Du lügst, o schändlichster der Ifriten, gemeinster, schmutzigster!‹ und er lief mit der Flasche zum Meere; und der Ifrit rief: ›Nein, nein!‹ er aber rief: ›Doch, doch!‹ Da dämpfte der böse Geist die Stimme und glättete die Worte und demütigte sich und sprach: ›Was willst du mit mir tun, o Fischer?‹ ›Ich will dich wieder ins Meer werfen,‹ versetzte er, ›wo du eintausendundachthundert Jahre herbergtest und haustest; und jetzt will ich dich darin lassen bis zum Tage des Gerichts.‹ Sprach der Ifrit: ›Öffne mir, daß ich dir Gutes tue.‹ Sprach der Fischer: ›Du lügst, Verfluchter, ich und du, wir stehen wie der Vezier des Königs Junan und der Weise Duban.‹ ›Und wer war der Vezier des Königs Junan, und wer war der Weise Duban; und welches ist ihre Geschichte?‹ sprach der Ifrit, und der Fischer begann

Fußnoten

1 Die Ifriten sind ein Geschlecht der Dschann (Einzahl Dschinni, weiblich Dschinnijah). Allah erschuf drei Klassen lebender Wesen: Engel, Menschen und Dschann. Die Dschann sind irdische Wesen, teils Moslems, teils Ungläubige. Die Moslems unter ihnen sind den Menschen freundlich und dienstbar, die ungläubigen Dschann den Menschen feindlich. Ein anderes Geschlecht der Dschann sind die Marids.


Quelle:
Die schönsten Geschichten aus 1001 Nacht. Leipzig [1914], S. 17-22.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Feldblumen

Feldblumen

Der junge Wiener Maler Albrecht schreibt im Sommer 1834 neunzehn Briefe an seinen Freund Titus, die er mit den Namen von Feldblumen überschreibt und darin überschwänglich von seiner Liebe zu Angela schwärmt. Bis er diese in den Armen eines anderen findet.

90 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon