Die Rheinfahrt

[281] (Ein Bruchstück.)


1851.


Wir sind am Bord – Engländer, Amerikaner,

Franzosen, Russen – alles will zum Rhein;

Doch sollten Pelasger, Danaer und Trojaner,

Die ältsten Trümmerhäusler, mit uns sein.

Der irdischen Verschollenheiten Mahner,

Wie Herrlichstes zuletzt als Stein und Bein,

Worüber einsam Krähn und Raben fliegen

Und Käuze wimmern, muß im Staube liegen.


Doch du, o Rhein, bleibst frisch in deiner Schöne,

Du brausest jugendfrisch durch Felsgestein,

Nie schwinden deiner Sagen Liedertöne

Um Drachenfels, Rheineck und Hammerstein.

Was kümmert das Vergänglichkeitsgestöhne

Unsterbliche? Was dich, ob Stein und Bein

Dereinst als Staub in alle Winde fliegen,

Solange deine Quellen nicht versiegen?
[281]

Und wir? Zerbröckelt uns an Trümmersteinen

Und an geborstnen Türmen heut der Mut?

Erlischt uns an der Vorzeit blassen Scheinen

Des Lebens junge, helle Sonnenglut?

Nein, wahrlich nicht zum Stöhnen, Wimmern, Weinen

Schnellt heut der Dampf uns siegreich durch die Flut –

Heißt er des Tages Atem, heißt sein Kämpfer,

So werd' er heute trüber Dämpfe Dämpfer.


Wie? Auf dem Strom der Katten und der Franken,

Wo nichts als Stolz und Ruhm und Großheit winkt,

Da webten wir der Trümmer Efeuranken

Um das, was stets als Staub zum Staube sinkt?

Da spönnen wir Gespenster aus Gedanken,

Wodurch das Schwert des Vaters Teuto blinkt,

Worin die Karle, Friedriche, Ottonen

Zur Höhe weisen, wo die Höchsten thronen?


Frischauf! Auf zum Lebendigen von dem Toten!

Von toten Steinen zum lebendigen Stein!

Von bleicher Vorzeit Schatten zu den roten

Gebilden, rot im Jugendsonnenschein!

Ha! Wird nicht Jugendglanz dem Blick geboten?

Der frische Glanz vom Ehrenbreitenstein?

Nein, weg von diesem mächtigen Felsgesteine!

Weg in die kleine Lahn vom mächtigen Rheine!


Auf! In die Lahn! Vom Tode hin zum Leben!

Von toten Steinen zum lebendigen Stein,

Nach Nassau auf, wo heilige Geister schweben,

Die deutschen Geister vom lebendigen Stein!

Mit aller deiner Schöne, deinen Reben

Und Wassern hast du einen, stolzer Rhein,

Nur einen, der dem Manne sondergleichen,

Dem Sohn der kleinen Lahn sich könnte gleichen?


Wir stehn in seinem Tal, auf seinen Bergen,

Wir rufen: Sprich das Wort, erhabner Geist,

Das Wort des Fluchs den Schelmen und den Schergen,

Wodurch die Welt um deutschen Raub sich reißt,

Wodurch man deutsche Ehre, wie aus Särgen

Den Leichenmoder, durcheinander schmeißt –

Sprich, Hoher! – Du verstandest zu zerschmettern –

Du Donnrer, rede heut aus Donnerwettern!
[282]

Komm nieder, laß es schallen, hoher Sprecher!

Von deinen Sternen komm herab ins Tal!

Du Ehrenzünder, komm! Du Schandebrecher,

Komm mit dem allerschwersten Donnerstrahl!

Des Vaterlandes Mahner, Warner, Rächer,

Auf deutscher Erde rede noch einmal:

Wo Kleinste um das Größte sich befehden,

Da sprich zu uns in lautsten Himmelsreden!


Wohin? Zwar sind die Donner Gottessprüche,

Vielleicht auch Geistersprüche – doch wohin?

Wir flehen aus dem Jammer unsrer Brüche

Und Wunden, wissend kaum, woher, wohin.

Der Mann des Zorns war Stein, doch nicht der Flüche,

Trug in der stärksten Brust den frommsten Sinn,

Der Mann, im Glauben mächtig und im Beten,

Vor Könige stolz und still vor Gott zu treten.


Drum könnt ihr beten, betet hier um Segen,

Um Segen bittet den erhabnen Geist,

Der über unserm Weh auf Sternenwegen

Mit allen guten Geistern selig kreist,

Der allen Geistern, die sich unten regen

In tapfrer Kraft, die deutsche Losung weist:

Seid stark im Lieben, werdet schwach im Hassen!

So wird Gott seine Deutschen nicht verlassen.

Quelle:
Ernst Moritz Arndt: Werke. Teil 1: Gedichte, Berlin u.a. 1912, S. 281-283.
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