Lebenslied

[16] 1800.


Steh und falle mit eignem Kopfe,

Tu das Deine und tu es frisch!

Besser stolz an dem irdnen Topfe,

Als demütig am goldnen Tisch:

Höhe hat Tiefe,

Weltmeer hat Riffe,

Gold hat Kummer und Schlangengezisch.


Bau' dein Nest, weil der Frühling währet,

Lustig bau's in die Welt hinein;

Hell der Himmel sich oben kläret,

Drunten duften die Blümelein:

Wagen gewinnet,

Schwäche zerrinnet,

Wage! Dulde! die Welt ist dein.


Steh nicht horchend, was Narren sprechen,

Jedem blüht aus der Brust sein Stern;

Schicksal webet an stygischen Bächen,

Feigen webet es schrecklich fern.

Steige hinnieder!

Fasse die Hyder!

Starken folget das Starke gern.


Wechselnd geht unter Leid und Freuden

Nicht mitfühlend der schnelle Tag.

Jeder suche zum Kranze bescheiden,

Was von Blumen er finden mag.

Jugend verblühet,

Freude entfliehet:

Lebe! Halte! doch lauf nicht nach!

Quelle:
Ernst Moritz Arndt: Werke. Teil 1: Gedichte, Berlin u.a. 1912, S. 16-17.
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