Todtensang

[104] Der Nachtwind heult dir den Todtensang –

Nun schlaf, mein Bruder, nun schlaf!

Und wenn deine Seele auch Flammen trank,

Der Hieb des Todes, er traf!

Und wenn deine Seele auch Welten barg,

Und jauchzend zum Lichte sich rang:

Nun liegst du im Grunde, im modernden Sarg –

Der Kelch deiner Seele zersprang!


Mit leuchtender Stirn, mit flammender Brust,

Zog'st du: ein junger Achill!

Und warfest die Hallen, wo feiler Wust

Die heiligen Bilder befiel –

Wo lauernder Schlangen giftspeiender Zahn

Zerrissen, was edel und groß:

Du warfest sie nieder! Auf siegender Bahn

Mit heldenhaft markigem Stoß!


Wir jauchzten dir zu in heiliger Gluth

Und griffen zum blitzenden Schwert!

Der feigen Seelen neidische Brut,

Von eklem Staube genährt:

Wir trieben sie aus! Mit gellendem Schrei

Zerstob die zitternde Schaar! ...

Doch weiter, nur weiter! Durch Nebel und Mai,

Umflogen von wirbelndem Haar:
[104]

So zogen wir hin auf dampfendem Roß,

Wir Kämpen für Freiheit und Licht! ...

Da fiel der hirnversengende Stoß,

Der's Herz mir stückweis bricht

Es schlich der nackte, der fahle Tod

Zu deinem Herzen sich hin

Da lagst du im bleichen Morgenroth –

Zerbrochen das Schwert und die Brünn'. –


Zerbrochen die lichte, die jauchzende Brust:

Fahr' wohl, mein Bruder, fahr' wohl!

Versprüht die lodernde Kampfeslust –

Zertrümmert das hehre Idol! ...

Wir saßen und sannen in stummer Qual

Und starrten auf deinen Leib –

Dann gaben wir ihn, das Antlitz fahl,

Den Würmern zum Zeitvertreib ...


Sie mögen ihn schmausen in köstlichem Mahl –

Leb' wohl, mein Bruder leb' wohl!

Wir kämpfen, die Faust im blitzenden Stahl,

Für der Freiheit leuchtend Symbol! ...

Und pocht auch der Wahnsinn an unser Hirn –

Nur weiter durch Nebel und Nacht:

Dort fressen die Würmer die leuchtende Stirn –

Wir rasen dämonenumlacht! ...


Noch rinnt in unsern Adern die Gluth,

Die alles Hohle zerschlägt –

Noch packt uns wilder Titanenmuth,

Der auf zum Himmel uns trägt!

Noch thürmen wir jauchzend mit markiger Faust

Die Berge zum Götterpalast:

Und wenn uns das Heer der Blitze umsaust,

Die Nacht der Wolken uns faßt!


Wir schwuren an deines Grabes Rand

Den Kampf für Freiheit und Licht –

Wir stürzen mit unbarmherziger Hand,

Die nimmer segnet, nur bricht,[105]

Die Tempel, die Hallen, wo Spöttergezücht

Auf goldenen Thronen verdorrt:

Da wirbelt der Staub! Da verzerrt das Gesicht

Der Feige mit stammelndem Wort! ...


Wir holen auch dich von prunkender Höh',

Verfaultes Götzengeschlecht!

In unserer Brust, da fluthet die See

Des Hasses! da thront nur das Recht!

Und dieser Haß zertrümmert auch euch

Und fegt euch nieder zu Thal –

Mit einem gewaltigen Riesenstreich –

Mit hühnenhaft blitzendem Stahl! ...


Der Nachtwind heult dir den Todtensang!

Nun schlaf, mein Bruder, nun schlaf!

Und wenn deine Seele auch Flammen trank:

Der Hieb des Todes – er traf!

Und wenn du auch liegst im modernden Schacht:

Dein Geist durchbebt unser Herz:

So jagen wir weiter durch Nebel und Nacht –

Durch Dunkel Morgenwärts!

Quelle:
Wilhelm Arent (Hg.), Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig 1885, S. 104-106.
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