Die erste Reise Sindbads des Seefahrers

[380] Wisset, mein Vater war ein Kaufmann, einer der Vornehmen in meiner Heimatstadt, ein begüterter Mann von reichen Mitteln; doch er starb, als ich noch ein Kind war, und er hinterließ mir großen Reichtum an Geld, Ländereien und Pachthöfen. Als ich dann groß wurde, nahm ich das Ganze in Besitz, und ich aß vom besten, trank reichlich, trug prunkvolle Kleider und lebte verschwenderisch, indem ich mich den Jünglingen meines Alters gesellte; und[380] ich glaubte, dieses Leben werde dauern und keinerlei Wechsel erfahren. So ging es lange Zeit, aber schließlich erwachte ich aus meiner Arglosigkeit, und da ich wieder zu Verstande kam, sah ich, daß mein Wohlstand zum Mißstand geworden war und mein Reichtum zur Armut; und alles, was ich einst besaß, hatte meine Hand verlassen. Und da mir die Vernunft zurückkam, so packten mich Entsetzen und Verwirrung, und mir fiel ein Wort unseres Herrn Salomo ein, des Davidsohnes (mit ihm sei Friede!), das ich früher von meinem Vater vernommen hatte: ›Drei Dinge sind besser als andere drei: der Tag des Todes ist besser als der Tag der Geburt, ein lebender Hund ist besser als ein toter Löwe, und das Grab ist besser als der Mangel.‹ Und ich suchte die Reste meines Besitzes und meiner Habe zusammen und verkaufte alles, sogar meine Kleider, für dreitausend Dirhems, mit denen ich in fremde Länder zu reisen beschloß, gedenkend der Worte des Dichters:


Durch Mühsal klimmt der Mensch auf seine Höhen – Wer Ruhm begehrt, der schlafe nicht zur Nacht;

Wer Perlen in der Tiefe sucht, muß tauchen – Reichtum gewinnend durch des Leibes Macht;

Und wer Ruhm sucht und sich nicht mühen will – Ist durch ein Wahnbild um sein Leben bald gebracht.


Und also faßte ich mir ein Herz und kaufte mir Güter, Waren und was sonst nötig ist für eine Reise; und voller Ungeduld, aufs Meer hinauszukommen, schiffte ich mich mit einer Schar Kaufleute an Bord eines Schiffes ein, das nach Bassorah bestimmt war. Dort gingen wir wiederum zu Schiffe und segelten viele Tage und Nächte dahin, und wir kamen von Insel zu Insel, und von Küste zu Küste; und wir kauften und verkauften und tauschten überall, wo wir landeten; und wir folgten unserem Kurse, bis wir zu einer Insel kamen, die da war wie ein Garten unter den Gärten des Paradieses. Hier warf der Führer des Schiffes Anker, und als er sein Fahrzeug an der Küste vertaut hatte, legte er die Landungsplanken aus. Und alle, die an Bord waren, landeten, gruben Feuerlöcher, legten Feuer an und beschäftigten sich auf mancherlei Art; die einen kochten, die andern wuschen, und wieder andere ergingen sich auf der Insel, und[381] die Mannschaft begann zu essen und zu trinken und zu spielen und zu scherzen. Ich war einer von denen, die sich ergingen, doch während wir also beschäftigt waren, siehe, da rief plötzlich der Schiffsführer, der am Dahlbord stand, aus Leibeskräften nach uns und sprach: ›He dort, ihr Leute, lauft um euer Leben und eilt zum Schiff zurück, laßt das Gerät im Stich und rettet euch vor dem Untergang! Allah sei euch gnädig! Denn diese Insel, darauf ihr steht, ist keine Insel, sondern ein großer Fisch, der mitten im Meere stille steht, und Sand ist auf ihm angeschwemmt, und Bäume sind seit alters auf ihm gewachsen, so daß er geworden ist wie eine Insel; doch als ihr die Feuer auf ihm entzündetet, da spürte er die Hitze und bewegte sich; und in einem Augenblick wird er mit euch untersinken in die Tiefe, und ihr werdet alle ertrinken. Also laßt euer Gerät im Stich und bringt euch in Sicherheit, ehe ihr sterbet!‹ Da ließen alle, die ihn vernahmen, Gerät und Güter, gewaschene und ungewaschene Kleider, Feuerroste und kupfernes Kochgeschirr liegen und liefen um ihr Leben zum Schiffe zurück; und manche erreichten es, andere aber (und unter ihnen war auch ich) erreichten es nicht, denn plötzlich erbebte die Insel und schoß samt allem, was sich darauf befand, in die Abgründe des Meeres hinunter, also daß mit klatschenden Wogen die wirbelnden Wasser brandend über ihr zusammenschlugen. Ich sank mit all den anderen hinab, hinab in die Tiefe, doch der allmächtige Allah rettete mich vom Tode des Ertrinkens und warf mir einen großen hölzernen Zuber in den Weg, darin sich die Leute auf dem Schiff gewaschen hatten. Um der Süße des Lebens willen griff ich danach, stieg rittlings hinauf und ruderte mit den Füßen wie mit Rudern, während mich die Wogen wie im Spiel nach rechts hin warfen und nach links. Derweilen nun hißte der Schiffsführer die Segel und fuhr davon mit denen, die an Bord gekommen waren, ohne der Ertrinkenden und Ertrunkenen zu achten. Und ich folgte dem Fahrzeug mit den Blicken, bis es außer Sicht und ich des Todes gewiß war. In dieser Lage brach das Dunkel über mich herein, und die Winde und die Wogen trugen mich die ganze Nacht und den ganzen folgenden Tag dahin, bis der Zuber mit mir unter Lee eines hohen Eilandes kam, dessen Bäume über die Fluten hingen.[382] Ich griff nach einem Ast, und mit seiner Hilfe kletterte ich aufs Land, nachdem ich fast schon des Todes gewesen war; doch als ich das Ufer erreichte, fühlte ich, daß mir die Beine taub und steif waren, und meine Füße trugen auf den Sohlen die Spuren nagender Fische; doch vor dem Übermaß der erlittenen Angst und der Ermattung hatte ich nichts davon gemerkt. Wie ein Toter warf ich mich auf den Boden der Insel nieder, und ertrunken in der Verzweiflung, sank ich in Ohnmacht. Und nicht vor dem nächsten Morgen kam ich wieder zur Besinnung, bis die Sonne aufging und mich wieder belebte. Doch da meine Füße geschwollen waren, so mußte ich mich damit behelfen, daß ich mich auf dem Gesäß dahinschob und auf den Knien kroch, dieweil sich vielerlei Früchte und Quellen frischen Wassers auf der Insel fanden. Ich aß von den Früchten, die mich kräftigten; und in dieser Weise verbrachte ich Tage und Nächte, bis mir das Leben zurückzukehren schien, mein Mut sich neu belebte und ich besser imstande war, mich zu bewegen. Nach gebührender Überlegung begann ich also die Insel zu erforschen und mich damit zu ergötzen, daß ich alles beschaute, was der allmächtige Allah dort erschaffen hatte; und ich ruhte mich unter den Bäumen aus, von deren einem ich mir einen Stab schnitt, um mich darauf zu stützen. Als ich nun eines Tages am Strande hinging, sah ich in der Ferne etwas, was ich für ein wildes Tier oder für eines der Ungeheuer des Meeres hielt; doch als ich mich näherte und derweilen scharf ausspähte, erkannte ich, daß es eine edle Stute war, angebunden am Gestade. Da trat ich bis dicht zu ihr hin, doch sie schrie mich mit einem so gewaltigen Schrei an, daß ich vor Furcht bebte, und ich wandte mich, um zu fliehen; aber plötzlich tauchte aus dem Erdboden ein Mann empor, der mir folgte, mich rief und zu mir sprach: ›Wer und woher bist du, und was trieb dich hierher?‹ Versetzte ich: ›O mein Herr, wahrlich, ich bin ein Heimatloser, ein Fremdling, und ich wurde mit vielen anderen von dem Schiffe, darin wir reisten, im Stich gelassen, um zu ertrinken; aber Allah schickte mir in seiner Gnade einen hölzernen Zuber, auf den ich mich rettete, und er schwamm mit mir dahin, bis mich die Wogen hier an die Insel warfen.‹ Als er das hörte, da ergriff er mich bei der Hand und[383] sprach: ›Komm mit mir!‹ und führte mich in eine große unterirdische Kammer, die so geräumig war wie ein Saal. Er wies mir an ihrem oberen Ende einen Platz an und brachte mir ein wenig zu essen; und da mich hungerte, so aß ich, bis ich gesättigt und erfrischt war; und als er es mir behaglich gemacht hatte, fragte er mich nach mir selber, und ich erzählte ihm von Anfang bis zu Ende alles, was mir widerfahren war, und da er ob meines Abenteuers staunte, sprach ich: ›Bei Allah, o mein Herr, verzeih mir; ich habe dir die Wahrheit erzählt über mein Erlebnis und den Unfall, der mich betroffen hat; und jetzt wünsche ich, daß auch du mir sagest, wer du bist, und weshalb du hier unter der Erde weilest und wozu du jene Stute am Rande des Meeres angebunden hast.‹ Versetzte er: ›Wisse, ich bin einer von den vielen, die an den verschiedenen Orten dieser Insel aufgestellt sind; und wir sind die Diener des Königs Mihrdschan1, und unter unserer Hand stehn all seine Pferde. In jedem Monat bringen wir um die Zeit des Neumonds unsere besten Stuten hierher, und wir fesseln sie an der Meeresküste und verbergen uns hier unter der Erde, also daß uns niemand erspähen kann. Dann wittern die Hengste der See die Stuten, und sie kommen aus dem Wasser empor, und wenn sie niemand sehen, so versuchen sie, die Stuten mit sich fortzuziehen, aber sie können es nicht, weil sie gefesselt sind; und dann wiehern sie sie an und stoßen sie und schlagen nach ihnen aus; sobald wir das hören, laufen wir hinauf und schreien sie an, also daß sie erschrecken und voller Angst zurückkehren in das Meer. Die Stuten aber werfen nachher Füllen, die einen Schatz Geldes wert sind und derengleichen sich auf der Erde nicht finden. Dies ist die Zeit, da die Seehengste kommen; und, (Inschallah!) ich werde dich mitnehmen zu König Mihrdschan und dir unser Land zeigen. Und wisse, hättest du nicht uns getroffen, so wärest du elend umgekommen, und niemand hätte von dir erfahren; ich aber will das Werkzeug sein für die Rettung deines Lebens und für deine Rückkehr in dein Land.‹ Ich rief Segen auf ihn herab und dankte ihm für seine Freundlichkeit und sein höfliches Wesen. Und während wir noch plauderten, siehe, da kam der Hengst[384] aus dem Meere herauf und wollte die Stute mit sich fortführen, aber er konnte es nicht, weil die Fessel ihn hinderte. Sie schlug aus und wieherte ihn an, und der Pferdeknecht griff zu Schwert und Schild, lief hervor aus dem unterirdischen Saal, schlug mit der Klinge auf den Schild und rief nach seinen Gefährten; und als sie schreiend und mit geschwungenen Speeren gelaufen kamen, erschrak der Hengst, tauchte wie ein Büffel ins Meer und verschwand unter den Wogen. Dann setzten wir uns eine Weile, bis die andern Knechte gekommen waren, deren jeder eine Stute führte; als die mich nun bei ihrem Gefährten sahen, fragten sie mich nach mir, und ich erzählte auch ihnen meine Geschichte. Da näherten sie sich, breiteten den Tisch, aßen und luden mich ein, mit ihnen zu essen; ich aß also mit ihnen, und schließlich saßen sie auf, gaben mir eine der Stuten und ritten dahin, bis sie zur Hauptstadt des Königs Mihrdschan kamen; dann gingen sie zu ihm und machten ihn mit meiner Geschichte bekannt. Er ließ mich holen, und als sie mich vor ihn führten und die Grüße getauscht worden waren, hieß er mich herzlich willkommen, wünschte mir langes Leben und befahl mir, ihm meine Geschichte zu erzählen. Ich also berichtete ihm von Anfang bis zu Ende alles, was ich gesehen hatte und was mir widerfahren war, so daß er staunte und zu mir sprach: ›Bei Allah, o mein Sohn, du bist wahrlich durch ein Wunder gerettet worden! Wäre nicht die Zeit deines Lebens lang bemessen, du wärest diesen Nöten nicht entronnen; aber Preis sei Allah für die Rettung!‹ Dann sprach er heiter mit mir und behandelte mich gütig und ehrenvoll; und ferner machte er mich zum Verweser des Hafens, der alle Schiffe zu verzeichnen hatte, die bei ihm einlaufen mochten. Ich wartete ihm regelmäßig auf, um seine Befehle entgegenzunehmen, und er begünstigte mich und tat viel Gutes an mir und kleidete mich in kostbare und prunkvolle Gewänder. Ja, ich stand hoch in Ehren bei ihm als Fürbitter für das Volk und als Vermittler zwischen ihm und den Leuten, die irgend etwas von ihm wünschten. So lebte ich lange Zeit, und sooft ich durch die Stadt zum Hafen ging, fragte ich die Kaufleute und Reisenden und Seefahrer nach der Stadt Bagdad, ob ich vielleicht von einer Gelegenheit hören würde, um heimzukehren[385] in mein Land; doch ich vermochte keinen zu finden, der es kannte oder der jemanden kannte, der hierherkam. Das bekümmerte mich, denn ich war der Fremde müde; und meine Enttäuschung dauerte eine Weile, bis ich eines Tages zu König Mihrdschan kam und ihn in Gesellschaft von Indiern fand. Ich grüßte sie, und sie gaben meinen Gruß zurück, hießen mich höflich willkommen und fragten mich nach meiner Heimat. Und ich fragte sie nach der ihren; und sie erwiderten mir, sie gehörten verschiedenen Kasten an, und einige von ihnen hießen Schakirijah, das sei die vornehmste unter ihren Kasten, die weder unterdrücke, noch Gewalttat wider irgend jemanden dulde; und andere seien Brahmanen, die enthielten sich des Weines, doch lebten sie in Freude und Wonne und Heiterkeit und besäßen Kamele und Pferde und Rinder. Ferner sagten sie mir, das Volk von Indien zerfalle in zweiundsiebenzig Kasten, und ich staunte in höchstem Staunen. Ferner sah ich unter anderen Dingen im Reiche des Königs Mihrdschan eine Insel namens Kasil, darauf man die ganze Nacht hindurch Trommeln und Zimbeln schlagen hörte; doch sagten uns die benachbarten Inselbewohner, die Insulaner seien Leute von Urteil und Fleiß. Ich vertrieb mir die Zeit damit, daß ich die Inseln besuchte, bis eines Tages, als ich wie immer mit einem Stabe in der Hand im Hafen stand, siehe, ein großes Schiff, darauf sich viele Kaufleute befanden, auf den Hafen zuhielt. Als es den kleinen inneren Hafen erreichte, wo die Schiffe dicht unter der Stadt ankern können, zog der Führer die Segel ein, machte an der Werft fest und warf die Landungsplanken aus; und die Mannschaft begann zu löschen und die Ladung ans Land zu schaffen, während ich dabeistand und sie schriftlich verzeichnete; es dauerte lange, bis sie all die Waren ans Land gebracht hatten, und also fragte ich den Führer: ›Ist noch etwas in deinem Schiff?‹ Versetzte er: ›O mein Herr, es sind noch allerlei Warenballen im Raum, deren Besitzer uns unterwegs bei einer der Inseln ertrank; so blieben seine Waren als hinterlegtes Gut in unserer Obhut, und wir gedenken, sie zu verkaufen und den Erlös den Seinen zu bringen nach Bagdad, dem Hause des Friedens.‹ Fragte ich: ›Welches war der Name des Kaufmanns?‹ Versetzte er: ›Sindbad der Seefahrer.‹ Da sah ich[386] ihn genau an, und als ich ihn erkannte, stieß ich einen lauten Schrei aus und sprach zu ihm: ›O Führer, ich bin jener Sindbad der Seefahrer, der mit den andern Kaufleuten reiste; und als der Fisch sich hob und du uns riefest, retteten sich einige, und andere versanken, und unter ihnen ich. Doch der allmächtige Allah warf mir einen großen hölzernen Zuber in den Weg, einen von denen, darin sich die Mannschaft zu waschen pflegte, und die Winde und die Wogen trugen mich an diese Insel, wo ich durch Allahs Gnade mit den Stallknechten des Königs Mihrdschan zusammentraf; und sie brachten mich hierher zu dem König, ihrem Herrn. Als ich ihm meine Geschichte erzählte, da behandelte er mich voll Huld, und er machte mich zu seinem Hafenmeister, also daß ich gedieh in seinem Dienste und Gnade fand vor seinen Augen. Diese Ballen also gehören mir, und es sind die Waren, die Allah mir verliehen hat.‹ Da rief der andere aus: ›Es gibt keine Majestät, und es gibt keine Macht, außer bei Allah, dem Glorreichen, Großen! Wahrlich, es lebt weder Treu noch Glauben mehr unter den Menschen!‹ Sprach ich: ›O Kapitän, was bedeuten diese Worte, dieweil ich dir meine Geschichte berichtet habe?‹ Versetzte er: ›Da du mich sagen hörtest, daß ich Waren bei mir habe, deren Besitzer ertrank, so denkst du sie ohne Recht zu nehmen; aber solches ist dir durchs Gesetz verboten; denn wir sahen ihn vor unsern Augen mit vielen andern ertrinken, und auch nicht einer von ihnen wurde gerettet. Wie kannst du also behaupten, du seiest der Eigentümer der Ballen?‹ ›O Kapitän,‹ sprach ich, ›lausche meiner Geschichte und gib acht auf meine Worte, so wird dir meine Wahrhaftigkeit kund werden; denn Lüge und Unwahrheit sind das Kennzeichen der Heuchler.‹ Und ich berichtete ihm alles, was mir widerfahren war, seit ich mit ihm aus Bagdad fortsegelte bis zu der Zeit, da wir die Fischinsel erreichten, bei der wir nahezu ertrunken waren; und ich erinnerte ihn an gewisse Dinge, die zwischen uns vorgefallen waren, so daß sowohl er wie die Kaufleute sich von der Wahrheit der Geschichte überzeugten; und als sie mich erkannten, wünschten sie mir Glück zu meiner Errettung und sprachen: ›Bei Allah, wir glaubten nicht, daß du dem Tode entronnen wärest! Aber der Herr hat dir ein neues Leben verliehen.‹[387] Dann übergaben sie mir meine Ballen, und ich fand meinen Namen darauf geschrieben, und es fehlte nichts. Ich öffnete sie alsbald und stellte aus dem Feinsten und Kostbarsten, was sie enthielten, ein Geschenk für den König Mihrdschan zusammen, das ich durch die Mannschaft in den Palast bringen ließ. Dort ging ich zum König, legte ihm mein Geschenk zu Füßen, machte ihn bekannt mit dem, was geschehen war, und klärte ihn auf, besonders über das Schicksal des Schiffes und meiner Ballen. Da staunte er in höchstem Staunen, und die Wahrheit all dessen, was ich ihm berichtet hatte, wurde ihm kund. Seine Liebe zu mir wuchs noch, und er erwies mir höchste Ehren und verlieh mir als Gegengabe ein großes Geschenk. Dann verkaufte ich meine Ballen und was ich sonst besaß; und da ich hohen Verdienst erzielte, so kaufte ich mir andere Waren von dem, was diese Inselstadt hervorbrachte und wachsen ließ. Als aber die Kaufleute im Begriffe standen, heimwärts aufzubrechen, schiffte ich alles, was ich besaß, an Bord des Schiffes ein, ging zu dem König, dankte ihm für all seine Huld und Freundschaft und bat um Urlaub, heimzukehren in mein Land und zu meinen Freunden. Er sagte mir Lebewohl, verlieh mir abermals eine Fülle der Stoffe und Erzeugnisse des Landes, und ich nahm Abschied von ihm und schiffte mich ein. Dann gingen wir unter Segel und fuhren mit Allahs, des Allmächtigen, Erlaubnis tage- und nächtelang dahin; und das Glück war uns dienstbereit und das Schicksal hold, so daß wir sicher in Bassorah anlangten; und ich ging an Land, froh der glücklichen Rückkehr zu meinem Heimatboden. Nach kurzem Aufenthalt machte ich mich auf den Weg nach Bagdad, dem Hause des Friedens, und bei mir hatte ich Waren und wertvolle Güter die Fülle. Als ich die Stadt erreichte, ging ich stracks in mein Quartier und mein Haus, wohin auch all meine Freunde und Anverwandten kamen, um mich zu begrüßen. Dann kaufte ich mir Eunuchen und Sklavinnen, Diener und Negersklaven, bis ich einen großen Haushalt hatte; und ich kaufte mir Häuser und Ländereien und Gärten, bis ich reicher und wohlhabender war als je zuvor; und von neuem freute ich mich des Verkehrs mit meinen Freunden und Vertrauten, ja beharrlicher als zuvor, und ich vergaß, was ich[388] in der Fremde und in den Fährnissen der Wanderschaft an Mühsal und Beschwerden erduldet hatte. Ich stürzte mich in allerlei Freuden und Wonnen und Entzückungen, indem ich von den leckeren Speisen aß und von den köstlichsten Weinen trank; und mein Reichtum erlaubte, daß dieser Zustand dauerte. ›Dies also ist die Geschichte meiner ersten Reise, und morgen, Inschallah, will ich euch den Bericht über die zweite meiner sieben Reisen geben.‹

(Spricht der, der die Geschichte erzählt): Dann nötigte Sindbad vom Meere Sindbad vom Lande, mit ihm zu Nacht zu speisen, und er ließ ihm hundert Goldstücke geben, indem er sprach: ›Du hast uns heute durch deine Gesellschaft aufgeheitert.‹ Der Lastträger aber dankte ihm, nahm das Geschenk und ging seiner Wege, indem er dessen dachte, was er vernommen hatte, und gewaltig staunte ob dessen, was den Menschen widerfahren kann. Er verbrachte die Nacht in seinem Hause, und am frühen Morgen begab er sich zum Wohnsitz Sindbads, des Seefahrers, der ihn ehrenvoll empfing und zu seiner Seite sitzen ließ. Als dann auch die anderen der Gesellschaft beisammen waren, setzte er Speise und Trank vor sie hin, und als sie gut gegessen und getrunken hatten und lustig waren und heiter, da fuhr er fort in seiner Rede und erzählte ihnen mit diesen Worten.

Fußnoten

1 Persisch: Mihr = Sonne; Dschan = Leben.


Quelle:
Die schönsten Geschichten aus 1001 Nacht. Leipzig [1914], S. 380-389.
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