Willkommen

[96] An Freiherrn Otto Magnus Munck.


Neujahr 1812.


Willkommen, Freund, am deutschen Strand!

Willkommen unter deutschen Eichen!

Willkommen! Laß uns Herz und Hand

Zum alten Bunde fröhlich reichen!


Willkommen! Süßer Freudenklang,

Du braustest einst an Mälarns Strande,

Sirenen tönten drein Gesang,

Und Nymphen schwammen froh zum Lande;


Die Ulmen tanzten mit uns rund,

Und alle Lüfte spielten Geigen,

Das ganze blaue Sternenrund

Beriefen wir zu Freudenzeugen.


O süße Zeit, wo flohst du hin?

Wer sitzet heut an jenen Wellen?

Wem schattet jetzt der Ulmen Grün,

Wann Sommersonnen Pfeile schnellen?
[96]

Wen ladet jetzt der Birkenhain,

Der grauen Eichen dunkles Rauschen

Zu süßen Phantasien ein,

Wann Geister durch die Schatten lauschen?


O rinnet nur, ihr Tränen, rinnt!

Die Geister ziehen mit den Seelen,

Und da, wo keine Herzen sind,

Weiß die Natur nichts zu erzählen.


So komm und weihe durch dein Herz

Die fremde Flur zum Vaterlande!

In Leid und Freud', in Lust und Schmerz

Wir halten fest die alten Bande.


Es drehet Zeit und Welt sich um,

Die Menschen und die Sterne wandern;

Hier blüht uns kein Elysium,

Glück rollt von einem zu dem andern.


Nur eines steht ein Felsenberg,

Der nie von seiner Stätte rücket,

Das Herz, das nimmer überzwerch

Vom graden Pfad der Ehre blicket.


Das bleibt der ewig feste Pol,

Worum die kleinen Dinge rollen:

Es wanket alles leicht und hohl,

Steht nicht auf festem Grund dein Wollen.


Das Glück, das glatt und schlüpfrig rollt,

Tauscht in Sekunden seine Pfade,

Ist heute mir, dir morgen hold

Und treibt die Narren rund im Rade.


Laß fliehn, was sich nicht halten läßt,

Den leichten Schmetterling laß schweben

Und halte nur dich selber fest:

Du hältst das Schicksal und das Leben.


Willkommen denn zum Neuen Jahr!

Laß uns die Blicke fröhlich heben!

Die Freundschaft lebe treu und wahr!

Die Freiheit soll am höchsten leben!
[97]

Die Freiheit ist der Seelen Stahl

Und ritterliche Wehr der Braven,

Die Freien trägt der Sternensaal,

Der Teufel herrschet über Sklaven.


Ein freies Wort, ein freier Mann

Ist hoher Klang für Engelohren:

Wer solchen Klang nicht fühlen kann,

Dem ging der Himmel schon verloren.


Frischaus, den großen Wunsch und Klang!

Der ganzen Hölle Trotz geboten!

Dem feigen Laster Untergang

Und allen Teufeln und Despoten!


Willst du nur sehen, was heut ist,

Du siehst, soweit die Sonnenpferde

Rundwandeln, Lug und Hinterlist

Und Knechte grasen auf der Erde.


Sieh weiter, Freund! Uns wird noch schön

Der Menschheit Morgen wieder dämmern,

Die Freiheit kann nicht untergehn,

Solange Schmiede Eisen hämmern.


Drum Eisen lebe mehr als Gold!

Und Eisenmänner sollen leben,

Die, wie Fortunens Kugel rollt,

Nicht auch sich senken oder heben!

Quelle:
Ernst Moritz Arndt: Werke. Teil 1: Gedichte, Berlin u.a. 1912, S. 96-98.
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