Liebeskraft

[12] 1796.


Wem flammet der Begeistrung heil'ges Feuer?

Wem pocht des Busens ungestümer Drang?

Wem braust der Strom durch meine goldne Leier

So freudig wie der Frühlingsbäche Klang?


O dir, die an dem weiten Flammenbusen

Die Pulse aller Wesen liebend wärmt

Und allgewaltig um den Born der Musen

Und um des Helden Tatenträume schwärmt.


Dir, Himmlische, schlag' ich die goldnen Saiten,

Dir rieselt meines Liedes Silberton,

Urania; schon in den Blütenzeiten

Der Vorwelt funkelte dein Feuerthron;


Du schlugest in das Chaos Lebensfunken,

Und Welten sprangen jubelnd aus dem Nichts,

Es kreisten Monde, Sonnen flogen, trunken

Des neuen Seins, die goldne Bahn des Lichts;


Von deinem Odem sprudelte die Quelle,

Die Blume öffnete den duft'gen Schoß,

Der Fisch durchschlüpfte seine Silberwelle

Und Würmchen liebten auf dem Erdenkloß.


Wes ist das Land, das Menschen aneinander

Mit losen Schlingen unauflöslich schnürt

Und freundlich seinen schlängelnden Mäander

Des Lebens leichten Schatten niederführt?


Von wessen Odem weht die heil'ge Flamme,

Die Purpur auf des Mädchens Wange haucht

Und, aufzudringen zu dem Götterstamme,

Im Styx der Kraft den Jüngling untertaucht?
[12]

Was färbt dem Morgenrot die Rosenwangen?

Was lehrt die Erden und die Sonne fliehn?

Die Blütenzweige flüsternd sich umfangen?

Die Blumen an der Blumen Lippen glühn?


O laß auch mich an deinen Busen fallen! –

Er schlägt für alles Leben ja so weit –

Mit deinen tausend Wogen laß mich wallen

Hinab den Strom in die Unendlichkeit.

Quelle:
Ernst Moritz Arndt: Werke. Teil 1: Gedichte, Berlin u.a. 1912, S. 12-13.
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